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VII. Aufenthalt in Mursuk.

Der Dendal. Die Kasbah und die Kischlah. Grabstätten. Einwohnerzahl. Die Behörden. Besuchsceremoniell. Der letzte Prinz von Geblüt. Militärwesen. Die türkischen Beamten und der Sklavenhandel. Ein Negerknabe als ärztliches Honorar. Ausflug nach Tragen. Weiterreise mit dem Fürsten Maina Adem von Kauar.

Die Stadt Mursuk ist nach Duveyrier von den Uled-Mohammed gegründet. Sie liegt im 14deg.10' östl. Länge von Gr. und 25deg.52' nördl. Breite, nach den von mir angestellten und von Dr. Hann berechneten Messungen, die ziemlich genau mit den Angaben anderer Reisenden übereinstimmen, 1650 englische Fuss über dem Meere, in einer Hofra (Einsenkung), die zwar nicht tief, deren Boden aber doch von sumpfiger Beschaffenheit ist. Daher kommt es, dass gerade die Hauptstadt des Landes ein sehr ungesundes, namentlich für Fremde gefährliches Klima hat, aus welchem Grunde sie auch, wie Hornemann anführt, schon unter den alten Sultanen während der Sommermonate von den Weissen verlassen wurde.

Die Stadt bildet ein (nach Barth zwei englische Meilen umfassendes) Viereck, dessen Nord- und Südseite etwas länger sind als die West- und Ostseite. Sie ist von stellenweis geborstenen, aus an der Sonne getrocknetem Lehm errichteten Mauern umgeben, die eine Höhe von 20-30' haben, an der Basis 10', oben aber nur 2' dick sind und von 30 zu 30 Schritt von viereckigen Thürmen flankirt werden. An den Ecken der Ostseite befinden sich Bastionen, mit einigen Geschützen besetzt.

Eine breite Strasse, echt negerisch Dendal genannt, führt in ziemlich gerader Richtung von Westen nach Osten durch die Stadt. In ihr steht gleich an dem stets von einem Doppelposten bewachten Thore das Zollhaus, zu meiner Zeit unbenutzt, da ausser für Sklaven kein Zoll für ein- und durchgehende Waaren erhoben wurde. Die Strasse weiter verfolgend, gelangt man rechts an die Hauptwache und daneben an die Wohnung des Kaimmakam, des Gouverneurs der Festung. Schräg gegenüber, auf der linken Seite steht das ehemalige englische Consulatsgebäude, das jetzt der Katib el-mel, der Finanzdirector, bewohnte. Von da an hat die Strasse zu beiden Seiten nur kleine Hanut (Buden aus Holz oder Thon) - es ist der Bazar von Mursuk -, bis sie auf einen freien Platz mündet, dessen nordwestliche Seite die Kasbah (Schloss) und die Kischlah (Kaserne) einnehmen.

Die Kasbah, ehemals Residenz der Sultane von Fesan, war seitdem die Amtswohnung des türkischen Kaimmakam gewesen, von Halim-Bei aber verlassen worden, angeblich weil Djennun (Geister) darin hausten, in Wahrheit weil der Wind überall durch die unverwahrten Thür und Fensteröffnungen pfeift. Trotz des Verfalls, in welchen die türkische Regierung den Palast gerathen liess, imponirt er jedoch äusserlich noch durch seine Masse, denn die Mauern sind mindestens 80 Fuss hoch und manche wol 20 Fuss dick. Das Innere freilich machte mir den Eindruck eines riesigen, von labyrinthischen Gängen und engen Kammern durchsetzten Erdklumpens. Einigermassen ansehnliche Dimensionen hat nur der ehemalige Thronsaal, in dem die feierlichen Audienzen abgehalten wurden; alle übrigen Zimmer, auch die des Harem, sind klein und niedrig. Auf der einen Seite stösst an das Schloss die Kaserne, von den Türken gebaut und für dortige Verhältnisse geräumig genug, auf der andern Seite eine Djemma, in welcher die Sultane ihre Gebete zu verrichten pflegten. Oestlich von dem Platze steht die Haupt-Djemma. Sonst gibt es fast nur einstöckige, aus Thonklumpen errichtete Häuser mit platten Dächern; die wenigen, die zwei Stockwerke haben, gehören fremden Kaufleuten aus Djalo, Sokna, Rhat, Kauar oder Rhadames. Der Dendal ist die breiteste Strasse, doch sind auch die andern ziemlich gerade und nicht ganz so schmal wie gewöhnlich in afrikanischen Städten.

Im Osten der Stadt liegen die Kirchhöfe, auf deren einem sich das Grabmal des englischen Reisenden Ritchie befindet, der dem Klima von Mursuk zum Opfer fiel. Die Gräber der Fesaner machen sich, da kein Sarg dem einsinkenden Erdreich Widerstand leistet, durch muldenförmige Vertiefungen kennbar. Als Schmuck legen die Hinterlassenen Strausseneier darauf nebst Scherben von zerbrochenen Töpfen und allerhand anderm Thongeschirr. Auf einem Grabe bemerkte ich unter den Scherben ein defectes Porzellangefäss, dessen Bestimmung bei uns eine ganz andere ist, das aber hier vielleicht als Trinkschale gedient hat; auf einem andern, offenbar dem eines Reichen, ein paar gesprungene Weinflaschen. Die Grabstätten der ehemaligen Sultane sind durch nichts vor den übrigen Gräbern ausgezeichnet als durch etwas breitern Raum und durch grössere Haufen von Scherben und Strausseneiern.

