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XIX. Von Ilori bis an den Golf von Guinea.

Das Dorf Jara. Der Ort Ogbómoscho. Goro- und Kola-Nuss. In der englischen Mission zu lbádan. Grenze zwischen Jóruba und Jabu. Zwei Nächte im Walde. Der Ort Ipára. Grenzen des Jabu-Landes. Die Orte Odë und Pure. An der Lagune. Eintreffen in Lagos.

Dass ich, um nach Ibádan zu gelangen, in südsüdwestlicher Richtung vorwärts gehen müsse, war mir nicht zweifelhaft. Nun liefen aber vom Thore aus drei oder vier verschiedene Pfade nach derselben Himmelsgegend. Mit Fragen durfte ich mich nicht aufhalten, um keinen Verdacht bei der Thorwache zu erregen; ich schlug also auf gut Glück den sich zunächst darbietenden ein. Erst über eine Stunde von der Stadt entfernt, wagte ich, von Leuten, die mir begegneten, durch Zeichen den Weg zu erkunden, und da ergab sich, dass ich zu weit östlich gerathen war. Ich lenkte auf den richtigen Pfad, der mehrere Stunden weit zwischen Dörfern und einzelnen Höfen, von Runo-Bäumen beschattet und üppigen Getreide-, Baumwoll- und Tabackfeldern umgeben, westwärts führte, und erreichte endlich, als es schon dunkel geworden, das sehr ausgedehnte Dorf Jara (Dr. Grundemann schreibt Jrcsa), jedoch an einer andern Stelle als dem gewöhnlichen Eingange von Ilori her. Von den herbeigekommenen Bewohnern vernahm ich mehrmals das Wort kattakatta, das in der Jóruba- wie in der Nyfe-Sprache Esel bedeutet (in der Haussa-Sprache heisst der Esel djaki, die Eselin djaka), und es gelang mir dadurch, noch abends das Gehöft aufzufinden, wo meine Leute mit den Eseln campirten.

Am frühen Morgen setzte sich denn unser vereinigter Zug in Marsch. Hinter Jara beginnt das Terrain, das von den Ufern des Niger bis dahin immer sanft angestiegen, ebenso allmählich sich nach dem Meere hin zu senken. All die vielen Flüsschen und Wasserfäden rinnen nun nach Süden oder Südwesten; im übrigen ist die Erhebung wie die Abdachung zu unmerklich, als dass man von einem Gebirge, etwa der Fortsetzung des Kong-Gebirges, sprechen und der Formation des Landes eine andere Bezeichnung als die einer gewellten Ebene beilegen könnte. Der Weg führte beständig durch hohen Wald von Butterbäumen und Oelpalmen, der aber an vielen Stellen sumpfig und dicht mit Unterholz verwachsen war; zudem begegneten uns auf dem schmalen Pfade zahlreiche kleine Karavanen, das Ausweichen verursachte Stockungen und Zeitverlust, kurz es ging sehr langsam vorwärts. Um 3 Uhr nachmittags trafen wir auf einen jener offenen Marktplätze am Wege, wie sie durch ganz Jóruba an frequenten Verkehrsstrassen von Strecke zu Strecke vorhanden sind, gewöhnlich mit drei bis vier Hütten besetzt, in denen man allerhand Lebensmittel, auch gekochte oder sonst zubereitete Speisen zu kaufen bekommt. Meine Leute verzehrten hier eine Schüssel voll zäher, kleistriger Klösse, die in einer stark gepfefferten Adansonien-Sauce schwammen. Dann zogen wir weiter und gelangten abends bei Mondschein durch eine angepflanzte Allee von Djedj-Feigenbäumen an das Thor des grossen ummauerten Orts Ogbómoscho. Breitästige, schattengebende Bäume standen auch im Orte selbst auf den Strassen und Plätzen. Ogbómoscho war bisher die äusserste Missionsstation nach dem Innern zu; doch schien augenblicklich kein Missionar dort fest stationirt zu sein. Wir waren an dem Tage 11 Stunden in Marsch gewesen, hatten aber bei der Langsamkeit, mit der die Esel fortzubringen waren, nur 7 Wegstunden zurückgelegt, 2 in südwestlicher, 1 in westlicher, 2 in westsüdwestlicher und 2 in südlicher Richtung.

