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12. Aufenthalt beim Grossscherif von Uesan.

Ein volles Jahr verlebte ich nun in Uesan unter, im Ganzen genommen, angenehmen Verhältnissen. Und die Zeit verbrachte ich hauptsächlich damit, recht viel unter die Leute zu gehen, um mich mit ihren Eigenthümlichkeiten vertraut zu machen. Dabei fehlte es keineswegs an Unterhaltung, Gatell hatte mir einen Theil seiner Bücher geliehen, so dass, wenn ich allein war, ich durch Lectüre meinen Geist auffrischen konnte.

Ueberdies wurde der Aufenthalt in Uesan durch verschiedene kleinere Touren unterbrochen, die ich theils allein, theils in Gesellschaft des Grossscherifs machte. So unternahm ich von hier einen Abstecher nach L'xor, um einige Medicamente zu kaufen, die in Uesan, wo man nur mit Amuletten heilt, nicht zu haben waren. Merkwürdigerweise schien, was seine Person und seine Familie anbetraf, Sidi-el-Hadj Abd es-Ssalam nicht sehr an die Wunderkraft seiner Unfehlbarkeit zu glauben, da ich mehrere Male sowohl ihm selbst als auch seinen beiden kleinen Söhnen Medicin verabfolgen musste. Der Grossscherif hatte so viel Zutrauen zu mir, dass er nicht das vorherige Kosten der Medicamente verlangte.

Es fiel in später Herbstzeit ein Besuch, den der Grossscherif dem Sultan in Arbat machte, wohin er von Mikenes übergesiedelt war, und auf welcher Reise ich ihn begleitete. Und gerade auf Reisen wird da Ansehen und der Einfluss des Grossscherifs am anschaulichsten. Man hat keine Idee davon, wie weit in Marokko der Menschencultus getrieben wird. Sidi el-Hadj Abd-es-Ssalam reist entweder zu Pferde oder in einer Tragbahre, die fast wie eine verschlossen vergitterte Kiste aussieht, und die so niedrig ist, das man nur darin liegen kann. Zwei Maulthiere, von denen eines vorne, das andere hinten geht, tragen die Bahre. Es würde vergeblich sein, die Zahl der sich herandrängenden Leute schätzen zu wollen, das ganz Land scheint herbeizuströmen, aus weitester Ferne kommen ganze Stämme an den Weg, den der Grossscherif durchzieht. Man sucht ihn selbst zu berühren oder die Tragbahre, das Pferd oder irgend eine anderen dem Grossscherif gehörenden Gegenstand. Man glaubt aus einer solchen Berührung den göttliche Segen ziehen zu können. Oft genügen die bewaffnete Diener nicht, mit der flachen Klinge den andringende Haufen fern zu halten, und es müssen dann förmliche Angriffe gemacht werden, die Leute auseinander zu treiben.

Die Gouverneure der Provinzen, die durchzogen werden, nahen sich immer schon von weitem ehrerbietig, und natürlich nie mit leeren Händen, sie betrachten es als eine besondere Gunst, wenn Sidi bei ihnen absteigt, um ein Mahl einzunehmen, oder wenn er gar in der Nähe ihrer Residenz seine Zelte aufschlägt.

Der Grossscherif reist immer nur in kleinen Etappen, und mit einem zahlreichen Gefolge, welches nie aus geringerer Zahl als hundert Personen zusammengesetzt ist. Alle einflussreichen Schürfa, die nächsten Verwandten, seine Tholba (Schriftgelehrten) müssen mit. Alle haben, ausser dass jeder beritten ist, Maulthiere für ihr Gepäck und ihre Zelte, welche vom Grossscherif gestellt werden. Dieser Lagertrain marschirt immer voraus, so dass man, wenn man ankommt, das Lager schon aufgeschlagen findet. Der Grossscherif selbst hat für seine Person drei grosse Zelte, eins, in dem er die Nacht zubringt, eins zum Empfang bestimmt, und eins, worin er nur seine nächsten Freunde empfängt.

Sobald er installirt ist, d. h. auf den weichen Teppichen, welche die Beni-Snassen[120] verfertigen, und von denen ein einziger 4 Centner (eine Kameelladung) wiegt, Platz genommen hat, kommen aus Nah und Fern die Bittenden. Hier bringt einer ein Schaf, und verlangt, dass seiner Frau ein Sohn geboren werden soll, dort bringt einer Korn, und fleht um Segen für seinen Acker, da fragt einer ob er sein Pferd verkaufen soll, ob er Glück dabei habe, das und das Haus zu kaufen; hier will ein Blinder sehend gemacht werden. Der Grossscherif hilft Allen, und je mehr die Bittsteller Geld und Gaben bringen, desto wirksamer ist der Segen.

Manchmal kommen die komischesten Scenen dabei vor. So einstmals als ich mit dem Grossscherif im festverschlossenen Zelte sass, die Diener und Sklaven aber strengen Befehl hatten, Niemand ans Zelt herankommen zu lassen, sie jedoch dem andrängenden Publikum nicht gewachsen sein mochten, rissen plötzlich die Gurten, das Zelt wurde gewaltsam geöffnet, und herein wälzte sich der Haufen: alte schmutzige Weiber, starkriechende Kinder, Männer und Greise, alle fielen über mich her und bedeckten mich mit ihren fanatischen Küssen. Im Halbdunkel hatten sie mich als auf dem Teppich sitzend (der Grossscherif sass in dem Augenblick auf einem Stuhl) für den Abkömmling Mohammed's genommen. Und während ich unter Geschrei und Streiten ihnen klar zu machen suchte, ich sei nicht der Grossscherif, sass dieser auf seinem Stuhle, lachte aus vollem Herzen und rief: "Mustafa hennin", d. h. Wohlbekomm's. Ich musste nachher eine Extrareinigung mit mir und meinem Anzuge vornehmen, um die greiflichen und fühlbaren Andenken dieser heiligen Umarmungen loszuwerden.

