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III. Der Sultan von Uándala.

Officieller Empfang. Vertrauliche Audienz. Besteigung des Berges Sremarda. Begehrlichkeit des Sultans. Seine Todesfurcht. Ritt nach der frühern Hauptstadt Mora. Abschiedsgeschenke. Die Unterthanen und die politische Lage.

Unser Zug ging durch mehrere Strassen und hielt dann vor einem mit Thonmauern umgebenen Gehöft, der mir zugewiesenen Wohnung. Sie bestand aus drei verschiedenen Hütten, die zusammen für mich und mein Gefolge genügenden Raum boten. Zwei Stunden nach mir traf auch der Gatroner mit den übrigen Leuten und den Lastochsen glücklich ein. Als ersten Imbiss schickte uns der Herr mit dem rothen Burnus, wie ich nun erfuhr der Bruder des Sultans und einer der höchsten Würdenträger des Reichs, nebst einer Schale Buttermilch ein sehr hartes, dem Pumpernickel ähnliches Brot aus moro; da ich sehr hungerig war, denn ich hatte seit 36 Stunden ausser Thee und Kaffee nichts genossen, würgte ich ein grosses Stück davon herunter. Uebrigens liess sich niemand sehen als ein alter Kre-ma, der sich wir als Diener und Thürhüter vorstellte. Auf meine Frage, wessen Gast ich hier sei, erwiderte er, der Kola-ma (Minister) habe für unsere Beköstigung und sonstigen Bedürfnisse zu sorgen. Zu diesem musste ich aber mehrmals schicken, ehe ich Speisen für uns und einen Sack ngáfoli bekam, der höchstens drei Tage zum Futter für die Pferde und Ochsen ausreichte. Ich hatte ihn zugleich um Butter zur Füllung meiner Lampe bitten lassen (in Centralafrika wird allgemein Butter statt Oel gebrannt), erhielt aber kaum genug für einen Abend, und als ich um grössern Vorrath ersuchte, sandte er mir eine nur halb volle Büchse. Welcher Unterschied in der Aufnahme hier in dem kleinen Vasallenländchen und derjenigen, welche mir in Bornu, dem mächtigsten Negerreiche, zutheil wurde! In Doloo musste ich mir von dem Minister das Nothwendigste erbitten; in Kuka war ich des Sultans eigener Gast und empfing von ihm Weizen, Reis, moro, Butter, Honig und andere Lebensmittel stets in solcher Fülle, dass ich mit dem Uebrigbleibenden einen Handel hätte anfangen können, wäre es mir nicht unschicklich erschienen, von seinen Geschenken etwas zu verkaufen.

Am andern Morgen wollte ich dem Sultan meine Aufwartung machen; da bedeutete man mich, das könne dem Ceremoniell gemäss nicht eher als den dritten Tag nach der Ankunft geschehen. Ich war daher ganz überrascht - eben steckte ich meinem kranken Hunde eine Chininpille in den Hals, denn ich dachte, er leide vielleicht wie die Menschen am Wechselfieber -, als ein Hofbeamter mit der Botschaft erschien, der Sultan erlasse mir die vorgeschriebene dreitägige Frist, er wünsche mich und meine Begleiter sofort zu empfangen. Obgleich ich einwandte, es möchte wol passender sein, dass ich mich dem Sultan zuerst allein vorstelle, da Almas sowol als der von Aba-Bu-Bekr mir überlassene Mann doch eigentlich nur Diener von mir wären und Dunkas sogar in Bornu noch für einen Sklaven gelte, bestand der Bote darauf, sie sollten gleich mitkommen, und so machte ich mich mit ihnen auf den Weg.

Die Residenz des Herrschers von Uándala liegt an dem kleinen Flusse, der die grössere, westliche Hälfte der Stadt von der östlichen, an den Berg gelehnten scheidet. Sehr weitläufig und ein eigenes Stadtviertel bildend, hat sie doch keineswegs das Aussehen eines Palastes. Auf dem Platz vor dem Eingange kauerten eine Menge Sklaven, darunter viele, wahrscheinlich die neu eingegangenen, mit Ketten belastet. Man hiess uns hier unsere Schuhe ausziehen; ich entgegnete aber, ich sei nicht gewohnt, mit blossen Füssen durch den Koth zu gehen, nur in Gegenwart des Sultans würde ich, wenn es die Sitte einmal so verlange, meine Schuhe ablegen. Grosses Staunen. Der Fall, der jedenfalls noch nicht dagewesen war, wurde dem Sultan gemeldet. Ausser Vogel hatte derselbe noch keinen Christen bei sich empfangen, denn zur Zeit als Denham Uándala besuchte, regierte noch der Grossvater des jetzigen Sultans. Bald kam indess der Bescheid, man solle den Christen beschuht eintreten lassen.

