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Die grosse Bodeneinsenkung in Nordafrika.

Schon vieler Orten hat man die Beobachtung gemacht, dass gewisse Strecken Landes niedriger als die Meeresoberfläche gelegen sind. Wer weiss nicht, dass der See Genezareth und das noch tiefere durch den Jordan mit ihm verbundene todte Meer, oder wie die heutigen Einwohner es bezeichnend nennen "bebar-el-Loth", tiefer gelegen ist als das nahe Mittelmeer? Die Einsenkung des todten Meeres, welches den bedeutenden Niveauunterschied von über 1200 Fuss zum Mittelländischen Meere hat, fällt fast in geschichtliche Zeit, wie die jüdischen Traditionen berichten. Wenn nun auch die Depression, welche hier beschrieben werden soll, bei weitem nicht so tief unter das Meeresniveau sinkt, wie das oben genannte Jordan-Thal, so ist dieselbe doch wegen ihrer grossen Ausdehnung, einer jetzt bekannten Lingenausdehnung von ca. 10 geographischen Graden, von Osten nach Westen gerechnet, dann auch, weil dadurch zum ersten Male die Bodengestaltung eines grossen Landstriches von Nordafrika näher festgestellt wird, wichtig genug, um eine nähere Besprechung zu verdienen.

Falls man den schmalen Küstenstrich durchstechen und das tiefer liegende Land dem Meere zugänglich machen wollte, wurde dies eine tiefeingreifende Einwirkung auf Boden, Pflanzen und animalisches Leben hervorrufen und es mag daher jetzt, wo bei der nahen Eröffnung des Suezcanals ganz Nordost-Afrika in viel innigere Beziehungen zu Europa treten wird, nicht müssig sein, diese Aegypten so nahen Gegenden näher ins Auge zu fassen.

Was nun zuerst die Lage und Oertlichkeit der Einsenkung anbetrifft, so finden wir dieselbe im Westen beginnend, südlich von der inselartigen Cyrenaica, unfern vom Ufer des Mittelländischen Meeres, welches hier an der Nordküste von Afrika eine weite Bucht bildet, die grosse Syrte genannt. Die erste merkliche Depression wurde beim Bir-Ressam beobachtet, der in gerader Linie vom Mittelländischen Meere nur ca. 15 deutsche Meilen entfernt ist. Hier wurde die bedeutende Tiefe von ca. 104 Meter constatirt, die bedeutendste, welche überhaupt bemerkt worden ist. Diese zeigt sich gleichmässig noch einige Stunden nach SSO. weiter fort. So wurde Nachts und am folgenden Morgen in Gor-n-Nus, welches einen halben Tagemarsch süd-süd-östlich vom Bir-Ressam liegt, gleicher Barometerstand beobachtet. Wenn angeführt worden ist, dass bei Bir-Ressain die Einsenkung im Westen beginne, so ist das natürlich dahin zu verstehen, dass dieselbe dort zuerst beobachtet wurde; es ist sehr gut möglich, sogar wahrscheinlich, dass dieselbe noch weiter nach Westen sich ausdehnt und das ganze Terrain, welches auf den Karten unter dem Namen "Syrten-Wüste" verzeichnet steht, tiefer als das Meer liegt, von dem es blos durch ein schmales Küstengebirge oder durch ausgeworfene Dünen getrennt ist. - Erst das Harudj-Gebirge scheint die eigentliche Grenze, das Ufer des afrikanischen Continents hier zu sein. Die Syrten-Wüste ist nie von einem Europäer durchkreuzt worden, längs der Küste d.h. von Tripolis nach Bengasi zogen nur della Cella, Beechey und Barth.

Mehrere Tagemärsche süd-süd-östlich von Bir-Ressain stösst man auf die ersten Oasen Audjila und Djalo, und immerfort befindet man sich unter dem Spiegel des Meeres; erstere Oase ist ca. 52 Meter, die letztere ca. 31 Meter tiefer als das Mittelmeer gelegen. Einen Tagemarsch weiter von Djalo nach Nordost zu, kommt man nach Uadi (ausgetrocknetes Rinnsal). Von einem schrecklichen, mehrere Tage anhaltenden Samum überfallen, der zu einem achttägigen Aufenthalte zwang, konnte man hier, während der glühende, widerstandslose Orkan am heftigsten tobte, einen niedrigsten Barometerstand beobachten. Seinen tiefsten Stand erreichte das Aneroid mit 756 M. M. Aus 32 während der acht Tage zu verschiedenen Tageszeiten angestellten Beobachtungen ergab sich, dass Uadi gerade auf gleicher Höhe mit dem Meere sich befinden müsse, denn diese 32 Beobachtungen ergaben im Mittel 762 M. M. Aber wenn man bedenkt, dass über die Hälfte der Beobachtungen während eines widerstandslosen Oceans stattfanden, so wird man zugeben, dass man den durchschnittlichen Barometerstand auch hier mindestens auf 765 M. M. annehmen kann, was eine Tiefe von circa 31 Meter ergeben wurde.

