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9. Mikenes und Heimreise nach Uesan.

Ben Thaleb hatte geglaubt, auf die Dankbarkeit des Sultans rechnen zu können, der seine Thronbesteigung gewissermassen ihm zum Theil verdankte. Verschiedene Male war Ben Thaleb um seinen Abschied eingekommen, er hatte nun seit mehr als 13 Jahren der reichsten Stadt des Landes vorgestanden. Vielleicht hoch in den Fünfzigen, hoffte er seine letzten Lebensjahre ruhig in seiner Heimath, inmitten seiner treuen Berbertribe beschliessen zu können. Da starb er eines Tags, plötzlich, ohne vorher auch nur ernstlich unwohl gewesen zu sein.

Dem Sultan musste der Tod des Bascha's äusserst erwünscht sein. Er hatte gerade jetzt Kriegsentschädigung zu zahlen. Spanien verlangte für Zurückziehung der Truppen aus Tetuan 23 Millionen spanische Thaler. Woher das Geld nehmen? Den grossen Schatz, der in Mikenes sein soll, wollte oder konnte er nicht anbrechen. Wie froh musste der Sultan sein, dass Ben Thaleb in diesem Augenblick ihm den Gefallen that, zu sterben; er war somit Erbe seines ganzen baaren Vermögens geworden.

Sobald der Tod Ben Thaleb's ruchbar geworden war, kamen seine Diener Sklaven und Maghaseni vor meine Wohnung unter dem drohenden Geschrei, ich habe den Bascha vergiftet, und man müsse mich tödten. Glücklicher Weise für mich war der älteste Sohn des Bascha's da, um mich zu beschützen. Noch am Abend vorher waren wir bei seinem Vater, dem Bascha, gemeinsam zum Thee gewesen, derselbe hatte, genesen von einem leichten Unwohlsein, noch am Abend einen Ochsen, als Opfer und Geschenk an die Moschee Mulei Edris geschickt, und noch am selben Abend äusserte sich der Bascha in Gegenwart dieses Sohnes, dass Mustafa (mein angenommener Name) stets sein volles Vertrauen gehabt habe, und dass ich ihn bei seinem leichten Unwohlsein stets zur Zufriedenheit behandelt habe. "Und," fügte er hinzu, als ob er ein Vorgefühl seines nahen Todes habe, "wenn Gott mein Dasein verkürzen sollte, so beschütze Mustafa, der mein Gast gewesen ist."

Eingedenk der Worte seines Vaters, trieb Si-Hammadi (so hiess der Sohn) seine Leute auseinander, und schon nach zwei Tagen befahl er, mit ihm nach Mikenes zu reisen, zum Sultan. So sagte ich denn Fes Lebewohl, um es nie wieder zu betreten.

Si-Hammadi, von einer glänzenden Suite umgeben, dann mein Dolmetsch Si-Mustafa und ich mit unserem Tross, endlich eine Reihe von wenigstens 200, mit schweren Kisten bepackten Maulthieren und vielleicht 100 Kamelen ebenso beladen, von Maghaseni escortirt, das war unsere Karavane. Ich wusste nicht, was aus diesem gleichartig gepackten Zuge machen, seine Gepäckthiere hatte Si-Hammadi ausserdem noch, bis ich erfuhr, dass dies das vom Bascha hinterlassene Baarvermögen sei, ungefähr zwei Millionen spanische und französische Thaler. Die Summe mochte nicht übertrieben sein, in Anbetracht, dass ein Maulthier mit leichter Mühe hundert Pfund Silber = 2000 französische Thaler, ein Kamel aber ohne Beschwerde das Dreifache tragen konnte. Ohne Anhalt erreichten wir in einem Tage das nahe Mikenes.

In Mikenes angekommen, verabschiedete ich mich von Si-Hammadi und nahm im Funduk el Attarich in der Stadt Logis, ging Abends noch ins Lager hinaus, um meine militärischen Bekannten zu begrüssen, welche sich ebenso sehr wunderten, mich jetzt plötzlich wieder zu sehen, als sie vorher erstaunt gewesen waren, eines Morgens mein Hanut mit dem schönen Aushängeschild ohne Arzt zu finden, und erst später nach und nach inne wurden, ich sei auf allerhöchsten Befehl nach Fes zurückgeschickt worden.

