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4. Die Religion.

Will man die Religion eines Volkes richtig beurtheilen und richtig erfassen, so muss man sich ausserhalb einer jeden Religion stellen; ein Christ wird über jede andere Religion immer, fasst er dieselbe von seinem christlichen Standpunkte auf, ein falsches Urtheil voller Vorurtheile abgeben; eben so wenig genügt es, die Religion, über welche ein Urtheil abgegeben werden soll, zur eigenen zu machen (obschon, um in das Wesen derselben einzudringen, dies vollkommen nothwendig ist), sondern muss nachdem das geschehen, wieder heraustreten, um für die Kritik ohne Fessel dazustehen.

In allen Ländern ist die Religion der Grund des moralischen Volkszustandes, und derjenige, welcher Länder durchforscht und in das Leben des Volkes der Länder eindringen will, muss daher vor allem sich angelegen sein lassen, die Religion des Landes einer eingehenden Betrachtung zu unterwerfen.

Von den drei für semitische Völker gemachten Religionen hat keine so gewirkt, das freie Denken, die bewusste Vernunft einzuschränken, wie der Islam. Und rechnen wir die Inquisitionszeiten, die Verbrennungen der Hexenprocesse ab, hat keine der semitischen Religionen so viele Menschenopfer gekostet, als die mohammedanische. Auch ihr ist ureigen, unter der Firma der Nächstenliebe, unter der Maske religiöser Heuchelei jede Freiheit des Gedankens als Sünde hinzustellen ihr ist ureigen, nur die eigene Anschauung des Propheten oder Macher der Religion als allein wahr hinzustellen und den Glauben zum unumstösslichen Gesetz erhoben zu haben.

Der Grund der mohammedanischen Religion liegt in dem Satze: "Es giebt nur Einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter." Wir sehen hier ausdrücklich, dass, wie in den anderen beiden semitischen Religionen, die Einheit Gottes vor allen Dingen betont wird, aber ohne den Glauben, dass Mohammed "Gesandter"[32] Gottes ist, gilt die ganze Lehre nichts.

Mohammed, von einem als Beduinen gekleideten Engel gefragt: "worin besteht das Wesen des Islam?" - antwortete: "zu bezeugen, es giebt nur einen Gott und ich bin sein Gesandter; die Stunden des Gebets innehalten, Almosen geben, den Monat Ramadhan beobachten, und wenn man es kann, nach Mekka pilgern." - "Das ist es," erwiederte der Engel Gabriel, indem er sich zu erkennen gab.

Mit der christlichen Religion hat die mohammedanische das gemein, dass sie die unbedingteste Herrschaft über alle Menschen anstrebt, wenn aber jene Herrschaft der christlichen Kirche erst im Mittelalter verloren ging durch die Reformation oder Revolution eines Luther[33], so sehen wir in der mohammedanischen Kirche schon 755 ein Schisma. Es bildet sich nach der Verlegung des Kalifats von Damaskus nach Bagdad ein eigenes vollkommen unabhängiges westliches Kalifat, welches im Anfange in Cordova seinen Sitz hatte. Ausser den vielen anderen Religionssecten und Parteien, welche dann den Islam spalteten, wir erwähnen nur der Kharegisten, der Kadarienser, der Asarakiten, der Safriensen, sind in der rechtgläubigen mohammedanischen Welt heute diese beiden Kalifate noch zu erkennen.

Der Sultan der Türkei erkennt sich als den rechtmässigen Nachfolger des Kalifats von Bagdad und Damaskus, und da dies Kalifat überhaupt nie als gleichberechtigt bestehend das westliche Kalifat von Spanien und den Maghreb anerkannt hat, so glaubt er der Alleinherrscher aller Mohammedaner zu sein. Es versteht sich von selbst, dass eben so wenig wie Protestanten, Griechen und andere christliche Bekenner von Rom für rechtmässige Christen gehalten werden, auch die übrigen Bekenner des Islam, die Schiiten, Aliden, Choms, für rechtgläubige Mohammedaner angesehen werden.

Der Sultan von Marokko als Nachfolger des Kalifats von Cordova erkennt aber keineswegs die Oberherrschaft des Sultans der Türkei an, und eben so wie die Kalifen von Spanien ihre Unabhängigkeit von den Abassiden aufrecht zu erhalten wussten, hat nie irgend ein marokkanischer Herrscher des Sultans der Türkei Oberherrlichkeit anerkannt. Im Gegentheil, die jetzige Dynastie der Kaiser von Marokko, die sogenannte zweite Dynastie der Schürfa, proclamirt laut und feierlich, dass sie die allein rechtmässigen Herrscher aller Gläubigen seien, eben weil sie Abkömmlinge Mohammeds sind. Der Sultan von Marokko betrachtet den Sultan von Constantinopel als einen Usurpator, der nicht einmal arabisches Blut, geschweige das "unseres gnädigen Herrn Mohammed" in seinen Adern habe.

Der echte Marokkaner, wenn er auch das arabische Volk als das bevorzugte, das von Gott auserwählte und besonders beschützte betrachtet, erkennt keineswegs Nationen an. Für ihn giebt es nur Mohammedaner, oder wie er selbst in römischer Ueberhebung sagt, "Rechtgläubige Moslemin", Juden, Christen und Ungläubige. Zu den letzteren rechnet er alle solche, die kein "Buch", d. h. die keine göttliche Offenbarung bekommen haben.

Da nun aber von solchen, die ein "Buch" haben, im Koran nur die Juden und Christen erwähnt sind, so werden die Wedas der Inder, die Kings (Bücher des Confucius) der Chinesen und andere als nicht vorhanden betrachtet, und in Marokko gar hat man die Vorstellung, dass die durch "Tausend und eine Nacht" bekannten Länder Hind (Indien) und Sind (China) ausschliesslich den Islam bekennen.

Von den vier rechtmässigen und gleichberechtigten Bekennern des Islam, den Hanbahten, Schafditen, Hanefiten und Malekiten, huldigen die Marokkaner wie in Afrika alle Mohammedaner mit Ausnahme der Aegypter, dem malekitischen Systeme. Für diejenigen, welche weniger mit dem Mohammedanismus bekannt sind, führe ich hier an, dass man schon gleich nach dem Tode des Propheten einzusehen angefangen hatte, dass der Koran unmöglich allein allen religiösen Anforderungen, allen Rechtsfragen entsprechen konnte. Im Anfange der mohammedanischen Religion begnügte man sich damit, zweifelhafte Fälle durch Mohammed selbst oder seine Jünger entscheiden zu lassen. Nach des Propheten Tode, nach dem seiner Jünger, sammelte man dann die mündlichen Ueberlieferungen; es ist das die Sunnah, welche im ersten Jahrhundert nach der Hedjra entstand.

Da nun aber noch keineswegs Koran und Sunnah ein regelmässiges System boten, so fühlte man die Nothwendigkeit, für Theologie und Jurisprudenz einen solchen festen Anhalt zu bilden, und vier Schriftgelehrte unternahmen diese Arbeit. Jeder lieferte eine Abhandlung über die religiösen Ceremonien, über die Grundsätze, wonach der Moslim sein häusliches Leben einzurichten hat, und sie sonderten die Scheria, d. h. das von Gott selbst gegebene unabänderliche Gesetz, von dem, welches nach dem Willen und Gutdünken der Menschen abgeändert werden kann. Die Abhandlungen dieser vier Schriftgelehrten, obschon sie in vielen äusserlichen Sachen von einander abwichen, wurden alle als orthodox anerkannt und sie bekamen den Namen nach ihren Urhebern.

Der Malekitische Ritus nun (Malek ben Anas wurde 712 in Medina geboren, woselbst er 795 starb) verdrängte im Westen von Afrika gegen das Ende des achten Jahrhunderts den Hanefitischen Ritus, und dieser hat sich dort bis auf unsere Zeit erhalten. Neben Malek und hauptsächlich als bester Erklärer der Malekitischen Schriften gilt das Werk von Chalil ben Ischak ben Jacob, der 1422 starb, und aus einer Menge anderer Schriften über Malekitischen Ritus seine Werke zusammengesetzt hat. Sehr hoch gehalten werden in Marokko auch die Schriften des Buchari, der 200 Jahre nach Mohammeds Tode schon die Ueberlieferungen sichtete und von 7275 für wahr gehaltenen und 2000 zweifelhaften mehr als aber 2000 falsche ausstiess.

Der Unterschied der Malekiten von den übrigen drei rechtgläubigen Parteien beruht nur auf Aeusserlichkeiten, so namentlich in der Verrichtung bei den Ablutionen, in den Bewegungen beim Gebet, endlich hat Malek vor seinen gelehrten Collegen den Vorzug, dass er denen, die seine Religionsregeln befolgen, entschiedene Erleichterungen gewährt.