In Arbat blieben wir nur wenige Tage, nahmen indem wir auf dem Hinwege den Weg durch das Gebiet der Beni-Hassen genommen hatten, den Rückweg längs des Meeres bis zur Mündung des Ssebu. Von hier gingen wir stromaufwärts bis fast zu dem Punkte, wo der Ordom-Fluss den Ssebu vergrössert, und von da aus direct nordwärts nach der Karia ben Auda. Die Karia ben Auda, eine Art befestigter Häuserhaufen, liegt an den westlichsten Vorbergen der südlich von Uesan streichenden Berge, die Karia selbst jedoch unvollkommener Ebene. Sie ist Residenz des Bascha's vom Rharb-el-fukani oder dem oberen Westen, wie diese Statthalterschaft heisst, dicht um die Karia liegen noch die von hohen Cactushecken umgebenen Dörfer. Die Häuser sind wie im ganzen Rharb von Steinen und Lehm gebaut und mit Strohdächern gedeckt, so dass man von Weitem ein deutsches Dorf zu sehen glaubt. Der vorzügliche Reichthum des Landes besteht in Viehheerden, hier wie in Beni-Hassen vorzugsweise in grossen Rinderheerden; Schafe und Ziegen hingegen werden in diesen Provinzen verhältnissmässig in geringerer Zahl gezüchtet. Die marokkanischen Rinder halten aber keineswegs einen Vergleich auch nur mit den schlechtesten in Europa aus. Klein von Statur giebt eine marokkanische Kuh kaum mehr Milch als eine gute europäische Ziege. Der Grund davon ist die Sorglosigkeit, mit der überhaupt die Viehzucht in Marokko betrieben wird, und dann auch die mangelhafte Nahrung im Winter. Es fällt keinem Marokkaner ein, daran zu denken Vorrath von Heu zu machen, wie denn überhaupt Wiesen zum Heumachen nirgends existiren. Natürlich giebt es hier und da längs der Flüsse, dann auch in den feuchten Niederungen namentlich der Rharbprovinzen und Beni-Hassen ausgezeichnete Wiesen und Wiesengründe, aber das Gras wird nur grün benutzt, und ist, ohne dass Jemand daran denkt es zu mähen oder zu schneiden, Mitte Juli verbrannt von der Alles austrocknenden Sonne. Im Winter sind daher Rinder und auch Schafe und Ziegen auf die vertrockneten, kraftlosen Kräuter angewiesen, welche sie draussen finden. Für die Pferde dient im Winter Stroh von Gerste oder Weizen.

Wir waren kaum Angesichts der Karia, als der Kaid Abd-el-Kerim, von seinen Brüdern begleitet, auf uns zugesprengt kam, und uns zu einem Frühstück einlud. Das konnte nicht ausgeschlagen werden, und so zog der ganze Tross nach seiner Wohnung, wo wir ein reichliches Mahl schon vorbereitet fanden. Und der Kaid, der den Titel Bascha hat, bat Sidi so inständig einen Tag zu bleiben, dass Befehl gegeben wurde, Zelte zu schlagen.

Es waren dies förmliche Essschlachttage, denn je höher man in Marokko einen Gast ehren will, desto mehr Speisen setzt man ihm vor. Abends kam der Kaid ins Zelt des Grossscherifs, wo er nun gleichfalls mit vielen Schüsseln bewirthet wurde, aber kaum war er fort, als er eine noch grössere Anzahl Gerichte zurück schickte, und am anderen Morgen, als wir eben unser reichliches Frühstück genossen hatten, kam auch schon der Kaid, um uns zu einem zweiten Mahle abzuholen, ausschlagen durfte man nicht, kurz während der Zeit unseres dortigen Aufenthaltes hatte der Magen kaum eine Stunde Ruhe. Als wir uns verabschiedeten, legte der Kaid dem Grossscherif noch einen Beutel mit 5000 Frcs. zu Füssen, wofür er natürlich einen recht langen Segen erhielt.

So langweilig, was Natur anbetrifft, die Gegend in den Rharb- und Beni-Hassen-Districten ist, wo Ebenen von Zwergpalmen, Lentisken und Lotusbüschen bestanden mit Kornfeldern und Wiesen wechseln und allerdings das Bild des fruchtbarsten Bodens zeigen, aber auf die Dauer einförmig erscheinen, so sehr ändert sich dies, wenn man das Gebirge erreicht. Gewiss giebt es keine romantischere Umgegend, als die der heiligen Stadt Uesan. Die dicht bewachsenen Berge der nächsten Umgebung, im Hintergrunde die zackigen Felsen der Rifberge, die strotzende Fruchtbarkeit des Bodens, der dem Auge überall das saftigste Grün der verschiedenen Bäume und Stauden bietet, wie sie überhaupt die Länder um das Mittelmeer in so grosser Mannichfaltigkeit hervorbringen, alles dies verursacht, dass die Zeit und wenn auch der Weg beschwerlich und ermüdend ist, rasch verläuft.

Gegen Mittag wurde im Westen der Stadt Halt gemacht, da der Einzug am anderen Tage stattfinden sollte. Aber Abends hatten wir schon viel Besuch von Uesan, unter anderen kamen auch die kleinen Söhne des Grossscherifs, von denen der eine 9, der andere 7 Jahre haben mochte, mit ihrem Lehrer herangeritten, so dass der Abend recht munter und vergnügt verbracht wurde.