Während wir am folgenden Tage 5 Stunden südsüdöstlich gingen, hatten wir beständig den von Süd nach Ost ziehenden Akomaoyo-Berg rechts zur Seite. Eine sechste Marschstunde in gerader Südrichtung brachte uns zu dem Dorfe Issóko. Hier gewährte uns ein Einwohner gutes Quartier in seinem geräumigen Hause. Im Hofe dieses Hauses stand ein weitschattender Luftwurzelbaum (Ficus sp.), dessen Zweige einer Masse gelbgefiederter Vögel mit schwarzem Kopf und breitem Schwanz als Brutstätte dienten. Die muntern Thierchen liessen ihren schmetternden Gesang erschallen und umflogen furchtlos eine an den Stamm gekettete alte Eule.

Am 17. wurde wieder den ganzen Tag marschirt, ohne dass wir mehr als 5 Stunden, 3 in südlicher und 2 in südwestlicher Richtung, vorwärts kamen, denn auf einem kaum 11/2 Fuss breiten Pfade mussten die bepackten Esel sich durch Urwaldsgebüsch hindurchwinden. Der Pflanzenwuchs jenseit und diesseit der Wasserscheide zwischen dem Niger und Ocean zeigt ebenso merkliche Veränderungen wie an dem Ost- und dem Westabhange des Gora-Gebirges. Schlanke Palmen, und zwar neben den Fächer- und Deleb- besonders die Oelpalmen, bilden jetzt die Mehrzahl unter den hohen Bäumen des Waldes. Dazwischen kommen vor der Stützenbaum, der oft mit seinen Hunderten von Absenkern eine Palme vollkommen in sich einschliesst, und der Dornenbaum (Bombax sp.), einer der höchsten Bäume, dessen mehrere Fuss dicker Stamm von unten bis oben mit zolllangen Stacheln besetzt und dessen Blatt derartig gestaltet ist, als wäre es aus sieben Blättern zusammengewachsen. Drei Stellen des Waldes hatte man zu Marktplätzen gelichtet, Namens Schudóni, Láuo und Émono. Diese Marktplätze am Wege erleichtern allerdings das Reisen in Jóruba, für manche Lebensmittel werden aber unverhältnissmässig theuere Preise gefordert; für eine Ente sollte ich 6000 Muscheln = 11/2 Thaler, für ein Schaf 40000 Muscheln bezahlen. Sehr beliebt sind die Koloquintenkerne (Citrullus vulgaris var. amarus Schrad.), die entweder geröstet verspeist oder zerstampft zu Saucen verwendet werden. Auch Goro-Nüsse, jedoch von schlechter Qualität, sah ich als einheimisches Product feilbieten.