Mit Einschluss der Vorstädte, das heisst der ausserhalb der Mauern ringsum zerstreuten Hütten aus Palmzweigen, die meist von einem Gärtchen umgeben und von schlanken Palmen beschattet sind, zählt Mursuk nach meiner Schätzung etwa 8000 Einwohner. Auf die innere Stadt mögen davon 3000 kommen. Vogel gibt 2800 an, wol nach derselben Quelle, die auch Barth benutzte. Duveyrier enthält sich jeder Schätzung. Richardson will nur 2000 annehmen, meint aber, die Einwohnerzahl der Stadt sei im Wachsen, während er die Bevölkerung des Landes in der Abnahme begriffen glaubt; seine Beobachtungen sind überhaupt sehr widersprechend, denn er schätzt die Bevölkerung von Fesan im ganzen nur auf 26000 Seelen, und sagt doch bei den einzelnen Ortschaften: "beträchtliche Bevölkerung", "wohlbevölkert", "alle ziemlich gut bevölkert"[32]. Auch ich bin der Meinung, dass die Einwohnerzahl Mursuks gegenwärtig nicht ab-, sondern zunimmt. So schlecht auch die türkische Regierung sein mag, so hat sie doch den unsichern Zuständen ein Ende gemacht, die unter den Sultanen in Fesan bestanden. Da zogen die Herrscher selbst plündernd und brandschatzend durchs Land, da bekriegten sich die Provinzen, ja die einzelnen Städte und Ortschaften untereinander in blutigen Fehden, da wetteiferten Tuareg und Tebu mit arabischen Nomadenhorden in Ueberfällen und Beraubungen der Karavanen. Jetzt ist doch Ruhe und Sicherheit des Eigenthums hergestellt, und ich kann Richardsons Ausspruch in seinem eben genannten Bericht: "Keine Thür hat Schloss und Riegel, die Fesaner stehlen niemals," meinerseits Wort für Wort unterschreiben. Aus den vielen leerstehenden Häusern darf man nicht auf den Verfall der Stadt und das Zurückgehen der Bevölkerung schliessen. Durch starke Regenschauer werden die aus salzhaltigem Thon gekneteten Wände eines Hauses gelockert, die Insassen verlassen ihre den Einsturz drohende Wohnung, errichten sich aber sofort an einer andern Stelle ein neues Haus aus demselben unhaltbaren Material. Ganze Dörfer werden auf diese Weise verlassen und andere dafür aufgebaut.

In Mursuk hat die Landesregierung ihren Sitz, an deren Spitze ein Kaimmakam steht. In den ersten Zeiten nach der Eroberung des Reichs durch die Türken war die Macht des Kaimmakam von Fesan eine viel grössere, fast die eines Souveräns; er hatte Gewalt über Leben und Tod der Unterthanen sowie über Krieg und Frieden mit den umwohnenden Völkern. Seit Anfang der sechziger Jahre aber ist seine Macht auf die der andern türkischen Kaimmakame eingeschränkt, er wird von Konstantinopel aus mittels eines Firman-ali angestellt. Wie anderwärts heisst es freilich auch hier "Der Himmel ist hoch, und Konstantinopel ist fern"; immerhin aber vermag er heute nicht mehr nach Willkür Steuern zu erheben oder gar den Unterthanen ans Leben zu gehen und auf eigene Faust Krieg anzufangen. Steht ihm auch noch in allen streitigen Angelegenheiten die höchste Entscheidung zu, so muss er dagegen überall, wo es sich um Einführung durchgreifender Neuerungen handelt, erst mit den massgebenden türkischen Behörden über Tripolis sich in Vernehmen setzen.

Die alten Aemter, von denen noch Hornemann und Lyon sprechen, wie das eines Kaledyma und Keijumma, sind jetzt abgeschafft. Diese Würden findet man nur noch in den Negerreichen Centralafrikas; dass sie auch in Fesan bestanden haben, wo überhaupt die ganze Hofeinrichtung von ehedem ein negerisches Gepränge zeigte, ist ein deutlicher Beweis, dass früher das Negerthum viel weiter nach Norden vorgeschoben war.

Den zweiten Rang nächst dem Kaimmakam nimmt der Kolrassi, der oberste militärische Beamte, ein. Er hat in der Regel 500 Fusssoldaten und etliche Reiter unter seinem Befehl, sowie 4 Feldkanonen zur Verfügung. Die Soldaten werden zum grössten Theil aus Fesanern rekrutirt, doch werden auch Sklaven zum Dienst gepresst. Alle Offiziere und Unteroffiziere sind Türken.

Der dritte Beamte ist der Katab-el-mel, Finanzdirector, der die Abgaben einzieht, überhaupt dem gesammten Steuer- und Finanzwesen vorsteht, und der vierte im Range der Kawasbascha, der Polizeimeister, eigentlich nur der ausführende Arm des Kaimmakam.

Neben den genannten vier türkischen Beamten fungirt ein Eingeborener als Kadhi, oberster Richter, und zwar erbt das Amt, wie früher unter den Sultanen, so auch jetzt unter der türkischen Herrschaft in der Familie fort, ja das Recht der Erblichkeit des Kadhiats in dieser Familie ist jetzt gewissermassen gesetzlich anerkannt. Schon Lyon sagt: "Das Amt des Kadhi ist erblich und war in der selben Familie seit 150 Jahren", und fast 50 Jahre später fand ich in der That als Kadhi einen Enkel des schwarzen Richters Mohammed-el-Habib, dessen Lyon erwähnt.

Auch das Amt des Schich-el-bled, des Bürgermeisters, hat sich seit längerer Zeit in einer Familie, in der Familie Alua fortgeerbt. Der Name Alua hat übrigens bei den neuern europäischen Reisenden einen guten Klang, denn Barth, Beurmann, ich selbst und nach mir Dr. Nachtigal standen mit der Familie in den freundschaftlichsten Beziehungen.

Schliesslich sei bemerkt, dass die oberste geistliche Behörde, welche sich nach türkischer Art in der Person eines Imam concentrirt, ebenfalls mit Eingeborenen besetzt ist.