Vor Sonnenaufgang am folgenden Tage weckten mich schon die Flintenschüsse und die schrecklichen Klänge der unvermeidlichen Musik, es war dies nur die Einleitung zur statthabenden Feierlichkeit. Nachdem wir in aller Eile den Kaffee (ich genoss immer die Auszeichnung zum Kaffee in des Grossscherifs Zelt gerufen zu werden, sowie ich dort auch mit essen musste) getrunken und gefrühstückt, stiegen wir zu Pferde und unter knatterndem Feuer, dem Lärm der Musikanten, dem Lululu der Weiber setzte sich der Zug in Bewegung. Aber obschon wir nur eine Stunde von der Stadt entfernt waren, erreichten wir dieselbe erst gegen Mittag. Alle Augenblick kam eine neue Musikbande mit ihren abscheulichen Instrumenten und es wurde Halt gemacht, oder es kamen mit Flinten bewaffnete Abtheilungen, und gaben eine Salve dicht vor den Füssen des Grossscherifs, man bildete Kreise und dann, wie die Teufel herumspringend, schossen sie ihre Flinten in den Boden und warfen sie darauf hoch in die Luft, um sie hernach geschickt wieder aufzufangen. Reiter organisirten sich, und im gestreckten Galopp auf uns losjagend, schossen sie dicht vor uns die Flinten ab und schwenkten ann mit ihren Pferden zu beiden Seiten auseinander. Ich war froh, als wir endlich die Stadt erreichten, aber hier war uns das Entsetzlichste noch vorbehalten, gewissermassen der Triumphbogen, durch den der Grossscherif den Einzug in seine getreue und heilige Stadt Uesan halten sollte.

Es nahten sich ungefähr zwanzig der Secte der Aissauin. Unter zitternden convulsivischen Bewegungen, unter einförmigen Tönen: "Allah, Allah" tanzten sie heran; jeder hatte eine Lanze, einige waren ganz nackt, andere hatten nur die unentbehrlichsten Lumpen um. Die Lanze trugen sie in der einen Hand, in der anderen einen Rosenkranz. Die Verwundungen, welche sie sich selbst beigebracht hatten, verursachten, dass der ganze Körper mit Blut bedeckt war, einige schlugen sich auf die Nase, dass das Blut in Strömen herausschoss, andere schlitzten sich die Lippen zu Ehren Sidi's, andere zerkrazten sich die Brust und Gesicht, Gott zu Ehren und um dem Grossscherif, dem Abkömmling des "Liebling Gottes", ihre Hingebung zu bezeugen. Dabei steigerte sich ihr Allah, Allah zu einem wahren Geheul, einigen traten die Augen aus dem Kopfe, sie schienen wahnsinnig zu werden, andere schäumten, die von Gott am meisten Inspirirten wollten sich vor die Füsse des Pferdes des Grossscherifs werfen, um überritten zu werden, nur ein schneller Spornstich drückte rasch das Pferd in die Menge, welche dicht zu beiden Seiten war. Ich sah, wie es auch dem Grossscherif schauderte, und er war wohl eben so froh als ich, als die eigentliche Sauya, das Allerheiligste von Uesan, erreicht war.

Auch der Winter wurde nicht unangenehm verbracht; obschon die Spitzen der Rif-Berge alle mit dickem Schnee überzogen, merkte man in Uesan nicht viel von der Kälte. Eine Einrichtung zum Heizen hat natürlich Niemand, bei grosser Kälte, d. h. wenn das Thermometer Morgens auf +6 oder + 4deg. R. herabsinkt, oder gar wohl einmal unter Null ist (es soll vorkommen, ich habe es indess nicht erlebt), lässt man sich ein Becken mit glühenden Kohlen ins Zimmer bringen. Und diesmal war der Winter so milde, dass die Gesellschaft, welche der Grossscherif täglich bei sich empfing, in einer Art von Veranda seines Hauses empfangen wurde, keineswegs aber in einem geschlossenen Zimmer.

Bald darauf, im Januar 1862, trat ein anderes Ereigniss ein, welches abermals eine Reise des Grossscherifs nothwendig machte, und weil es charakteristisch für die politisch-socialen Zustände des Landes ist, verdient, hier erzählt zu werden. Es hatte sich eine Art von Gegen-Sultan gebildet.

Man erfuhr zuerst in Uesan gerüchtweise von einem Marabut oder Heiligen, der in der Nähe der Stadt sich aufhielt, und vorgab alle Kranke gesund machen zu können; er predigte zugleich den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen (der Krieg gegen Spanien hatte den alten Fanatismus der Gläubigen gegen die Christen recht wieder ins Leben gerufen) und proclamirte die Stunde des Sultans habe geschlagen, es würde ein neuer kommen, der bestimmt sei die gesunkene Macht der Gläubigen wieder aufzurichten, und der mit erneuerter Kraft und Herrlichkeit den Islam der ganzen Welt auferlegen werde. Es strömte ihm natürlich viel Volks zu, da der spanisch-marokkanische Krieg Räuber und Strolche genug herangebildet hatte, und überdies, je unwahrscheinlicher eine Prophezeiung ist, sie um so leichter bei den Marokkanern gläubige Anhänger findet, namentlich wenn den Leidenschaften und religiösen Eitelkeiten des Volkes geschmeichelt wird.