Das Sultanat von Marokko als solches wurde gegründet nach dem Untergange des Königreichs von Granada am 2. Januar 1492, als Ferdinand auf der Alhambra die Fahne von Castilien und des heiligen Jacob aufziehen konnte. Das westliche Kalifat war nun begraben, aber als Erben desselben betrachteten sich von dem Augenblicke an die Sultane von Marokko. Wenn dann noch später bis zur eigentlichen Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien ein inniger Zusammenhang mit den afrikanischen Glaubensgenossen blieb, so hatte doch jeder politische Zusammenhang, wie früher schon oft, seit 1492 gänzlich zu existiren aufgehört. Marokko selbst hatte auch freilich nicht die Grenzen, welche es jetzt inne hat, seine Ausdehnung wechselte je nach der Macht der regierenden Sultane. Einzelne dehnten ihre Oberhoheit durch die Sahara bis Timbuctu und Senegambien hin aus, und Maseara und Tlemcen haben häufig genug die Oberherrlichkeit derselben anerkannt. Oftmals aber regierten drei Könige oder Sultane neben einander, daher die Namen Königreich Fes, Tafilet, Marokko. Nie aber, wir betonen es, namentlich weil jetzt die Pforte auch die Souveränetät über Marokko beanspruchen zu wollen scheint, ist im eigentlichen Marokko, d. h. westlich von der Muluya, irgend wie oder irgend wo ein türkischer Pascha als Regent seines Herrn, des Sultans der Türken, gesehen worden.

Im Allgemeinen sind die Begriffe des Volkes von der mohammedanischen Religion äusserst oberflächlich und verworren. Der gemeine Mann giebt sich auch gar keine Mühe, in das Wesen des Islam einzudringen, und was die Faki und die Tholba, d. h. die Doctoren und Schriftgelehrten, anbetrifft, so sind diese in Marokko auf einer bedeutend tiefer stehenden Stufe der Gelehrsamkeit, als in den meisten anderen Ländern, wo der Islam herrscht.

Die Lehre von der Prädestination zieht sich auch in Marokko durch die ganze religiöse Anschauung hin: "Es stand geschrieben," dass an dem Tage der und der sterben muss, "es stand geschrieben," dass der und der das Verbrechen beging etc. Es würde indess lebensgefährlich sein, einem Thaleb zu sagen: Da Gott allmächtig ist und Alles erschaffen hat, so hat er doch auch den Teufel geschaffen; oder, der Teufel als gefallener Engel hat doch nur mit Wissen und Willen Gottes fallen können. Man würde in Gefahr sein, verbrannt zu werden, wenn man einem Faki sagte: Da Gott Alles geschaffen hat, so muss er doch auch das Böse, die Sünde, geschaffen haben; wie erklärst Du das mit der Allgüte Gottes, Gottes, welcher doch nur der Inbegriff alles Guten sein soll ? Ein marokkanischer Geistlicher würde nicht antworten "mit unerforschlichen Geheimnissen", die wir nicht zu ergründen vermögen, sondern gleich mit "Feuer und Schwert".

Gott mit "hundert guten Eigenschaften", als "grösster", "allbarmherziger", "allmitleidiger", denkt sich der marokkanische Mohammedaner als ein persönliches Wesen. Obschon der Name Gottes "Allah" immer mit besonderer Betonung und recht sonor ausgesprochen wird, so hat doch das häufige Anrufen desselben eine völlige Missachtung nicht nur des Namens, sondern Gottes selbst herbeigeführt. Die eigene Lehre Mohammed's trägt Schuld daran. Während die jüdischen Lehrer vor allen Dingen darauf hielten, den Namen Gottes so wenig wie möglich im Munde zu führen, "Du sollst den Namen des Herrn, Deines Gottes, nicht unnützlich führen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht", und die Israeliten hierin so weit gingen, dass der Name Jehovah nur von den Priestern im Tempel ausgesprochen werden durfte, und man für Gott Eloah oder Adonai, d. h. "Herr" im gewöhnlichen Leben, sagte, lehrte die mohammedanische Religion, es ist verdienstvoll, den Namen Gottes so viel als möglich auszusprechen.

Bei aussergewöhnlichen Versammlungen von Religionsgenossenschaften kann man daher sehen, wie manchmal die Versammelten mit nichts Anderm sich beschäftigen, als wiegend mit dem Körper den Takt zu geben, und jedesmal das Wort "Allah" auszusprechen. Eine Versammlung der religiösen Genossenschaft der Mulei Thaib in Rhadames, der ich dort beiwohnte, behauptete, am selben Abend das Wort "Allah" 70,000 Mal ausgerufen zu haben. Wenn dies nun auch nicht genau dem Worte nach genommen werden muss, denn die Zahlen in grösseren Zusammensetzungen sind überhaupt den Marokkanern ziemlich unbekannte Grössen, so kann ich doch versichern, dass ich sicherlich eine nachhaltige Heiserkeit würde davon getragen haben, wenn ich mit gleicher Regelmässigkeit und Vehemenz eben so oft Allah mitgeschrien hätte.

Allah wird deshalb eigentlich weder geliebt, noch gefürchtet und kaum verehrt, denn wenn auch das Chotba-Gebet Freitags wie die täglichen Gebete an Gott gerichtet sind, so wendet sich doch der Marokkaner, um irgend eine Gunst zu erlangen, um irgend etwas durchzusetzen, an irgend Jemand sonst, nur nicht an Gott.

Wie hat es aber auch anders sein können? Es liegt dem Menschen so nahe, dass er das, was er immer zur Hand hat, was er täglich braucht, anfängt nicht zu beachten, und die Nichtbeachtung ist immer der erste Schritt zur Verachtung. Und in Marokko wird das Geringste, das unbedeutendste Geschäft, ja Dinge, die nach den Gesetzen aller Menschen sündhaft sind, um nicht noch mehr zu sagen, mit der Anrufung Gottes "Bi ism' Allah, im Namen Gottes" begonnen. Mit dieser Redensart steht der Marokkaner auf, ergreift seine Kleidungsstücke, falls er sich derselben ausnahmsweise Nachts entledigt hätte, unternimmt seine Waschungen, betritt die Strasse, geht damit zur Arbeit, prügelt damit seine Lehrlinge durch, ohrfeigt seine Gattin, empfängt damit ein Almosen, ersticht damit seinen Feind, schwört damit einen falschen Eid, betritt damit die Moschee, legt sich damit schlafen, um in der Regel damit auch seinen letzten Hauch von sich zu geben.

Die Vorstellung, welche man sich von Engeln macht, ist im Wesentlichen der der anderen semitischen Lehre nachgebildet. Die Engel haben einen feinen und reinen Körper; sie essen und trinken nicht, sind geschlechtslos und werden als specielle Diener Gottes betrachtet. Die Befehle Gottes, der unumschränkter Gebieter des Weltalls ist, werden durch die Engel vermittelt. So beginnt die 35. Sure[34] "Lob und Preis sei Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, der die Engel zu seinen Boten macht, so da ausgestattet sind mit je zwei, drei und vier Paar Flügeln." Als vornehmster wird Gabriel betrachtet, der manchmal auch als "Geist Gottes" erwähnt ist; Michael, der Engel der Offenbarung, Azariel der Todesengel, Israful der Engel der Auferstehung. Man glaubt sodann an Geister, Djenun (Plural von Djin), welche als aus gröberer Materie gemacht gedacht werden und am jüngsten Tage einem Gerichte unterliegen.

Man kann nicht sagen, dass in Marokko ein Teufelcultus bestände, und als ob man sich überhaupt etwas aus dem Teufel mache. Er wird nicht so oft in den Mund genommen, wie Allah, und ist dem zufolge den dortigen Mohammedanern ziemlich zur Nebensache geworden. Wie bei den meisten Völkern, wird auch hier dem Teufel Alles in die Schuhe geschoben und "Allah rhinal Schitan, Gott verfluche den Teufel!" kann man täglich hören. Stösst einer aus Versehen an, schneidet sich einer in den Finger, fällt einer zur Erde, zerbricht aus Versehen ein Gefäss, beschmutzt durch eigene Unvorsichtigkeit sein Gewand, so wird unabänderlicherweise der Teufel verflucht. Als eigenthümlich beobachtete ich, dass, sobald ein Esel seine musikalischen Töne ausstösst, es zum guten Ton gehört, sich mit Abscheu wegzuwenden und "Gott verfluche den Teufel" auszurufen. Der Teufel wird Iblis oder Schitan genannt, und nach der Meinung der Mohammedaner wird er deshalb als gefallener Engel angesehen, weil er sich weigerte, Adam anzubeten[35].