Ich hatte in Mursuk noch Gelder aus Europa zu erwarten, circa 1500 Thlr. von Gotha und 100 Pfd. St., welche mir die Londoner Geographische Gesellschaft als Reisestipendium gewährte, und da auch meine Ausrüstung in vielen Stücken gründlicher Nachhülfe sehr benöthigt war, musste ich auf einen Aufenthalt von längerer Dauer Bedacht nehmen. Das Haus, das man mir zur Wohnung eingeräumt, einem Kaufmann aus Sokna gehörig, lag im nordöstlichen Theile der Stadt, also eigentlich nicht in dem fashionablen Viertel, zu dem nur das Dendal und die Umgebung der Kasbah gerechnet wird, es bot aber hinlängliche Bequemlichkeit. Erdgeschoss und Hof den Dienern überlassend, richtete ich mich im übern Stockwerk ein, das ein Zimmer und eine grosse Veranda auf dem flachen Dache enthielt.

Sodann machte ich den hohen Würdenträgern des Landes meinen Besuch, zuerst natürlich dem Kaimmakam. Halim Bei bewohnte, wie oben erwähnt, nicht die Kasbah, sondern ein grosses am Dendal gelegenes Haus. Er empfing mich nicht nur mit consularischen, sondern auch mit militärischen Ehren und versprach mir die schönsten Dinge; ein Revolver neuester Construction, den ich ihm als Geschenk überreichte, schien enge Bande der Freundschaft zwischen uns zu befestigen. Leider sollte ich in der Folge erfahren, dass nicht alles Gold ist, was glänzt! Bekanntlich müssen bei solchen Staatsbesuchen ausser dem Herrn des Hauses auch seine sämmtlichen Diener und die Hauptsklaven beschenkt werden, und denselben Betrag hat jener bei seinem Gegenbesuche den Dienern des andern zu schenken. Man verständigt sich vorher über das Wieviel. Wenn ich nicht irre, war ich mit Halim Bei übereingekommen, dass jeder 10 Mahbub schenken sollte. Sonderbare Steuer, die man sich gegenseitig auferlegt! Wäre es nicht viel einfacher, wenn jeder gleich seinen eigenen Dienern das Geld gäbe?

Der Reihe nach besuchte ich hierauf den Kolrassi, den Kadhi, den Schich-el-bled und den Katab-el-mel. Bei letzterm lernte ich einen Mann Namens Mohammed Besserki kennen, den letzten Sprössling der ehemaligen Beherrscher von Fesan.

Nachdem die Türken Fesan erobert hatten, war es ihnen natürlich darum zu thun, so bald wie möglich ihre Herrschaft über die neue Provinz dauernd zu befestigen, und sie glaubten nicht sicherer zum Ziele zu kommen, als wenn sie die ganze Sultansfamilie ausrotteten. So wurden 200 Mitglieder dieses unglücklichen Herrschergeschlechts enthauptet, erdrosselt oder auf andere Weise umgebracht. Der kleine Mohammed Besserki war dem gleichen Schicksal nur dadurch entgangen, dass eine Sklavin, der er anvertraut war, mit ihm zu den Tebu flüchtete. Fern von der Heimat, in Tibesti wuchs er auf. Später wagte er es, nach Fesan zurückzukehren, und die türkische Regierung duldete ihn, wohl wissend, dass der arme Prinz ihr nicht gefährlich werden könne, um so weniger, als die ehemaligen Sultane, die alle ihre Unterthanen wie Sklaven oder Leibeigene behandelten, niemals die Liebe und Achtung der Fesaner genossen hatten. Man verlieh ihm sogar zu seinem Lebensunterhalt 200 Palmen, was freilich zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig war. Theils Mangel an Energie, theils aber auch sein Stolz hielten ihn ab, beim Kaimmakam um eine weitere Verleihung einzukommen. "Alle Palmen des Landes", sagte er, "sind ja mein rechtmässiges Figenthum; wie sollte ich mir da ein paar hundert davon bei den Türken erbetteln! Nein, lieber darben!" Nur manchmal wenn ein Opium- oder Haschischrausch seinen Muth gehoben, sprach er die Absicht aus, nach Konstantinopel zu gehen und von dem türkischen Sultan, als letzter Erbe der Herrscher von Fesan, als Abkömmling Mohammeds sein Land zurückzufordern. Eines Tages, als er eine besonders reichliche Portion Opium zu sich genommen, sagte er plötzlich zu mir: "Ich habe eine einzige Tochter, sie ist nicht hübsch, nicht hässlich, fünfzehn Jahre alt, heirathe sie, mein Freund, werde mein Schwiegersohn!" Ich äusserte mein Befremden darüber, dass er, der Sohn eines Sultaus, der Nachkomme des Propheten, seine Tochter mit einem Christen verheirathen wolle; da rief er: "O Wunder, soll ich etwa mein Kind einem von den Türkenhunden zur Frau geben, die mir mein Land geraubt haben, oder einem Manne in Fesan, der einst Sklave meines Vaters gewesen ist? Lieber soll sie sterben. Aber dir will ich sie geben, o Mustafa Bei, und als Mitgift übertrage ich dir meine Rechte auf Fesan. Geh mit ihr nach Europa; die christlichen Mächte werden deinen gerechten Anspruch unterstützen, der Sultan von Stambul wird das geraubte Land herausgeben müssen, du wirst zurückkehren und glücklich über Fesan herrschen!" - "Und was verlangst du für deine Tochter und für die Cedirung deiner Rechte?" fragte ich. "Was ich verlange?" - und seine sonst so matten Augen begannen zu funkeln, frisches Blut schien durch seine Adern zu rinnen "Ich verlange nichts als einige tausend Palmen, die mir ja ohnedies gehören, und so viel Opium und Haschisch wie ich brauche."

Ich kam noch oft mit Mohammed Besserki zusammen. Er war in nüchternem Zustande ein Mann von guten Manieren und lebte bescheiden von dem dürftigen Ertrage seiner 200 Palmen, zu dem er sich noch ein kleines Nebeneinkommen durch Schreiben von Amuleten erwarb. Wenn auch nicht als letzter Sprössling der ehemaligen Herrscher des Landes, stand er doch als Faki, als Gelehrter, in Ansehen beim Volke, namentlich bei den Tebu-Rschade, bei denen er seine Jugend verlebt hatte.