Der Grossscherif verhielt sich äusserst ruhig bei diesem Treiben, da seiner Macht und seinem Einfluss kein Abbruch geschehen konnte, weil der Weltverbesserer kein Scherif seiner Herkunft war, nicht einmal ein Thaleb, d. h. ein der Schrift kundiger Mann. Nach einigen Wochen, während der Zeit Sidi Djellul (er hatte sich den Scheriftitel angemasst) einen Haufen von einigen Tausenden von Taugenichtsen um sich versammelt hatte, beging er indess die Frechheit, dem Grossscherif einen Brief zu schreiben, d. h. schreiben zu lassen, ihm zu sagen, er (Sidi Djellul) sei der Mann der Stunde (mul' el uogt, d. h. der erwartete Messias), der Grossscherif habe sich Angesichts dieses Briefes zu ihm zu begeben, und in Gemeinschaft wollten sie sodann gegen den Sultan und die grossen Städte ziehen. Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam würdigte ihn natürlich keiner Antwort, sandte aber sofort an den Sultan einen Courier, um ihn auf die Gefahr dieses Abenteurers aufmerksam zu machen.

Mittlerweile wuchs der Anhang Sidi Djellul's in grossen Proportionen. Seine Genossen lebten von Rauh und Plündern, und grössere Raubzüge stellte er in Aussicht: "Die grossen Städte, wie Fes, Mikenes, müssten ganz verschwinden, die Bewohner hätten ihr Geld durch Handel mit den Christen gewonnen, daher sei es ein gutes Werk sich dieser in den Städten angehäuften Schätze zu bemächtigen." - Merkwürdigerweise rührte sich nach mehreren Wochen die Regierung noch immer nicht, denn es hält ungemein schwer, den Sultan zu irgend einem entscheidenden Schritt zu bringen.

Im Anfange Februar desselben Jahres wagte er sich schon an befestigte Punkte; mit seinem ganzen Anhang, von denen einige mit Flinten, die meisten aber nur mit Knütteln und Lanzen bewaffnet waren, zog er gegen die Karia-ben-Auda, und nach einer dreitägigen stürmischen Belagerung bemächtigte er sich derselben mit Gewalt, und enthauptete denselben Bascha Abd-el-Kerim, der vor Kurzem dem Grossscherif eine so grossartige Gastfreundschaft erwiesen hatte. Die 16 oder 20 Mann Maghaseni, eine ebensogrosse Anzahl Diener des Bascha's wurden ebenfalls ermordet, die Bewohner der um die Karia gelegenen Dörfer entflohen zum Theil nach Uesan, zum Theil gingen sie zu Sidi Djellul über.

Der Bascha wurde übrigens vom Volke kaum betrauert, seine Habsucht und Grausamkeit hatten ihn zum Feinde aller deren gemacht, denen er als Gouverneur vorstand. Was Sidi Djellul anbetrifft, so stieg nach der Einnahme der Karia sein Einfluss von Tage zu Tage, und obschon er durch den Bascha, der sich in der Karia hinter hohen Mauern gut vertheidigt hatte[121], einigen Verlust erlitten hatte, so behauptete das leichtgläubige Volk, alle die mit Sidi Djellul zögen seien kugelfest, und namentlich er selbst unverwundbar. Während 14 Tagen schwelgten die Räuber sodann auf der Karia, ihr Chef erliess Proclamationen, worin er verkündete mit allen Baschas so verfahren zu wollen, und namentlich auch mit dem Sultan.

Endlich rührte sich der Sultan; sein Bruder Mulei Arschid hatte Befehl bekommen mit 1 000 Mann Soldaten, ebenso vielen Reitern und 4 Kanonen über Media, an der Mündung des Ssebu gelegen, nach der Karia zu marschiren, und Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam war gebeten worden zum Heere zu stossen, um durch seine Anwesenheit der Sache des Sultans in den Augen des Volkes grösseres moralisches Gewicht zu geben. Der Grossscherif leistete der Bitte des Sultans Folge und mit grossem und kriegerischem Trosse wurde auf die Karia-el-Abessi marschirt, die wir in zwei Tagemärschen erreichten, am selben Tage, an welchem von der anderen Seite der Bruder des Sultans, Mulei Arschid anlangte. Der Eindruck, den das Erscheinen des Grossscherifs hervorbrachte, war ein ausserordentlicher. Die ganze Rharbprovinz war im offenen Aufruhr gewesen, Mulei Arschid hatte sich von Media nur mit Gewalt einen Weg bis zur Karia-el-Abessi bahnen können. Wir selbst aber waren dort ohne auf irgend feindselige Leute zu stossen angekommen, und die Leute, welche zurückgeblieben waren, sagten aus: Sidi Djellul habe sich mit seinem Anhang durch die Berge nach Sidi Kassem, einem südlich gelegenen Orte, geflüchtet. Mit Ausnahme derer, die keine Heimath hatten und fest zu Sidi Djellul standen, war damit der eigentliche Aufstand gedämpft; d. h. die beiden Rharbprovinzen waren durch die Anwesenheit des Grossscherifs bei der Armee Mulei Archid's vollkommen beruhigt und hatten sich ohne weitere Zwangsmassregeln unterworfen.

