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7. Eintritt in marokkanische Dienste.

Ich blieb nicht lange in Uesan, trotzdem "Sidi" wollte, ich sollte ganz bei ihm bleiben; als er dann aber mich fest zum Weitergehen entschlossen sah, stellte er auf liebenswürdige Art ein Maulthier zur Disposition, und empfahl mich einem Kaufmann aus Uesan, der ebenfalls nach Fes reisen wollte. Abends vorher, ehe ich Uesan verliess, musste ich im Hause dieses Kaufmanns zubringen, um die Zeit nicht zu verschlafen; der Hadj Hammed, so heisst der Mann, war ein grosser Freund von Musik und hatte als Abschiedsfest verschiedene Freunde geladen, die auch alle musikalisch waren. Man kann sagen, dass eine Art Soirée musicale abgehalten wurde, denn Hadj Kassem, ein alter graubärtiger Musikus aus L'xor, berühmt in Marokko wegen seiner Spielfertigkeit auf dem Alut, wie Liszt bei uns auf dem Klavier, war auch zugegen, andererseits war sein Schüler, ein Neger Ssalem, ein fast ebenso bedeutender Künstler auf der Violine wie weiland Paganini, auch anwesend. Man denke aber ja nicht in Marokko an Flügel, Klaviere, Harmonium oder dergleichen, denn wenn auch Sidi sich solche Instrumente hatte kommen lassen, wenn auch beim Sultan dergleichen zu finden sein mochten, so kennt das Volk sie nicht. Ich glaube kaum, dass das marokkanische Volk für unsere Musik Verständniss haben würde; wenn es musikalisch denken könnte, wenn es überhaupt ein Urtheil abgeben könnte, würde es vielleicht unsere Musik mit "Zukunftsmusik" bezeichnen.

Ich konnte an dem Abend sämmtliche Instrumente, deren sich die Marokkaner bedienen, kennen lernen. Eingebürgert von europäischen Instrumenten hat man Guitarre, Violine und Violoncell, welch letzteres in Marokko als Bass dient. Ausser diesen hat man ähnliche abenteuerlicher Art, und im Lande selbst angefertigte Instrumente![77] Da ist das Saiteninstrument "Alut", eine Art Guitarre, nur mit gewölbtem Boden, es hat auf den vier Saiten die Laute g, e, a, d. Da ist ein Streichinstrument mit zwei Saiten, "Erbab", genannt, von dem der Hals auch hohl und resonirend ist, es hat die Grundlaute d, a; der Fiedelbogen dazu besteht aus einem Bogen so gross wie eine Hand, und die Streiche dazwischen haben nur eine Spannung von etwa 4 bis 5 Zoll. Endlich hat man noch eine grössere Art "Kuitra" mit drei Saiten, dem Cello entsprechend, mit den Tönen d, h, g. Als Blasinstrumente besitzen die Marokkaner das "Schebab", eine kurze Flöte mit verschiedenen Löchern; die "Rheita", ein kleines Instrument mit clarinetartigen Tönen, endlich eine grosse Posaune, "El-Bamut" genannt. Trommeln verschiedener Form und Grösse, Schellen u. dgl. vervollständigen die Liste der Instrumente. Dass ein Unterschied in der Anwendung der Instrumente Seitens der Araber, Juden und Neger bestände, wie Höst bemerkt haben will, ist mir nie aufgefallen. Von allen Instrumenten ist die "Rheita" allein das, welches einen angenehmen Ton hervorbringt. Unsere europäischen Instrumente, Violine, Guitarre u. s. w. werden von ihnen auf ohrzerreissende Art behandelt. Das eigentliche Nationalinstrument der Marokkaner ist aber die "Gimbri", ein kleines zweisaitiges Instrument, eine Guitarre oder Violine im Kleinen. Der Resonanzkasten ist gemeiniglich nicht grösser als 4 oder 5 Zoll Durchmesser, irgend eine trockne Kürbisschale oder auch ein aus Holz geschnitztes Becken ist gut dazu, ein Stück dünnes Leder oder Pergament wird darüber gespannt, ein Stiel daran befestigt und die Saiten aufgezogen. Jeder verfertigt es selbst, meist ist e und a Grundton. Die "Gimbri" wird nicht gestrichen, aber auch nicht einfach mit den Fingern geknipst, sondern man bedient sich dazu eines Hölzchens, wie bei uns es die Klavierstimmer haben, um über die Saiten dieses Instrumentes zu fahren. Bei grösseren Concerten findet übrigens die Gimbri keine Anwendung.