Als der Kolrassi meinen Besuch erwiderte, lud er mich ein, eine Revue über seine Truppen abzuhalten. Ich galt nämlich in Fesan ohne mein Zuthun für einen Militär höhern Ranges, wahrscheinlich weil mein Firman mir den Titel "Bei" zulegte; ein Offizier war mir als Ordonnanz beigegeben, und ging ich an einer Wache vorüber, so wurde heraus gerufen und die Soldaten machten das Ssalam-Dur (präsentirten das Gewehr). Um ihn nicht zu verletzen, nahm ich die Einladung dankend an, denn ich merkte wohl, wie sehr er wünschte, dass ein Europäer seine Truppe in Parade defiliren sehe. Der Kolrassi war eine Zeit lang in Frankreich gewesen und hatte als Hospitant einen Cursus in der Militärschule zu St. Cyr durchgemacht. Er hielt sein Bataillon für das bestgekleidete, das bestgeübte und bestdisciplinirte in der ganzen Türkei. Und er mochte recht haben, wenigstens habe ich noch keine bessern türkischen Truppen gesehen. Einige von den Offizieren waren zwar zu der Revue in Pantoffeln erschienen, sei es der grossen Hitze wegen, oder weil sie keine Stiefeln besassen, aber die Mannschaft trug saubere Uniform, machte die Gewehrgriffe mit Präcision und marschirte selbst nach preussischen Begriffen tadellos.

Ein andermal musste ich den Kolrassi in die Kaserne begleiten. Betten gibt es da nicht, auch waren die Säle nicht gedielt; doch fand ich die Pritschen rein gewaschen, jeder Soldat zeigte seine wollene Decke, seinen Brotbeutel und Tornister, Schuhe u. s. w. vor, und die Gewehre, gute Enfieldbüchsen, standen in Ordnung an den Ständern. Den Leuten, meist von dunkler Hautfarbe, sah man keine Noth an. Eben wurde ihnen das Essen gebracht, eine grosse Schüssel voll Reis mit Kamelfleisch für je 6 Mann. Barth bemerkt hierüber: "Wenn man die tägliche Kost dieser Leute mit der der übrigen Bevölkerung vergleicht, so findet man einen ungeheuern Abstand, und doch würde jeder Fesaner lieber Hungers sterben, als freiwillig dieses Commissbrotes theilhaftig werden." In der That liebt der Fesaner seine Freiheit, das heisst das Nichtsthun und ungebundene Umherschweifen viel zu sehr, als dass er sich durch die bedeutend bessere und reichlichere Kost der Soldaten verlocken lassen sollte, ohne Zwang in den Dienst zu treten, so wenig hart derselbe auch ist.

Aus der Kaserne wurde ich in das Militärlazareth geführt, dessen Einrichtungen mir der türkische Arzt der Truppe bereitwilligst zeigte. Es enthielt zwölf Betten mit Matratzen, wollenen Decken und sonstigem Zubehör und übertraf an Reinlichkeit und Ordnung meine allerdings nicht hohen Erwartungen von einer türkischen Krankenanstalt. Beim Abschiede bat der Doctor um die Erlaubniss, mich in meiner Wohnung besuchen zu dürfen, er möchte in einer wichtigen Angelegenheit unter vier Augen mit mir reden.

An einem der nächsten Tage trat er bei mir ein, und nachdem er sich überzeugt, dass wir allein seien und uns niemand hören könne, begann er mit geheimnissvoller Miene, "Es scheint, Mustafa Bei, du thust deine Augen nicht auf und bemerkst nicht, welche Menge Sklaven hier eingebracht und unter dem Schutze des Kaimmakam verkauft werden. Der Kolrassi hat mir gesagt, in den zwölf Monaten seit er hier in Garnison steht, waren es 4048 Köpfe. Er weiss die Zahl genau, denn alle Transporte kommen nur bei Nachtzeit in die Stadt, und der wachthabende Corporal, der das Thor öffnet, hat dem Kolrassi des Morgens zu melden, aus wieviel Köpfen der nächtlich einpassirte Transport bestand. Nun denke dir, für jeden eingehenden Sklaven lässt sich Halim Bei 2 Mahbub, und für jeden ausgehenden sein Schwiegersohn, der Kawasbascha, 21/2 Groschen bezahlen! Ausser den Transporten, die durch Mursuk passiren, gehen aber noch mindestens ebenso viele durch andere Orte Fesans, und überall erhebt der Kaimmakam durch eigens dazu angestellte Agenten dieselbe Steuer pro Kopf. Die Einnahme, die er sich dadurch neben seiner Besoldung schafft, beläuft sich also, wie du leicht berechnen kannst, auf jährlich 20000 Mahbub." Hier machte der Doctor eine Pause. Ich war natürlich neugierig zu erfahren, was einen türkischen Beamten veranlassen mochte, mir, dem Fremden, dem Giaur, alle diese Thatsachen unaufgefordert mitzutheilen. Geschah es aus Menschenliebe, aus philanthropischem Mitleid mit dem Lose der unglücklichen Sklaven? Oder wollte er seiner Entrüstung darüber Ausdruck geben, dass der Statthalter des Landes selbst dem Gesetze, das den Sklavenhandel in allen türkischen Staaten verbietet, auf so eclatante Weise Hohn spreche? Beides hielt ich nicht für wahrscheinlich. Das Räthsel löste sich indess, als er fortfuhr: "Und, du wirst es nicht glauben, von all dem vielen Gelde hat Halim Bei, der schändliche Geizhals, weder dem Kolrassi, noch Hammed Bei, noch mir je einen Para zukommen lassen! Nun bin ich überzeugt, wenn du das, was ich dir erzählt habe, an den Muschir nach Tripolis berichtest, so wird Halim Bei auf der Stelle abgesetzt, obgleich er den Muschir immer reichlich beschenkte und ihm erst kurz vor deiner Ankunft zwölf Sklavinnen zugeschickt hat. Denn der Muschir muss fürchten, dass du sonst den Consuln in Tripolis die Sache anzeigst, oder dass du ihn selber in Konstantinopel verklagst."