Die Goro-Nuss, von der Grösse einer dicken Kastanie, ist die Frucht der Goro-Staude, einer dem Kaffeebaum ähnlichen Pflanze mit grossen saftgrünen Blättern. Die Staude kommt an der ganzen Westküste von Afrika vor und gedeiht am besten im Kong-Gebirge. In Gondja wächst sie wild, östlich von Sierra Leone dagegen nur wenn sie angepflanzt und gepflegt wird. Weiter als bis an den Niger scheint sie nicht ins Innere vordringen zu können. Nach Timbuktu kommen die Nüsse (wie Barth angibt, der Guro-Nüsse schreibt) aus den Provinzen von Tangrera, Tante und Koni, nach Kano von der Stadt Sselga in einer nördlichen Provinz Assantis. Man unterscheidet die echte Goro-Nuss, Sterculia acuminata, von der unechten, Sterculia macrocarpa. Erstere hat einen dunkelrothen Kern von angenehm bittersüssem Geschmack und umfasst zwei Sorten, eine nicht schleimhaltige und eine mit starkem Schleimgehalt; die unechte, die nur in unmittelbarer Nähe der Küste wächst, ist inwendig weiss und hat im Geschmack wenig von der specifischen Bitterkeit. Ausser nach den Arten werden die Früchte auch nach der Grösse und nach der Jahreszeit, in der sie geerntet sind, unterschieden; so heissen in Kano (Barth's Reisen, V, 28) die grössten, von 11/2-2 Zoll im Durchmesser, guria, die zweitgrössten marssakatu, die kleinern soara-n-naga und mena; ferner die gegen Ende Februar geernteten dja-n-karogu, die später abgenommenen gummaguri, und die zuletzt eingeheimsten, die sich am längsten halten sollen, nata. Viel wesentlicher ist die verschiedene Benennung der frischen und der getrockneten Nuss; nur die frische wird Goro genannt, die getrocknete mit runzlicher Schale und braunrothem, fast zu Holz erhärtetem Kern heisst Kola. Obwol die letztere den angenehm aromatischen Geschmack nach und nach gänzlich verliert, gilt doch das Kauen derselben den Bewohnern von Nord- und Centralafrika für ein nicht minder unentbehrliches Lebensbedürfniss wie andern Völkern der Genuss von Thee oder Kaffee. Ohne Zweifel wirkt die Kola-Nuss tonisch und Appetit erregend, namentlich soll der Taback gut danach munden; die Araber schreiben ihr auch eine besondere stimulirende Kraft zu. Auf der Rückkehr von meiner Reise nach Centralafrika kaufte ich in Freetown, dem Hauptort der Halbinsel Sierra Leone, eine Partie theils frischer, theils getrockneter Nüsse und nahm sie, zwischen feuchtem Moos in einen Bastkorb verpackt, mit nach Europa. Ich sandte einen Theil davon an Professor von Liebig in München, der mir nach einiger Zeit die interessante Mittheilung machte, er habe bei der Analyse verhältnissmässig mehr Cofféin darin gefunden als in einer gleichen Quantität Kaffeebohnen. Eine Nuss, die man im münchener botanischen Garten als Samen in die Erde legte, trieb frische Keime und hatte sich bis zum Jahre 1869 zu einer ziemlich hohen Staude mit gesunden dunkelgrünen Blättern entwickelt. An der afrikanischen Küste, am Erzeugungsort, kosten 3000 unechte, weisse Nüsse 1 Mariatheresienthaler, mithin das Stück 1 Muschel, die echten, rothen aber ebendaselbst das Fünffache. In Timbuktu, berichtet Barth, variirt der Preis des Stücks je nach der Jahreszeit oder nach der Grösse und Güte zwischen 10 und 1000 Muscheln, und auch in Kuka steigt bisweilen, wenn die Karavanen lange keinen neuen Vorrath gebracht haben (ein Lastesel kann ungefähr 6000 Stück tragen), der Preis für eine einzige Nuss auf 500, ja bis auf 1000 Muscheln. Bei solcher Theuerung zerschneidet man die Frucht in winzige Theilchen, die man seinen Freunden mittheilt, und nicht selten geschieht es, dass der minder Bemittelte ein von einem Reichen schon halb zerkautes und ausgezogenes Stückchen in den Mund nimmt und nun seinerseits noch lange daran kaut. Gelegentlich habe ich schon angedeutet, welch wichtige Rolle die Goro-Nuss auch im gesellschaftlichen Leben der Neger Centralafrikas spielt. Wie der Orientale den ihn Besuchenden mit einer Tasse Kaffee und dem Tschibuk regalirt, so ehrt hier der Wirth seinen Gast dadurch, dass er ihm eine Goro-Nuss vorsetzt oder mit ihm theilt. Die Uebersendung eines Korbes Goro-Nüsse von seiten des regierenden Fürsten gilt als Zeichen huldvoller Bewillkommnung; je voller der Korb und je grösser die Nüsse sind, desto gnädigem Empfangs darf der Fremde gewärtig sein.