Von hier bis zur Oase des Jupiter Ammon sind noch zehn bis zwölf Tagemärsche, wovon die erste Hälfte des Weges jeder Spur von Wasser entbehrt und durch die trostloseste Wüste verläuft, welche überhaupt existirt. Die Rhartdünen, dann die Gerdobaebene zeigen dem Dahinziehenden die grössten Feinde der Wüste: gänzlichen Wassermangel und fast immer absolute Trockenheit der Luft. Gleich beim Eintritt der Rhartdünen lässt man etwas links gegen vierzig zu Mumien ausgetrocknete Leichen liegen, welche erst kürzlich in einem heftigen Samum vom Führer irregeleitet und nachher schmachvoll verlassen wurden. Und merkwürdiger Weise hätte dieser selbe Führer, Hammeda aus Audjila, welcher unsere Karavane von Bengasi nach Audjila zu führen hatte, auch uns fast ins Verderben geleitet, indem er uns durch eine Luftspiegelung getäuscht, freilich dicht vor Audjila, vom Wege abführte. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, dass derselbe sofort entlassen wurde. Die Rhartdünen und die Gerdoba dürften eine durchschnittliche Tiefe von 10 Meter haben, doch gibt es Dünen, die relativ bedeutend höher, aber auch eben so viele eigenthümliche, kesselartige Einsenkungen, die 20 oder 30 Meter relativ tiefer als die eben angegebene allgemeine Tiefe sind.

Bei dem Brunnen Tarfaya tritt man dicht ans libysche Wüstenplateau heran, welches im Allgemeinen die geringe Höhe von 100 bis 115 Meter absolut hat. Gleich südlich von diesem Plateau, das mit einem steilen Ufer aus Kalkstein abfällt, zieht sich nun eine Reihe von Seen hin bis zur eigentlichen Oase des Jupiter Ammon. Diese Seen, manchmal weithin von Sebeha (Sand- und Schlickboden, stark mit Salzen untermischt und manchmal so hart an der Oberfläche getrocknet, dass beladene Kameele darüber marschiren können, manchmal aber auch so nachgiebig, dass unvorsichtig sich Hineinwagende rettungslos versinken) eingeschlossen, liegen 40-50 Meter tiefer als der Spiegel des Meeres. Seit Jahrtausenden existirend und südlich meist von Sanddünen begrenzt, welche unmittelbar die Seen böschen, sind ein neuer Beleg, wie wenig man das Versanden des Kanals von Suez zu befürchten haben wird. Wie gering sind überdies die Sandanhäufungen auf dem Isthmus, gegen die gewaltigen Dünen der libyschen Wüste, und seit undenklichen Zeiten wehen sie Sand gegen diese kleinen Seen, ohne bis jetzt im Stande gewesen zu sein, sie gänzlich in Sebeha zu verwandeln. Die hauptsächlichsten Seen, von Westen nach Osten gerechnet, sind: der Faredga oder Sarabub, der Lueschka, der Nocta-Sauya, der Araschieh und Schiatasee.

Schon vor dem Schiatasee hat man mit dem von Palmen reichlich bestandenen Gaigab-Sebcha die Ammonsoase erreicht, vielleicht auch rechneten die Alten Tarfaya dazu. Die weiter östlich liegende Oase mit See Maragi ist schon bewohnt und die Hypogeen in den Felsen zeugen, dass die Alten ebenfalls hier Niederlassungen hatten.