Wenn uns nun aber auch Alles wie Katzenmusik vorkommt, so muss man doch keineswegs glauben, dass die Marokkaner ganz ohne musikalisches Gefühl sind, nur sind eben ihre Empfindungen für Musik anders als unsere. Was für uns Harmonie und Consonanz ist, hören sie als Dissonanz, ohne aber deshalb in ihrer eignen Musik gewisser Regeln zu entbehren.

Der Abend ging angenehm hin; hatte ich auch keinen musikalischen Genuss, so war doch Alles neu. Mit dem Spielen der Stücke war immer Gesang verbunden. Und auffallend war es mir, dass je mehr Jemand näselte oder Fisteltöne hervorbrachte, er desto mehr bewundert wurde.

Früh am andern Morgen wurde aufgesessen, ich ritt ein gutes Maulthier. Wie Spanien ist Marokko das Land der Maulthiere, die meist braun oder grau von Farbe sind. Die guten Maulthiere sind theurer als die guten Pferde, aber nicht so theuer wie die besten Pferde. Man kann schon für 30 bis 40 französische (Fünffranken-) Thaler ein gutes Pferd kaufen, aber unter 60 bis 80 Thaler kein starkes gutes Maulthier bekommen. Edle Pferde, wie sie der Sultan besitzt oder vornehme Schürfa und Kaids, werden aber selbst in Marokko bis 1000 Thaler geschätzt. Dies ist die Summe, welche mir als die höchste angegeben wurde.

Zu Pferde oder Maulthier braucht man von Uesan nach Fes anderthalb Tage, aber da die Hitze jetzt immer grösser wurde, die Wege sehr schlecht waren, und weil Hadj Hammed unterwegs allerlei Geschäfte abzuschliessen hatte, brauchten wir drei Tage. Er machte Einkäufe, oder auch bekam hier ein Töpfchen mit Butter, dort einige Eier zum Geschenk, was zur Folge hatte, dass zuerst sein, dann auch mein Maulthier so beladen war, dass wir beide zu Fuss gehen mussten. Man kann sich einen Begriff von der Macht und dem Reichthum Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's machen, wenn ich anführe, dass fast alles Land bis dicht vor Fes sein persönliches Eigenthum ist. Dennoch glaube ich kaum, dass er viel baares Vermögen besitzt, da die grosse Zahl der Pilger, welche in Uesan auf liberalste Weise bewirthet werden, wieder Alles verausgaben macht.

Die ganze Gegend, welche man durchzieht, ist gebirgig und aufs reichste angebaut, Getreidefelder von Weizen und Gerste wechseln ab mit Olivenwaldungen, Gärten bestanden mit Orangen, Granaten, Aprikosen, Pfirsichen, Quitten, Mandeln, Feigen und Weinreben, lachen am Wege. Man hat zwei bedeutende Wasser zu überschreiten, den Ued Uerga, ungefähr auf halbem Wege zwischen Uesan und Fes, circa sieben Stunden von letzterer Stadt entfernt, und den Sebu. Beide waren so bedeutend angeschwollen, dass wir mit einer Fähre übersetzen mussten. Die Fähren waren ebenfalls Eigenthum des Grossscherifs von Uesan.

Abends 5 Uhr des dritten Tages waren wir endlich vor Fes, der Hauptstadt des Landes. Mich Überwältigte fast der Anblick der ausgedehnten Häusermasse, aus denen hier und da hohe Sma (Minarets) hervorragten. Wir zogen rasch durch die lange Strasse dahin und ich wurde derart zur "Mhalla", d. h. der Zeltlagerung der Soldaten geführt. Für einen Obersten der Armee, Hadj Asus, hatte ich ein Empfehlungsschreiben des Grossscherifs. Nicht nur wurde ich gut aufgenommen, sondern Hadj Asus, dessen Zeltgenosse und Gast ich bleiben musste, versprach mir schon für den folgenden Tag eine Anstellung.