Anderen Tages machte ich bei dem Grosswessier einen Besuch, er war schon von meiner Ankunft unterrichtet, und hatte, als ob ich selbst nichts dabei zu sagen hätte, schon Befehl gegeben, für mich Zimmer einzurichten, in einem Hause, welches neben dem seinigen lag. Ich hatte Abends vorher Ismael (Joachim Gatell) im Lager gesehen, wie kläglich er dort unter den thierischen Soldaten die Zeit verbrachte, und war daher froh, mich von der Armee fern halten zu können. Die mir von Si-Thaib zur Verfügung gestellte Wohnung war neu und geräumig und ich lud Ismael ein, dieselbe zu theilen. Da er dies Anerbieten gern annahm, hatten wir beide jetzt eine angenehme Zeit vor uns, wir konnten unsere Erlebnisse und Enttäuschungen uns mittheilen, wieder einmal europäisch denken und fehlen. So viel merkte ich wohl, dass Ismael von seiner Lage noch weniger erbaut war, wie ich, der ich fern von den marokkanischen Soldaten gelebt hatte.

Aber auch sein Unangenehmes hatte der Aufenthalt bei Si-Thaib für mich. Der erste Minister hatte nicht aus Uneigennützigkeit mir seine Wohnung angeboten, sondern nur um mich zur Hand haben, Krankenwärterdienste bei ihm zu verrichten. Jeden Mittag, wenn er vom Maghasen (Palais des Sultans und Sitz der Regierung) zurückkam, wurde ich gerufen. Ich hatte dann die unangenehme Pflicht, ihm seine kranken Füsse mit Kampherspiritus zu reiben. Nur auf diese Art glaubte er Linderung in seinen Podograschmerzen zu haben, versprach sich sogar Heilung davon. Und dies Geschäft war keineswegs ein angenehmes, beim Beginn der Operation unterhielt er mich meist über Politik, wobei er die verrücktesten Ansichten auskramte, auch Religion wurde aufgetischt, nach einer halben Stunde pflegte er zurückgelehnt auf seiner Matratze einzuschlafen. Ich durfte aber nicht etwa das Reiben einstellen, sonst erwachte er sogleich und befahl fortzufahren oft habe ich mit dieser Verrichtung zwei bis drei Stunden zubringen müssen.

Si-Hammadi, der Sohn des Bascha's von Fes, hatte dann bei Ablieferung der Gelder einen so günstigen Bericht über mich gemacht, dass ich eines durch die Botschaft überrascht wurde, ich sei zum Leibarzt des Sultans ernannt und habe von jetzt an alle Tage die Frauen des Sultans zu behandeln. Vorher beschenkte mich Si-Hammadi noch mit einem meergrünen Tuchanzug, grosse Auszeichnung als Belohnung für die Dienste bei seinem Vater.

Es kamen nun jeden Morgen zwei Maghaseni aus dem Harem, um mich zu rufen. Dort angekommen, nahm mich der Oberste der Eunuchen, Herr Kampher, in Empfang und bald darauf wurde ich in ein Vorgemach geführt, wo ich die Damen vorfand, welche sich behandeln lassen wollten. Im Anfange wollten sich die Frauen nicht entschleiern, als ich aber darauf bestand, ging Herr Kampher, der sowie einige andere Eunuchen als Herr Moschus[95], Herr Atr' urdi (Rosenessenz) etc., natürlich immer zugegen war, ins Harem zurück, meldete dies dem Sultan, kam aber dann mit dem Bescheid: "Unser Herr (Sidna) sagt, da du ja doch nur ein Rumi und eben erst übergetretener Christenhund bist, brauchen sich die Frauen deinetwegen nicht zu geniren." Somit fielen die Umschlagetücher (eigentliche Schleier werden weder in Marokko, noch sonst wo von mohammedanischen Frauen zum Verdecken des Gesichtes benutzt) und ich hatte alle Tage Gelegenheit, die Reize der Frauen des Sultans bewundern zu können. Man glaube übrigens nur nicht, dass irgendwie besondere Schönheiten im Harem wären, oder diese müssten sich nicht gezeigt haben, meistens waren es sehr junge Geschöpfe mit recht vollen Formen. Die oft kostbaren Anzüge und die vielen Schmucksachen waren mit Schmutz überladen, und in der Regel an den Kleidern irgend etwas zerrissen. Die meisten schienen nur aus Neugier zu kommen, um den "Christenhund" zu sehen. Alle aber, abgesehen von ihrem albernen und läppischen Wesen, waren recht freundlich und hätte ich nicht die Vorsicht gebraucht, Herrn Kampher zu sagen, die und die, nachdem sie zwei oder drei Mal zur Visite gekommen war, nicht wieder vorzuführen, so wäre wohl nach einiger Zeit der ganze Harem herausgekommen. Sie schienen das Krankmelden als einen angenehmen Zeitvertreib zu betrachten, eine ernstlich Kranke habe ich in der ganzen Zeit meines Aufenthaltes nicht gesehen. Ich hütete mich denn auch sehr, irgend wie selbst Medicin zu geben, obschon mir jetzt die dem Sultan von der Königin Victoria geschenkte Arzneikiste zur Verfügung stand. Ich beschränkte mich auf diätetische Anordnungen und culinarische Recepte, die oft grosse Heiterkeit hervorriefen, aber, wie mir Herr Kampher sagte, immer streng befolgt wurden, da die Marokkaner jedem Extraessen (d. h. alles was nicht Kuskussu ist) irgend eine besondere Heilkraft beilegen.