Wir campirten die Nacht auf dem Marktplatze Émono, und zwar, weil das Wohnhaus des Feilhalters von Ratten wimmelte, im Freien; bei dem starken Thau, der in der Regenzeit auch hierzulande des Nachts niederschlägt, ein keineswegs angenehmes Lager. Ganz durchnässt, machten wir uns früh um 6 Uhr wieder auf den Weg. Die grüne Baumwand des Waldes tritt jetzt stellenweis zu beiden Seiten etwas zurück, und der freibleibende, leichtgewellte Boden wird zum Anbau von Mais und Yams benutzt. An diesem Tage hörte ich zum ersten male graugefiederte rothschwänzige Papagaien von den hohen Bäumen herab ihr "Aku, aku" rufen. Dieser Ruf ist in die Sprache der Eingeborenen als Begrüssungswort übergegangen; von den Kanúri aber, die keine andere Papagaienart kennen, wird hiernach der Vogel selbst aku genannt. Die Strasse scheint recht belebt zu sein; es begegneten uns mehrere aus Ibádan kommende Karavanen von Lastträgern, eine davon transportirte Pulver, eine andere Branntwein, wobei jeder Neger zwei Fässchen von je 20 Pfund auf dem Kopfe trug. Schon nach einem Marsche von 3 Stunden, die erste in südsüdwestlicher, die zwei letzten in südwestlicher Richtung, war die Stadt Juoh (Grundemann schreibt Iwo) erreicht. Um zur Wohnung des Ortsvorstehers zu gelangen, mussten wir fast die ganze Stadt durchziehen, gefolgt von einem grossen Schwarm Neugieriger, denen der Anblick unserer Esel etwas ganz Neues war. Auf dem Markte standen viele Götzenbilder von Thon und von Holz, bekleidete und unbekleidete, zum Verkauf; doch soll unter der Bevölkerung Juohs der Islam bereits zahlreiche Anhänger haben. Der Ortsvorsteher nahm uns sogleich in sein Haus auf, und zum ersten mal seit Ilori wurden wir hier wieder gastlich bewirthet.

Ibádan ist noch gute 9 Stunden von Juoh entfernt, war also mit den bepackten Eseln nicht in Einem Tagemarsch zu erreichen. Da ich mich aber nach möglichst baldigem Zusammentreffen mit den Europäern sehnte, die als christliche Missionare, wie man mir sagte, daselbst wohnen sollten, ritt ich zu Pferde am andern Morgen dem langsamer folgenden Zuge voraus. Eine Stunde weit windet sich der Pfad südwestwärts zwischen Yams-, Mais-, Koloquinten- und Baumwollfeldern hin bis zum Flusse Oba. Der Wasserstand des Flusses war niedrig genug, dass ich ihn mit meinem Pferde hätte durchwaten können, aber ein stämmiger Neger, zu einer eben vorbeiziehenden Karavane aus Lagos gehörig, liess es sich nicht nehmen, mich auf seinen Schultern hinüberzutragen. Gleich am jenseitigen Ufer beginnt wieder prächtig bestandener Hochwald, mit Gebüsch und Schlingpflanzen verwachsen. Auf dem schattigen Wege durch denselben kamen viele Eingeborene einzeln und in Gruppen daher, die mich alle höflich grüssten, indem sie mir die gewöhnliche Formel "Aku, aku, akuabo" zuriefen; eine vorbeipassirende junge Negerin reichte mir sogar zutraulich die Hand und sagte: "I thank you", diese irgendwo von Engländern vernommenen Worte jedenfalls auch für einen Gruss haltend. Um 5 Uhr nachmittags langte ich in der Stadt Ibádan an, die zu den grössten Städten West- und Centralafrikas gerechnet wird.

Ich war schon beinah eine Stunde durch endlos lange Strassen und Budenreihen geritten, ohne ein Haus von europäischem Aussehen entdeckt zu haben. Das arabische, bei den Haussa gebräuchliche Wort "nássara" (Christ), durch das ich mich verständlich zu machen suchte, kannte man hier nicht; endlich errieth indess einer aus meinen Pantomimen, wohin ich wollte, und geleitete mich zu dem aus Eisen erbauten Missionshause. Mein Pferd stiess mit dem Kopfe das nur angelehnte Hofthor auf, und als ich in den Hof einritt, sah ich auf dem Rasen eine blonde, in Seide gekleidete Dame sitzen, umgeben von einem Kreise junger Negermädchen, denen sie aus der Bibel vorlas. Bei meinem Anblick erhob sie sich, rief die Diener, mir das Pferd abzunehmen, und hiess mich in englischer Sprache willkommen. Nun stellte ich mich vor, zugleich wegen meines unangemeldeten Eintritts um Entschuldigung bittend, und folgte ihr dann ins Innere des Hauses. An der Schwelle eines europäisch möblirten Zimmers empfing mich ihr Gemahl, der Missionar, in dem ich zu meiner freudigen Ueberraschung einen deutschen Landsmann aus Schwaben fand, Namens Hinderer. Er lud mich freundlichst ein, sammt meiner Begleitung in der Mission zu herbergen, was ich natürlich dankbar annahm.