Nun wurden wir durch mehrere kleinere Höfe in einen grossen innern Hof geführt. Es war der Audienzplatz. In einer Veranda thronte auf erhöhtem, mit Teppichen belegtem Sitze der Sultan. Er trug einen weissen seidenen Haïk, darüber einen wollenen, ebenfalls weissen Burnus und als Kopfbedeckung eine rothe, turbanartig umwundene Mütze. Zu seinen Füssen kauerte eine Anzahl seiner Günstlinge und Eunuchen. Vor der Veranda stand ein offenes Zelt, unter dem die hohen Würdenträger sassen, acht bis zehn von ihnen in Tuchburnusse gekleidet. Bei spätern Audienzen sah ich nie wieder das Zelt noch überhaupt eine so zahlreiche Versammlung; offenbar wollte der Sultan gleich seine ganze Pracht und Herrlichkeit vor den Fremden entfalten und hatte deshalb auch befohlen, dass ich meine Begleiter mitbringen solle. Ich grüsste Seine Majestät ehrerbietig, und sie erwiderte meinen Gruss mit den mehrmals wiederholten Worten: "Láfia, lafia, marababik" (Friede, Friede, Willkommen!), indem sie uns bedeutete, unter dem Zelte Platz zu nehmen. Alle Würdenträger sassen, wie ich sah, so, dass sie dem Sultan den Rücken zuwandten, als ob sie den Glanz, der von dem erhobenen Antlitz ihres Gebieters ausstrahlt, nicht zu ertragen vermöchten. In derselben Weise postirten sich meine Begleiter; ich selbst jedoch fühlte mich hinlänglich stark, von der Sonne Seiner Hoheit nicht geblendet zu werden. Bei der nun folgenden Unterredung sprach der Sultan, obgleich er des Arabischen mächtig ist, die, Landessprache, sodass mir seine Worte durch Kanúri ins Arabische verdolmetscht werden mussten. Abgesehen davon, dass in Centralafrika eine Reaction gegen das Arabische eingetreten, wie es ja auch in Kuka aufgehört hat die Hofsprache zu sein, glauben die afrikanischen Herrscher ihrer Würde etwas zu vergeben, wenn sie sich mit einem Fremden direct statt durch Dolmetscher unterhielten.

"Was bist du für ein Landsmann?" fragte der Sultan. "Ein Deutscher." - "Wohl, aber bist du ein Engländer oder ein Franzose?" - "Keins von beiden, ein Deutscher; Deutschland ist ein Land für sich und gehorcht keinem fremden Fürsten." - "Ich habe nie von diesem Lande gehört, aber man sagt in Wahrheit, die Christen hätten eine Menge Länder und Fürsten." - "Allerdings gibt es noch viele Länder ausser diesen, und jedes Land hat seinen eigenen Fürsten." - "Kennst du Abd-ul-Asis?" - "Persönlich nicht." - "Hast du Abd-ul-Uahed (Eduard Vogel) gekannt?" - "Nein, aber viel von ihm gehört und gelesen; er war ein Deutscher wie ich." - "Mir sagte er, er sei ein Engländer." - "Allerdings hatte er insofern recht, sich hier einen Engländer zu nennen, als er für die englische Regierung reiste." - "Er war mein lieber Freund." - "Ich hoffe, du wirst auch mich mit deiner Freundschaft beehren." - "O gewiss!" - "Abd-ul-Uahed war Tag und Nacht bei mir."

Ich schalte hier ein, dass der Sultan eines Tages nahe daran war, seinen "lieben Freund" tödten zu lassen, unter dem Vorwande, derselbe habe ohne seine Erlaubniss die Berge bestiegen, in der That aber, weil Vogel sich geweigert hatte, ihm seinen Revolver und seinen Säbel zu schenken. Der Sultan bemächtigte sich der beiden Waffen, die noch in seinem Besitz sind, und hielt den Beraubten in Gefangenschaft, aus welcher diesen nur ein Drohbrief des Mai Omar von Bornu befreite. Seitdem ist der Sultan von Uándala, in zwei Kriegen besiegt, ein völlig abhängiger Vasall des Sultans von Bornu geworden, weshalb ich als Schützling des letztern dergleichen Gewaltthätigkeiten nicht zu befürchten hatte.