Neid und Habgier allein hatten also den Mann geleitet, indem er das gesetzwidrige und abscheuliche Treiben des Kaimmakam in seiner ganzen Blösse enthüllte. Mir kam indess die Kenntniss dieser genauen Details sehr erwünscht, und ich benutzte die Gelegenheit zur Einsammlung noch weiterer, möglichst vieler Notizen über den Betrieb des Sklavenhandels in Fesan und über die vorzugsweise daran theilnehmenden Personen, in der Absicht, sie dem Muschir in Tripolis sowie Herrn Drummond Hay, dem dortigen englischen Generalconsul, in einem ausführlichen Berichte mitzutheilen. Nur konnte dies nicht eher als bei der Abreise von Mursuk geschehen, wollte ich nicht jeden Versuch, in das Innere Afrikas vorzudringen, sofort aufgeben; denn sicher hätte man mich überall aufs feindseligste behandelt, wenn es ruchbar geworden wäre, dass ich dem einträglichen Menschenhandel entgegenwirkte. Ein wesentlicher Erfolg war überdies, das musste ich mir leider sagen, von meinen beabsichtigten Schritten nicht zu erwarten. Was helfen alle Verbote seitens der türkischen Regierung in Konstantinopel, da ihre Beamten in den entfernten Provinzen, vom höchsten bis zum niedrigsten, sobald sie nicht streng überwacht sind, immer dem Handel mit Negern Vorschub leisten werden, um ihn als Einnahmequelle für sich auszubeuten. Es gibt nach meiner Ueberzeugung nur ein Mittel, das dem Unwesen in wirklich erfolgreicher Weise steuern kann: eine europäische Macht, sei es England, Frankreich oder Deutschland, muss in Fesan und in Rhadames ständige Vertreter halten und dieselben ausreichend besolden, damit sie den Localbehörden durch ihr Auftreten den nöthigen Respect einflössen. Der Consularagent, den England früher in Mursuk hielt, bezog nur ein jährliches Gehalt von 40 Pfd. St.; die Folge davon war, dass z. B. Gagliuffi, der zuletzt 12 Jahre als solcher functionirte, von den bedeutendsten Sklavenhändlern, den Schichs von Bornu, Uadai, Tebu u. s. w., Geschenke nahm, ja sogar selbst, wie ich bereits erzählt habe, als stiller Compagnon an einem schwunghaft betriebenen Sklavengeschäft interessirt sein soll. Unter dem Schutze eines angesehenen Consuls würden dann auch die Missionsgesellschaften und der Gustav-Adolf-Verein, statt kostspielige Missionen nach den mohammedanischen Ländern oder nach Innerafrika zu senden, die nach Fesan gebrachten Sklavenkinder loskaufen, sie unterrichten und erziehen und auf diese Weise mit der Zeit eine christliche Gemeinde hier heranbilden können.

Kurz nach meiner Ankunft in Mursuk campirte eine von Tuat kommende Pilgerkaravane drei Tage lang vor der Stadt. Ich traf unter den Pilgern einen alten Bekannten, Mulei Ismael von der Sauya Kinta. Sein Erstaunen, mich hier wiederzufinden, war gross, und als er bei einem gemeinschaftlichen Gange durch die Strassen die uns begegnenden Soldaten vor mir Front machen und die Wachtmannschaften ins Gewehr treten sah, sagte er: "Ah, du stehst jetzt in türkischen Diensten! Warum hast du unsern Schich, den Hadj Abd-es-Salam[33], verlassen? Und wie kommt es, dass Abdul-Asis dich, einen so ausgezeichneten Arzt, so weit von Stambul fortgehen liess?" Die hohe Meinung, die Mulei Ismael von meiner ärztlichen Kunst hegte, war darauf gegründet, dass ich ihn während meiner Anwesenheit in Tuat einmal mit Moxen, spanischen Fliegen, glühenden Eisen und Höllenstein behandelt hatte: alles Curen, in welche die Nordafrikaner das grösste Vertrauen setzen.

In Tuat war ich der Gast Mulei Ismaels gewesen; selbstverständlich sorgte ich daher jetzt meinerseits für seine Bewirthung. Ich schickte ihm morgens und abends eine grosse Schüssel Basina mit Kamelfleisch, mittags einen Teller voll ausgesuchtester Datteln nebst einem Topf Buttermilch dazu. Ausserdem hatte ihm mein Diener ein halbes Pfund Thee und drei Hüte Zucker als Gastgeschenk von mir zu überbringen. Drei Hüte sind nämlich die zu einem halben Pfund Thee gehörige Quantität Zucker; weniger zu schenken, wäre ein Verstoss gegen die gute Sitte. Beim Abschiede bedankte er sich für die ihm gesandten "zwei" Hüte Zucker, und auf meine Bemerkung, er müsse sich wol irren, betheuerte er mit einem Eide, nicht mehr als zwei erhalten zu haben. Jetzt wurde der Diener zur Rede, gestellt; er leugnete zwar hartnäckig und erbot sich, mit dem Koran in der Hand auf dem Grabe des Marabut Selma seinerseits zu beschwören, dass er die Sendung richtig abgeliefert. Allein ich konnte und mochte nicht glauben, dass Mulei Ismael, einer der reichsten und angesehensten Männer von Tuat, wegen eines Hutes Zucker einen falschen Eid abgelegt habe, zumal er auf einer Pilgerfahrt nach Mekka begriffen war und während einer solchen die Mohammedaner sich mehr als sonst vor wissentlichen Vergehungen hüten. Uebrigens hatte ich den Diener auch schon zweimal auf einer Veruntreuung ertappt, und so entliess ich ihn auf der Stelle. Bald sollte mir Ersatz dafür werden.