Am andern Tage war grosse Revue vor dem Sultan; die ganze regelmässige Armee, circa 4000 Mann, musste in ziemlich guter Ordnung vor dem unter einem Baldachin sitzenden Sultan vorbeidefiliren; sobald eine Abtheilung in unmittelbare Nähe des Sultans kam, riefen sämmtliche Soldaten "Allali ibark amar Sidna", "der Herr segne die Seele unseres gnädigen Herrn". Die Anführer selbst präsentirten die Säbel, prosternirten sich und küssten den Boden. Sobald die Abtheilung des Hadj Asus herankam, defilirt und gerufen, und dann Hadj Asus seinen Gruss verrichtet hatte, wurde er in die Nähe des unbeweglich dasitzenden Sultans gerufen. Ursache war, dass ich mich seinem Zuge angeschlossen hatte, und mit Offizieren und Soldaten den Parademarsch mitmachte. Natürlich musste meine Erscheinung Aufsehen erregen, denn ich hatte einen ziemlich langen schwarzen Ueberrock an, der bis auf die Kniee reichte, darunter guckte die Unterhose kaum hervor, gelbe, recht abgenutzte Pantoffeln und ein rother Fes, das war meine übrige Bekleidung. Hadj Asus kam freudestrahlend zurück.

Der Sultan hatte sich in der That über meine Persönlichkeit informirt; Hadj Asus hatte ihm gesagt, ich sei zum Islam übergetreten, habe vom Grossscherif eine Empfehlung gebracht und wünsche in die Armee als Arzt einzutreten: ein "Achiar" (Fi el cheir, d. h. das ist gut) war die Antwort des Sultans gewesen, und Hadj Asus war den ganzen Tag über ausser sich über das Glück, vom Sultan angeredet worden zu sein.

Nach der Parade wurde ich sodann dem Kriegsminister vorgestellt, einem Schwarzen, Si Abd-Allah genannt, der besondere Meldungen unter einem schirmartigen Zelte sitzend entgegennahm. Er war sehr zufriedengestellt über meine Antworten und sagte, dass ich am folgenden Tage meine Anstellung zu erwarten habe. Am folgenden Tage wurde ich denn auch benachrichtigt, ich sei zum obersten Arzte der ganzen Armee seiner Majestät ernannt.

Als Obliegenheit wurde mir bezeichnet, alle Soldaten, die sich krank meldeten, zu untersuchen und zu behandeln. Die Medicamente hatten sie von mir zu bekommen, mussten aber dafür zahlen, da mir überhaupt von der Regierung auch keine zur Disposition gestellt wurden. Mein Gehalt war täglich auf 21/2 Unzen angesetzt, ungefähr 3 bis 4 Groschen. So klein das nun auch klingt, so sind doch die Verhältnisse in Marokko derart, dass man damit recht gut existiren konnte, zumal mir volle Freiheit blieb, Privatpraxis zu treiben, wo und soviel ich wollte. Man kümmerte sich überdies nicht viel um mich. Mein Quartier hatte ich vorläufig beim Hadj Asus behalten; wenn ich aber den ganzen Tag von der "Mhalla" abwesend war, fragte Niemand danach. Ich sollte ein Pferd, Maulthiere, Diener zur Disposition erhalten, habe dieselben doch nie bekommen. Meine Nahrung hatte ich mir selbst zu beschaffen, es war das freilich meine wenigste Sorge, heute war ich Gast bei diesem, morgen bei jenem. Wenn gerade keine Hungersnoth in Marokko ist, hat ein lediger Mann dafür nicht zu sorgen.

Nach einigen Tagen liess der Baschagouverneur von Fes, Ben-Thaleb, mich rufen. Er hatte von der Ankunft eines europäischen Arztes gehört, und selbst an chronischem Asthma leidend, bat er mich ihn zu behandeln, zu gleicher Zeit aber auch bei ihm Wohnung zu nehmen. Ich nahm diesen Vorschlag mit Freuden an. Hadj Asus hatte nichts dagegen, dass ich beim Bascha wohnte; dieser, einer der reichsten und einflussreichsten Beamten des ganzen Kaiserreiches, hatte wohl Anspruch auf seine Rücksicht.