Die Missionsanstalt, etwas gegen Südwesten, aber ziemlich im Mittelpunkte der Stadt gelegen, die von hier nach allen Seiten amphitheatralisch ansteigt, umfasst ein bedeutendes Areal. Rings von einer Mauer umgeben, enthält sie ausser dem eisernen Wohnhause, dem geräumigen Hofe und mehrern kleinern Gebäuden einen grossen Garten mit den verschiedensten Fruchtbäumen und Sträuchern: Kokospalmen, Gunda, Mango, Brotfrucht, Orangen, Citronen, Ananas. Dicht daneben ausserhalb der Mauer steht die dazu gehörige Kirche.

Ibádan wird von einem nicht erblichen, sondern auf Lebenszeit gewählten Fürsten beherrscht, der nominell unter die Oberhoheit des zu Oyo residirenden Königs von Jóruba gestellt ist und den Titel Balë führt. Einen Monat vor meiner Ankunft war der Balë Ogomálla, mit dem Beinamen Bascheron (d. h. Verwalter des Reichs in der zukünftigen Welt), ein kräftiger Herrscher, der sich fast ganz von Oyo unabhängig gemacht hatte, mit Tode abgegangen. Der hierauf ernannte Nachfolger war gleich nach der Wahl gestorben, ebenso ein dritter Balë, und bis zur Wahl eines neuen lag nun die Regierung provisorisch in den Händen des Bálago, des Oberbefehlshabers der Truppen. Diesem wollte ich meine Aufwartung machen, um die Mitgabe eines Geleitsmanns durch das Jabu-Land von ihm zu erbitten; er liess mir aber sagen, wegen der Landestrauer könne er mich nicht empfangen, und was den Geleitsmann betreffe, so möge ich mich mit meiner Karavane einem reitenden Boten, den er demnächst nach Lagos schicke, anschliessen.

Der Bote des Bálago wurde am 23. Mai abgefertigt, und unter seiner Führung traten wir die Weiterreise an. Unaufhörlich strömender Regen hatte den gewellten Thonboden so schlüpfrig gemacht, dass Menschen wie Thiere sich kaum darauf fortbewegen konnten. Bis zu dem kleinen Marktorte Faudo, 11/2 Stunden südwestlich von der Stadt, reichen die angebauten Ländereien; dann folgt wieder dichtverwachsener Urwald. Sein Saum bildet zugleich die Grenze zwischen den Reichen Jóruba und Jabu. Im Walde, in den wir südsüdwestwärts eindrangen, stellten sich unserer Fortkommen neue Hindernisse entgegen; mächtige Baumstämme lagen oft quer über den Weg, da musstAn die Esel des Gepäcks entledigt und durch die Leute hinübergehoben werden. So kam es, dass wir eine Strecke von höchstens drei Stunden zurückgelegt hatten, als die Dunkelheit uns nöthigte, mitten in dem feuchten Dickicht zu lagern. Es regnete zwar nicht mehr, aber das Holz war durch und durch nass; kein Feuer liess sich anbrennen, und eine Tasse Kaffee konnte ich nur an der Flamme von Zeitungspapier warm machen. Dazu die geltenden Schreie des Trompetenvogels, vermischt mit dem dumpfen Gequak der Frösche, und als dieses Concert verstummt war, das Brüllen der Raubthiere und von fern her rollender Donner!