Ein reicher kordofaner Sklavenhändler, der mit einer Ladung "Menschenfleisch" in Mursuk angekommen war, erkrankte hier schwer und liess mich um meinen ärztlichen Rath und um Medicin ersuchen. Der Beschreibung nach musste er die sogenannte Grosse Krankheit (mrd el kebir der Araber) haben, ich gab ihm vorläufig eine Auflösung von Kali hydrojodicum. Nach drei Tagen besuchte mich ein Freund von ihm, um mir zwei Mahbub für die Medicin zu behändigen, die ich jedoch nicht annahm, worauf er sagte: "Da du kein Geld nehmen willst, so wird dir mein Freund und Landsmann - ich verspreche es in seinem Namen -, wenn du ihn soweit wieder herstellst, dass er aufstehen und gehen kann, einen jungen Sklaven umsonst überlassen." Für Afrikaner, die den Arzt möglichst gering zu bezahlen pflegen, war das ein ungewöhnlich splendides Anerbieten; denn ein männlicher junger Sklave wurde in Fesan zu der Zeit mit mindestens 50 Thlr. verkauft. Die Aussicht, einen Menschen aus der Sklaverei befreien zu können, bewog mich, selbst nach dem Kranken zu sehen. Meine Vermuthung in Betreff der Natur seiner Krankheit bestätigte sich; ich wandte nun die geeigneten äusserlichen Mittel an, und nach Verlauf von 14 Tagen war der Patient völlig genesen. Beim ersten Ausgange führte er mir den versprochenen Negerknaben zu. Er nannte ihn Abd-el-Faradj und gab an, es sei ein Königssohn, aus Bagermi gebürtig; auch unterliess er nicht zu betonen, man habe ihm bereits 70 Real (circa 80 Thlr.) dafür geboten. Der unglückliche Kleine, ein Kind von 7 bis 8 Jahren, zum Skelet abgemagert und so entkräftet, dass er kaum noch aufrecht gehen konnte, kroch auf allen Vieren zu mir heran, um seinem neuen Herrn die Hand zu küssen, und sein erstes Wort war: "Ich bin hungerig!" Unter den furchtbarsten Strapazen, barfuss, beständig mit Hunger, Durst und Ermüdung kämpfend, hatte er den viermonatlichen Weg durch die Wüste vom Tschad-See nach Fesan zurücklegen müssen. Seine Erinnerung schien infolge der namenlosen Leiden völlig geschwunden; er wusste nichts von seiner Herkunft und Vergangenheit zu sagen, ja hatte selbst die Muttersprache vergessen und sich dafür, auf dem Marsche mit andern Sklaven aus Uadai, Bornu, Haussa u. s. w. zusammengekoppelt, ein Gemisch aller dieser verschiedenen Sprachen angeeignet. Ich war erst unschlüssig, ob ich ihn bei mir behalten und auf meinen beschwerlichen Reisen mitnehmen sollte, aber der Gedanke, dass ohne Pflege das arme, schon so von Kräften gekommene Kind unfehlbar dem Tode verfallen wäre, überwog schliesslich alle Bedenken. Da es eben um die Weihnachtszeit war, gab ich ihm - das deutsche Wort "Weihnachten" schien mir zu lang - den Namen Noel. Nun wurde er von meinen Leuten gründlich gesäubert, ich kaufte ihm Kleider, sorgte für angemessene Ernährung, namentlich mit Fleischkost, und nach kurzer Zeit sah ich zu meiner Freude seine verlorenen Kräfte vollständig wiederkehren. Der kleine Noel ist mir während mehrerer Jahre ein treuer, aufopfernder Begleiter gewesen. Jetzt befindet er sich in Berlin, wo ihn der Deutsche Kaiser auf seine Kosten erziehen lässt.

Einen weitern und besonders werthvollen Zuwachs erhielt mein Gefolge an dem ehemaligen Diener Barth's, dem alten Mohammed el-Gatroni. Derselbe hatte sich nach der Beendigung von Barth's afrikanischer Reise an einem kleinen Orte in Fesan niedergelassen. Sobald er nun vernahm, es sei ein Europäer, ein Vetter von Abd-el-Kerim (so wurde Barth genannt) in Mursuk angekommen, machte er sich auf, um nach dem Befinden seines frühern Herrn zu fragen. Obschon er seiner Ehehälfte geschworen hatte, er werde nicht wieder auf weite Reisen gehen, nahm er die Aufforderung, in meine Dienste zu treten und mich nach Kuka zu begleiten, ohne Zögern an. Doch wollte er noch so lange wie möglich mit seiner Familie zusammen sein, und gern erlaubte ich, dass er sie nach Mursuk brachte und dann mit seinem Tebuweib, seinem Sprössling, seinem Sklaven, seinem Kamel, seiner Ziege, kurz mit seinem ganzen Haushalt in meine Wohnung einzog.

Zu Ehren des Muschir von Tripolis, der irgendeine neue Auszeichnung vom Sultan erhalten hatte, veranstaltete der Kaimmakam ein öffentliches Fest, an dem er auch mich theilzunehmen bat. "Alles soll à la franca sein", sagte er zu mir, "wir werden Illumination haben, Musik wird spielen, du wirst tanzen sehen, und ein Maskenzug wird erscheinen." Nachmittags liess er einen Firman auf dem Dendal verlesen, der die Einwohner zum Illuminiren aufforderte, und abends wurden vor seiner Residenz sechs Lampen, mit Oel gefüllte Wassergläser, angezündet; vor jedem Hause und Hanut (Bude) stand eine grosse oder kleine Laterne, ich selbst stellte meine Blendlaterne vor die Hausthür. Bei dieser glänzenden Beleuchtung entwickelte sich der Aufzug, an der Spitze zwei Musikcorps mit bunten Papierlampen, gefolgt von unverschleierten Tänzerinnen. Den Glanzpunkt des Zuges bildete ein aus Stäben und gelben Lappen verfertigtes Kamel, das von zwei Männern statt der Beine im nachgeahmten Kamelschritt fortbewegt wurde und in der That komisch genug anzusehen war. Selbst der gravitätische Halim Bei liess sich herab, aus seiner Wohnung auf die Strasse zu treten, um das Wunderwerk in der Nähe zu betrachten. Bis spät in die Nacht zog die Menge singend und lärmend durch die Stadt - eine echte Rhamadan-Belustigung.