Merkwürdigerweise wurde nun aber Sidi Djellul nicht durch einen raschen Marsch auf Sidi Kassem beunruhigt und er selbst mit seinen Anhängern vernichtet oder gefangen gebracht. Wir lagerten bis Mitte März ruhig bei der Karia-el-Abessi. Aber der Anhang Sidi Djellul's verlor sich nun immer mehr, freilich hatte er auch den Ort Sidi Kassem noch überrumpeln und plündern können, die Behörde war mit den meisten Bewohnern schon vorher geflohen, es war dies aber sein letztes Heldenstück. Von fast Allen verlassen, versuchte er es das Grabmal von Mulei Edris el Akbar in Serone zu erreichen, wo er eine sichere Zufluchtsstätte gefunden haben würde. Aber gleich beim Eintritt in die Stadt, wurde er erkannt und von den Schürfa gefangen genommen. Diese, ohne weitere Umstände, enthaupteten ihn, schnitten dem Rumpfe Hände und Füsse ab, und diese Trophäen wurden dem Sultan geschickt. Sidi Mohammed, der Sultan, befahl den Rumpf ans Stadtthor von Serone zu nageln, der Kopf wurde zur Ausstellung nach Maraksch geschickt, und die übrigen Extremitäten den anderen Städten zur Ausstellung überlassen. Die Schürfa aber, die eigenmächtig getödtet hatten, bekamen vom Sultan ein Geschenk von 3000 Mitcal (c. 5000 frcs.), ein für Marokko sehr ansehnliches Geldgeschenk. Von seinen Parteigängern wurden viele gefangen genommen, einfach enthauptet einige aber auch, die etwas Vermögen hatten, eingekerkert, um erst ihrer Habe beraubt zu werden. So endete der Versuch eines Marokkaners den Thron des Sultans umzustürzen und eine andere Regierung einzusetzen. Nicht immer aber sind solche Revolten ohne Frucht geblieben, namentlich wenn der Empörer ein Scherif war, und am Hofe selbst schon Ansehen hatte, endete oft genug eine aus ebenso kleinen Anfängen entsprungene Revolution damit, dass der regierende Sultan das Feld räumen musste, oft sogar das Leben verlor.

Uebrigens war damit das Land keineswegs ganz beruhigt, die Hiaina, die Beni-Hassen, die Rifprovinzen waren in Gährung, man wusste nicht ob die Rifbewohner das Gebiet um Melilla abtreten wollten; der zu dem Ende vom Sultan an die Gebirgsstämme entsandte Scherif von Uesan, Sidi Mohammed ben Akdjebar, kehrte unverrichteter Sache zurück.

Endlich verliessen wir mit der Armee die Karia-el-Abessi, und in östlicher Richtung marschirend, zogen wir über den Ued-Teine und den Ued-Ardat, und campirten an einem Orte Had genannt. Hier blieben wir wiederum einige Tage liegen, und marschirten dann längs des Ardatstroms aufwärts, um bei einem Orte Arba zu campiren. Das Wort Arba bedeutet Mittwoch, und an dem Orte wird Mittwochs Markt abgehalten. In ganz Marokko stösst man überall auf Oertlichkeiten, die manchmal ohne alle Bewohner, die Bezeichnung Had Sonntag, Tnein Montag, Tleta Dienstag, Arba Mittwoch, Chamis Donnerstag, Djemma Freitag und Sebt Samstag führen. Solche Oertlichkeiten dienen als Marktplätze, und es giebt ihrer Hunderte im ganzen marokkanischen Reich.

Das Land war in dieser Gegend durchaus gewellt, überall gut angebaut, und das Erdreich, schwarzer Humus, sehr fruchtbar. Wie man an den Ufern der Flüsse sehen konnte, hat die Humusschicht meistens eine Dicke von 5-6 Meter. Von hier aus zogen wir nach einigen Tagen nach dem Ued-Uarga und lagerten südlich, Angesichts der Bergkette der Uled-Aissa. Das Lager war hier in reizender Gegend aufgeschlagen, die schönen Ufer des Flusses, von 20 Fuss hohen Oleanderstauden und Tamarisken dicht bestanden, die Gebirge mit zahlreichen Dörfern, die aus ihren Oliven- und Feigengärten herauslugten, im Südosten der eigenthümlich geformte Berg Mulei Busta, geben der ganzen Landschaft eine grosse Abwechselung. Aber der Ramadhan war angebrochen, und da wir im Lager waren, musste ich natürlich aufs strengste die vorgeschriebenen Fasten mitmachen, was bei der grossen Hitze, wir waren jetzt Ende April, keineswegs angenehm war.

Endlich kam ein Danksagebrief vom Sultan an den Grossscherif, wir verabschiedeten uns von Mulei Arschid und erreichten, rasch heimwärts ziehend, in anderthalb Tagen Uesan. Mulei Arschid aber vereinigte sich mit dem Sultan, der von Arbat aus mit der ganzen übrigen Armee gegen die Beni-Hassen ins Feld gerückt war. Da wir ganz unerwartet in Uesan eintrafen, so war natürlich auch kein Empfang.

Nachdem der Ramadhan vorüber, das Aid-el-Sserir mit grossem Gepränge gefeiert worden war, und ich mich von den Anstrengungen des mehrere Monate dauernden Feldzuges erholt hatte, brach ich von Uesan auf, um Tetuan zu besuchen. Reichlich mit Medicamenten versehen und unter dem Titel "ssahab Sidi", d. h. Freund, Diener oder Anhänger des Grossscherifs, wollte ich es wagen, allein die Gegenden zu durchstreifen, es sollte dies gewissermassen als Versuch und Vorbereitung zu meiner Abreise dienen. Ein Spanier, schon seit 15 Jahren in Uesan ansässig und dort verheirathet, begleitete mich[122].

Von Uesan aufbrechend, ich hatte ein eigenes Maulthier und einen vom Grossscherif geliehenen starken Esel, ging es über Tscheralia nach L'xor, und nach einem mehrtägigen Aufenthalt auf dem Westabhange der Rif-Berge, welche man von L'xor aus in einigen Stunden erreicht, nordwärts. Vom Orte Arba el Aiascha gingen wir nach Had bei Arseila, wo ich mein Maulthier verkaufen wollte, da es sich, als nicht besonders stark, schlecht bewährt hatte. Aber wegen zu schlechten Wetters, welches uns zwang, einen ganzen Tag in einem Duar zuzubringen, war der Markttag des Had verpasst worden, und dicht bei dem Sanctuarium Mulei Abd-es-Ssalam ben Mschisch, einer berühmten Sauya und sehr besuchtem Wallfahrtsorte vorbeikommend, zogen wir dann durchs Gebirge Tetuan entgegen.