Wenn man mit Tarfaya die Schrecken der eigentlichen Wüste glücklich überwunden hat, und nun von einem tiefblauen See zum andern dahinzieht, welche von schlanken Palmen umgeben, manchmal auch weithin von silberglänzenden Salzflächen eingeschlossen sind, so wird diese bezaubernde Gegend an Wechsel und Schönheit nur noch von der eigentlichen Oase des Jupiter Ammon übertroffen: Hohe phantastisch gestaltete Felsen, unzugänglich weil von Geistern gehütet, eine lange Silberfläche erstarrten Salzes, dunkel bordirt von ehrwürdigen Palmenbäumen, dann ein langer See auf dein sich Tausende von wilden Enten und Gänsen herumtummeln, endlich die schön cultivirten Gärten der Oase, reich an Oelbäumen, Orangen, Granaten und anderen Obstsorten, und überall gegen die brennende Sonne von den weitästigen Palmenkronen geschützt; rieselnde Bäche von Süsswasser, grosse aus der Tiefe aufsprudelnde Quellen, oft wie der berühmte Sonnenquell noch von künstlichen Quadern umgeben, dazwischen die hochaufsteigenden Städte Siuah und Agermi, welche letztere die alte Acropolis der Ammonier war und noch heute die Reste des grossen Tempels des Jupiter Ammon birgt - das ist in Kürze das Bild dieser berühmtesten aller Oasen.

In Siuah und Agermi ergaben drei und zwanzig zu verschiedenen Tageszeiten angestellte Beobachtungen eine Tiefe von ca. 52 Meter. Noch zehn Tagemärsche weiter, bis zum Brunen Morhaha, wurde die Depression verfolgt, und überall blieb hier eine gleichmässige Tiefe von circa 50 Meter. Vom Brunen Morharha nördlich gehend, kommt man dann gleich auf das aus Kalkstein bestehende libysche Wüstenplateau, welches auch hier kaum breiter als zwölf deutsche Meilen ist und die Einsenkung vom Mittelmeere trennt. Wie weit sich diese nun nach Osten erstreckt, ist heute noch nicht bekannt, jedenfalls nicht weit, da sie von Unterägypten durch die den Nil im Westen einschliessenden Gebirge getrennt wird. Noch weniger ist festzustellen oder auch nur zu muthmaassen, wie weit die Depression nach Süden hinzieht, noch nie ist es einem Eingebornen gelungen, von der Jupiter-Ammon-Oase aus nach Süden vorzudringen, geschweige denn einem Europäer, und wenn man von Audjila und Djalo südwärts nach Kufra und Uadjanga geht, so wissen doch die Eingeborne wenig über die Bodenverhältnisse zu sagen. Kufra ist von Audjila durch eine Sherir (mit kleinen Steinen bedeckte Ebene getrennt, die aber nach den Aussagen der Modjabra, so nennen sich die Bewohner von Djalo, keineswegs höher gelegen ist als ihre Ortschaften, und Kufra geben sie geradezu als tiefer liegend an. Wir wissen indess durch Aussagen, dass in Uadjanga Felsen sind, aber alles Land östlich von Kufra und Uadjanga bis an die Uah Oasen ist für uns vollkommen terra incognita. Dass übrigens den Alten, obschon ihnen keine Messinstrumente zu Gebote standen, der Umstand nicht unbekannt war, dass die Jupiter-Ammon-Oase tiefer als das Meer gelegen war, wissen wir aus Aristoteles, welcher aussagt, dass die Oase durch Austrocknung des Meeres entstanden und niedriger als Unter-Aegypten gelegen sei. Ferner ersehen wir aus Strabo, dass Eratosthenes von Cyrene auf die grosse Zahl von Schneckengehäusen, Muscheln und Salz-Ablagerungen auf dem Wege nach dem Tempel der Ammonier den Schluss zog, dieser ganze Landstrich sei vom Meere bedeckt gewesen, und derselbe behauptet dass das Zurückweichen des Meeres und die Hebung des Bodens in naturhistorischer Zeit stattgefunden habe, er nimmt schliesslich an, dass die Oase einst am Mittelländischen Meere gelegen haben müsste. Strabo scheint hierin derselben Ansicht gewesen zu sein. Die heutigen Bewohner, Berber ihres Ursprungs und ihrer Sprache nach, obschon stark untermischt mit Arabern und Negern, wissen von einer solchen Einsenkung nichts, jedoch hat in der Neuzeit der Franzose Caillaud auf die Tiefe der Jupiter-Ammon-Oase aufmerksam gemacht. Im Jahre 1819 beobachtete er dort einen Barometerstand von 766 M.M., während unsere 23 Beobachtungen das Mittel von 767 M. M., also eine Tiefe von circa 10 Meter mehr, ergeben haben.

