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Ueber den Bihâr Bilâ-mâ.

Eine der wichtigsten Aufgaben von denen, welche unserer Expedition in die Libysche Wüste vorgeschrieben waren, bestand in der Untersuchung der "leeren Flussbetten", der sogenannten Bihâr Bilâ-mâ. Die Frage war zuerst wieder von Dr. Zenker angeregt worden. Im Jahre 1872 wiess er in einem in Nr. 8 der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde veröffentlichten Aufsatz "über das Depressions-Gebiet der Libyschen Wüste und den Fluss ohne Wasser (Bahr-belâ-mâ)" darauf hin, wie nützlich es sein wurde, durch genauere Untersuchungen festzustellen, ob wirklich eine Depression vorhanden sei. Sodann wurde in der Sitzung des Institut égyptien, welche bei Gelegenheit der Anwesenheit der Expeditions-Mitglieder in Cairo abgehalten wurde, gleichfalls diese Frage in Anregung gebracht, und man darf sich kaum wundern, dass die Gelehrten dieser Gesellschaft nicht nur in dem Wahne befangen waren. dass das auf den Karten verzeichnete Bahr-bilâ-mâ ein "leeres Flussbett' sei, sondern dass sie auch mit ziemlicher Sicherheit annahmen, in vorgeschichtlicher Zeit habe der Nil durch dieses Rinnsal seine Fluthen ergossen. Ja, als durch unsere Untersuchungen der Sachverhalt schon festgestellt war, Untersuchungen, welche auf eigenen Anschauungen - nicht auf Aussagen der Eingeborenen basirten, glaubte ein Mitglied dieser gelehrten Versammlung, an der von französischen und deutschen Gelehrten früher aufgestellten Hypothese festhalten zu müssen. Es war dies um so mehr zu verwundern, als die französischen Explorateure nur dasjenige Bahr-bilâ-mâ gesehen hatten, welches in unmittelbarster Nähe der Natron-Seen gelegen ist; über die übrigen aber nur nach Hörensagen sich ein Urtheil hatten bilden können.

Bei dem Nachweise, dass man es in der Libyschen Wüste nicht mit, einem "leeren Flussbett" zu thun habe, kommt es in erster Linie darauf an, zu untersuchen, ob der arabische Ausdruck, el-bihâr, richtig übersetzt worden ist, denn eine falsche Uebersetzung verbindet natürlich mit dem Object einen falschen Begriff. Da müssen wir denn leider gestehen, dass hier von vornherein Uebersetzungsfehler gemacht worden sind. Hätten Père Sicard, Pocock und Savary, ferner die französische Expedition bei ihrem Besuche des Bahr-Bilâ-mâ im Jahre 1799 das Wort richtig verstanden und demgemäss übersetzt, so wäre die irrige Annahme eines in vorgeschichtlicher Zeit westlich verlaufenden Nils nie aufgekommen, und alle jene zahlreichen Conjuncturen wären unterblieben.

Einer unserer gründlichsten Orientalisten, und nicht nur besonders bewandert in der Interpretation arabischer Geographen, sondern berühmt durch seine Forschungen unter arabischen Triben an Ort und Stelle, Konsul Wetzstein in Berlin, hat mir hierüber mit grösster Bereitwilligkeit Auskunft gegeben. Denn wenn es mir wohl bekannt war, dass das magribinische el-behar nichts Anderes als "das Meer" bedeutet, so wollte ich doch als Empiriker in linguistischen Dingen Nichts behaupten, was dem sonstigen Sprachgebrauch des Arabischen gegenüber möglicherweise ungenau hätte sein können oder gar falsch. Consul Wetzstein nun theilte mir Folgendes mit:

"Das Wort báher[50], auch behar gesprochen, bedeutet im Alt- und Neu-Arabischen bei Hadari und Bedawi (Ansässigen und Nomaden) das "Meer" oder "der Landsee"; sein Plural ist bihâr und buhûr "die Meere, die Seen". Von einem kleineren Landsee braucht man das Diminutiv boheira, was im magribinischen Idiom, welches den Diphthong ei hasst, bohira gesprochen wird. Das Wort geht auf einen Verbal-Stamm bahar zurück, welcher "sich weit ausbreiten" bedeutet, und Manchem für ein transponirtes rahab gilt, was in allen semitischen Sprachen dieselbe Bedeutung hat. Daher kommt es, dass die Bezeichnung höher im gemeinen Leben auch von einem sehr grossen Strom, wie dem Nil oder dein Euphrat, gebraucht wird, ohne darum die Bedeutung "Fluss" zu haben. Bâher en-Nil bedeutet auch dem Araber "das Nil-Meer". Es ist also eine hyperbolische Redeweise, die leicht Missverständniss erzeugen kann und deshalb in den Schriften der früheren einheimischen Geographen auch vermieden wird. Sie bezeichnen jeden Fluss, er mag klein oder gross sein, mit dem Worte näher, dessen Plural enhar und nuhîra ist."

Deutlicher kann uns die ursprüngliche Bedeutung von baher nicht gemacht werden, wie es uns so eben von Wetzstein auseinandergesetzt worden ist. Das Wort ist also mit "Meer" oder "See" zu übersetzen. Ja, aus eigener Erfahrung[51] kann ich noch bestätigend hinzufügen, dass auch die heutigen arabischen Geographen, wenn sie ihn auf den Nil[52] und andere grosse Flüsse anwenden, den Begriff "Meer" dabei festhalten. Es lässt sich dies auf eine überzeugende Weise daran erkennen, dass sie den Nil mit Vorliebe baher el-hílu, "das süsse Meer" nennen, im Gegensatz zu baher el-malíh, dem "salzigen Meere" oder oder baher el-milah, "dem Salzmeer". Wir finden diese Bezeichnung sonderbar, müssen aber bedenken, dass sie beduinischen Ursprungs ist, wie denn überhaupt der grösste Theil der naturgeschichtlichen Nomenclatur in den Ländern arabischer Zunge auf die Beduinen zurückgeführt werden muss.

"Die ganze Arabische Halbinsel besitzt kein einziges Gewässer, welches den Namen "Fluss" verdiente, und selbst ihre Bäche verlieren sich in der heissen Jahreszeit meistens schon in der Nähe der Quellen. Zwar verwandelt sich nach starken und während längerer Zeit anhaltenden Regengüssen das Rinnsal oder Torrens in einen "Seil", "Wildbach", welcher oft gewaltige Wassermassen fortwälzt, aber nach wenigen Tagen ist es wieder völlig wasserlos und trocken."