Bis jetzt waren wir überall gut aufgenommen worden, aber je näher wir Tetuan kamen, desto misstrauischer zeigten sich die Bergbewohner, und eines Abends wollten Tholba eines Dorfes, wo wir zu übernachten beschlossen hatten, uns nur gegen Erlegung von einigen Metkal Quartier geben, "dann würden wir überdies ihres Segens theilhaftig werden." Auf meine Erwiederung, der Segen des Grossscherifs von Uesan, dessen Freund ich sei, genüge mir, zogen sie sich drohend zurück, indessen schienen sie später ihre Gesinnungen geändert zu haben, denn sie brachten ein reichliches Nachtessen. Auf dem Wege von Tanger nach Tetuan angekommen, brachten wir dann eine Nacht in dem Caravanserai zu, bekannt geworden durch den letzten Krieg der Spanier. Hier erblickte ich in den Gebirgsschluchten zum ersten Male die deutsche Eiche wild wachsend, welche mir sonst nirgends mehr in Marokko aufgestossen ist. Sonst hat man in Marokko in den Ebenen vorzugsweise die Korkeiche und auf den Abhängen der Berge die immergrüne Eiche und die Cerriseiche.

Im Caravanserai oder Funduk hatten wir für nächtliches Unterkommen, d. h. für eine leere Zelle und Hofraum fürs Vieh, einige Mosonat zu zahlen, für Geld bekamen wir auch etwas Brod, Milch und einige Eier. Am anderen Morgen erreichten wir gegen 10 Uhr die Stadt Tetuan oder Tetaun, wie die Marokkaner sie nennen. Die Spanier waren gerade beim Abmarsch, denn Tetuan liegt bekanntlich nicht unmittelbar am Meere, so dass die Truppen nicht direct eingeschifft werden können. Ich unterlasse es eine Beschreibung dieser von reizenden Orangengärten umgebenen Stadt zu geben, sie ist hinlänglich aus dem letzten Kriege bekannt.

Nach einigen Tagen Aufenthalt kehrte ich Tetuan den Rücken, und begab mich mit einer grossen Karavane nach Tanger. Der Weg wird gewöhnlich in zwei Tagen gemacht, wir brauchten indess nur Einen. Sehr belebt war er durch heimkehrende Tetauni (Bewohner Tetuans), welche während der spanischen Besatzung die Stadt verlassen hatten, und die nun zurückkehrten, um von ihren Immobilien wieder Besitz zu nehmen. Nachdem ich sodann in Tanger mein Maulthier verkauft hatte, trat ich den Rückweg nach Uesan an, zuerst längs des Strandes.

Man muss indess nicht glauben, dass ein eigentlicher Weg längs des Meeres läuft, davon ist keine Spur vorhanden. Aber der Strand ist so breit, besteht aus so festem Sande, dass er, ausgenommen für Wagen, vollkommen eine macadamisirte Chaussee ersetzt. Man muss aber die Ebbezeit wählen, weil bei Fluth das Meer bis dicht an die Dünen oder Felsen hinantritt. Man kann hier sehen, wie der Atlantische Ocean, dessen breiteste Stelle hier ist, selbst nach tagelangen Windstillen, dennoch immer grosse Wellen schlägt, und alle Zeit ist die Brandung oder das Rauschender den Sand hinaufrollenden Wellen weit im Innern des Landes zu hören.

Man kann recht gut, längs des Strandes reisend, in einem Tag Arseila erreichen, aber wir hatten ein Hinderniss an der Mündung des Ued-Morharha, worüber ein ganzer Tag verging. Zu breit und tief an der Mündung, um durchwatet werden zu können, hat man für Fähr-Einrichtung gesorgt, das Boot aber lag auf der anderen Seite, und kein Fährmann war zu finden oder durch Rufen herbeizulocken. Wir zogen, nachdem wir vergeblich versucht hatten, hindurch zu schwimmen, flussaufwärts, ohne eine Furt zu finden, auf das Bereden der Leute eines Duars kehrten wir um, und diesmal war denn auch der Fährmann an Ort und Stelle, und wir wurden hinüberbefördert. Ehe man Arseila erreicht, hat man dann noch die Mündung des Ued-Aiascha zu passiren.

Arseila, von den Alten Zilia, Zelis und Zilis genannt, wird von einigen Schriftstellern, darunter Hemsö, Höst und Barth, Asila genannt. Wenn nun aber auch die Herleitung des Namens von Zilis unzweifelhaft ist, so ist heute doch nur die Schreibweise mit einem r die einzig richtige, und ist es wohl seit Jahrhunderten gewesen, da Leo, Marmol, Lempriere, Jackson und die meisten Schriftsteller so schrieben. Ohne Zweifel von den Eingeborenen gegründet, später im Besitze der Carthager, der Römer, der Gothen, wurde nach Leo Arseila 712 n. Chr. von den Mohammedanern erobert und 200 Jahre von ihnen behauptet. Dann sollen die Engländer (nach Leo) eine Zeitlang die Stadt besessen haben, und später wieder im Besitze der Mohammedaner wurde sie 1471[123] von den Portugiesen erobert und bis zum Jahre 1545 behauptet. Seit der Zeit ist die Stadt im Besitze der Marokkaner geblieben.