Als Lohn wird den Menschen nach dem irdischen Tode ein Aufenthalt entweder im Paradiese oder in der Hölle zu Theil. Indess kommen die Abgeschiedenen keineswegs sofort dorthin, sondern erst nach dem jüngsten Gericht. Höst[36] sagt S. 197, und dieser Glaube ist auch heute noch in Marokko: "Wenn ein Maure gestorben ist, so glauben die Anderen, dass er gleich im Grabe von zwei Engeln befragt wird, die sie Munkir und Nakir nennen; und wenn er dann als ein echter Moslim zu ihrer Zufriedenheit antwortet, so ruhet der Leib ungestört bis zum Gerichtstage; wo nicht, so schlagen sie ihn mit eisernen Keulen an die Schläfe, und er wird von giftigen Thieren gebissen und übel behandelt. Die Seelen der Märtyrer verbleiben im Halse der grünen Vögel des Paradieses bis an den Tag des Gerichts; aber die anderen rechtgläubigen Seelen, die durch den Engel Azariel mit Gelindigkeit vom Körper getrennt werden, halten sich um die Gräber herum auf, ob sie gleich gehen könnten, wohin sie wollen. Für diejenigen Seelen hingegen, die verdammt werden, wissen sie keinen Platz, denn weder Himmel noch Erde will sie annehmen."

Endlich naht der jüngste Tag, dessen Ankunft durch "Zeichen" angekündigt wird. So soll am Abend vorher die Sonne aufgehen, der zwölfte Imam, der Mehedi verkündet aufs Neue und zuletzt den Islam, und Jesus Christus, die Lehre Mohammed's bekennend, erscheint aufs Neue. Nach dem Glauben der Mohammedaner haben sowohl Moses als auch Christus den wahren Islam gepredigt, nur wir Christen und die Juden haben unsere, respective ihre Bücher gefälscht. Die Mohammedaner verweisen auf verschiedene Stellen des Alten und Neuen Testaments, von denen sie glauben, dieselben enthielten eine Weissagung, einen Bezug auf Mohammed.

Die Trompete erschallt, die Sonne wird verfinstert, die Sterne fallen zur Erde, es herrscht Chaos. Ein zweiter Trompetenstoss ertönt, und Alles auf Erden, was Leben hat, stirbt. Ein 40 Jahre anhaltender Regen soll zum neuen Keimen und Leben rufen, und dann werden die Engel Gabriel, Michael und Israful zuerst erweckt (an anderen Koranstellen lässt Mohammed sie nicht sterben, wie überhaupt die grössten Widersprüche herrschen). Letzterer sammelt die Seelen in seiner Trompete, und beim letzten Schall entfliegen sie derselben, um den Raum zwischen Erde und Himmel auszufüllen. Die Länge des jüngsten Gerichtstages wird im Koran verschieden, im 30. Capitel zu 1000, im 70. Capitel zu 50,000 Jahren angegeben.

Nachdem die Menschen von den Engeln Munkir und Gabriel gefragt sind, wiegt Gabriel in einer Waage, die so gross ist, dass sie Himmel und Erde zugleich enthalten kann, die Thaten der Menschen. Ueberwiegen die guten Thaten auch nur Ein Haar die bösen, so ist der Eingang in das Paradies gesichert. Ein Mohammedaner, der einem andern Unrecht gethan hat, muss übrigens einen Theil seiner guten Thaten demselben abgeben, hat er gar keine, so übernimmt er dafür des Anderen Sünden. Obschon die Verdammung an vielen Stellen als eine ewige geschildert wird, so glaubt man doch nach anderen Andeutungen, wenigstens für die Rechtgläubigen auf eine zeitweise Strafe rechnen zu können, "nachdem die Haut 1000 Jahre lang zu Kohle verbrannt ist".

Bei der Auferstehung sind die Frommen bekleidet mit Leinwand, die Gottlosen erstehen nackt, und jene, welche unrechtmässig Reichthümer erworben haben, werden als Schweine auferstehen; die, welche Zinsen nehmen, werden Kopf und Füsse verkehrt tragen. Um einer solchen Strafe zu entgehen, leiht man in Marokko nie auf Zinsen, aber man umgeht das unentgeltliche Darleihen dadurch, dass man z. B. 100 Metkal ausleiht, aber gleich zur Bedingung macht, nach so und so langer Zeit das verdoppelte oder verdreifachte Capital zurückzubekommen. Nur so konnte ich mir selbst später am Tsadsee vom Mohammedaner Mohammed Sfaxi 200 Maria-Theresia-Thaler verschaffen; es war Bedingung, 400 zurückzuerstatten; Zeit war hierbei nicht angegeben, aber man verlangte Zahlung auf Sicht in Tripolis, und da die Karavane gleich darauf abging nach dieser Stadt und etwa neun Monate Zeit gebrauchte, so konnte der Darleiher gewiss zufrieden sein. - Die ungerechten Richter, die Mörder, Diebe etc., Alle werden in eigenen Gestalten erscheinen, um ihre Strafe anzutreten. Das Gericht wird lange dauern und Gott wird in Person richten, Mohammed wird Fürbitter sein, Adam, Noah, Abraham und Jesus weisen das Amt der Fürbitte von sich. Auch die Engel, die Geister und die Thiere werden zur Rechenschaft gezogen.

Die Auferstandenen haben, um in den für sie bestimmten Aufenthalt zu kommen, die Siratbrücke zu passiren, die so fein wie ein Haar und so schneidig wie ein Messer ist; die frommen Seelen kommen mit telegraphischer Geschwindigkeit hinüber, die Gottlosen stürzen in die Tiefe.

Ehe man ins Paradies gelangt, kommt man zu einer Mauer, welche Hölle und Paradies trennt. Diese Mauer wird zugleich als neutrales Gebiet betrachtet und dient als Aufenthalt für Solche, die gleichviel Gutes und Böses, oder überhaupt weder Böses noch Gutes gethan haben.

Das mohammedanische Paradies mit den rieselnden Bächen von Milch und Honig, den schwarzäugigen Huris, deren Leib aus duftendem Bisam besteht, dem Weine, der nicht berauscht, und den 80,000 Sklaven, die jeder Rechtgläubige zur Verfügung hat, ist hinlänglich bekannt, und der Marokkaner schmückt sich nach seiner Art die Versprechungen, die ihm Mohammed im Koran davon gemacht hat, noch mehr aus. So wird er dort immer seine Haschischpfeife haben, und der Haschisch wird ihn nicht schlaftrunken machen; er wird nicht schwarzäugige Huris als Dienerinnen haben, sondern blauäugige, blondlockige Engländerinnen, welche nach der Meinung der Marokkaner diesen Vorzug verdienen. Das Paradies befindet sich über den sieben Himmeln, unmittelbar unter dem Throne Gottes; was aber räumlich über Gott selbst ist, darüber nachzudenken ist dem Marokkaner nicht erlaubt.

Nach der Beschreibung der die Hölle vom Paradiese trennenden Mauer sollte man denken, dass dieses letztere sich auf gleichem Niveau befände mit der Hölle. Aber wie bei den übrigen semitischen Religionen und wie bei fast allen Völkern ist mit der Hölle der Begriff des "Tiefen, Unterirdischen" verbunden. Deshalb sagt man auch, die Bösen fallen von der Siratbrücke. Man stellt sich sodann die Hölle mit sieben Stockwerken vor; im obersten wohnen jene Mohammedaner, die auf Fürbitte des Herrn Mohammed nach einigen tausend Jahren Eintritt ins Paradies bekommen können. Es ist sodann ein Aufenthalt für die Christen, für die Juden, für Sabäer, Magier, Ungläubige überhaupt vorhanden. In das unterste Stockwerk werden die Heuchler kommen, d. h. Solche, die äusserlich eine Religion, vornehmlich die mohammedanische, bekannten, aber innerlich nicht daran glaubten. Die Qualen der Hölle werden eben so erfinderisch beschrieben, wie bei den übrigen Völkern, so dass es eine wahre Lust ist, sich daneben den allbarmherzigen Gott zu denken, wie er im Paradiese in seiner ewig allgütigen und allmitleidigen Natur auf diese seine Geschöpfe hinabschaut, ohne dass es ihm einfällt in seinem unerforschlichen Rathschlusse, die von ihm verhängten und nach seiner Vorherbestimmung (nach der Lehre Mohammed's ist ja Alles vorherbestimmt) erfolgten Qualen zu lindern oder gar zu beendigen.