Um die Zeit kam denn auch Joachim Gatell, der vorhin erwähnte Spanier, der den Namen Smaël angenommen, hatte, nach Fes. Er wurde Si-Mohammed-Chodja, einem andern Commandanten der regelmässigen Truppe zugetheilt, und erhielt bald darauf ein selbstständiges Commando über die Artillerie. Später sollten wir genauer mit einander bekannt werden, als es jetzt der Fall war. Denn der Sultan hatte nach Verlauf von ungefähr vier Wochen Befehl zum Aufbruche gegeben. Es war die Zeit des Residenzwechsels gekommen und der Sultan beschloss, das Hoflager und die "Mhalla" nach Mikenes zu verlegen. Natürlich durfte ich nun auch nicht in Fes bleiben, da alle Truppen mit Ausnahme derer, welche den beiden Gouverneuren beigegeben waren, mit dem Sultan fort mussten.

Schwer würde es sein, ein richtiges Bild von diesem eigenthümlichen Ausmarsche zu entwerfen. Alles lief bunt durcheinander. Da waren die sogenannten regelmässigen Soldaten, in Begleitung ihrer Weiber (fast jeder Soldat ist verheirathet), Kinder und Sklaven. Kaufleute drängten sich dazwischen, hier bot einer Brod feil, hier Zwiebeln, dort hatte ein anderer ein Brettchen mit verschiedenen Fächern und Schachteln darauf; eine ambulante Gewürzkrambude, Zimmt, Pfeffer, Nelken u. dgl. war da zu haben. Hier bot einer Fleisch, dort Fische feil. Und da kam der Sultan selbst daher, ein grosser glänzender Haufe, die Minister, die höchsten Beamten des Landes umgaben ihn, ein langer, langer Tross beladener Maulthiere und Kameele folgte. Dann der Harem, über hundert Frauen und junge Mädchen, dicht verschleiert auf Maulthieren daherreitend, diese allein eine geschlossene Masse bildend, denn auf schnellen Pferden hielten die Eunuchen diese Lieblingsweiber des Herrschers zusammen. Es war dies gewissermassen der ambulante Harem des Sultans, die schönsten, jüngsten und fettesten Frauenzimmer der vier Harems von Fes, Mikenes, Arbat und Maraksch, meist Kinder von 12 bis 15 Jahren. Endlich kam die grosse Abtheilung der Maghaseni, der unregelmässigen jedoch besoldeten Cavallerie; es mochten wohl 10000 Pferde zugegen sein. Man denke sich nun diesen Menschen- und Thierknäuel ohne Ordnung und einheitliche Leitung in Bewegung, der eine schnell, der andere langsam, der hier marschirend, der dort, dieser hier laufend, jener langsam seinen Weg fortsetzend, wie ein Jeder es eben für gut fand.

Als wir, ich befand mich unter den Ersten, Mikenes erreichten, war der ganze Weg zwischen Fes und Mikenes noch mit Menschen und Thieren überschwemmt, denn als die ersteren in letzterer Stadt eintrafen, waren noch lange nicht alle von Fes aufgebrochen. Zwei Tage dauerte es, bis die ganze Armee, vielleicht in allem etwa 40,000 Menschen, eingetroffen waren, und das Terrain zwischen beiden Städten ist derart eben und schön, derart ohne alle Hindernisse, dass man fortwährend mit mehreren Armeen, fast möchte ich sagen im Frontmarsche von einer Stadt zur andern marschiren kann. Die Armee lagerte an der Aussenseite der Stadt, der Sultan selbst bezog sein Palais.

Was mich anbetrifft, gebunden, da zu sein, wo die Armee ist, hatte ich andererseits Freiheit genug, wohnen zu können wo ich wollte, und miethete deshalb in einem Funduk der Stadt ein Zimmer zum Wohnen, während ich andererseits ein "Hanut", Bude, in der belebtesten Strasse in Gemeinschaft mit einem Franzosen, Namens Abd-Allah bezog. Ich prakticirte oder hielt ein Polyclinicum ab. Meine Medicamente bestanden wie die der marokkanischen Aerzte aus einem grossen Kohlenbecken, mit Eisenstäben zum Weissglühen, aus grossen Töpfen mit Salben, Kampheröl, Brechpulver, Abführungsmitteln und verschiedenen unschädlichen gefärbten Mehlpulversorten für Hypochonder und hysterische Kranke. Und was nie und nirgends in Marokko gesehen war: ich hatte ein grosses Aushängeschild; darauf hatte Smaël (Joachim Gatell) mit grossen und schönen Buchstaben gemalt: "Mustafa nemsaui tobib na djrahti", d. h. Mustafa der Deutsche, Arzt und Wundarzt. Es ist kaum zu glauben, welch Aufsehen es erregte in einem Lande, wo die Annoncen, Anzeigen, Aushängeschilde noch nicht etwa in der Kindheit liegen, sondern wo sie noch gar nicht geboren sind, ein solches Schild zu führen. Von Morgens früh bis Abends spät stand Jung und Alt, Vornehme und Geringe, Männer und Weiber vor der Bude, und buchstabirten (lesen kann Niemand in Marokko, aber buchstabiren können alle Städter) die langen arabischen Buchstaben, welche zwei grosse Bogen Papier einnahmen. Der Erfolg war vollständig.