Ob das alte Zilis übrigens genau an der Stelle des heutigen Arseila gewesen ist, ob es nicht vielmehr an der Mündung des Ued-Aiascha einige hundert Schritte weiter im Norden gelegen hat, möchte wohl erst noch festzustellen sein. Jedenfalls ist die heutige Stadt so gelegen, dass sie nie besonders durch Handel und Wandel blühend gewesen sein kann. Am Strande ziehen sich allerdings rechtwinkelig ins Meer hinein Felsblöcke, aber angenommen, sie hätten ehemals einen Hafen gebildet, so würde dies Bassin kaum gross genug gewesen sein 12-16 Fischerböte aufzunehmen. Ueberdies sind die Blöcke so klein, dass sie bei halber Fluth schon vom Wasser bedeckt sind. Die Mündung des Ued-Aiascha, wo man ebenfalls Mauerüberreste bemerkt hat, muss in früherer Zeit ein guter Hafen gewesen sein. Plinius sagt überdies: "Zilis juxta flumen Zilia", welcher Fluss wohl kein anderer sein kann, als der eben erwähnte Aiascha.

Arselia, in der Gegend von Hasbat gelegen, liegt unmittelbar am Meere. Ein rechtwinkliges Oblongum, von halbverfallenen Mauern und Thürmen umgeben, mit zwei Thoren, von denen das eine nach Norden, das andere nach Osten sieht, hat Arseila c. 500 Einwohner mohammedanischer und israelitischer Confession. Man findet in Arseila wie in allen Seestädten Marokko's zahlreiche Spuren christlicher Herrschaft an den alten Bauwerken. Einige am Boden liegende Säulen, ebenso Säulen, die jetzt im Innern der Djemma sind, dürften vielleicht römischen Ursprungs sein. Ein Djemma, ein elendes Funduk sind die öffentlichen Gebäude, ein marokkanischer Jude versieht das englische Consulat. Arseila besitzt nicht einmal Fischernachen, geschweige grössere Schiffe. Trotz der nächsten sandigen Umgebung haben die Bewohner es verstanden, leidlich gute Gärten anzulegen und Feigen, Melonen, Pasteken und die Rebe gedeihen vortrefflich. Aber kein Ort ist so theuer, was Lebensmittel anbetrifft, wie Arseila, und selbst Früchte, die in anderen Theilen von Marokko fast umsonst zu haben sind, kosten hier verhältnissmässig viel Geld.

Die ganze Stadtbevölkerung fanden wir unter Zelten auf einer grünen Wiese dicht am Meere gelagert, da der Sultan für sein ganzes Reich eine dreitägige Festlichkeit angeordnet hatte aus Freude über den glücklich bewältigten Aufstand Sidi Djellul's. Wie der Juden Laubhüttenfest, werden alle derartigen Feierlichkeiten der Marokkaner im Freien abgehalten, wie ja auch bei den grossen religiösen Festen, Aid el kebir, aid sserir und Molud die gottesdienstliche Ceremonie nicht in der Moschee, sondern draussen auf freiem Felde celebrirt wird. Zwischen Tanger und L'Araisch können auch Christen in christlicher Tracht längs des Meeres reisen, ohne befürchten zu müssen belästigt zu werden. So traf denn auch am selben Abend, wo wir in Arseila waren, ein spanischer Kaufmann ein (Christen giebt es sonst keine im Städtchen), der in eben dem Funduk die Nacht zubrachte, welches uns beherbergte.

Von Arseila, das wir am anderen Morgen verliessen, bis L'Araisch hat man längs des Meeres, dessen Ufer immer denselben Charakter beibehält, nur einen halben Tagemarsch, und man muss, um in die Stadt zu gelangen, die Mündung des Ued-Kus übersetzen. Ohne uns aufzuhalten, erreichten wir immer durch einen schönen Korkeichenwald reisend, am selben Tage L'xor. Und auch hier war kein Aufenthalt für uns, da uns die Kunde wurde Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam beabsichtige eine Reise nach Marokko. Zwei Tage darauf waren wir wohlbehalten in Uesan nach einer Abwesenheit von drei Wochen.

Der Grossscherif, der mich wie immer sehr freundlich empfing, sagte mir, allerdings habe er eine Einladung vom Sultan erhalten, ihn nach Maraksch zu begleiten, aber später habe der Sultan in einem anderen Briefe den Wunsch ausgedrückt, nicht zu kommen, da seine Anwesenheit in der Nähe des Rharb, dessen Bevölkerung eben erst eine Revolution durchgemacht hätte, nothwendiger sei, als in Maraksch.

So glaubte ich denn auch, dass die Zeit gekommen sei, mein Geschick von dem des Grossscherifs zu trennen, dessen liebenswürdige und uneigennützige Gastfreundschaft ich nun seit einem Jahre genoss; zudem fühlte ich, dass ich der arabischen Sprache täglich mächtiger wurde, denn hat man die ersten Schwierigkeiten überwunden, so ist diese Sprache als Umgangssprache nicht schwer. Und wenn man ausgerechnet hat, dass ein europäischer Landmann, ein englischer Bauer z. B. in seinen gewöhnlichen Lebensverhältnissen nur ca. 400 Wörter braucht, mit deren Hülfe er alle seine Ideen seinen Mitmenschen mittheilen kann, so hat man sicher in Marokko auch nicht mehr nöthig.

Die ganze Lebensart ist so einfach, der Gegenstände, die der Mensch dort nöthig hat, sind so wenige, die Unterhaltung ist so stereotyp und dreht sich so ziemlich immer um dieselben Gegenstände, dass, wenn man einmal erst mit der Construction der marokkanischen Redeweise vertraut ist, und den nöthigen Wörtervorrath im Gedächtniss angesammelt hat, das Reden ganz von selbst geht. Hauptsache ist dabei, immer Gott und Prophet im Munde zu haben, von Paradies und Hölle zu sprechen, den Teufel nicht zu vergessen, und dabei andächtig mit dem Munde murmelnd den Rosenkranz durch die Finger gleiten zu lassen. Fällt einem dann auch nicht gleich eine Redewendung ein, hat man ein Wort plötzlich vergessen, und sagt stattdessen: "Gott ist der Grösste", oder "Mohammed ist der Liebling Gottes'" oder "Gott verfluche die Christen", so findet das kein Marokkaner, auch wenn diese Redensarten gar nicht dahin passen, auffallend, und er wird selbst den Satz ergänzen, oder das gesuchte Wort finden.