"Die grosse Syrische Wüste hat nicht einmal ein perennirendes Bächlein. Welch' einen Eindruck muss daher der Anblick des Euphrat und des Schatt el-Arab (der vereinigte Euphrat und Tigris) mit seiner Jahr aus Jahr ein majestätischen Wasserfläche auf die Bewohner jener Wüsten machen. Bei der muselmanischen Eroberung Aegyptens kam mit den Nomadenstämmen arabische Sprache und Vorstellungsweise dahin, und wie früher der Euphrat, so wurde jetzt der Nil zum Meere, welcher sich dieses Namens um so würdiger zeigte, als er in der Zeit der periodischen Ueberschwemmung, wo er das Delta überfluthet, das Bild einer Meeresfläche gewährt. Um aber dieses Meer von dem wirklichen zu unterscheiden, nannten sie es kurzweg und durchaus bezeichnend "das süsse" und jenes "das salzige".

Dieser Auseinandersetzung Wetzstein's kann ich noch hinzufügen, dass für die Araber Africa's die Bedeutung des Wortes "el bahr en-Nil" und "Süsswasser-Strom" jetzt ganz identisch geworden sind. Kommen die Araber nach Central-Africa, so ist das Erste, was sie beim Anblick eines grossen Stromes ausrufen: el bahr en-Nil. Sie wollen damit keineswegs sagen, dass der betreffende Strom der ägyptische Nil sei, sondern einfach ausdrücken, er sei ein grosser Süsswasserstrom. Es hat dies zu verschiedenen Irrungen Veranlassung gegeben, wie denn die arabischen Kaufleute den Niger ebenfalls el bahr el-hílu oder auch bahr en-Nil nannten. Europäische Geographen folgerten hieraus sodann, die arabischen Geographen und Kaufleute hielten diese beiden Ströme für einen und denselben. Freilich wurden sie zum Theil dazu veranlasse und in ihrem Glauben bestärkt durch Ihn Batutah, welcher bei seiner Reise nach dem Sudan und dem Lande der Neger sagt:

"Dieser Fluss (der Nil) kommt von hier nach Cabarab, dann nach Zaghah: diese beiden letzten Localitäten haben zwei Sultane, welche dem Sultan von Melli untergeben sind. Seit Langem haben die Bewohner von Zaghah den Islam angenommen, sind sehr fromm und haben für die Wissenschaften viel Sinn. Von Zagbah geht der Nil nach Timbuktu und nach Caoucaou, Städte, von denen wir später reden werden; dann nach Mouli, Ort, welcher zu Limiggoun gehört und den letzten District von Melli bildet. Der Fluss fliesst von Mouli nach Youfi, einem der wichtigsten Länder des Sudan und dessen Sultan einer der mächtigsten Fürsten der Gegend ist. Kein weisser Mann darf nach Youfi hinein, die Neger würden ihn eher tödten. Der Nil dringt ins Land der Nubier, welche Christen sind, und kommt dann nach Dongolah, ihrer Hauptstadt. Der Sultan dieser Stadt, welcher Ibn Kenz eddîn heisst, bekehrte sich zur Zeit des Königs Nâcir zum Mohammedanismus. Der Fluss geht dann nach Djenadid (Nil-Katarakten) hinab, wo das Ende der Negerheimath ist und der District von Oçouân (Assuam oder Syene) in Ober-Aegypten etc."

Es bleibt uns nun, ehe wir zur Beschreibung der verschiedenen Bihâr bilâ-mâ gehen, zu erforschen übrig, wer zuerst von diesen Depressionen oder Seen' ohne Wasser gesprochen hat, denn so müssen wir von jetzt an Bihâr bilâ-mâ nennen. Und festzuhalten ist, dass alle Bihâr Bilâ-mâ Depressionen sind - ob echte[53] oder unechte, das kann für uns vorläufig einerlei sein - und in ihrer äusseren Erscheinung allerdings meistens die grösste Aehnlichkeit mit leeren Seebecken zeigen.

Bei den alten Schriftstellern der Griechen und Römer finden wir keine Stelle, welche sich auf ein leeres Seebecken beziehen liesse, und gar wunderbar müsste es sein, wenn ein Bihâr bilâ-mâ, wie es auf den Karten der letzten Jahrzehnte verzeichnet ist, den Nachforschungen eines Herodot, Strabo u. A. entgangen sein sollte: denn keineswegs lassen sich die Stellen des Strabo, wo er nach Erathosthenes von Salz und Muscheln auf dem Wege nach dem Ammonium redet, mit denjenigen verschiedenen Bihâr bilâ-mâ zusammenbringen, welche uns hier beschäftigen, sondern Strabo redet von der Oase des Ammon. Vielleicht aber haben Strabo's "Trümmer gescheiterter Schiffe" und die "zum Schauspiel der Kyrenacer gesandten und auf kleinen Säulen aufgerichteten Delphine" nicht wenig dazu beigetragen, dass die leicht erregbare Phantasie eines früheren Reisenden glaubte, qu'on trouve dans la vallée du fleuve sans eau des mâts et des debris de navires, wenn auch Andréossy auf diese Aeusserung des Père Sicard gleich hinzufügt: nous n'avons rien aperçu de tout cela; dann aber, entschuldigend, dass P. Sicard eine derartige Beobachtung gemacht habe, welche ihnen, Berthollet, Fourier, Redouté und Andréossy entgangen sei, noch unmittelbar darauf hinzufügt: Il est vrai que nous n'avons vu qu'un endroit de la vallée.

Und wenn Herodot im 2. Buche SS. 99 sagt: "Menes der erste König von Aegypten, hat fürs erste, sagten die Priester, auch Memphis ausgedämmt. Der Fluss sei nämlich ganz längs des sandigen Gebirges gegen Libyen hingelaufen", so heisst das, dass der Nil längs des westlichen Sandufers strömte; und wenn er weiter fortfährt: "und nun habe Menes weiter hinten, 100 Stadien von Memphis, seinen mittäglichen Arm zugedämmt", so erfahren wir daraus, dass der Nil das Nilthal auch zu der Zeit schon in mehreren Armen durchströmte. So fliesst er heute ja auch durch einen Hauptarm längs des Ostrandes des Thales und durch den westlichen, Bahr-el-Jussuf. Herodot[54] sagt ferner, "nachdem dann der mittägige Arm zugedämmt und das alte Flussbett ausgetrocknet, der Fluss aber in einem Rinngraben zwischen den Gebirgen durchgeleitet" etc. Diese Durchleitung kann sich natürlich nur auf diejenige beziehen, welche zum Fayum führt, denn nördlich von Memphis ist kein Gebirge mehr, und durch das von Bergen begrenzte Nilthal floss der Nil ohnedies. Wir können, wie gesagt, in den eben citirten Stellen keine Berechtigung finden, ein altes leeres Nilbett in der Libyschen Wüste vermuthen zu wollen.