Von meinem Gehalt hatte ich seit meiner Reise nach Fes nichts mehr zu sehen bekommen, wahrscheinlich regalirte sich Hadj Asus damit, auch nach der Ernennung zum Leibarzte war von meiner Gehaltsauszahlung oder Erhöhung desselben keine Rede. Allerdings sagte mir Si-Thaib mehrere Male, ich solle nur zum Amin (Schatzmeister) des Sultans gehen, der Sultan habe Befehl gegeben, ich solle jetzt täglich 5 Unzen Silber, also ca. 8 Sgr. beziehen, ich enthielt mich aber dessen. Des Hofes war ich so müde, dass ich nur daran dachte, wie ich fortkommen könne. Ueberdies fehlte es nicht an Geld, die Grossen des Reiches glaubten alle verpflichtet zu sein, weil ich Arzt des Sultans war, sich von mir behandeln zu lassen, und irgend ein Bittsteller, der bei Si-Thaib erschien, kam sicher auch um sich von mir behandeln zu lassen. Und weil er glaubte, ich gehöre mit zum Hause des Ministers, hielt er sich verpflichtet, auch mir ein Geschenk zu machen; indem er Medicin dafür verlangte, meinte er auf diese Art zwei Fliegen mit einer Klappe zu fangen.

Ich war daher so beschäftigt, dass ich nur die Abende für mich hatte, bekam daher von Mikenes wenig zu sehen. Freitags hatte ich jedoch Zeit, eine oder die andere Moschee zu besuchen, die, welche den Namen Mulei Ismael hat, ist jetzt die berühmteste, und da der "blutdürstige Hund" Mulei Ismael längst einer der berühmtesten Heiligen von Marokko geworden ist, hat die Moschee, in der sich das Grabmal Mulei Ismaels, Mulei Sliman's, Mulei Abd-er-Rhaman's und noch anderer Sultane dieser Dynastie befindet, Asylrecht erhalten. Die Berühmtheit dieser Moschee als Asyl Verbrecher gegen das Gesetz zu schützen, scheint durch die Leichen der eben genannten Herrscher Marokko's fast eben so gross geworden zu sein, wie die der heiligen Moschee Mulei Edris Serone, und die des Mulei Edris in Fes.

Eines Tages war ich Zeuge, dass verschiedene Artilleristen, welche wegen nicht erhaltener Löhnung revoltirt hatten, in die Djemma Mulei Ismael's flüchteten. Sie blieben dort mehrere Tage, sogar während eines Freitag-Gebetes, an welchem Tage der Sultan selbst in dieser Moschee das Chotba zu hören pflegt, und erst die positive Zusage vollkommener Straflosigkeit machte sie aus ihrem Zufluchtsorte hervorkommen. Ob diese später gehalten worden ist, weiss ich nicht, glaube es aber, da dem Sultan natürlich daran liegt, die Heiligkeit des Ortes, worin seine Vorfahren begraben liegen, aufrecht zu erhalten und zu erhöhen.