Feuer spielt natürlich eine Hauptrolle in der Hölle; die Anzüge sind von Feuer, in den Eingeweiden brennt Feuer, Feuer verkohlt die Haut, Feuerschuhe bekleiden die Füsse; ebenso heisses Wasser (22. Cap.). "Es soll auf ihre Köpfe gegossen werden, wodurch sich ihre Eingeweide und ihre Haut auflösen." Genug von den Freuden des mohammedanischen Paradieses und den Leiden der mohammedanischen Hölle.

Unter dem Schutze des Grossscherifs von Uesan, der mir ein unwandelbarer Freund war, wagte ich einst, einem Thaleb, der mit glühenden Farben die Köstlichkeiten des Paradieses der Gläubigen mir ausmalte, zu erwiedern: "wenn aber Ihr Marokkaner Alle Anspruch macht, ins Paradies zu kommen, so will ich lieber nach dem Orte kommen, der den Christen angewiesen wird." Da mein Beschützer zu lachen anfing, lachten Alle pflichtschuldigst über die Abfertigung, die der Thaleb erhalten hatte, mit. Ich konnte mir damals in Uesan eine solche Aeusserung erlauben, weil ich nach den Worten Mohammed's als übergetretener Christ den Vortritt vor den übrigen Moslemin hatte. Wenn Mohammed von Vortritt spricht, meint er darunter den in das Paradies.

Folgendes ist die unwandelbare Lehre, wie sie von Gott durch die Propheten den Menschen vermittelt worden ist; sind Juden und Christen später von diesem Islam abgewichen und haben die Bücher verfälscht, so war es die Hauptaufgabe Mohammed's, die reine Lehre wieder herzustellen. Mohammed lässt verschiedene Offenbarungen zu seit der Erschaffung der Welt, und unter den Propheten giebt es verschiedene Rangstufen. Zu den ersten gehören Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus. Es kommen sodann Patriarchen und Propheten, welche vollkommen heilig und sündlos auf Erden lebten. Nach der Meinung der Marokkaner giebt es 104 heilige Schriften[37], von denen auf Adam 10, auf Seth 50, auf Edris oder Enoch 30, auf Abraham 10, auf Moses 1, auf David 1, auf Jesus 1 und auf Mohammed 1 kommen. Bis auf die vier letzten sind alle anderen verloren gegangen, und bis auf das letzte, den Koran, die drei noch übrig gebliebenen gefälscht. Damit der Koran nicht gefälscht werde, darf er nur geschrieben und in arabischer Sprache verbreitet werden. Ein gedruckter Koran ist daher in Marokko schlecht angesehen; gleichwohl machte ich dem Grossscherif einen solchen sowie ein Altes und Neues Testament in arabischer Sprache zum Geschenk, und er nahm sie gern an. Aus demselben Grunde, d. h. um den Koran verstehen zu können, müssen aller nichtarabischen Völker Schriftgelehrte Arabisch lernen. Ein Versuch, den die Marokkaner selbst machten, den Koran ins Berberische zu übersetzen, da die überwiegende Mehrzahl der Marokkaner Berber sind, scheiterte vollkommen an dem Fanatismus der arabischen Tholba; die schon übersetzten Exemplare wurden verbrannt.

Unter den Propheten erkennt Mohammed Jesus den ersten Platz zu; er glaubt, dass Jesus der Sohn Mariä sei und dass diese auf wunderbare Weise empfangen habe. Er glaubt weiter, dass die Juden Jesum nicht kreuzigten, sondern eine andere Person unterschoben. Die Auferstehung und die Höllenfahrt werden also vollkommen von den Mohammedanern geleugnet. Indess glauben sie, dass Jesus lebendig gen Himmel empor gestiegen sei; und ebenfalls wird er wie schon erwähnt, zum jüngsten Gericht zurück erwartet. -

Ein Haupterforderniss ist das Gebet; aber kein Gebet ist gültig, wenn nicht vorher eine Abwaschung des Körpers, d. h. eine bestimmte Ceremonie, vorgenommen worden ist. Man unterscheidet in Marokko wie überhaupt bei den Mohammedanern die grosse Abwaschung, el odho el kebir[38]; die kleine, el odho el sserhir; die Abwaschung mit Sand, el timum, und das blosse Fingiren des Waschens, el chofin. Diese Abwaschung wird in verschiedener Weise bei den vier rechtgläubigen Riten vorgenommen, aber nach einer der vorgeschriebenen Normen muss die Ablution verrichtet werden. Würde man z. B. zuerst das linke Auge auswaschen, wenn es erforderlich ist, dass vorher das rechte gewaschen werden soll, dann ist die ganze Ablution batal, d. h. umsonst und es kann nicht gebetet werden. Würde man z. B um den Mund auszuspülen, dies mit der linken statt mit der vorgeschriebenen rechten Hand thun, so taugt die ganze Ablution nichts. Jeder Körpertheil kommt nach vorgeschriebener Ordnung an die Reihe, und je nachdem wird die rechte oder linke Hand zum Abwaschen benutzt. Die grosse Abwaschung unterscheidet sich von der kleinen dadurch, dass man bei jener den ganzen Körper einer Reinigung unterzieht, bei dieser indess nur die Theile des Körpers abwäscht, welche man, ohne sich der Kleidungsstücke zu entledigen, einer Wäsche unterziehen kann. Bei der Waschung mit Sand reibt man sich natürlich nicht buchstäblich mit Sand ab, sondern legt die Hände auf den reinen Erdboden und fingirt die Waschung. Auch hier muss streng die Reihenfolge der abzuwaschenden Theile inne gehalten werden. Bei unreinem Boden und wenn kein Wasser vorhanden ist, berührt man irgend einen Gegenstand, eine Wand, einen Stein, und fingirt dann die Ablution; es ist dies was man el chofin nennt. Malek, der überhaupt duldsamer als die übrigen drei mohammedanischen Gelehrten ist, erlaubt auch das timum und e1 chofin da, wo Wasser vorhanden ist; deshalb findet man in den meisten marokkanischen Moscheen, namentlich in allen Djemen der Oasen, Steine, welche umfasst werden, nach welcher Umfassung sodann die Ablution vor sich geht.

Das Gebet der Marokkaner ist keineswegs ein solches nach dem Sinne solcher Christen, welche darunter vorzugsweise einen freien Herzenserguss, einen selbständigen Gedankenausfluss, eine aus eigenem Herzen entspringende Bitte an Gott sehen, sondern vielmehr ein bestimmt auswendig Gelerntes, und eine mit bestimmt vorgeschriebenen Ceremonien verknüpfte Handlung. Es kann daher bei den Marokkanern nach christlicher Auffassung von keinem eigentlichen Gebet die Rede sein, sondern nur von Gebetsübungen, von Gebetsceremonien; und so muss man es wohl für alle Mohammedaner auffassen, indem die dabei vorkommenden Ceremonien und Verbeugungen für Alle bestimmt vorgeschrieben sind. Fehlt eine dieser Ceremonien, würde man z. B. sich statt nach Mekka nach einer andern Richtung wenden, oder würde man es unterlassen, sich nach der und der Stelle zu Boden zu werfen, so ist das Gebet ungültig; es steigt dann nicht zu Gott auf. Man unterscheidet das Morgengebet, essebah, das Mittagsgebet, eldhohor, das Nachmittagsgebet, elassar, das Abendgebet, el maghreb, und das Nachtgebet, elascha. Die so häufige Wiederholung der Gebetsübungen ist im Anfange des Islam auf zähen Widerstand gestossen, später gewöhnte man sich daran, so wie sich der Soldat an Disciplin gewöhnt. Und dadurch, dass Mohammed überall das Beten erlaubt, und das Gebet auf der Strasse oder im freien Felde für ebenso verdienstvoll gilt, als das in der Moschee, und vom Gebet im "Stillen Kämmerlein" im Koran nirgends die Rede ist, dadurch hat sich nach und nach ein Pharisäismus in die mohammedanische Religion eingeschlichen, der anderen Leuten ganz ungeheuerlich vorkommen muss. Namentlich in Marokko hat sich unter dem Systeme der Unfehlbarkeit des Sultans eine entsetzliche Scheinheiligkeit und Heuchelei aller Classen bemächtigt. Der gewöhnlichste Marokkaner versteht es, sich beim Beten derart den Schein der Andacht, der Heiligkeit zu geben, er weiss seiner Stimme derart einen näselnden Ton, einen feierlichen Klang beizulegen, er wendet derart seine Augen gen Himmel und scheint überhaupt so sehr seinen ganzen Körper dem nichtigen, irdischen Dasein zu entrücken, dass man glauben sollte, er zerflösse vor Heiligkeit. Und doch ist er nichts weniger als fromm; die Worte, die er an Allah richtet, versteht er kaum, falls er nicht sehr gebildet ist. Das koranische Arabisch unterscheidet sich vom Neuarabischen und namentlich vom Magrhebinischen eben so sehr, wie das Lateinische von den neueren romanischen Sprachen. Man hält in Marokko darauf, beim Beten gesehen zu werden, man hält in Marokko auch darauf, recht laut die vorgeschriebenen Worte auszusprechen, damit man ja, falls man übersehen wird, gehört werde. Da es nicht nöthig ist, genau die Zeit des Gebetes inne zu halten, die Gebete aber nachgeholt werden müssen, so trifft man allerorts, auf allen Plätzen, auf allen Strassen, in allen Moscheen Leute, die ihre Gebetsübungen verrichten. Besucht man einen Marokkaner, so kann man sicher sein, dass unter hundert neunundneunzig den Gast einen Augenblick zu warten bitten, "damit ein nachzuholendes Gebet erst verrichtet werde." Man will damit documentiren, dass man fromm sei! Recht eifrige Leute, namentlich Brüder einer religiösen Innung, pflegen ausser den vorgeschriebenen Gebetsceremonien noch andere zu bestimmten Tageszeiten abzuhalten, z. B. vor dem Morgengebet das Morgenrothgebet Fedjer; um die Zeit des Dhaha, d. h. zwischen dem Morgen- und Mittagsgebete, das Dhahagebet; das eschefah- und uter-Gebet nach dem el ascha etc.