Ich hatte vorhin erwähnt, dass ich mich mit einem Franzosen Namens Abd-Allah zusammengethan hatte, weil ich allein nicht die Miethe für die Bude von Anfang an zu Stande bringen konnte. Dieser Franzose, ein ehemaliger Spahisoffizier, war vor ungefähr zwanzig Jahren mit der Casse seiner Compagnie nach Marokko entflohen, hatte bei dem vorletzten Sultan Muley-Abd-er-Rahman gute Aufnahme gefunden, sein Geld (wie er selbst angab 20,000 Franken) mit liederlichen Dirnen in Saus und Braus, aber in einigen Jahren durchgebracht. Hernach hatte er sich dem Hofe angeschlossen, hatte natürlich geheirathet und lebte nun von mechanischen Fertigkeiten. So behauptete er, der Introducteur des soufflets in Marokko zu sein, und seine damalige Beschäftigung bestand darin, neue Püster anzufertigen, alte auszubessern. Von Zeit zu Zeit pflegte er nach irgend einem Hafenplatz zu gehen, von wo er sich neue Vorräthe holte. Ohne besonderes Wissen, trotzdem er darauf pochte, französischer Offizier gewesen zu sein, war er ein harmloser Mensch, was man nicht immer von den übrigen Renegaten sagen kann. Er war übrigens vollkommen durch seinen langen Aufenthalt in Marokko marokkanisirt, und liess den Rosenkranz auf ebenso scheinheilige Art und Weise durch die Finger gleiten, wie der beste Thaleb oder Faki es nur kann.

Aber sonderbar genug sah unsere Bude aus, auf der einen Seite arbeitete der Franzose Püster, auf der andern Seite quacksalberte ich, denn so muss ich, wenn ich, aufrichtig sein will, meine ärztliche Praxis in Marokko nennen.

Das ausgehängte Plakat, dann überhaupt die Ankunft eines europäischen Arztes, hatten indess viel Lärm gemacht, und der Ruf davon war bis zu den Ohren des ersten Ministers, Si-Thaib-Bu-Aschrin, gedrungen. Eines Abends kamen einige seiner Diener und ergriffen meine Hand; ich hatte kaum noch Zeit, den Franzosen Abd-Allah zu bitten, als Dolmetsch mit zu kommen, und fort ging's. Wir trafen Si-Thaib gerade beim Nachtmahl mit mehreren anderen Beamten des Hofes, die seine Gäste waren. Im äussersten Winkel des Zimmers spielten drei Musikanten auf einer Rheita, Kuitra und Erbab. Si-Thaib lud uns beide gleich ein, mit an die Maida (kleiner flacher Tisch) zu rücken, aber Abd-Allah dankte für sich und mich, und wir zogen uns, während die hohen Würdenträger von einer Schüssel zur andern übergingen, in ein Nebenzimmer zurück, und bald darauf brachten uns Sklaven die angebrochenen Schüsseln, worin allerdings noch reichliche und recht gut zubereitete Speisen sich befanden, die mir aber widerlich zu berühren waren, weil jene Würdenträger, so hoch sie nun auch in Marokko sein mögen, mit ihren kaum gewaschenen Händen darin herum gerührt hatten. Anstandshalber musste ich aber einige Bissen von jeder Schüssel nehmen, und dabei nicht vergessen, die Grossmuth Si-Thaib's und die Güte der Speisen zu preisen. Abd-Allah sagte mir dann auch, es würde sehr unschicklich gewesen sein, hätten wir die Einladung Si-Thaib's, mit ihm zu essen, angenommen, er werde aber jetzt über unsere Bescheidenheit und unser Savoir-vivre hoch erfreut sein.