Die Zahl der Einwohner wird von allen Schriftstellern über Marokko verschieden angegeben, Höst nennt über 10,000 Einwohner, Hemsö 56,000 Ew., Leo 6000 Feuerstellen, Marmol 8000 Ew., Diezo de Torres 6000 Ew., Jackson 110,000 Ew. Das Wahre dürfte auch hier in der Mitte liegen, wenn man eine ungefähre Zahl von 40,000-50,000 Seelen annimmt. Marmol, Höst und Hemsö haben das alte Silda des Ptolemaeus in Mikenes sehen wollen. Nach Walsin-Esterhazy[96] wurde Mikenes von einer Abtheilung der Znata, der Meknâca, gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts gegründet. Der eigentliche Gründer der Stadt war aber Mulei Ismael, der hier beständig residirte, und unter dem sie ihre Berühmtheit erlangte und von der Zeit eine der vier Residenzen des Reiches geblieben ist. Einige Stunden südwärts vom Abhange des Berges Mulei Edris Serone gelegen, hat die Stadt die reizendsten Gärten, die man sich denken kann. Schon Leo hebt die kernlosen (?) Granaten und wohlriechenden Quitten hervor, und dass die Stadt einen grossen Oliven-Reichthum hat, bekundet das Beiwort Meknas-el-situna, d. h. das olivenreiche. Zum Theil liegen die Gärten innerhalb der Mauer.

Das heisst die eigentliche Stadt mit der Kasbah und dem Palais des Sultans, ist durch eine sehr gut erhaltene, von hohen viereckigen Thürmen flankirte Mauer umgeben, und innerhalb dieser hohen Mauer befindet sich auch der prächtige Garten des Sultans. Dann zieht sich eine Stunde entfernt eine andere, niedrigere, an manchen Stellen zwiefache Mauer um die Stadt, um die nächsten Gärten zu schützen.

Mikenes hat fast durchweg eine Bevölkerung, die in irgend einer Beziehung zum Hofe oder zum Heere steht. Die von Hemsö angeführte und dem Leo nachgeschriebene grosse Eifersucht der Männer auf ihre Frauen dürfte wohl nicht grösser sein, als in den anderen marokkanischen Städten, besonders schön fand ich die Frauen nicht. Mikenes ist die einzige Stadt in Marokko, wo öffentliche Prostitutionshäuser sind. Im Uebrigen sind die Strassen gerader, reinlicher, die Häuser in einem besseren Zustande, als in irgend einer anderen Stadt des Reiches. Sogar der Palast des Sultans zeichnet sich dadurch aus, obschon der Theil, den Mulei Ismael mit Marmorsäulen, die er von Livorno und Genua kommen liess, schmeckte, in Ruinen liegt. Diese schönen Monolithen liegen als Zeugen jüngst vergangener Grösse im Staube. Kein anderes Gebäude zeichnet sich irgendwie aus, selbst die Moschee Mulei Ismael's, welche doch Begräbnissstelle der jetzigen Dynastie ist, liegt halb in Verfall. Die Stadt wird durch eine ausgezeichnete Wasserleitung mit Wasser versorgt, irre ich nicht, von einem in den Ued-Bet gehenden Bache aus, der nordwärts von der Stadt entspringt.

Erwähnen muss ich eines Abstechers nach Mulei Edris Serone, einer ungefähr 3 Stunden nördlich von Mikenes gelegenen Stadt; indess kann ich von diesem reizend gelegenen Orte nichts weiter anführen, als was ich bei Beschreibung der Stadt Fes schon mitgetheilt habe. Trotzdem ich Leibarzt des Sultans war, im Hause des ersten Ministers wohnte, alle Gebräuche und Sitten der Mohammedaner aufs Genaueste mitmachte, war ich dennoch immer mit misstrauischen Augen angesehen. Nach irgend einer Oertlichkeit direct, fragen ging schon gar nicht. Man wurde gleich gesagt haben, ich sei ein Spion.