Auch den ganzen folgenden Tag kamen wir nicht aus dem Walde heraus. Nur hier und da unterbricht eine lichtere Stelle, mit Rothem Pfeffer und wilder Ananas bewachsen, das Dickicht; der Baumbestand ist besonders reich an Oelpalmen und Silk-cotton-trees (Eriodendron). Bald wurden wir von Regengüssen durchnässt, bald plagten uns Mosquitos oder giftige Schwarze Ameisen. Letztere rennen blitzschnell an den Beinen der Menschen und Thiere herauf und verursachen durch ihre Bisse heftigen Schmerz; bisweilen nahm eine Schar derselben einen mehrere Zoll breiten Streifen des Weges ein, vor dem dann unsere Esel zurückscheuten und unaufhaltsam zur Seite ins Gebüsch sprangen. Zu den Plagen der Menschen gehörten ferner noch die vorbeischwirrenden Heuschrecken; sie schienen von einer eigenthümlichen Art zu sein: ihr grünlichbrauner Leib misst nicht über einen Zoll, aber aus dem kleinen Kopfe strecken sie zwei 5 Zoll lange Fühlfäden aus und am Hinterleibe ein nach rückwärts gebogenes Horn. Die Schwierigkeiten für die Reit- und Lastthiere, auf dem schlüpfrigen schmalen Pfade zu schreiten, waren um so grösser, als von den zahlreichen Träger-Karavanen, wobei der Hintermann immer genau der Fussspur seines Vorgängers folgt, eine tiefe Rille in den weichen Boden getreten ist, sodass die Esel fortwährend Gefahr liefen, hineinzugleiten und sich ein Bein zu brechen. Meine Hoffnung, vor Einbruch der Nacht einen bewohnten Ort zu erreichen, ward unter solchen Umständen zu Wasser. Wir waren kaum 7 Stunden südsüdwestlich vorwärts gekommen und mussten abermals auf Sumpfboden, ohne Feuer, diesmal sogar in ganz durchnässten Kleidern und Decken, die Nacht verbringen. Durch einen Schluck Rum und ein Stückchen Schweinefleisch, das mir Frau Hinderer mit auf den Weg gegeben, suchte ich mich wenigstens innerlich etwas zu erwärmen.

Noch 4 Stunden mühten sich andern Tags unsere armen Thiere auf dem beschwerlichen Wege ab; endlich öffnete sich der Wald, und eine breite Allee führte ans Thor des Ortes Ipára. Hier erwartete uns der Bote des Bálago, der schon am Tage vorher angekommen war und für gutes Quartier gesorgt hatte. Die etwa 800 Einwohner von Ipára erwerben jetzt ihren Lebensunterhalt meist als Lastträger, während sie früher, zur Zeit der Spanier und Portugiesen, eifrig der Sklavenjagd oblagen. Allerdings reicht das geringe Stück Feld, das sie in der nächsten Umgebung dem Walde abgewonnen und urbar gemacht haben, zu ihrer Ernährung bei weitem nicht aus.

Das Land Jabu, im Norden von Jóruba, im Westen von Egba (auch nach der Hauptstadt Abeokúta genannt), im Osten, wo der Fluss Osun die Grenze bildet, von den Benin-Ländern begrenzt und nach Süden sich bis an die Lagune von Lagos erstreckend, wird durch den Ona-Fluss in zwei ziemlich gleiche Hälften getheilt; in der östlichen, Jabu-Odë, regierte der König Au-Udjalë, in der westlichen, Jabu-Remo, der König Akaribo, der indess, wie es mir schien, von dem erstern abhängig war. Obwol die Bewohner von Jabu im allgemeinen noch etwas heller gefärbt sind als die von Jóruba, gehören doch beide demselben Volksstamme an, wie auch die gemeinsame Sprache, in der nur dialektische Verschiedenheiten hervortreten, zur Genüge beweist. An den Wohnhäusern ist hier sowol bezüglich des äussern Schmucks wie der innern Einrichtung der Einfluss des Verkehrs mit den europäischen Niederlassungen schon deutlicher wahrzunehmen. Was die Religion der Jabuaner betrifft, so beten sie zwar ebenfalls ihre Götzen an und zollen auch verschiedenen Bäumen, namentlich der Oelpalme, abergläubische Verehrung, sie haben aber daneben die dunkle Ahnung eines unsichtbaren höhern Wesens, von dem alles geschaffen ist.