In den Städten wird von den Thürmen der Moschee die Gebetsstunde durch Aufziehen einer weissen, am Freitage zum Chotbagebet einer dunkelblauen Fahne angekündigt, ausserdem ruft der Muden von den Thürmen zum Gebet auf. Auch dieser Aufruf ist bestimmt vorgeschrieben und beginnt nach Osten, um durch Süden, Westen und Norden wieder gen Osten beendigt zu werden. Die Worte lauten: "Gott ist der Grösste, Gott ist der Grösste, ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, Mohammed ist sein Gesandter, Mohammed ist sein Gesandter[39]; kommt zum Gebet, kommt zum Gebet, kommt in den Tempel, kommt in den Tempel, Gott ist der Grösste, Gott ist der Grösste, es giebt nur Einen Gott!" Das Gebet selbst zerfällt in Anrufung, verschiedene Rikats und Gruss[40] und wird folgendermassen bei den Malekiten abgehalten:

Die Anrufung: Körper gerade und beide Hände erhoben bis zur Höhe der Ohren, "Gott ist der Grösste!" Erstes Rikat und erste Position: Aufrecht, die Hände fallen herab, und man sagt das erste Capitel des Koran her. "Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschst am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir flehen, auf dass Du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über welche Du zürnest, und nicht den der Irrenden." - Es folgt jetzt ein Koranvers, z. B. "Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich."

Zweite Position: Man verbeugt sich, die Hände auf die Knie stützend, und ruft: "Gott ist der Grösste!" Dritte Position, sich wieder aufrichtend: "Gott hört, wenn man ihn lobt." Vierte Position, niederknieend berührt man mit beiden Händen, mit der Stirn und Nasenspitze die Erde und ruft: "Gott ist der Grösste!" Fünfte Position: Man setzt sich auf die zurückliegenden Waden, legt die Hände auf die Schenkel und ruft: "Gott ist der Grösste!" Sechste Position: Man berührt abermals mit Händen, Stirn und Nasenspitze den Boden und ruft: "Gott ist der Grösste!" Siebente Position: Man richtet sich auf und ruft stehend. "Gott ist der Grösste!"

Zweites Rikat: Die ersten sechs Stellungen werden wiederholt, nach der sechsten bleibt man sitzen und spricht: "Die Nachtwachen sind für Gott, wie auch die Gebete und Almosen; Gruss und Friede sei Dir, o Prophet Gottes; Gottes Mitleid und Segen ruhe auf Dir. Heil und Friede komme auf uns und alle Diener Gottes, die gerecht und tugendhaft sind. Ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, ich bezeuge, dass Mohammed sein Diener und Gesandter ist!" Hat das Gebet nur zwei Rikats, so fügt man noch hinzu, indem man in derselben Stellung bleibt und dabei immer den rechten Zeigefinger kreisförmig bewegt: "Und ich bezeuge, Er war es, der Mohammed zu Sich rief, und ich bezeuge die Existenz des Paradieses, die der Hölle, die des Sirat (Brücke), die der Wage und die des ewigen Glückes, welches denen gewährt werden soll, welche nicht zweifeln und die wahrhaftig Gott aus dem Grabe erwecken wird. O, mein Gott, giesse Deinen Segen auf Mohammed und Mohammed's Nachkommen aus, wie Du Deinen Segen auf Abraham ausgegossen hast; segne Mohammed und die von Mohammed Stammenden, wie Du Abraham und die von Abraham Stammenden gesegnet hast. Die Gnade, das Lob und die Erhebung zum Ruhme sind in Dir und bei Dir."

Der Gruss und Schluss: Man bleibt sitzen, wendet das Gericht erst links, dann rechts, er hebt etwas die Finger beider auf den Schenkeln ruhenden Hände und ruft: "Friede sei mit Euch!"

Fedjer und Esebah haben zwei, Dhohor und l'Asser vier, Magrheb drei, l'Ascha vier, l'Eschefa und l'Uter drei Rikats. Recht fromme Leute, namentlich solche, die sich gern beten sehen und hören lassen, die sich den Ruf eines "Heiligen" erwerben wollen, machen ausserdem fünf, sechs und noch mehr Rikats.

Der Freitagsgottesdienst, das Chotbagebet, wird in der Regel eine Stunde nach Mittag verrichtet. Nach vorhergegangener Ablution geht Jeder in die Moschee und betet für sich ein aus zwei Rikats bestehendes Gebet und setzt sich. Es dauert nicht lange, so erscheint ein Fakih, besteigt den Mimbr, ein Gerüst, ähnlich einer Treppe, und beginnt mit nagelnder Stimme eine Art Predigt abzulesen. In seiner Rechten hat er einen langen Stock, aber auch nur in diesem Augenblicke des Treppenbesteigens, denn sobald er dieselbe verlässt, wird der Moschee zugehörende übrigens werthlose Stock in eine Ecke gestellt. Die Fakihs und Tholba (Schriftgelehrten) der Marokkaner unterscheiden sich keineswegs in der Kleidung von ihren übrigen Glaubensgenossen. Da überhaupt Jeder, der lesen und schreiben kann, Thaleb, Jeder, der den Koran lesen und interpretiren kann, Fakih, d. h. Doctor ist, so halten die Tholba und Fakih, die sich speciell mit der Bedienung der Moscheen befassen, es nicht für nothwendig, sich durch besondere, z. B. schwarze Tracht auszuzeichnen; sie würden es auch nicht wagen, da in Marokko sich Jeder wenigstens eben so fromm und von Gott geliebt glaubt, als sein Nächster, innerlich sogar Jeder sich wohl für am frömmsten hält. Es mag anderen unbefangenen Menschen dies unglaublich vorkommen, aber die fanatische Dummheit in Marokko ist so gross, dass man der festen Ueberzeugung lebt, jedwede Sünde begehen zu können, wenn man nur mit dem Munde bereut und mit dem Munde durch Gebete seine Reue kund thut.

Wirkliche Gebete, d. h. improvisirte, selbstgemachte, von Herzen kommende Anreden an Gott, meistens Wünsche und Bitten enthaltend, giebt es auch. Erfleht der Marokkaner etwas, so hält er beide Hände zumal offen gen Himmel, als ob er etwas empfangen wolle; auf dieselbe Art wird auch der Segen erfleht. Selbst ein Scherif, d. h. ein Abkömmling Mohammed's, erflehet den Segen für sich oder für die Menge derart, d. h. die Hand offen haltend. Der Mohammedaner würde es als grosse Sünde ansehen, wenn ein Mensch sich vermässe, die Hand umzudrehen, um den Segen zu ertheilen, wie es bei den Christen Sitte ist.

Aber "das Gebet führt nur halbwegs zu Gott, die Fasten führen uns vor die Thore seines Palastes und das Almosen verschafft uns Einlass."