Der Sultan fuhr fort zu fragen: "Bezeugst du Mohammed?" - "Nein." Eine so entschiedene Antwort mochte er, obzwar selbst gleich seinen Unterthanen nur ein lauer Mohammedaner, nicht von mir erwartet haben; er brach in lautes Gelächter aus, und alle Höflinge lachten pflichtschuldigst mit und klatschten in die Hände. "Welchen Propheten bezeugst du denn?" - "Jesus Christus und die Propheten der Söhne Israels." - "Es steht aber doch im Koran, Mohammed ist grösser als alle andern Propheten." - "Das steht allerdings darin, aber wer sagt uns, dass es wahr sei?" - "Nur die Ungläubigen zweifeln daran. Ich sehe, du trägst einen Rosenkranz, und von sehr schöner Arbeit; beten die Christen auch den Rosenkranz?" - "Viele zählen ihre Gebete danach ab; ich indess trage ihn, die Wahrheit zu sagen, blos zum Zeitvertreib." Neues Gelächter. Nach einer Pause nahm der erste Fakih, der gelehrte Theologe des Landes, das Wort, indem er mich fragte: "Wie oft betest du des Tages?" - "So oft ich das Bedürfniss dazu fühle, doch pflegen die Christen nicht laut und öffentlich zu beten." - "Kennt ihr den gnädigen Herrn und Propheten Abraham?" - "Wir kennen Abraham, halten ihn aber nicht für einen Propheten." - "Hast du den Koran gelesen?" - "Den Koran, sowol als auch mehrere von den Nachfolgern Mohammeds geschriebene Bücher." - "O Wunder! und dennoch bist du Christ geblieben?" - "In der That." - "Steht im Evangelium auch vom gnädigen Herrn Omar geschrieben?" Jetzt war die Reihe des Lachens an mir; und als der Sultan, der aufmerksam zugehört hatte, mich fragen liess, warum ich lache, erwiderte ich: "Das Evangelium ist ungefähr 600 Jahre vor Mohammed geschrieben, wie kann also darin von einem Manne die Rede sein, dessen Thaten erst so viel später begonnen haben?" - "Das ist wahr", sagte er und gebot seinem Fakih Schweigen. Wieder nach einer Pause fragte der Sultan: "Kannst du Flinten verfertigen?" - "Nein." - "Kannst du Uhren machen?" - "Nein." - "Hast du einen indischen Spiegel (Fernglas)?" - "Ja." - "Hast du einen Revolver?" - "Ja." - "Hast du eine Uhr?" - "Ja." - Mit einigen Fragen über mein Befinden und über das Wetter, das wir auf der Reise gehabt, endete die Unterredung, und wir wurden entlassen.

Die ganze Audienz hatte viel Aehnlichkeit, namentlich auch in den Gesprächen über Religion, mit derjenigen, welche Denham beim Vorfahr des jetzigen Sultans gehabt, der ebenfalls Bu-Bekr hiess (Denham schreibt zwar Bucker, doch ist dies ohne Zweifel nur eine Abkürzung des Namens Bu- oder Aba-Bu-Bekr), der aber noch ein vollkommen souveräner Herrscher, ein Verbündeter des Schichs Mohammed el Kanemi gegen die Pullo war. Denham beschreibt die Ceremonie folgendermassen: "Die Art der Begrüssung ist seltsam. Barca Gana (ein Truppenführer, mit dem er von Kuka gekommen war) als Stellvertreter des Schichs näherte sich einem Platze vor den Verschnittenen mit niedergeschlagenen Augen; dann setzte er sich, ohne den Blick aufzuschlagen, seinen Rücken gegen den Sultan gekehrt, und rief, indem er mit den Händen klatschte, "engubero dega", (möget Ihr ewig leben!) ... Diese Worte wurden nahe beim Sultan wiederholt, und dann sang sie der ganze Hof ... " Auch von der Gastfreundschaft und der Kochkunst in Mandara weiss Denham nichts Rühmliches zu berichten, so wenig, als ich davon erbaut war. Gussab-Mehlbrei in hölzernen Schalen, sagt er, mit heissem Fett übergossen und mit Pfeffer bestreut, gelte dort für die höchste Leistung der Kochkunst.