Auch ist im Herodot wohl die Stelle nicht misszuverstehen, wenn er B. II, SS. 149, sagt: "Das Wasser in diesem See (Möris-See) hat nicht dort seinen eigenen Ursprung; denn hier ist das Land sehr wasserlos, sondern es ist aus dem Nil durch einen Rinngraben hineingeleitet, und zwar läuft es sechs Monate in den See hinein, sechs andere Monate in den Nil heraus."

Herodot fährt allerdings SS. 150 desselben Buches fort: "Noch sagten mir die Eingeborenen, dass dieser See sich in die Libysche Syrte ergiesse, indem er sich unter der Erde, längs des Gebirges, hinter Memphis, gegen Abend in das Binnenland hineinziehen" etc. Es deutet diese Stelle offenbar an, dass die damaligen Fayum-Bewohner Kenntniss von der Depression der Natron-Seen hatten, denn nur diese kann gemeint sein als Oertlichkeit, wohin sich unter der Erde das Wasser aus dem Möris-See ergösse. Dass ein Zusammenhang zwischen den Seen und Quellen der Libyschen Wüste und dem Nil besteht, wird allerdings kaum geleugnet werden können, da die Veränderungen der Wassermengen des Nils eine solche in den Quellen und Seen bedingen. Nur ist wohl zu beachten, dass die Breite der Landkarten ` nichts damit zu thun hat, dass z.B. eine Veränderung in der Menge des Wassers der Natron-Seen keineswegs herzurühren braucht von den Wasserverhältnissen, welche im Nil etwa unter dem 30deg. N. Br. statthaben, sondern vielleicht von einer ganz anderen Stelle aus bedingt ist. Und wenn die Menge des Wassers der Quellen von Dachel ein Steigen und Fallen zeigt, so braucht dieser Wechsel keineswegs bedingt zu sein von den Wasserverhältnissen des Nils bei Esneh etwa. Es ist ausserdem längst nachgewiesen, dass die Depression der Natron-Seen nichts mit einem Bahr bilâ-mâ zu thun hat.

Wenn wir somit nicht im Stande sind, bei den klassischen Geschichtsschreibern und Geographen des Alterthums eine Stelle nachzuweisen, welche auf ein Bahr bilâ-mâ Anwendung finden könnte, so ist eben so wenig von einem arabischen Geographen des Mittelalters auch nur der Ausdruck Bahr bilâ-mâ gebraucht. Dr. Wetzstein, welcher sich die Mühe nicht hat verdriessen lassen, alle arabischen Geographen darauf hin zu consultiren, giebt die bestimmteste Versicherung ab, dass bei Keinem ein Bahr bilâ-mâ genannt wird.

Es läge uns demnach ob, zu untersuchen, welcher von den neueren Reisenden und Geographen zuerst sich des Wortes Bahr bilâ-mâ bedient hat. Die älteste Erwähnung finden wir in der von Paulus herausgegebenen Beschreibung der Reise von Wansleb[55], welcher 1663 eine Reise nach Aegypten unternahm. Dort wird gesagt, dass zwischen Fium (Fayum) und Benesuef "sie quer durch das Bett des Bahr bela-ma oder des Flusses ohne Wasser mussten, was unglaubliche Mühe machte." Es ist hier natürlich nur vom Bahr bilâ-mâ der Provinz Fayum die Rede.

Fussend auf Pocock und Savary, kann aber als der geistige Vater der grosse französische Geograph Jan Baptiste Bourguignon d'Anville betrachtet werden. In seinem Handbuch der alten Erdbeschreibung T. IV, p. 31 (Deutsche Uebersetzung von Bruns), lesen wir: "Nach Pocock zieht sich von diesem See (Möris-See) an noch jetzt eine Art von Thal fast bis ans Mittelländische Meer, welches die Araber Bahr bela-ma, Thal ohne Wasser, nennen. Vermuthlich war dies einer der alten Ausflüsse des Nils. Um nicht zu viel Wasser durch denselben zu verlieren, schnitt man ihn ab, und so entstand die für die niedere Provinz Arsinoë nutzbare Wassersammlung, der See Möris, den man nun bald zum Ablauf des überflüssigen Nilwassers bei reichen Ueberschwemmungen, bald wenn diese karg waren, zum Aufhalten desselben gebrauchen konnte."

Richard Pocock[56], ein Engländer, der von 1737-1742 Aegypten bereiste und ein mehrbändiges Werk über den Orient und einige andere Länder verfasste, sagt T. I, p. 179, bei Beschreibung des Möris-Sees: "Je crois, qu'anciennement le Nil avait une brauche, de ce côté-là, laquelle allait se rendre à la mer par la vallée appellée Beher Bellomah ou la mer[57] sans eau, qui s'étend depuis l'extremité occidentale de ce lac jusqu'à la mer etc." Pocock kannte also aus eigener Anschauung gar nicht die Bihâr bilâ-mâ und die Oertlichkeit bei den Natron-Seen, es ist daher unvorsichtig, dass darauf hin ein so bedeutender und tonangebender Geograph nach einer blossen Meinung des englischen Reisenden so bestimmt sich nicht nur über den Verlauf des Bahr bilâ-mâ ausspricht, sondern auch die für die geographische Welt massgebenden Karten entwerfen konnte.