Es giebt verschiedene den Mohammedanern vorgeschriebene Fasttage, in Marokko werden sie indess nur von aussergewöhnlich fromm sein wollenden Leuten gehalten, jeder aber ist verpflichtet, den ganzen Monat Ramadhan zu fasten: Bruch wird mit dem Tode bestraft. Sobald der Neumond von zwei des Lesens und Schreibens kundigen Leuten in einem Orte gesehen worden, ist für den Ort der Ramadhan angegangen. Da nun manchmal der Himmel an einigen Stellen bewölkt ist, so treten dort die Fasten einen Tag später ein; da die Marokkaner wie überhaupt die Mohammedaner, was das Religiöse anbetrifft, nach Mondsmonaten rechnen, so muss, falls immer der Himmel bewölkt bliebe, nach Ablauf von 30 Tagen des vorhergehenden Monats der 31. der erste Tag des Rhamadhan sein.

Von Morgens bis Abends, d. h. sobald man in der Morgen- oder Abenddämmerung einen weissen von einem blauen Faden unterscheiden kann, ist sodann jeder materielle Genuss untersagt. Nicht nur dass man nicht essen, trinken, rauchen oder schnupfen darf, muss auch in dieser Zeit der Umgang mit Frauen, überhaupt jeder Sinnengenuss gemieden werden. Ja in Marokko geht man so weit, das Riechen an eine Blume, das Ergötzen des Auges an einer schönen Landschaft und das Anhören von Musik für Sünde zu erklären. In diesem Monat erhielt Mohammed den Koran vom Himmel, und zwar am 27. des Monats. Diese Nacht wird daher besonders gefeiert. Es giebt Einzelne, die sich derart kasteien, dass sie Tag und Nacht in der Djemma bleiben, sich Nachts nur etwas Brot und Wasser bringen lassen. Solche Heilige nennt man Elatkaf. Man kann sich denken, dass namentlich in der ersten Zeit des Ramadhan, wo der Magen sich noch nicht an eine solche Ordnung gewöhnt hat, diese ganze Lebensweise Einfluss auf das Gemüth des Menschen hat. Streitigkeiten, Processe, Prügeleien und Ehescheidungen sind immer am häufigsten in der ersten Hälfte des Ramadhan.

Der Reiche entbehrt übrigens gar nichts, er führt nur eine umgekehrte Lebensweise; denn Nachts entschädigt er sich durch Essen und Trinken reichlich. Nachts sind überhaupt alle Genüsse erlaubt, indess pflegen manche Schnapstrinker während des Ramadhan sich geistiger Getränke zu enthalten; Opiumesser, Haschisch- und Tabacksraucher können, übrigens ohne dass man Anstoss daran nimmt, ihren Leidenschaften fröhnen. Nachts dürfen auch Hochzeiten im Ramadhan gefeiert werden, obschon auch dies selten vorkommt. Die Moscheen sind um die Zeit hell erleuchtet, die Buden und Gewölbe in den Strassen ebenfalls, die Kaffeehäuser stark besucht; überall hört man ausgelassenen Lärm, und besonders in der Nacht des 27. Ramadhan.

Bricht einer aus Versehen den Ramadhan, d. h. er wäre z. B. ins Wasser gefallen und hätte dabei einen Schluck Wasser getrunken, so muss er nachfasten. Es brauchen den Ramadhan nicht zu halten schwangere Frauen, solche, die säugen, Kinder unter 13 Jahren, alte Leute, Kranke und Reisende. Ebenfalls ausgenommen sind die Wahnsinnigen. Kranke und Reisende sind verpflichtet, die Fasten nachzuholen, was aber in der Regel unterbleibt. Früher wurde der Anfang und das Ende der täglichen Fasten durch Hornsignale von den Thürmen der Djemma dem Volke mitgetheilt, heute geschieht dies in den meisten marokkanischen Städten wie im Orient durch einen Kanonenschuss.

Im zweiten Capitel des Koran heisst es an verschiedenen Stellen, wo vom Almosen die Rede ist: "O, Ihr Gläubigen, gebet Almosen von den Gütern, die Ihr erwerbet, und von dem, was wir aus der Erde Schooss wachsen lassen; suchet aber nicht das Schlechteste zum Almosen aus, solches, was Ihr wohl selbst nicht annehmet, es sei denn, Ihr werdet getäuscht." Und etwas weiter hin: "Machet Ihr Eure Almosen bekannt, so ist's gut, doch wenn Ihr das, was Ihr den Armen gebet, verheimlicht, so ist es besser; dies wird Euch von allem Bösen befreien. Gott kennt, was Ihr thut! Was Ihr den Armen Gutes thut, wird Euch einst belohnt etc." Diese und sehr viele andere Stellen des Koran (fast in jedem Capitel ist die Rede davon) zeigen, wie grosses Gewicht Mohammed auf die Mildthätigkeit legte, und wenn der unparteiische Mensch auch Vieles in der Lehre Mohammed's findet, was gegen die allgemein von civilisirten Völkern angenommenen Sitten verstösst, so muss man ihm dies hingegen hoch anrechnen.

Norm ist in Marokko, den zehnten Theil aller der Güter den Armen abzugeben, welche von Ländereien hervorgebracht, oder aus Waaren erlöst sind, die man über ein Jahr im Besitz hat. Viehheerden gehören ebenfalls hierher. Dieser Zehnte wird vom Sultan von Marokko eingefordert. Die Armen bekommen nichts davon, wenn nicht dahin zu rechnen ist, dass der Sultan den Schürfa (Scherifen) von Tafilet und Mekka jährlich Geschenke macht, aber diese Schürfa sind keineswegs hülfsbedürftig. Man nennt diese Almosen el-aschor. Eine andere Art Almosen wird Sakat genannt und besteht darin, dass man am ersten Tage des Monats Schual am Feste des aid el sserir vor Sonnenaufgang den Armen je nach seinen Kräften Gerste, Weizen, Datteln etc. zum Geschenk macht, damit auch sie das Fest würdig begehen können. Die gewöhnliche Art, Almosen zu geben, Ssadakat genannt, besteht, wie bei uns, in täglichen Gaben, die man Hülfsbedürftigen und Bettlern giebt, welche den Vorübergehenden im Namen irgend eines Heiligen anrufen, oder auch selbst von Haus zu Haus gehen.

Das letzte Erforderniss des Islam, das Pilgern nach Mekka, ist nicht unumgänglich nothwendig und wird in Marokko im Ganzen selten ausgeführt. Die Pilger bekommen nach vollführter Wallfahrt den Titel el Hadj, d. h. Pilger, und sind dann sehr geachtet. Man kann übrigens für Geld einen Andern für sich pilgern lassen; so lassen die Sultane von Marokko stets für sich einen andern Mann nach Mekka wallfahrten. Stirbt ein reicher Mann, ehe er Mekka gesehen, so miethen die Nachkommen bisweilen einen Mann, der nachträglich das Geschäft für Geld besorgen muss. Manchmal bemächtigt sich unter diesem Vorwande der Kaid oder Bascha eines grossen Theils der Hinterlassenschaft eines reichen Mannes, um von Amtswegen das nachträgliche Pilgern besorgen zu lassen.

Die grossen Karawanen, welche ehemals von Fes aus nach Mekka fortzogen, haben jetzt ganz aufgehört, nur in Tafilet sammelt sich noch ein Häuflein, um den weiten beschwerlichen Marsch durch die Sahara, wobei fast immer die Hälfte zu Grunde geht (ein solcher Tod auf der Pilgerschaft ist aber sehr verdienstvoll und verschafft directen Eintritt ins Paradies), zurückzulegen. Jetzt fahren die meisten Marokkaner mit Dampfschiffen nach Djedda, und allmälig gewöhnt man sich daran, eine solche Wallfahrt mit Dampf für eben so heilig und verdienstvoll zu halten, als eine zu Fuss zurückgelegte. Es würde hier zu weit führen, die endlosen Ceremonien einer solchen Wallfahrt zu beschreiben, uns genüge diese kurze Auseinandersetzung. Wir wollen noch weiter in Marokko selbst die Entwickelung der mohammedanischen Religion verfolgen.

Was die religiösen Festtage, die Feiertage Marokko's, anbetrifft, so gelten im Allgemeinen dieselben Regeln, wie in den übrigen mohammedanischen Ländern. Indess ist nirgends Zwang, irgendwie an einem Feiertage die Arbeit einzustellen, oder Handel und Wandel zu beschränken. So sehen wir namentlich, dass Freitags, welcher Tag bei dem Mohammedaner dem Sabath der Juden, dem Sonntage der Christen entspricht, Niemand daran denkt, irgend wie seine Arbeit einzustellen, seinen Verkaufsladen zu schliessen, oder sonst seine tagtägliche Beschäftigung zu unterlassen. Nur während der Zeit des Chotbagebetes liegt Alles still in den Städten, weil jeder Städter aus eigenem Antriebe[41], dann auch weil das Gesetz es erheischt, diesem Gebete in der Djemma beiwohnt.