Solche Unterbrechungen meines einförmigen Lebens in Mursuk kamen jedoch selten vor. Ich pflegte gegen 7 Uhr morgens aufzustehen. Nach dem Kaffee studirte ich einige Stunden mit Hülfe von Barth's Vocabularien die Kanuri-Sprache, die in Bornu und ziemlich allgemein auch in Fesan gesprochen wird. Hierauf wurden Besuche abgestattet oder empfangen, und nachmittags ein Spaziergang vors Thor gemacht. Oder ich begab mich um 4 Uhr zu der im lebhaftesten Theil des Dendal gelegenen Polizeiveranda und schaute dem Treiben des Marktes zu. Hier tauschten Fesaner, Tuareg und Tebu Erzeugnisse des Sudan: Elfenbein, Straussenfedern, Rhinoceroshörner, mit Bewohnern der Oasen von Rhat, Rhadames, Djalo, Tuat und Tafilet gegen europäische Waaren aus. Sklaven aber werden nicht auf offenem Markte, sondern nur in den geschlossenen Häusern und Höfen verhandelt. Dazwischen boten junge Mädchen aus Fesan, meist von goldrother Hautfarbe, die Landesproducte, als Getreide, Melonen, Gras, Milch, Eier und Hühner, feil. Meine Hauptmahlzeit nahm ich um 6 Uhr abends. Oft war dabei Besserki, der letzte Abkömmling der Fesan-Dynastie, mein Gast, und in der Regel blieb er auch zum Thee, obschon er diesen weniger liebte als Araki, Haschisch und Opium.

Anfang Januar unternahm ich einen kleinen Ausflug nach der Stadt Tragen, zwei Tagereisen östlich von Mursuk. Ich hatte schon am Abend vorher die Zelte ausserhalb der Ringmauer aufschlagen lassen und campirte darin mit meinen Leuten, damit wir uns gleich früh morgens in Marsch setzen könnten. Während der Nacht wurde es aber so kalt (gegen Morgen -5deg. C.), dass die Mündungen unserer Wasserschläuche vereisten, und wir selbst vor Frost erstarrt waren. Wir mussten in die Stadt zurückkehren, um uns wieder zu erwärmen, und marschirten erst am folgenden Tage wirklich ab. Die Ausrüstung zur Reise war von mir ganz meinem neuen Diener, dem erfahrenen Gatroner überlassen worden. Weil es nun mitten im Ramadhan war, wo er als strenggläubiger Muselman fastete, vergass er leider, für den nöthigen Mundvorrath zu sorgen, sodass es mit unserer Verpflegung diesmal sehr übel aussah. Denn in Hadj Halil, wo wir übernachteten, gab es nichts als drei Eier für alle zusammen, und hätte man auch Ngafoli (sorghum, Sudangetreide) gehabt, es wäre nicht möglich gewesen, einen Brei daraus zu kochen, da uns ein heftiger, zwar nicht heisser, aber desto mehr Sand fahrender Gebli überfiel, der uns nöthigte unter den niedergewehten Zelten auf dem Boden liegen zu bleiben.

Im übrigen aber lernte ich bereits auf diesem kurzen Marsche die unschätzbaren Eigenschaften des Mohammed Gatroni kennen. An den Spässen und der oft ausgelassenen Lustigkeit der andern Diener nahm er keinen Theil, er schritt immer ernst und würdevoll einher; dagegen that es ihm niemand gleich in der Behandlung der Kamele, in Geschicklichkeit und Raschheit beim Auf- und Abladen der Bagage, in der praktischen Anordnung der Märsche und im Auffinden guter Lagerplätze. Seine Treue und Hingebung, seine Ehrlichkeit waren über jeden Zweifel erhaben. "Ihr in euerer Religion, wir in unserer", hatte er beim Eintritt in meinen Dienst zu mir gesagt; "aber wenn du willst, dass ich mit dir gebe, im Namen Gottes, wie ich für deinen Vetter mein Leben gewagt, bin ich auch für dich zu sterben bereit." Und dies waren keine leeren Worte. Er hat bei vielen Gelegenheiten seine Aufopferung für mich bewährt und die gute Meinung, die Barth von ihm hegte, stets vollkommen gerechtfertigt.

Stadt und Schloss Tragen sind nur noch ein grosser Trümmerhaufen, zwischen dem etliche dreissig bewohnte Häuser stehen. Der bei weitem grösste Theil der Bevölkerung wohnt, wie in Mursuk, in den zahlreichen Palmenhütten ausserhalb der ummauerten Stadt. Auf einer kleinen Anhöhe im Südwesten befinden sich die Gräber der sogenannten Bornu-Statthalter, 30 bis 40 niedrige, wie von Maulwürfen aufgeworfene Hügel. Beurmann wollte einige derselben öffnen lassen, doch erwies sich das aus Sebchaschollen bestehende Erdreich zu hart für die von ihm mitgenommenen Hacken, und auch bei seinem zweiten Besuche kam man deshalb nicht damit zu Stande. Später wurden indess eben auf seine Veranlassung mehrere ohne Schwierigkeit geöffnet, da sich ergab, dass die allerdings granitharten Schollen weich werden, sobald man sie mit Wasser begiesst.

Mehr als Tragen selbst befriedigte mich der Weg dahin, der stundenweit zur Rechten und Linken mit Palmen besetzt ist. Die Regierung könnte aus diesen Palmen einen grössern Ertrag ziehen, als die jetzigen gesammten Einkünfte von Fesan einschliesslich aller Abgaben betragen. Aber aus Mangel an irgendwelcher Pflege sind die Bäume abgestorben, und die wenigen noch Früchte tragenden werden durch Abzapfen des Saftes zur Lakbibereitung getödtet.