Glücklicher Weise trat ein Ereigniss ein, was mich aus des Sultans Dienste befreite, eine englische Gesandtschaft wurde in Aussicht gestellt, und nach einigen Wochen traf auch Sir Drummond Hay mit zahlreichem Gefolge und escortirt von einer starken Abtheilung Maghaseni in Mikenes ein. Man kann sich denken, wie gross meine Freude war. Seit über einem Jahre, so viel Zeit war nun verflossen, hatte ich nichts von Europa gehört, hatte weder einen Brief noch eine Zeitung gehabt, und erhielt nun auf einmal Bücher, Zeitungen, und konnte mich mit gebildeten Herren unterhalten. Im Anfange hatte ich grosse Schwierigkeit zu Sir Drummond Hay zu gelangen, da die marokkanische Regierung den strengsten Befehl ausgegeben hatte, keinen Renegaten auf die Gesandtschaft zuzulassen. Nur durch eine List verschaffte ich mir Einlass, indem ich Si-Thaib sagte: ich müsse seiner Krankheit wegen mit dem der englischen Gesandtschaft beigegebenen Arzte sprechen. Das wurde bewilligt und ich durfte dann, von meinem ehemaligen Dolmetsch begleitet, die Gesandtschaft betreten.

Sir Drummond bewohnte eines der schönsten Häuser der Stadt, worin es sogar an europäischen Möbeln nicht fehlte, da der Sultan alle dergleichen Utensilien besitzt, sie aber für seine Person nicht gebraucht. Ueberhaupt wurde die Gesandtschaft mit einer Zuvorkommenheit und Artigkeit behandelt, wie sie Sir Drummond Hay, dem eigentlichen geheimen Herrscher von Marokko, zukommt. Auf den Strassen, vom Volke, überall wo die Gesandtschaft sich zeigte, wurde sie aufs respectvollste begrüsst. So gut wie der Sultan, fühlt das Volk, dass nur England eine wirkliche Hülfe gegen die Spanier und Franzosen ist. Es versteht sich von selbst, dass Sir Drummond sich mit aller Freiheit bewegen konnte, ebenso die übrigen Herren der Gesandtschaft.

Was mich anbetrifft, so gab mir Sir Drummond ein Schreiben (arabisch ausgefertigt), und sagte mir, dasselbe durch den ersten Minister dem Sultan vorzeigen zu lassen. In diesem Schreiben war betont, die marokkanische Regierung solle mich nicht mit den übrigen Renegaten verwechseln und mir meine Freiheit wiedergeben. Das Blättchen Papier wirkte Wunder. Als Si-Thaib mir dasselbe nach einigen Tagen wieder einhändigte, fügte er hinzu, der Sultan habe das Blatt gelesen, und gesagt, ich könne thun was ich wollte, sei vollkommen frei, Mikenes zu verlassen, ja ich dürfe überall, im "Rharb" reisen und mich aufhalten, wo ich es für gut fände. Wer war froher als ich. Jetzt aber war auch der Wunsch das eigentliche Land Marokko zu durchreisen, erst recht wachgerufen, und namentlich fühlte ich einen starken Trieb von nun an weiter in das Innere Afrika's einzudringen. Aber ich war mir nun auch erst recht bewusst geworden, wie viel noch abging, solche gefährliche Reisen ohne Mittel ausführen zu können. Wenn auch einestheils gerade diese Mittellosigkeit ein grosser Schutzbrief für mich war, so hatte ich andererseits im Arabischen wenige Fortschritte bis dahin gemacht. Der Umstand dass ich fortwährend einen Dolmetsch zur Seite gehabt, machte, dass ich kaum mehr von dieser Sprache verstand als beim Beginn meiner Reise. Auch war ich mit den Sitten und Gebräuchen des eigentlichen Volkes noch zu wenig vertraut. Ebenso wenig wie man diese z. B. in London was das englische Volk, in Berlin was das deutsche Volk anbetrifft, in Erfahrung bringen kann, zu dem Ende vielmehr das eigentliche Land selbst besuchen muss, ebenso wenig ist dies in Marokko in der Hauptstadt der Fall, und bislang war ich eigentlich nur in Fes und Mikenes gewesen.