Eben so viel wie Pocock's Vermuthung mochte auch Savary's Reisebericht dazu beigetragen haben, die Geographen in der Annahme eines leeren Flussbettes' zu bestärken. Aber auch dieser Forscher berichtete nicht über eigene Untersuchungen, sondern nur nach Aussagen der Eingeborenen und den von diesen ausgestreuten Hypothesen. In seinem ersten Briefe über Aegypten[58] p. 12 sagt der Verfasser, nachdem er von der von Herodot erzählten Veränderung des Nil-Bettes bei Memphis geredet: "Au moment, oú j'écris, ce canal (das alte Wüsten-Nilbett) n'est point ignoré; on le suit à travers le désert; il passe à l'occident des lacs de Natron. Des bois pétrifiés, des antennes, débris des batiments, qui y naviguaient, en marquent encore la trace. Les Arabes ont conservé à ce canal, presque comblé, le nom de Bahr bela ma, mer[59] sans eau." Und dann noch deutlicher T. II, p. 16: "On suit encore actuellement la trace de l'ancien lit, que les Arabes norament Babr bela ma, mer sans eau. Il est parsemé dans toute sa longueur des débris des bateaux qui y naviguaient et qui sont pétrifiés. J'en ai vu rapporter au grand Caire de superbes morceaux."

Volney[60] aber, der von 1783 bis 1785 in Aegypten und Syrien reiste, meint T. I: "Je suis donc porté à croire que le cours barré par Menès était seulement une darivation nuisible à l'arrosement du Delta, et cette conjecture parait d'autant plus probable, que, malgré le témoignage d'Hérodote, cette partie de la vallée, vue des pyramides, n'offre aucun étranglement qui fasse croire à un ancien obstacle. D'ailleurs il me semble que Savary a trop pris sur lui de faire aboutir à la digue mentionnée au dessus de Memphis le grand ravin, appelé bahr-bela-ma ou fleuve sans eau, comme indiquant l'ancien lit du Nil. Tous les voyageurs cités par D'Anville, le font aboutir an Faïoume, dont il parait une suite plus naturelle[61]. Pour établir ce fait nouveau, il faudrait avoir vu les lieux; et je n'ai jamais ouï dire au Kaire, que Savary se soit avaneé plus au Sud que les pyramides de Djizé." Er fügt sodann noch als Anmerkung hinzu: "en effet, en serait plus porté, sur l'inspection de la carte, à croire que ce fut là jadis le cours da fleuve; quant aux pétrifications de mâts et de vaisseaux entiers dont parle Sicard, elles auraient bien besoin, pour être crues, d'être constatées par des voyageur plus éclairés que ce missionaire."

Obgleich Volney somit die Sache für sehr zweifelhaft hält, erscheint die Existenz eines Bahr bilâ-mâ am Ende des vorigen Jahrhunderts als so unanfechtbar, dass, als die französische Expedition unter Napoleon nach Aegypten kam, die Gelehrten derselben ein Bahr bilâ-mâ als ein "altes leeres Flussbett", als eine vollkommen ausgemachte Sache betrachteten. Berechtigt durch die Angaben jener Reisenden, gestützt auf die Lehre der damaligen Geographen, konnte Andréossy in seinem "Mémoire sur la Topographie de la vallée du fleuve sans eau" sagen: "1) Il paraît que le Nil, et plus vraisemblablement une partie des eaux de ce fleuve coulait dans l'intérieur des déserts de la Libye par les vauges de Natron et du fleuve sans eau; 2) que les eaux furent rejetées dans la vallé actuelle en expliquera peut être par là, pourquoi du temps d'Hérodôte, les eaux de l'inondation s'élevaient à quinze coudées, tandisque du temps de Moeris, elles ne s'élevaient qu'à huit et que de nos jours elles ne vont qu'à dix-huit coudées; 3) que le Nil après cette opération coula en entier le long des collines de la Libye et forma le berceau, que l'on voit dans la hasse Egypte et dans une partie de l'Egypte moyenne; que de Nil fut rejeté sur la rive droite et que cette époque précéda immédiatement la disposition régulière des sept branches du Nil et la formation des Delta. Les temoignages géologiques, qui attestent les faits précédents confirment en outre ce que nons avons dit dans le même mémoire, que les eaux du Nil ont une tendance à se porter vers l'ouest[62], tendance indiquée en Egypte comme elle l'est dans un autre pays pour tout autre point pour la topographie générale du terrain."

Wenn sich somit durch den Besuch des Natron-Thales Seitens der französischen Expedition bei General Andréossy ganz bestimmt die Ansicht befestigte von der Existenz eines verlassenen Nilbettes in der Libyschen Wüste - obschon die Expedition nie das Bahr bilâ-mâ der Länge nach abgegangen und untersucht hatte so finden wir, dass Hornemann, welcher um dieselbe Zeit Aegypten verliess, um seine Reise nach Central-Africa anzutreten, und der doch ganz unter dem Einflusse der französischen Auffassung die Topographie der Gegend betrachtet, dennoch nicht ansteht zu sagen[63]: "Wenn es noch Spuren von dem westlichen Arme des Nil gäbe, dessen die Schriftsteller des Alterthums erwähnen, so müsste man sie, denke ich, in irgend einem Theile dieser Wüste treffen. Ich entdeckte sie nicht auf dem Wege, den unsere Karavane nahm". Dann ferner: "Wenn man als ein vorzügliches Kennzeichen des Bahr beila-ma die Stücke von versteinerten Mastbäumen und von anderem Schiffsbauholz angibt, die man darin finden soll, so verdient die ganze Wüste diesen Namen. Man dürfte alsdann Bahr-bella-ma nicht "Fluss ohne Wasser', sondern man müsste es das "Meer ohne Wasser" übersetzen Wir haben oben schon hervorgehoben, dass Letzteres überhaupt die allein richtige Uebersetzung ist. - Hornemann fährt dann fort: "Dieser Name würde wirklich ganz passend für diese Wüste sein, denn der Boden gleicht vollkommen einem niedrigen Gestade, über welches die Fluthen während des Sturmes geströmt und Holz neben anderen Sachen zurückgelassen haben. Spuren von verarbeitet gewesenem Holze habe ich übrigens nirgends finden können. Das was man für Mastbäume gehalten hat, sind Stämme, die dreissig bis vierzig Fuss lang wären und in mehrere Stücke zerbrochen sind, welche noch jetzt neben einander liegen."

Die vom Major Rennell über Hornemann[64] angestellten Betrachtungen, dass die Bahr bilâ-mâa und die Natron-Thäler sich auf mehr als 40 (deutsche) geographische Meilen, nämlich nördlich bis zum mareotischen und südlich bis zum Möris-See erstreckten, haben gar keinen Werth, weil sie aus des Reisenden Beobachtungen mit Sicherheit sich nicht folgern lassen; eben so wenig ist die Behauptung Rennell's aus Hornemann's Berichten zu schliessen, "es sei ausgemacht, dass die Ausfahrt oder die Oeffnung bei Sakkara noch jetzt oberhalb des Nils sich befände."