Die Feste religiöser Art, welche in Marokko gefeiert werden, sind im Monat Rebi-el-ual das Geburtsfest Mohammed's, Mulud genannt, am 12. des genannten Monats. Dies Fest dauert sieben Tage, aber nur der erste Tag wird durch einen besondern Gottesdienst in der Djemma gefeiert. Gefastet wird nicht, aber viel Musik gemacht, Pulver verschwendet und Phantasia geritten.

Das kleine Fest, aid el sserir, beendigt den Fastenmonat Ramadhan; es findet vom 1. bis zum 7. Schual statt. Bei diesem Feste werden, wie schon erwähnt, grosse Almosen gegeben, und man hält sodann ein grosses öffentliches Gebet im Freien. Zu dem Ende hat jede Stadt in Marokko ausserhalb des Weichbildes einen gemauerten, weiss angekalkten Gebetsplatz, Emssala genannt. Eine 5 bis 6 Fuss hohe crenelirte Mauer, 20 Schritt lang, hat in der Mitte einen steinernen Mimbr, d. h. eine Treppe, die für den Fakih, der die Predigt hält, bestimmt ist. Darf man Ali Bey Glauben schenken, so wohnte er einem solchen Gottesdienste bei, wo zu gleicher Zeit 250,000 Menschen sich vor Gott zur Erde beugten; es war dies in Fes zur Zeit der Regierung des Sultans Sliman. Ich wohnte in Uesan einem solchen religiösen Feste zweimal bei; der Grossscherif, Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam, war die Hauptperson dabei; im Ganzen mochten 20,000 Menschen anwesend sein. Nach der Predigt und nach dem Gebete war ein grosses lab-el-barudh, d. h. ein Pferdewettrennen mit Flintenschüssen. Dies Fest findet am 1. Schual statt; die übrigen sechs Tage zeichnen sich nur dadurch aus, dass man aussergewöhnlich grosse Quantitäten Nahrung zu sich nimmt und dem süssen Nichtsthun huldigt.

Am 10. Dulhaja ist das grosse Fest oder aid el kebir zur Erinnerung des Opfers Abraham's; zugleich ist es jetzt für die, welche nicht nach Mekka pilgern, eine Mitfeier des dort stattfindenden grossen Festes. Dasselbe dauert drei Tage. Man verrichtet zuerst sein Gebet in der Moschee und geht sodann nach Hause, um ein Schaf zu opfern, d. h. zu schlachten und zu verspeisen. In nicht reichen Familien hält man für genügend, ein Schaf für Alle zu schlachten, in reichen Familien aber opfert jedes männliche Mitglied ein Thier. Der ganz arme Mann holt sich sein Viertel bei dem Reichen, kurz, an dem Tage ist Niemand ohne Fleischkost in Marokko. Höst meint, dass an jenem Tage in Fes 40,000, in Maraksch 20,000 Schafe geschlachtet werden, und nach der Zahl zu urtheilen, die in Uesan geopfert wurden (Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam z. B. liess von einem seiner Duar 500 Schafe zum Opfern bloss für seinen Haushalt nach Uesan komihen), möchte ich glauben, dass jene Zahlen eher zu niedrig als zu hoch gegriffen seien. An diesem Tage werden dem Sultan ebenfalls grosse Geschenke gemacht, von jeder Stadt und jeder Ortschaft. Die beiden folgenden Tage zeichnen sich ebenfalls durch Schmausereien aus, und Unverdaulichkeit, allgemeines Kranksein und Unfähigkeit, irgend etwas zu thun, sind immer Folge dieser Feier, namentlich für solche, die so wenig an animalische Kost gewöhnt sind, wie die Marokkaner.

Ein halb religiöses, halb weltliches Fest ist das aid el tholba, das Fest der Schriftgelehrten. Es findet im Frühjahr zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche statt; sämmtliche Tholba und Fakih ziehen zur Stadt hinaus und lagern während einer Woche unter Zelten. Obschon Koranlesen und Beten der ursprüngliche Zweck dabei sein soll, konnte ich davon in der heiligen Stadt Uesan, aber vielleicht gerade weil Uesan eine heilige Stadt ist, nichts merken; im Gegentheil, bei Tage beschäftigten sich die Doctoren und Schriftgelehrten damit, Almosen zu empfangen in Gestalt von Geld, Thee, Zucker, Lebensmitteln aller Art und leckeren Gerichten, welche die andächtigen Frauen aus der Stadt heraussandten. Inzwischen wurde enorm gegessen, und wenn Abends profane Blicke der Bauern aus der Umgegend nicht zu befürchten waren, gab man sich fleissig dem Wein und Schnaps hin. War am andern Morgen ein Doctor oder Schriftgelehrter durch Trunkenheit oder Katzenjammer unfähig, sich irgend wie vernünftig mit Almosen bringenden Leuten aus dem Gebirge und der fernen Umgegend zu unterhalten, so wuchs sein Ruf, man glaubte, er habe sich durch Nachtwachen derart in einen überreizten und heiligen Zustand versetzt, dass er dem gewöhnlichen Erdenleben entrückt sei.

Wir haben oben bemerkt, dass in Marokko nur rechtgläubige Mohammedaner malekitischen Bekenntnisses sind, denn die wenigen Choms (eine nicht den vier orthodoxen Secten huldigende fünfte Partei) im Gebirge sind kaum erwähnenswerth. Aber in dieser malekitischen Sekte haben sich nun wieder zahlreiche religiöse Genossenschaften gebildet, religiöse Innungen, so dass man fast sagen kann, ein jeder Marokkaner gehört einer solchen an.

In gewisser Beziehung haben solche religiöse Verbindungen Aehnlichkeit mit den christlichen, besonders insofern, als ihnen speciell eine gewisse Verpflichtung obliegt, gewisse Privatgesetze gemein sind, Viele noch besondere additionelle Gebete verrichten, gewisse Fasten halten, mancher Speise insbesondere sich enthalten. Sie unterscheiden sich aber am deutlichsten von christlich-religiösen Genossenschaften dadurch, dass jedes Mitglied einer solchen Innung[42] verheirathet ist, weil Mohammed das Heirathen an und für sich als verdienstlich und gut hinstellt. Leute unter den Mohammedanern, die nicht verheirathet sind, werden daher unter allen Umständen verächtlich angesehen.

Die verschiedenen religiösen Genossenschaften zu beschreiben werde ich andernorts Gelegenheit haben, hier genüge, dass die vornehmste religiöse Innung die der Muley Thaib in Uesan ist, die ausgebreitetste im ganzen Nordwesten von Afrika. Es kommt sodann die Corporation der Sidi Hammed ben Nasser mit dem Centralsitze von Tarnagrut in der Draa-Oase; die der Sidi Abd-es-Ssalam-ben-Mschisch mit der Hauptstadt Sauya, im Djebel Habib, südöstlich von Tanger; die von Sidi Mussa in Karsas, und viele andere. Ohne religiöses Centrum, Sauya[43], sodann ist der Orden der Aissauin, d. h. der Jesuitenorden, zu erwähnen. Da wir gleich auf letztere etwas näher eingehen wollen, erwähne ich nur, dass alle übrigen religiösen Genossenschaften als alleinigen Zweck haben, sich die Menschen zu unterwerfen und dieselben auszubeuten. Indem sie vorgeben, dass wer ihrem Orden beitrete, d. h. die und die Ceremonie mitmache, dies oder jenes Gebet ausserdem verrichte, an die Fürbitte dieses oder jenes Heiligen besonders glaube, den oder jenen Festtag extra halte und, worauf es besonders ankommt, freiwillige oder bestimmte Gaben der Sauya oder dem Oberhaupte darbiete, suchen sie sich mehr oder minder der Herrschaft über die Geldbeutel und damit aber die Leute selbst zu bemächtigen. Aeusserlich unterscheiden sich die Genossen einer religiösen Innung von denen einer andern nicht, höchstens findet man einen Unterschied im Rosenkranz. Die Mohammedaner haben mit den Katholiken gemein die Hantirung eines Rosenkranzes, der aus hundert Perlen besteht. Die Mohammedaner beten freilich nicht bei jeder der Hand entgleisenden Kugel ein Ave oder Paternoster, sondern rufen bloss Gott an (es ist vorhin gesagt, wie verdienstvoll es ist, den Namen Gottes auszusprechen), bei jeder Perle z. B. "Gott ist gross" oder "Gott ist allbarmherzig" etc. Als Unterschied von übrigen religiösen Orden haben die Brüder des Mulei Thaib einen grossen Messingring am Rosenkranz, die des Sidi Mussa in Karsas eine grosse Perle von Bernstein, und andere ähnliche Abzeichen.