Ungeachtet der Ermüdung unserer Thiere, denen ich gern eine längere Rast gewährt hätte, brachen wir schon am nächsten Morgen wieder von Ipára auf. Beim Abmarsch hatten sich mehrere Ortsbewohner unserm Zuge angeschlossen. Nach einer Stunde hielten wir vor dem Oertchen Odë (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Hauptstadt von Jabu-Odë). Wir fanden das Thor versperrt, und die Wächter weigerten sich entschieden, die Leute von Ipára einzulassen; wirklich mussten diese umkehren, und nun erst ward mir und meiner Begleitung der Einzug gestattet. Die Feindschaft zwischen den beiden Orten rührt von dem Kriege her, den die Jabu-Stämme im Bunde mit Abeokúta volle fünf Jahre lang, von 1861 bis 1865, gegen das mächtig aufstrebende Ibádan führten. Nur die Bewohner von Ipára ergriffen in diesem Kriege Partei für Ibádan, und aus Dankbarkeit hat ihnen letzteres den Waarentransport von und nach Lagos, der bis dahin in den Händen der Bewohner von Odë lag, fast ausschliesslich zugewendet. Ich kaufte auf dem Markte von Odë Lebensmittel zum Frühstück für uns ein, worauf wir ohne Aufenthalt in südwestlicher Richtung weiterzogen. Nach 11/2 Stunden passirten wir den kleinen Ort Pure. Von da ging der Weg, immer sanft geneigt, gerade südwärts; er führte uns über den Fluss Iba in 21/2 Stunden nach Makum. In diesen Ort, der zum Nachtquartier bestimmt war, wollte man uns wieder nur gegen Erlegung eines Durchgangzolls einlassen; da ich aber nicht eine einzige Muschel mehr besass, verschaffte ich mir durch die Drohung Einlass, wenn man uns nicht sofort ohne Bezahlung das Thor öffne, würde ich in Lagos beim englischen Gouverneur von dem feindseligen Verfahren gegen einen Weissen Anzeige machen. So weit wirkt also hier das Ansehen der Engländer. Indess rächte sich der Ortsvorsteher für die ihm entgangene Einnahme dadurch, dass er uns, obgleich starker Thau fiel und der Ocean feuchten Nebel herübersandte, keine Herberge anbot, sondern auf dem offenen Marktplatz campiren liess.

Früh 5 Uhr stieg ich zu Pferde und ritt, nur von Noel und einem ebenfalls berittenen Neger aus Lagos begleitet, in scharfem Trabe der Küste zu. Um 1 Uhr mittags gelangten wir nach lkoródu und eine halbe Stunde später an die Lagune, welche Lagos, das auf einer Nehrung liegt, vom Festlande trennt. Am Ufer standen einige leere Hütten zum Obdach für die hier wartenden Karavanen und ein paar Buden, in denen Lebensmittel feilgehalten wurden. Ich erhandelte für mein letztes seidenes Taschentuch einen Teller voll in Palmöl gesottener Küchelchen, ekaréoa genannt: eine Speise, die zur Noth auch ein europäischer Magen geniessbar findet. Gegen Abend holte mich das Fährschiff ab, und nach einer sehr stürmischen, gefahrvollen Ueberfahrt landete ich auf der Rhede von Lagos.

Der englische Gouverneur, Mr. Glover, der mich aufs freundlichste empfing, wollte nicht eher glauben, dass ich zu Lande von Lokója gekommen sei, als bis ich ihm die von dort mitgebrachten Briefschaften behändigte. Sobald die in Lagos wohnenden Deutschen die Kunde von der Ankunft eines Landsmanns vernommen hatten, erschienen sie im Gouvernementshause, um mich zu begrüssen und mir Wohnung bei sich anzubieten. Sie logirten mich in die Factorei der grossen hamburger Firma O'Swald ein und liessen mir dort die ausgesuchteste Gastfreundschaft zutheil werden. Nach vierzehn Tagen kam dann der englische Dampfer, auf dem ich mich nach Europa einschiffte.

Ich kann meinen Bericht nicht schliessen, ohne dem bremer Senat, der Stadt Bremen und der Geographischen Gesellschaft in London, welche mir die Mittel zu dieser Reise gewährt haben, desgleichen Herrn Dr. Petermann, der mir den Rest des für Dr. Vogel gesammelten Fonds übermittelte, nochmals meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen. In die Heimat zurückgekehrt, ward ich durch die Munificenz Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm wie durch neue Beiträge der Stadt Bremen und der Londoner Geographischen Gesellschaft in den Stand gesetzt, sowol Herrn Gagliuffi das bei seinem Agenten in Kuka aufgenommene Darlehn wiederzuerstatten, als auch meine Diener und Begleiter nach Wunsch zu belohnen. Hammed, dem treuesten und bewährtesten derselben, wurde ausserdem von der Londoner Geographischen Gesellschaft die silberne Victoria-Medaille zuerkannt. Der Unterstütznng mit Rath und That, deren ich mich seitens des Herrn Dr. Petermann, des seitdem verstorbenen Dr. Barth und meines Bruders Hermann zu erfreuen hatte, werde ich stets dankbarlichst eingedenk bleiben.


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