Auf dieser ganzen Strecke beobachtet man auch heute noch zahlreiche Spuren des Meeres, die genannten Seen enthalten heute noch die Cardium und Crithium-Muscheln, ebenfalls im Mittelmeere heimisch, und der Boden ist überall mit Muscheln, besonders Ostreaarten, wie bedeckt. Wir können aber hier ganz deutlich zwei Perioden nachweisen. Wie man nun auch feststellen mag, ob sich der Boden hier gesenkt hat und dann das Meer verdunstet ist, oder ob sich der Küstensaum, der von Unter-Aegyten nach Cyrenaica als Kalkrippe sich hinzieht, aus dem Meere herausgehoben und erst dann das Hinterland, vom Meere abgeschnitten, sein Wasser zerdunstet hat - so viel beweisen die Millionen Meeresüberreste, dass hier einst das Meer gewesen ist. Aber zu einer noch früherer Periode muss der Grund auch bewachsen gewesen sein, denn überall trifft man versteinerte Baumstämme, oft ganze Wälder, und zwar gerade von den Bäumen, die in der Nordwüste noch jetzt am häufigsten sind, Palmen und Tamarisken.

Als vor Kurzem zuerst über diese grosse Einsenkung berichtet wurde, las man in verschiedenen französischen Blättern, Lesseps ginge damit um, den Nil in diese Depression abzuleiten, um das Land zu befruchten, noch andere wollten ihn gar einen Kanal machen lassen, von der grossen Syrte aus direct nach dem Rothen Meere. Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, dass Lesseps an solche unsinnige Projecte nicht denkt. Ein Kanal von der grossen Syrte aus würde, abgesehen davon, dass der Suezkanal jetzt fertig ist, kaum den Weg abkürzen. Und wie würden die Projectemacher denn den Nil vermeiden? Würde man darüber oder darunter schiffen oder vielleicht den Nil in den Kanal münden lassen? Man würde damit den fruchtbarsten Theil von Unterägypten, das Delta, zur Wüste machen. Ebenso lächerlich ist die Idee, den Nil zur Befruchtung in diese Niederung ableiten zu wollen, mehrere Nil würden nicht ausreichen, um dies von Salz durchtränkte Terrain süss zu machen, und der Nil hat nun eben nicht überflüssig Wasser, als dass man nur daran denken könnte, einen so grossen Theil der Wüste damit zu entsalzen.

Ganz anders verhält es sich, falls man die Dämme durchstechen wollte, welche jetzt das Mittelländische Meer von dieser grossen Niederung trennen, und am leichtesten könnte dies von der grossen Syrte aus geschehen. Man denke sich Cyrenaica als Insel oder nur durch einen schmalen Isthmus mit Aegypten zusammenhängend, im Süden ein Meer welches die grössten Schiffe bis Fesan, vielleicht bis Uadjanga wurde bringen können. Welche Umwälzung! Damit würde Innerafrika erschlossen sein, Innerafrika, welches an Naturprodukten weder hinter Indien noch den fruchtbarsten Provinzen von Amerika zurücksteht. Natürlich müsste vor der Hand erst festgestellt werden, wie weit die Depression nach Süden geht, die Syrtenwüste und die libysche Wüste müssten einer genauen Untersuchung und Messung unterzogen werden. Denn nur wenn man einen grossen See bis an das Harudjgebirge, bis Kufra oder Uadjagnga bilden könnte, würde ein Durchstich lohnend sein. Vergeblich aber ist es, blos um einen schmalen Arm zu füllen, einen Durchstich zu beginnen, kaum würden die Wasser Kraft genug haben, durch die Ausdünstung an beiden Seiten der Wüstenufer eine spärliche, unnütze Vegetation hervorzurufen und für Handel und Schifffahrt gar kein Gewinn dabei herauskommen. Aber auch ohne menschliches Zuthun wird mit der Zeit diese Gegend wieder unter Wasser sein, die grossen Wellenbewegungen der harten Erdkruste sind nirgends deutlicher zu beobachten, als an diesem Theile des Mittelländischen Meeres, seit 30 Jahren hat sich von Tripolis bis nach Bengasi das Ufer fast um einen Fuss gesenkt, die alten Quais von Oea (Tripolis) Leptis magna und Berenice (Bengesi) sind längst unter Wasser, und während vor 25 Jahren ein für Jedermann passirbarer Weg ausserhalb der Mauern von Tripolis längs des Meeres ging, ist heute selbst bei niedrigstem Wasserstande dort keine Passage mehr.

Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.


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