Hornemann muss nach allen seinen Aufzeichnungen, welche er uns hinterlassen hat, als einer der zuverlässigsten Beobachter betrachtet werden; eben so unumwunden, wenn nicht noch schlagender ist die Aussage Browne's, welcher etwas früher als Andréossy, Berthollet und Fourier die Natron-Seen besuchte, und später Einsicht nahm von dem von Andréossy verfassten Mémoire. Er sagt[65]: "the shape of the valley (Natron-Thal) differs materially from the idea which I had formed of it, and which was by no means that of the bed of a river or current of water". Bei oben dieser Gelegenheit tritt Browne auch gegen die Behauptung Andréossy's auf, welcher die Seen im Natron-Thal vom Nil aus ihr Wasser erhalten lässt. Browne sagt:

"This contradicts the assertions both of the religious (in dem Natron-Thal sind Klöster der Kopten), and the peasants who procure the natron from the lakes, and who assured me, that the water rose highest after the rains of winter and was lowest after the heats of summer. They are certainly in part supplied by springs but otherwise this account is sufficiently conformable to my own observation."

Browne fährt sodann aus, dass falls Andréossy annähme, die Natron-Seen würden vom Nil aus gespeist, durch unterirdische Abflüsse, man auch annehmen müsse, dass die Oasen der Libyschen Wüste auf diese Weise ihr Wasser bekämen, was ihm aber, da sie durch Räume von 30-40 Miles vom Nil getrennt wären, nicht glaubwürdig erscheine. Indess ist hier Browne offenbar im Unrecht, der geringe Regenfall in Aegypten und in der Libyschen Wüste kann unmöglich die Quellen in den Oasen und die Seen im Natron-Thal speisen, und es ist auch ganz einerlei, ob die Fülle der Quellen vor, mit oder nach dem Steigen des Nils eintritt, da die Durchsickerung oder die Wasserzufuhr nicht aus den Orten, die auf der Landkarte sich etwa auf denselben Breitengraden des Nils befinden, zu kommen braucht.

Trotzdem Browne und Hornemann ein bahr bilâ-mâ nicht finden konnten, siegte doch die Meinung d'Anville's immer mehr. Auch Rennell sprach sich dafür aus, und Andréossy erhob die Vermuthung eines ehemals vollen, jetzt leeren Flussbettes zu einer unumstösslichen Gewissheit. Ritter[66] selbst führt nicht nur Andréossy, Berthollet Fourier und Redouté an, um die Existenz eines Bahr bilâ-mâ nachzuweisen, sondern sagt auch: "die arabischen Geographen[67] nennen dort hinwärts ein trocknes Thal Libyens den Bahr belâ mâ, d.h. Fluss ohne Wasser, die einheimischen Araber aber den Bahr el farigh, d.h. den leeren Fluss". So bekam die Existenz des bahr bilâ-mâ durch Ritter eine neue noch höhere Weihe.

Sehen wir uns nun aber um, wie sich die neueren Wüstenreisenden über diesen Gegenstand aussprechen, so finden wir, dass Cailliaud bei seiner Reise vom Fayum nach Siuah und von hier nach Uah-el-Beharieh etc. eines bahr bilâ-mâ nicht erwähnt; auch nicht bei der Oertlichkeit Qarah el amrah, wo er verweilte und die Karten doch ein bahr bilâ-mâ verzeichnen. Cailliaud spricht sich an keiner einzigen Stelle, weder für noch gegen die Existenz eines bahr bilâ-mâ aus. Nur ganz en passant erwähnt er beim Verlassen des Fayum, dass die von Hornemann erwähnte Wüste mit dem versteinerten Holze sich weiter nördlich befände.

Nicht so Belzoni. Dieser Reisende, welcher von 1815 bis 1819 in Africa war und vom Fayum aus bis Rejen el Cassar dieselbe Route verfolgte, welche kurz vor ihm Cailliaud genommen hatte, dann aber abbog und statt nach Siuah nach Uah el Beharieh ging, und zwei Tagemärsche später eine Oertlichkeit Behar-bela-ma genannt, erreichte, welche nach ihm "all the appearance of water having been in it" hatte. Belzoni will sogar Wasserzeichen an den Ufern und Inseln (Zungen) bemerkt haben, welche Wassermarken selbstverständlich wohl nichts anderes gewesen sind, als verschieden gefärbte Schichten im Kalkfelsen.

Der französische General-Konsul Drovetti, welcher 1820 durch die Wüste Libyens reiste, auch Dachel besuchte und durch die dort bahr bilâ-mâ genannte Oertlichkeit kam, trug auch dazu bei, den Glauben an das Bett eines ehemaligen westlich geflossenen Nil zu bekräftigen, obschon weder Cailliaud noch auch Edmonstone[68] es der Mühe werth erachtet hatten, dies bahr bilâ-mâ in Dachel zu erwähnen. Als immerhin bemerkenswerth glauben wir aber hervorheben zu müssen, dass auf der von Somard 1822 publicirten Karte zu Drovetti's Reisen ein bahr bilâ-mâ nicht eingetragen worden ist.

Eine bedeutende Stütze finden die Verfechter der Theorie eines bahr bilâ-mâ in General-Konsul Minutoli, welcher auf seiner Rückreise von Siuah in das von Andréossy beschriebene bahr bilâ-mâ kam, dessen Bett er mit seiner Expedition in schräger Richtung von Südwest nach Nordost durchschnitt. Aber der Länge nach hat also auch Minutoli das bahr bilâ-mâ nicht durchzogen und erforscht. Er sagt darüber[69]: "Ausser beträchtlichen Lagern des schon erwähnten versteinerten Holzes findet man auf dem Abhange des Thales gerollten Quarz, Silax, Jaspis, Gyps und andere unverkennbare Spuren, die auf eine frühere Wasserströmung deuten." Minutoli meint dann fernerhin, dass bei ungewöhnlich hohem Wasserstand des Nils das Wasser des Möris-Sees sich durch das bahr bilâ-mâ entladen habe, und stützt sich dabei auf Herodot II. 150: "noch sagten mir die Eingeborenen, dass dieser See sich in die Libysche Wüste ergiesse, indem er sich unter der Erde längs dem Gebirge etc." Man kann nicht leugnen, dass dieser Ausspruch des Herodot sehr verführerisch klingt, zumal angesichts der südlich vom Libyschen Küsten-Plateau sich entlang ziehenden Depression; aber da wir vor der Thatsache stehen, dass östlich von Siuah die Depression nicht mehr existirt, dass dort alle Formationen von fluvialer Bildung fehlen, so können wir auch hierin keine Bestätigung der Existenz eines alten Flussbettes erblicken.