In meinem Zelte vor Tragen erhielt ich am 1. Februar die erschütternde Nachricht vom Tode Barth's. Noch wenige Wochen vorher hatte ich Briefe nebst zwei Aneroids und einigen Thermometern von ihm empfangen. Wir standen in fortgesetztem brieflichem Verkehr, namentlich über die Sprachen Innerafrikas, und Barth zollte meinen Bemühungen, mit dem Studium derselben in seine Fussstapfen zu treten, die schmeichelhafteste Anerkennung. Plötzlich, nun ein Brief von meinem Bruder, der mir den Tod des verehrten Mannes meldete! "Der ist im Paradiese, Gott erbarme sich seiner!" sagte der alte Gatroner, als ich ihm die Trauerkunde mittheilte.

Halim Bei hatte die Freundlichkeit gehabt, am selben Tage, an welchem der Schantat von Tripolis mit der Post in Mursuk eintraf, einen Kurier an mich abzusenden. Dieser erreichte unser Lager spät abends, doch da ihm das Licht in meinem Zelte die Richtung zeigte, ging er ohne zu rufen darauf los. Etwa noch 50 Schritte entfernt, wird er von meinem wachsamen Spitz grimmig angefallen, und als wir, durch das wüthende Bellen des Hundes aufmerksam gemacht, herzueilen, sehen wir, wie der Aermste am Boden hockt und ihm Mursuk mit seinen Zähnen den Burnus zerfetzt. Wir befreiten ihn von seinem Angreifer; ich legte einige Thaler auf die Löcher seines ohnedies schon sehr mitgenommenen Burnus, liess ihm ein reichliches Mahl vorsetzen, dann das Nachtlager im Zelte meiner Diener bereiten, und am andern Morgen hatte er sich von dem gehabten Schrecken völlig wieder erholt.

Nach der Rückkehr von Tragen begann ich meine Weiterreise eifrig zu betreiben. Noch gab ich die Hoffnung nicht auf, dass ich nach Tibesti würde gehen können, obschon die Aussicht, über Borgu nach Uadai vorzudringen, immer schwächer wurde. Ein Tebufürst, Namens Maina Adem, der sich eben in Mursuk aufhielt, der Bruder des regierenden Königs von Kauar, bot mir an, ich möge mich mit meiner Karavane der seinigen bis nach Kauar anschliessen. Seine Persönlichkeit machte einen günstigen Eindruck auf mich, und da man zu der Zeit nur mit grösserer Karavane die Reise nach Bilma wagen konnte, war mir der Vorschlag willkommen. Als ich Maina Adem das erste mal besuchte, bewirthete er mich mit frischer Gora-Nuss (Cola acuminata), die bei den Negern die Stelle des Thees und Kaffees vertritt. Getrocknete Goranüsse, Kola genannt, werden in Menge nach Fesan gebracht, frische aber sind hier sehr rar und ein kostbares Luxusgericht.

Es stand in Mursuk noch ein Koffer mit Kleidungsstücken und Büchern, den Beurmann dort zurückgelassen; obwol die Sachen an sich wenig Werth hatten, benutzte ich eine Gelegenheit, sie nach Tripolis zu schicken, damit sie von dort an die trauernden Aeltern des Verstorbenen expedirt würden. Von einem ehemaligen Diener Beurmann's wurde ich angegangen, ihn aus dem Gefängniss zu befreien, in dem er wegen Falschmünzerei sass. Wie ich auf meine Erkundigung erfuhr, war aber der Mann, ein Renegat, der alle schlechten Sitten des Islam angenommen, übel beleumundet; überdies wurde er in seiner Haft keineswegs übermässig streng behandelt, man hatte sogar gestattet, dass er sich währenddem verheirathete, und ich fand somit nicht Ursache, mich für seine Freilassung zu verwenden.

Mitte März traf endlich mein sehnlichst erwarteter Diener Hammed mit dem für mich erhobenen Gelde sowie mit Kamelen, Waaren und Lebensmitteln von Tripolis ein. Nachdem nun auch Maina Adem und sein fürstliches Gefolge sich reisefertig gemacht, wurde der 24. März zur Abreise bestimmt. Ich verbrachte jedoch diesen Tag noch in meinem vor der Stadt aufgeschlagenen Lager, da am folgenden Vormittag die Behörden von Mursuk herauskommen wollten, um mir feierlich Lebewohl zu sagen. Zur festgesetzten Stunde erschienen denn auch sämmtliche Würdenträger: der Kaimmakam, gefolgt von allen seinen Leuten, selbst den Pfeifenträger und Kaffeemacher nicht ausgenommen, der Kolrassi, der Chasnadar, der Kadhi, ein Greis von 126 Jahren, mit seinem 70jährigen Sohne, dem Mufti (er hatte noch ein erst fünf oder sechs Jahre altes Söhnchen, ein Beispiel von der lang dauernden Zeugungsfähigkeit der Orientalen), der Schich-el-bled und der Vorsitzende des Raths, letztere zwei aus der mir befreundeten Familie Alúa. Unter dem üblichen Ceremoniell ging die Abschiedsscene vor sich, nur mit den beiden Ben Alúa tauschte ich herzlichere Worte. Mittlerweile nahmen auch meine Diener rührenden Abschied von den schwarzen Schönen, deren Herz sie während des Aufenthalts in Mursuk gewonnen hatten, und Mohammed Gatronis reizende Ehehälfte, mit einem grossen Korallenstück im rechten Nasenflügel, heulte ihren Schmerz über die Trennung von dem Gatten aus, ohne dass er sich davon erweichen liess; Rührung zu zeigen, wäre gegen seine Würde gewesen. Am längsten verweilte der letzte Abkömmling des ehemaligen Herrschergeschlechts von Fesan bei mir, bis auch er endlich schweigend auf seinem Esel in die Stadt zurückritt.

[32]Bericht über eine Sendung nach Centralafrika vom verstorbenen James Richardson. Aus dem Englischen (Leipzig, Dyk'sche Buchhandlung), S. 41.

[33]Der Eladj Abd-es-Salam ist der berühmte Chef der Sauya von Uesan, der mich während meiner ersten Reise so freundlich aufgenommen hatte.


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