Die vorhin erwähnten Aissauin oder Brüder vom Orden Jesu (Aissa heisst Jesus) sind eine der merkwürdigsten Verbindungen. Sie haben kein bestimmtes lebendes Oberhaupt, keine bestimmten Ordensregeln, keine Sauya, sie leben nur vom Aberglauben und dadurch, dass sie die Leichtgläubigkeit ihrer Mitmenschen täuschen. Ihren Namen haben sie vom Propheten Jesus angenommen, - den sie auch als geistiges, unsichtbares überhaupt anerkennen, und sie behaupten auch, ihre Wunderkraft von ihm ererbt zu haben. Sie fussen dabei auf die Worte Mohammed's im Koran, "dass ihm (d. h. Mohammed) die Gabe, Wunder zu thun, nicht verliehen gewesen sei, dass aber Jesus sie gehabt habe." Die Aissauin sind sehr zahlreich, und nicht nur in Marokko zu finden, sondern in der ganzen mohammedanischen Welt.

Manchmal sind die Kunststücke, welche ihre wunderthätige Heiligkeit darthun sollen, sehr einfacher Art, z. B. dass sie einen Scorpion in die Hand nehmen, Schlangen auf dem Körper herumkriechen lassen; manchmal aber erregt es Entsetzen, wenn man sieht, wie diese Leute Schlangen lebendig verzehren, zerhackte Nägel, gestossenes Glas, scharfkantige Steine und glühende Kohlen hinunterschlucken, wie sie unter Anrufung von "Gott und Jesus" ihren Körper wund schlagen, dass er blutrünstig wird (ähnlich wie die Flagellanten der Christen etc.), und ausserdem nicht nur gegen ihren eigenen Körper Verbrechen begehen, sondern oft öffentlich und ungestraft gegen die Sittlichkeit mit anderen Menschen und Thieren sich versündigen, dass dergleichen in anderen Ländern als Wahnsinn bezeichnet, oder wollte man es berichten, als erlogen betrachtet würde. Ich unterlasse es deshalb, Beispiele ihrer religiösen Tugend, die ich selbst gesehen, anzuführen, verweise dafür auf Leo Africanus I, S. 253 oder Lempriere's Reise durch Marokko und auf fast alle anderen Schriftsteller, welche über Marokko berichtet haben.

Wie in der christlichen Kirche, so hat sich auch im Mohammedanismus ein Heiligenstand entwickelt und namentlich in Marokko steht derselbe in Blüthe. Die mohammedanische Religion spricht aber nicht durch ein bestimmtes Organ, wie z. B. bei den Christen durch den Papst, heilig; ein solches hat die gesammte mohammedanische Religion überhaupt nicht, sondern in einzelnen mohammedanischen Ländern, wie Marokko, wo der Sultan Papst, der Papst Sultan ist, besorgt es das ganze Volk, welches nie Heilige genug haben kann. Die mohammedanische Religion hat nun den Vortheil, dass Menschen schon bei Lebzeiten heilig gehalten oder gesprochen werden, und da jeder Mohammedaner heirathet, so ist die Erblichkeit in das Heiligsein gekommen, d. h. die Nachkommen eines solchen Heiligen werden auch als heilig betrachtet. Ja, im Laufe der Jahrhunderte hat sich dies so eigenthümlich herausgestaltet, dass die Heiligkeit nicht nur erblich, sondern wachsend geworden ist, derart, dass der Nachkomme eines Heiligen stets für heiliger gehalten wird, als er selbst. So sehen wir, dass z. B. in Uesan der directeste Sprössling Mohammed's jetzt für viel heiliger und unfehlbarer gehalten wird, als Mohammed selbst.

Wenn meistens bei Christen und anderen der Glaube obwaltet, es sei um Mohammedaner zu werden, unumgänglich die Beschneidung nothwendig, so ist dies irrthümlich. Im Koran ist für den Moslim die Beschneidung nicht gesetzlich gemacht, und so giebt es denn, namentlich unter den Berberstämmen Marokko's' verschiedene, welche nie die Beschneidung bei sich eingeführt haben. Trotzdem zweifelt Niemand an dem Islam dieser Stämme. Ueberdies wird die Circumcision erst im siebenten oder achten Lebensjahr vorgenommen, und falls die Beschneidung wesentlich zum Islam gehörte, wären sodann Kinder, die jenes Alter nicht hätten, keine Mohammedaner. Es werden nur Knaben in Marokko beschnitten.

Ziehen wir schliesslich einen Vergleich, so finden wir, dass gleiche Lehren und gleicher Glaube auf das Volk dieselbe Wirkung haben. Die Unfehlbarkeit eines Einzelnen, die in Marokko schon seit der Regierung des Sultans Yussuf Ben Taschfin's besteht, hat die grenzenloseste Dummheit des Volkes, den kolossalsten Aberglauben, die grösste Scheinheiligkeit und den Ruin der Nation und des Landes zur Folge gehabt. So hat auch in der jüdischen, der ersten semitischen Religion, die Unfehlbarkeit der Bundeslade, des Hohenpriesters, Jerusalems, d. h. das starre, eiserne Festhalten eines überlebten Grundsatzes Scheinheiligkeit, Aberglauben, Heuchelei, Selbstüberschätzung und dann den Ruin des Volkes zur Folge gehabt. Und bei den Christen sehen wir, dass das feste Anklammern an abgelebte Ideen, das Wiederaufrichten vorweltlicher Lehren, der eingebildete Wahn, den allein seligmachenden Glauben zu besitzen, oder die allein unfehlbare Oberkirchenbehörde zu sein, schliesslich zur "Unfehlbarkeit" eines einzelnen Menschen selbst führte.

[32] Gesandter ist wohl zu unterscheiden von Prophet, deren die Mohammedaner viele anerkennen, ein Prophet aber wie Moses oder Jesus bekommt nie den Beinamen "Gesandter".

[33] Die krankhafte Anstrengung des Papstthums, diese Herrschaft bei den Katholiken jetzt wieder herzustellen, darf, wenigstens was die germanischen Völker anbetrifft, als verfehlt und zu spät angesehen werden.

[34] Der Koran von Dr. Ullmann. Bielefeld.

[35] An anderen Orten und Surat 2 im Koran: "Darauf sagten wir zu den Engeln: Fallet vor dem Adam nieder, und sie thaten so, nur der hochmüthige Teufel weigerte sich, er war ungläubig."

[36] Nachrichten von Marokko und Fes, von G. Höst. Kopenhagen 1781.

[37] Siehe Jackson, Account of Marocco, p. 197.

[38] Höst S. 204 sagt: Die grosse Abwaschung heisst Ergasel. Es ist dies ein Irrthum; Ergasel bedeutet jede beliebige Abwaschung, aber keine religiöse; wenigstens habe ich in Marokko dies Wort nie in diesem Sinne gebrauchen hören, obschon ich selbst täglich die Ceremonien mitzumachen hatte.

[39] Vor dem Morgengebet werden die Worte "das Gebet ist besser als der Schlaf" eingeschaltet.

[40] Siehe Ali Bey el Abassi, Voyage en Afrique etc. I, p. 153.

[41] Aus eigenem Antriebe, d. h. wer ohne Grund Freitags das Chotbagebet zweimal hinter einander versäumt, muss der Djemma, zu der er gehört, Strafe zahlen; dies gilt natürlich nur für Städter.

[42] Mir wurde in ganz Marokko nur von einer religiösen Genossenschaft Kunde gegeben, deren Mitglieder unverheirathet sein mussten, diese nannten sich fokra el mulei Abd Allah el Scherif in Uesan. Diese Brüderschaft war äusserst schwach, die Mitglieder waren alle gelehrt und (dem Anscheine nach) sittenreine Leute. Leo, Bd. 1, S. 251, Ausgabe von Lorsbach, spricht aber von den sogenannten Mtomiti (Marabuten), welche ebenfalls nicht heirathen dürfen, aber deren Lebenswandel nach seiner Beschreibung eben nicht sehr erfreulich und tugendhaft gewesen sein soll.

[43] Das Wort Sauya bedeutet Kloster, Pilgerort, Schule, Asyl zusammengenommen. Da aber, wie schon gesagt, die Mitglieder einer religiösen Genossenschaft fast immer verheirathet sind, so hat eine Sauya ein ganz anderes Aussehen als ein Kloster. Wichtigkeit haben Sauya besonders, wenn sie Centralstelle eines religiösen Ordens sind, wenn sie Tode oder lebendige Heilige haben, wenn sie durch Tradition ein unverletzliches Asylrecht besitzen. Letzteres wird aber dennoch manchmal durch die Unfehlbarkeit irgend eines Sultans, dem ja keine Ueberlieferung heilig ist, gebrochen.


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