Und wenn gleich darauf Minutoli hinzufügt: "hat aber wirklich ein Arm des Nils sich hier ergossen, so muss dieser durch das bahr bilâ-mâ beim Vorgebirge Lubba vorbei sich in den mareotischen See oder in die Schlucht bei dem Brunnen el Hammam in's Mittelländische Meer entladen haben, während eine Verzweigung desselben Armes in das Thal von Mogara einen Abfluss fand und nach el Gara hin sich verlor", so muss man dagegen die Thatsache im Auge behalten, dass im bahr bilâ-mâ noch Niemand Nil-Schlamm oder flaviale Bildung gefunden hat. Man muss festhalten, dass eine von Bir Hammam ausgehende und nach dem Mittelmeer sich erstreckende Schlucht nicht existirt, sondern von Alexandria an bis zur Cyrenaïka das ganze Ufer ein einziges und zusammenhängendes Kalkgerüst ist, und dass auch westlich von Mogara nach el Gara zu hoher und massiver Felsboden sich befindet.

Als kurze Zeit nach Minutoli Ehrenberg von Norden her nach der Oase des Jupiter Ammon kam und von dieser sodann direct nach dem Nil-Thal zurückkehrte, spricht er zwar von einem bahr bilâ-mâ nirgends, aber auf der seiner Reisebeschreibung beigegebenen Karte verläuft ein solches und mündet in's Mittelmeer. Auf der Karte steht: "die Thäler (d.h. Bahr bilâ-mâ) münden nicht in's Meer, sondern sind durch Dünen-Hügel ganz verschlossen". Hieraus erhellt ganz klar, dass Ehrenberg der Ansicht war, das leere Flussbett habe einst sich in's Meer ergossen. Es ist das aber wie gesägt unmöglich, da der Abschluss am Mittelmeer nicht aus Sand oder Dünenhügeln besteht, sondern die Wüste von demselben durch eine compacte Kalkmasse, das sog. Libysche Küsten-Plateau, abgetrennt ist.

Spätere Reisende, wie Hoskins[70], Edmonstone, Hamilton, St. John und Brugsch, nehmen keine Notiz vom bahr bilâ-mâ; aber das "leere Flussbett" im Westen der Libyschen Wüste, ja, die Annahme, dass ehemals im Westen der Nil geflossen, war auch längst unumstössliche Thatsache geworden. Die besseren und besten Geographen, Ritter voran, brechen nach dem Vorbilde d'Anville's eine Lanze für die Existenz eines "leeren Flussbettes". So sehen wir auch ein solches auf der Karte von Lange zu Barth's Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres verzeichnet. Heinrich Barth aber, der von Cyrenaïka an bis Alexandria längs des Meeres reiste, berichtet nirgends von einer Mündung oder einem ehemaligen Ausfluss; auch ist auf der Karte die Begrenzung des Meeres nur durch Gebirgsformation angegeben.

Sehen wir jetzt aber, in wie fern die bihâr bilâ-mâ als leere Meeres- oder Seebecken, um nicht den Ausdruck "leere Flussbetten" zu gebrauchen, in der Libyschen Wüste noch existenzberechtigt sind, und ob es nicht am besten ist, uns darauf zu beschränken, den arabischen Namen als unpassend, aber eingebürgert für die Oertlichkeit festzuhalten. Hierbei können wir die 1862 erschienene zehnblätterige Karte[71], Blatt II, von Petermann und Hassenstein zu Grunde legen, weil auf dieser Karte von allen über die Libysche Wüste herausgegebenen Aufzeichnungen, welche von unserer Expedition vorgenommen sind, die verschiedenen bihâr bilâ-mâ am detaillirtesten verzeichnet stehen. Und wenn wir nun ein bahr bilâ-mâ nach dem anderen vornehmen, so ergibt sich:

1. Das bahr bilâ-mâ in Dachel selbst ist als "leeres Flussbett" nicht mehr zu betrachten. Dies als "leeres Flussbett" durch Drovetti zuerst eingeführte bahr bilâ-mâ verlangt Berechtigung der Existenz nur noch als ein eingebürgerter Name, und auch nur noch in so fern, als dieser der Beschaffenheit der Lokalität nach ganz unzukömmliche Name bahr bilâ-mâ einmal von der dortigen Bewohnerschaft adoptirt ist. Das haben wir aus eigener Anschauung und Untersuchung während unserer Expedition constatiren können. Es ist dort nichts zu finden, als eine muldenförmige Einsenkung, in welcher vielleicht eine Wasseransammlung hätte sein können. Zittel in seinen "Libysche Briefe", p. 85, sagt ausdrücklich: "das vielgenannte bahr bilâ-mâ (in Dachel) schrumpft auf ein Thälchen am Nordwestrande von Dachel zusammen." Jeder Gedanke an ein "leeres Flussbett" muss von nun an immer ausgeschlossen bleiben. Wir haben hier einen Namen, schlecht gewählt allerdings, welcher aber einmal eingebürgert ist.

2. Das bahr bilâ-mâ, welches, als vermuthlicher Lauf des bahr bilâ-mâ nordwärts von Dachel ausgehend, sich in Nordrichtung bis nach dem Belzoni-Pacho'schen bahr bilâ-mâ hinzieht, ist absolut nicht vorhanden. Es existirt in der Einbildungskraft der Kartographen; man hat damit die weissen Flecke der sonst so leeren Karte der Lybischen Wüste schmücken wollen. Das ganze Plateau zwischen dem Nilthal einerseits und den Uali-Oasen andererseits besteht aus einer zusammenhängenden Kalksteinmasse. Nirgends stiessen wir, weder zwischen Silut und Farafrah, noch zwischen Chargeh-Esneh auf ein grösseres Thal, aus welchem man die Berechtigung hätte herleiten können, auf ein ehemaliges Flussbett zu schliessen. Zittel, gewiss competent in Beurtheilung dieser Frage, sagt in seinen eben angeführten "Libyschen Briefen" p. 84, über ein ehemaliges westliches Nil-Bett: "Man hat bisher angenommen, dass der Nil in vorhistorischer Zeit einen westlichen Arm durch die Wüste, oder doch durch die jetzigen Oasen entsendet habe, und auf allen geographischen Karten findet sich dieses ehemalige Flussbett mit grösserer oder geringerer Bestimmtheit eingetragen. Der Nachweis von der Nichtexistenz dieses problematischen Nils gehört sicherlich zu den wichtigsten Resultaten unserer Expedition."