Das Zimmer, worin Si-Thaib sich aufhielt, war eine sogenannte Mensa, d. h. ein Gemach im ersten Stocke. Lang, wie alle marokkanischen Zimmer, war es elegant rabblirt, d. h. durch das Zimmer zog sich ein weicher Beni-Snassen-Teppich, und der hohen ogivischen Thür gegenüber waren noch andere Teppiche auf diesem. Hierauf lagen sodann wollene Matratzen und Kissen. Mehrere Lampen von Messing, alterthümlich gestaltet, hingen von der Decke des Zimmers und auch einige silberne Leuchter mit Stearinkerzen brannten in den Nischen. Der Plafond des Zimmers war bunt bemalt, und an den Wänden desselben Arabesken in Gyps.

Als auch wir abgesessen hatten, wurden wir ins Zimmer gerufen und durften am Thee theilnehmen, der nur in kleinen aus sehr feinem Porzellan bestehenden Tässchen herumgereicht wurde. Si-Thaib hielt mir sodann seine Füsse hin und fragte mich, was Krankes daran sei. Abd-Allah, der Franzose, hatte mir vorher schon mitgetheilt, der Minister leide an Podagra, ich hatte also eine leichte Mühe, ihm seine Krankheitserscheinungen zu sagen. Dennoch befühlte ich die Füsse vorher genau, fragte nach einigen anderen Umständen, um der ganzen Sache mehr Ansehen zu geben, und als ich ihm dann schliesslich sagte, er hätte die Ministerkrankheit (mrd el uïsirat wird in Marokko das Podagra genannt), war er höchst erfreut, dass ich seiner Meinung nach aus blossen äusseren Kennzeichen seine Krankheit erkannt hatte. - Er fragte mich sodann, ob ich Anhänger der heissen oder der kalten Mittel sei (nach Meinung der Marokkaner haben die Medicamente entweder erhitzende oder abkühlende Eigenschaften), und als ich mich für die ersten erklärte, fand ich, dass ich auch darin seinen Geschmack getroffen hatte.

Si-Thaib entliess uns huldvollst und fügte beim Abschied hinzu, ich solle am andern Tage eine seiner Wohnungen beziehen, um ihn an seinem Podagra zu behandeln. Aber es sollte anders kommen, schon am folgenden Tage früh kamen Maghaseni vom Dar es Ssultan (Palast des Sultans) mit der Weisung, rasch dahin zu kommen; kaum liess man mir Zeit, die Pantoffeln anzuziehen und den Burnus umzuhängen. Dort angekommen, erklärte mir ein Beamter des Sultans, Ben Thaleb, der Gouverneur von Alt-Fes, habe an den Sultan geschrieben, ob ich nicht zurückkehren dürfe, um ihn zu behandeln, der Kaiser habe diese Bitte gewährt und ich habe auf der Stelle abzureisen. Mein Protest, nach Hause zurückkehren zu müssen, um meine Sachen zu holen, um die Medicamente mitzunehmen, um den Bekannten Lebewohl zu sagen, alles das half nichts; die Antwort war immer: "der Sultan hat gesagt, du solltest gleich abreisen, also musst du auch gleich abreisen". Ein gesatteltes Maulthier stand bereit, ein Maghaseni zu Pferde war als Begleiter da, und so musste ich fort, wie ein Packet ohne eigenen Willen. Da der Sultan befohlen hatte, selben Abends noch in Fes anzukommen, wurde scharf geritten, und vor Sonnenuntergange war die Hauptstadt erreicht und bald darauf war ich wieder beim Gouverneur der Alt-Stadt.

Ich hatte indess einen guten Tausch gemacht, Ben-Thaleb sorgte dafür, einen Dolmetsch kommen zu lassen, einen eingeborenen Algeriner Thaleb, Namens Si-Abd-Allah, der leidlich gut Französisch verstand, ich bekam eine gute Wohnung, Pferde, Maulthiere, Diener zur Disposition; Essen und der dazu gehörende Thee wurden vom Bascha geschickt, und ich hatte dafür weiter keine Verpflichtung, als mich täglich eine oder zwei Stunden mit dem Bascha zu unterhalten. Dass ich bei diesem mehrmonatlichen Aufenthalt in Fes hinlänglich Gelegenheit hatte, die Stadt kennen zu lernen, braucht wohl kaum erwähnt zu werden.

[77] Siehe Höst p. 260, der Abbildungen von verschiedenen marokkanischen Instrumenten giebt.


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