Ehe ich indess Uesan verliess, bot sich mir Gelegenheit dar, mit einem "Emkadem", Intendant, des Grossscherifs nach der kleinen zwischen Fes und Udjda gelegenen Stadt Tesa zu reisen; derselbe war abgeschickt worden, rückständige Gelder für die Sauya Uesan einzukassiren. Den ersten Tag verfolgten wir den von Uesan Dach Fes fahrenden Weg und lagerten am Ued-Ssebu an einer Oertlichkeit, Manssuria genannt, welche aus einigen Hütten bestand und einem Duar, beides Eigenthum des Grossscherifs. Merkwürdig ist diese Gegend dadurch, dass in der Nähe von Manssuria ein steiniges Feld ist, aus dem beständig Schwefeldämpfe und nach den Aussagen der Eingeborenen mitunter auch kleine Flammen emporsteigen[124]. Es ist dies die mir einzig in Marokko bekannte Oertlichkeit, wo vulkanische Erscheinungen heute noch in Thätigkeit sind. Am zweiten Tage, im Thale des Ssebu aufwärts gehend, das die zahlreichen Krümmungen abgerechnet von Osten herkommt, blieben wir noch eine Nacht in einem Tschar (Bergdorf) und erreichten am dritten Tage das malerisch am Berge gelegene Städtchen Tesa.

Nach Ali Bey liegt Tesa auf dem 34deg.9'32'' N. B. und 6deg. 15'' W. L. v. P. auf dem linken Ufer des Ued Asfor (gelber Fluss, wie hier der Ssebu heisst), jedoch fast eine halbe Stunde von ihm entfernt. Ausserdem wird die Stadt vom kleinen Ued-Tesa durchströmt, der vom Süden kommt. In der Lage, d. h. am Abbange eines Berges gelegen, hat Tesa eine ausserordentliche Aehnlichkeit mit Uesan. Leo giebt der Stadt 5000 Feuerstellen, was jedenfalls jetzt viel zu hoch ist, denn sie dürfte kaum mehr als 5000 Einw. haben, von denen ca. 800 Seelen jüdischen Bekenntnisses sind. Hemsö wagt die Vermuthung, dass Tesa das Babba der Alten ist.

Die Stadt, mit einer einfachen Mauer umgeben und einer Kasbah, hat eine beständige Garnison von 500 Maghaseni, eine Auszeichnung, die sie nur noch mit Udjda theilt, welches eine ebenso grosse Besatzung hat, während in allen anderen Städten des Reiches nur ca. 20 Soldaten dem Gouverneur zur Verfügung stehen. Die Lage der Stadt, die Nähe der unruhigen Hiaina, und der anderen vollkommen unabhängigen Bergvölker im Osten und Süden der Stadt machen eine so starke Besatzung sehr nothwendig. Tesa ist Hauptmittelpunkt des Handels zwischen Algerien, resp. Tlemçen und Fes. Aber östlich von Tesa ist die Gegend so unsicher, dass jede Karavane von einer Abtheilung Maghaseni begleitet sein muss. Stark besuchte Karavanenwege führen ausserdem von Tesa nach dem Figig und Tafilet. Die Häuser im Innern der Stadt bekunden Wohlhabenheit der Einwohner, die grosse Moschee, mit antiken monolithischen Säulen im Innern, deutet darauf hin, dass einst die Stadt noch bedeutender gewesen ist, als jetzt, und was die Gesundheit der Luft, die Reichhaltigkeit der Fruchtbäume und die wunderbar schöne Gegend anbetrifft, so kann man nur mit Leo übereinstimmen, der sagt: "Billig sollte dieser Ort, wegen der gesunden Luft, die im Winter sowohl als im Sommer hier stattfindet, die königliche Residenz sein."

Wir waren in Tesa in der Sauya der Tkra Mulei Thaib abgestiegen, und wurden selbstverständlich gut bewirthet. Nach zwei Tagen Aufenthalt, als der Emkadem seine Gelder einkassirt hatte, gingen wir auf demselben Wege nach Uesan zurück, da der directere aber durch die Hiaina führende Weg nicht genug Sicherheit bot, selbst für den Emkadem des Grossscherifs.

In Uesan wieder angekommen, waren meine Tage gezählt; es handelte sich nur darum, die Erlaubniss zur Abreise zu bekommen. Ich durfte nicht daran denken, dem Grossscherif zu sagen, dass ich ihn für immer verlassen wollte, da er sich einmal vollkommen mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, ich wurde immer bei ihm bleiben. So bekam ich denn endlich die Erlaubniss eine kleine Reise machen zu dürfen, und sagte der Stadt Uesan für immer (wie ich damals glaubte, später kam ich aber doch noch wieder nach Uesan) Lebewohl.

[120] Berbervolk an der Oranischen Grenze.

[121] Er musste sogar Revolver und Lefaucheux'sche Flinten gehabt haben, da der Grossscherif später von Leuten mehrere, derartige Waffen geschenkt bekam, und die als in der Karia gefunden bezeichnet wurden.

[122] Einige Monate später wurde er, als er allein von Uesan ins Gebirge reiste, ermordet.

[123] Nach Leo 1477.

[124] Vielleicht das Pyrron Fedion, dessen Ptolemaeus in Mauritana Tingitana erwähnt.


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