3. Das bahr bilâ-mâ, welches auf der Zehnblatt-Karte zwischen der Oase Siuah und Uah el Baharieh verzeichnet ist als "leeres Flussbett", muss ebenfalls von den Karten als solches verschwinden. Professor Jordan, welcher diesen Theil der Wüste eigens zu diesem Zweck bereist hat und eingebend untersuchte, sagt darüber[72]: "Zwei Tagereisen westlich von Baharieh, auf der Strasse von Siuah, stösst man auf eine 31/2 Stunden lange und etwa eine Stunde breite Einsenkung von 20-30 Meter Tiefe, ganz von derselben Art, wie solche mehrfach zwischen Sinah und Ssittrah vorkommen. Der Boden ist mit Nummulithen bedeckt. Diese Einsenkung führt den Namen bahr bilâ-mâ kebir (grosser See ohne Wasser), und östlich da von ist eine zweite Einsenkung von sehr geringer Tiefe, deren Name bahr bilâ-mâ serir (kleiner See ohne Wasser) ist. Dass diese zwei Einsenkungen nicht Theile eines verlassenen Flussbettes sind, zeigt ihr Anblick zur Genüge." Also auch dies bahr bilâ-mâ darf höchstens als ein allerdings unpassender Name auf den Karten beibehalten werden.

4. Haben wir sodann das wichtigste bahr bilâ-mâ in den Kreis dieser Betrachtung zu ziehen, mit dessen Existenz sämmtliche Geographen den Begriff eines vorgeschichtlichen westlichen Nil-Arms mit verknüpft haben. Dies bahr bilâ-mâ ist durch einen Sandrücken von den Natron-Seen geschieden: Von der französischen Expedition besucht, aber nicht erforscht, wurde dies bahr bilâ-mâ auch von Hornemann durchschnitten und nach ihm von vielen anderen Reisenden. Das Ziel von Reisenden ist es nie gewesen, obschon es so zu sagen vor den Thoren von Cairo liegt. Und doch wurde speciell mit diesem bahr bilâ-mâ, welches man von Fayum nach dem Mittelmeer auf den Karten verlaufen liess, die Vorstellung eines ehemaligen Nil-Laufs verknüpft, als ob sich das ganz von selbst verstände.

Es soll hier aber nicht unerwähnt bleiben, dass trotz d'Anville, Ritter u. a. auch schon in älterer Zeit Gegner sich erhoben. Der ausgezeichnete Reisende Oliver z.B., der zweifelsohne mit den Mitgliedern der grossen französischen Expedition persönlichen Verkehr- und Gedankenaustausch über diesen Gegenstand gehabt hatte, sagt p. 263 der deutschen von Ehrmann und Sprengel herausgegebenen Uebersetzung[73]: "Jetzt ist uns nur noch die Untersuchung übrig, ob der Nil in der Arabischen (d.h. Libyschen) Wüste durch den bahar bela mé oder den Fluss ohne Wasser fliessen konnte, wie dieses einige neuere Reisende geglaubt zu haben scheinen. Savary, welcher den Sinn Herodot's umändert, glaubt, dass der Nil längs durch die Libysche Bergkette südlich von Memphis hinflösse, sich in Libyen verbreite und in den Arabischen Meerbusen (?) ergösse. Aber Herodot sagt ja ganz bestimmt, dass der Nil längs der Libyschen Bergkette hingeflossen sei, ehe Menes seinen Lauf geändert und in einer gleich grossen Entfernung zwischen dem africanischen und arabischen Ufer hingeleitet hätte. Und in der That, wenn man nur die Libysche Bergkette gesehen hat, so wird man überzeugt sein, dass nie ein Fluss hindurchfliessen konnte. Denn in einer sehr frühen Epoche, und zu einer Zeit, wo das Delta noch nicht vorhanden war, musste auch das Bett viel tiefer sein, als es jetzt ist. Wenn er nun übrigens quer durch die Libysche Bergkette geflossen wäre, so müsste man doch an irgend einer Stelle eine Zerreissung oder eine Spalte bemerken, durch welche das Wasser gehen konnte. Wenn der Nil durch den bahat bela mé gegangen wäre, so hätte diess nirgends anders Statt finden können, als durch Fayum, wie der Bürger Andréossy muthmasset. Die Franzosen, welche diese Gegend untersuchten, würden vielleicht bemerkt haben, ob der Boden in dieser Provinz einige Anzeichen von irgend einem Laufe des Wassers wahrnehmen liesse."

Nachdem Olivier sich sodann des Weiteren über den Schlamm und Absatz ausgesprochen, welchen der Nil im bahr bilâ-mâ oder auch im Thale der Natron-Seen zurückgelassen haben müsste, sagt er: "Wenn aber nun der bahar bela mé heutzutage keine aus einem Bodensatz erzeugte Erde, welche der in Aegypten entspricht, zeigt und wenn man auf dem Grund des Arabischen (?) Meerbusens nur Fels und Sand antrifft, so können wir kühn behaupten, dass der Nil, ungeachtet der Benennung des Flusses ohne Wasser nie durch diese Gegenden geflossen ist."

Es ist auffallend genug, dass Oliver's Stimme damals vollkommen unbeachtet blieb.