Ich beschloss nun nach der heiligen Stadt Uesan zurückzukehren. Wo konnte ich besser Sitten, Gewohnheiten und auch die Sprache des Volkes kennen lernen, als in dieser grossen Pilgerstadt, wo täglich Hunderte, oft Tausende von Pilgern aus ganz Nordafrika, ja oft noch von weiter her zusammenströmen. Und es traf sich nun sehr glücklich für mich, dass gerade zwei von den nächsten Anverwandten des Grossscherifs in Mikenes waren. Diese hatten in der Besoffenheit einen Maghaseni des Sultans ums Leben gebracht, und waren selbst nach Mikenes gekommen, um sich deshalb beim Kaiser zu entschuldigen. Sie wurden nicht nur nicht gerügt oder gar bestraft für ihre im Trunk begangene Handlung, sondern der Sultan betrachtete es als einen besonderen Act der Höflichkeit, dass solche heilige Leute und noch dazu wirkliche Vettern des Grossscherifs, keinen Anstand nahmen, sich wegen einer solchen Kleinigkeit bei ihm selbst zu entschuldigen, und im Grunde genommen sah er es wohl nur für einen Vorwand an, Geschenke von ihm zu bekommen. Die erhielten sie denn auch beide. Sidi Mohammed ben Abd-Allah und sein Bruder, Sidi Thami, verliessen reich beschenkt die kaiserliche Residenz.

Si Thaib Bu Aschrin hatte die Güte mir einen Brief für die beiden Schürfa zu geben, welche direct nach Uesan zurückreisen wollten. Und so sagte ich denn dem Hofe des Sultans Lebewohl, nur Trauer empfindend, dass Ismael (Joachim Gatell), der die ganze Zeit bei mir gewohnt hatte, jetzt wieder ins Lager zurück musste, und da er nicht, wie ich, die Protection der englischen Gesandtschaft genoss, nicht daran denken durfte, so bald seine Befreiung zu bekommen.

Den folgenden Morgen begab ich mich mit meinem Gepäck zur Wohnung der Schürfa, und bald war Alles gepackt und wir sattelfest. Sidi Mohammed, ein fetter junger Mann von dreissig Jahren, und sein einige Jahre jüngerer Bruder, Sidi Thami, waren noch von zwei alten Schürfa begleitet und hatten mindestens 30 Diener als Gefolge. Wir verliessen gegen 8 Uhr Morgens Mikenes durch das Nordthor, zogen den Bergen entgegen, indem wir die Stadt Serone etwas östlich liegen liessen. Die Reisen zu Pferde oder Maulthier sind in Marokko keineswegs unangenehm, die mit hohen Lehnen versehenen Sättel, vorn mit einem Knauf, worauf man die Hände legen, die grossen Steigbügel, in welche man den ganzen Fuss schieben kann, lassen die Ermüdung weit später erfolgen, als bei europäischem Reitzeuge. Freilich muss ein Europäer sich die Mühe nehmen, den Sattel durch wollene Decken etwas zu polstern, denn wenn sich die Härte desselben schon ertragen liesse, ist er doch sehr uneben, was auf die Dauer unbequem ist.

Wir waren ohne Rast den ganzen Tag unterwegs, da Sidi Mohammed Ben Abd-Allah wohl besonderen Grund haben musste so schnell zu reisen, denn sonst pflegen die Grossen in Marokko nur kleine Tagemärsche zu machen. Als ich mich in der Höhe der Berge von Mulei Edris etwas entfernte von unserer Karawane, wurde ich der Gegenstand einer Ovation, die in der Nähe wohnenden Leute, die von der Durchkunft von Schürfa von Uesan gehört hatten, wohl im Glauben ich sei auch ein Scherif, kamen haufenweise herbei, mir die Hand und den Saum der Djilaba küssend. Sie verlangten auch das Foetha (Segen), das ich glücklicherweise auswendig wusste. Hoffentlich haben sie eben soviel Nutzen von meinem Segen gehabt, als von dem eines wirklichen Scherifs! Aber wenn sie es gewusst hätten, ich sei ein zum Islam Uebergetretener, wie würden sie mich verflucht haben. Gut, dass wir in den Zeiten leben, wo Fluch und Segen von Menschen gesprochen, den Zauber ihrer Allmacht verloren haben.