Wir haben aber mittlerweile über dies letzte bahr bilâ-mâ, welches wir unter Nr. 4 erwähnten, sicheren Aufschluss durch Herrn Prof. Dr. Ascherson erhalten. Ueber seine nach der kleinen Oase unternommene Expedition sagt derselbe S. 63 der "Mittheilungen der geographischen Gesellschaft in Hamburg" (1876-77): "Am 30. März Nachmittags 3 Uhr erreichten wir die Hattîet-el-talhah, nach einem stundenweit sichtbaren, wohl 10 Meter hohen Baum der Talch-Akazie so benannt, der in dieser bis dahin völlig vegetationslosen Einöde um so mehr überrascht. Eine Stunde später standen wir unvorbereitet am Rande des viel besprochenen Bachr-belâ-mâ (nach der Aussprache meines Führers Behar belâme). Selbstverständlich erwartete ich nicht ein wirkliches Flussbett zu finden, war aber doch überrascht, dass der wirkliche Befund Belzoni's Schilderung auch nicht im Entferntesten entsprach. Statt in ein lang gedehntes Uadi, stieg ich mit geringem Niveauunterschied (etwa 20 m) in ein neues Charaschaf hinab, gleichsam in ein mit zahllosen Felseninseln besäetes Seebecken, dessen Grenzen, da nirgends eine freie Uebersicht möglich war, mir unklar blieben, das sich aber jedenfalls an beiden Seiten des Weges weithin erstreckt. Die von Belzoni entdeckten "Wasserstandspuren" erwiesen sich als eine bis in gleichförmiges Höhe verbreitete Decke von dunklem Kiese. Ich muss bemerken, dass wegkundige Bewohner der Oase mit aller Bestimmtheit versicherten, dass die Behar belâ-mâ, welche mehrfach an den nach Osten, Norden und Nordwesten von der Oase ausgehenden Strassen erwähnt werden, unter einander und mit der Einsenkung der Oase keineswegs in Verbindung stehen." Herr Professor Dr. Ascherson brauchte vier Stunden, um das bahr bilâ-mâ zu durchziehen.

Aus der ganzen vorstehenden Auseinandersetzung ergiebt sich aber deutlich, dass die "leeren Flussbetten" als solche von den Karten verschwinden müssten; es giebt in diesem Theile der Libyschen Wüste keine wirklichen bihâr bilâ-mâ. Auch das bahr bilâ-mâ von Hoskins ist kein "leeres Flussbett." Die, unter l. 2. 3. und 4. namhaft gemachten bihir bilâ-mâ haben aber in so fern ein Anrecht, auf den Karten fortgeführt zu werden, als auf dem ohnedies so leeren Raum der Topographie der Libyschen Wüste eine Oertlichkeit damit bezeichnet wird. Aber auch nur desshalb, nicht etwa als ob man mit dem Namen die Vorstellung eines ehemaligen Seebeckens oder gar eines "leeren Flussbettes" zu verbinden hätte.

[50] Das Wort Báher rechnet die semitische Grammatik zu den sogenannten Segolat-Formen, in welchen die drei Radikale nur einen Vokal haben. Im syro-ägyptischen Dialekt liegt dieser Vokal (hier ein a) ausnahmslos zwischen dem ersten und zweiten Radikal, so dass das Wort bâhar und bâher lautet. Dagegen bei den Beduinen der Halbinsel Arabiens und den von dorther eingewanderten Stämmen Libyens und Mauritaniens ist es Regel, diesen Vokal zwischen den zweiten und dritten Radikal zu setzen, wenn der zweite ein Guttural ist, so dass das Wort bei ihnen b'hâr oder bëhár lautet, da solche Bildungen in der modernen Poesie den Werth eines Jambus haben. Wetzstein.

[51] Wörtlich nach gütiger Mittheilung von Wetzstein.

[52] Ihn Batutah, der grosse arabische Reisende, sagt zwar ausdrücklich: Kein anderer Fluss hat den Namen Bahr. Voyages d'Ibn Batoutah, Tome I, p. 77.

[53] Unter echten Depressionen sind die zu verstehen, welche tiefer gelegen sind als der Ocean, während unechte solche sind, welche nur Einsenkungen bilden bezüglich der sie umgebenden Erdformationen. Siuah Z.B. ist eine echte, Dachel eine unechte Depression; oder man könnte auch sagen, Siuah ist eine absolute, Dachel eine relative Depression

[54] Deutsche Uebersetzung von Schöll und Köhler.

[55] Von Dapper, der die ausführlichste Beschreibung von Africa giebt, wird ein Bahr bilâ-mâ nicht genannt. Dapper's Africa ist von 1671.

[56] Es steht mir nur die aus dem Englischen nach der zweiten Auflage gemachte französische Uebersetzung, welche bei Costard in Paris erschien und 1772 herauskam, zu Gebote.

[57] Hier ist das Wort wenigstens richtig übersetzt.

[58] Lettres sur l'Egypte, Paris 1785.

[59] Auch richtig übersetzt.

[60] Voyage en Syrie et en Egypte par Volney. 2. Vol. Paris, an VII.

[61] Auf der Volney's Buche hergegebenen Karte ist vom Fayum bis zum mareotischen See ein wunderhübsches Thal eingetragen.

[62] Die hier ausgesprochene Ansicht Andréossy's, die Gewässer des Nils hätten eine Tendenz, sich nach Westen zu richten, also links zu drängen, ist durch Nichts gerechtfertigt. Im Gegentheil! Ohne die Vertheidigung des Baer'schen Stromgesetzes übernehmen zu wollen, belehrt mich ein Blick auf die Karte, dass der Nil, sobald er bei Edfu ein breiteres Thal erreicht, nach rechts drängt und das Ost-ufer bespült. Und so bleibt es überall, bis er nördlich von Cairo aus der Gebirgsspalte heraustritt. Hinzufügen kann man noch, dass die Bukolische, östliche Verästelung mehr Wasser dem Mittelmeer zuführt, als die westliche Bolbinitische.

[63] Fr. Hornemann's Tagebuch, herausgegeben von König, Weimar 1802, s. 12.

[64] Hornemann, herausgegeben von König, Weimar 1802, S. 164.

[65] Browne, Travels, London 1806, p. 46.

[66] Die Erdkunde im Verhältniss zur Natur etc., 1. Bd. Africa, von Carl Ritter. Berlin 1822, S. 860 u. f.

[67] Diess ist, wie wir oben ausgeführt haben, gar nicht der Fall.

[68] Siehe Edmonstone, a journey etc. London 1822, p. 40 etc.

[69] Minutoli, herausgegeben von Tölken, Berlin 1824, S. 190.

[70] Hoskins in seinen Travels in Ethiopia, London 1835, erwähnt bei Durchkreuzung der Wüste eines Bahr bela ma und richtig übersetzend sagt er p. 20: "and encamped behind a small hill at the cominencement of a large plain called Atmoor bahr bela ma, that is, the sea without water."

[71] Ergänzungsband Nr. II. der Petermann'schen Mittheilungen.

[72] Petermann's Mittheilungen 1875, S. 212.

[73] Guillaume Antoine Olivier, französischer Entomolog, geb. am 19. Januar 1756 zu Les ares bei Frejus, bereiste während der Schreckenszeit den Orient und Aegypten; sein Voyage dans l'empire ottoman, Egypte et la Perse erschien in Paris 1798.


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