Bei Sonnenuntergang hielten wir bei einem dem Grossscherif von Uesan gehörenden Duar (Zeltdorf). Da ich kein Zelt hatte, luden die beiden Schürfa mich ein, das ihrige mit zu theilen. Das Zelt eines Grossen von Marokko zeichnet sich durch Geräumigkeit aus. Aus starkem weiss und blaugestreiften Leinenzeug bestehend, ist es inwendig weiss und mit verschiedenartig zusammengenähtem bunten Tuch gefüttert. Meist von nur einer Stange getragen, kann die rund ums Zelt gehende gerade aufstrebende Seitenumfassung abgenommen werden, was namentlich bei Sonnenschein und grosser Hitze eine grosse Annehmlichkeit gewährt, da das Dach des Zeltes, gewissermassen ein grosser Schirm, frei stehen bleibt und dem kühlenden Winde der Durchlass offen steht. - Ich war froh, als der Koch der Schürfa sogleich ein Mahl auftrug, da ich den ganzen Tag nichts genossen hatte, als ein Stückchen Brod und Trauben. Gegen Mitternacht kam denn auch der Mul' el Duar oder Dorfvorsteher, mehrere Schüsseln voll Kuskussu verschiedener Art, und andere mit gebratenem Fleisch wurden niedergesetzt. Meine Müdigkeit war indess so gross, dass ich vorzog weiter zu schlafen, trotz der wiederholten Aufforderungen am Mahle theilzunehmen.

Frisch gestärkt erweckte man mich am anderen Morgen mit einer Tasse Kaffee (die Schürfa von Uesan trinken auch Kaffee) und sodann kam wieder ein reichliches Mahl der Leute des Zeltdorfes, welche dafür mit Thee bewirthet wurden. Wie am vorhergegangenen Tage war die Gegend hügelig, wohlangebaut und zahlreiche Duar deuteten auf eine verhältnissmässig dichte Bevölkerung. Bald nach dem Aufbruche am zweiten Tage passirten wir die Flüsse Sebu und Uarga, letzteren etwas oberhalb der Stelle, wo er in den Sebu einfällt. Ueberall wie am ersten Tage waren die Schürfa der Gegenstand der grössten Verehrung, im ganzen Lande gelten die Schürfa Uesan's als die grössten Heiligen. Die Sitte will es, dass ein Vornehmer nie seinen Einzug Abends hält, so wurde denn auch an dem Tage schon um 5 Uhr Nachmittags Halt gemacht in einem Duar, der Sidi Abd-Allah selbst gehörte. Nur noch einige Stunden am anderen Morgen, und wir hatten den Berg Bu-Hallöl vor uns, an dessen anderer Seite Uesan gelegen ist.

Sobald wir den Berg umgangen, kamen uns die Verwandten und Bekannten der Schürfa entgegen, die durch den jüngeren Bruder, der am Abend vorher noch die Stadt erreicht hatte, waren benachrichtigt worden. Sidi Thami hatte auch dem Grossscherif schon meine Zurückkunft mitgetheilt.

Ich konnte indess nicht direct nach der Wohnung des Grossscherifs gehen, da ich vorher bei Sidi Abd-Allah frühstücken musste. Ein naher Verwandter von Sidi el Hadj Abd es Ssalam, ist er, was Reichthum und Macht anbetrifft, von den Uesaner Schürfa der dritte, denn Sidi Mohammed ben Akdjebar, obschon entfernterer Linie, hat nach dem Grossscherif den grössten Einfluss und den grössten Reichthum. Die übrigen Schürfa, fast die ganze Stadt besteht aus Abkömmlingen Mohammed's, haben in Uesan selbst gerade keinen Einfluss, da ihrer zu viele sind.

Gleich darauf ging ich dann, nachdem ich meinen meergrünen Anzug angelegt hatte, zum Grossscherif, den ich von einer zahlreichen Menge umgeben in seinem Landhause antraf. Aufs freundlichste aufgenommen, liess er sogleich eine Wohnung für mich einrichten, und mich ein über das andere Mal willkommen heissend, sagte er, ich solle mich von nun an ganz wie zu seinem Hause gehörig betrachten.

Ehe ich nun meine Erlebnisse in Uesan schildere, möchte ich Einiges über die derzeitigen politischen Zustände in Marokko sagen, und knüpfe daran zugleich einige Worte über die sonstige und jetzige Stellung der christlichen Consuln.

[95] Alle Eunuchen haben stets stark duftende, aromatische Namen.

[96] Siehe: Renou pag. 254.


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