Nachmittags wollte ich ausgehen, um mir die Stadt zu besehen, da sagte mir der alte Kre-ma, ich dürfe ohne Erlaubniss des Sultans das Haus nicht verlassen. Natürlich kehrte ich mich nicht daran, sondern ging in Begleitung von Almas auf die Strasse. Inzwischen lief der Kre-ma rasch voraus zum Kola-ma, ihm von dem wichtigen Vorfall Anzeige machend. Dieser kam uns entgegen und bat mich umzukehren. Ich erwiderte ihm indess, ich sei kein Gefangener, und setzte ruhig meinen Weg durch die Strassen fort. Beim Hause des Kaiga-ma (ein Kanúri-Wort und Titel am Hofe von Bornu, etwa dem Uándala-Wort Thagama entsprechend) waren Arbeiter mit Erhöhung der Stadtmauer beschäftigt, und um die Leute anzufeuern, spielte man ihnen Musik vor. Es wurden nämlich zwei harfenähnliche fünfsaitige Instrumente mit den Händen gerührt, dazu zwei hölzerne Trompeten von 2 Meter Länge geblasen, eine mit kleinen Steinchen gefüllte und mit Leder überzogene Kürbisschale geschwungen, endlich eine grosse Trommel gepaukt. Denham erwähnt auch "zwei ungeheuere 12-14 Fuss lange Trompeten, welche Männer zu Pferde trugen, sie waren aus Holz gemacht und hatten ein kupfernes Mundstück." Diese höllische Instrumentalmusik begleitete ein alter Mann mit seinem Gesange. Ich war eben im Begriff, die Worte, die er sang, in mein Notizbuch zu schreiben, als der Kola-ma in aller Eile herbeikam und mir mittheilte, der Sultan wolle mich auf der Stelle sprechen.

Ohne Zögern begab ich mich in das Palais und wurde sogleich zum Sultan geführt. Er empfing mich diesmal im Innern des Hauses, unter einer Veranda sitzend, deren Boden mit grobem Kies bestreut war. Seine Kleidung bestand aus schwarzer weiter Tuchhose, blauem Hemd und einer weissen Miitze. Nur zwei Eunuchen und zwei die Thür zum Harem bewachende Sklaven waren zugegen. Nach den üblichen Begrüssungen sprach er in ziemlich gutem Arabisch: "Es ist sonst strenge Vorschrift, dass Fremde nicht vor dem dritten Tage nach der Ankunft sich mir vorstellen, auch ohne besondere Erlaubniss vor dem dritten Tace ihre Wohnung nicht verlassen dürfen; mit dir aber mache ich eine Ausnahme, du kannst ausgehen, wann und wohin es dir beliebt. Ich hoffe, du wirst diesen Beweis meiner Freundschaft zu schätzen wissen." Ich bedankte mich höflich, und in ungezwungenem Tone wurde die Unterhaltung weitergeführt. Sultan Bekr, nach seiner eigenen Angabe 34, nach meiner Schätzung aber wol 40 Jahre alt, von dunkelschwarzer Hautfarbe, mit freundlichem, von einem schwarzen Backenbart umrahmten Gesicht und hoher, wohlproportionirter Gestalt, zeigte sich mir als eine heitere, stets zum Scherzen und Lachen aufgelegte Natur, dabei in religiöser Beziehung vorurtheilsfrei und fern von Fanatismus oder Unduldsamkeit. Mit lebhaftem Interesse hörte er an, was ich ihn auf sein Befragen von europäischen Einrichtungen, Fabrikaten und neuen Erfindungen mittheilte. Sodann legte er mir seinerseits die Hauptstücke seines Curiositäten-Cabinets vor: eine Stockflinte, den Revolver, den er Vogel abgenommen, eine mit Kupfernägeln beschlagene Kiste u. s. w., natürlich sprach ich über alles meine höchste Bewunderung aus. Erst nach zwei Stunden ward ich entlassen.

Abends ging ich in der Absicht zu baden an den Gua (Fluss), der von Mora kommt und sich mit dem Jakoa vereinigt, fand ihn aber so seicht, dass ich davon abstehen musste. Auf dem Rückwege nach der Stadt begegneten mir mehrere Dorfbewohner, alle ganz nackt bis auf einen den Sitztheil bedeckenden kurzen Lederschurz, die das Fleisch eines gefallenen Esels auf ihren Schultern heimtrugen. Und wie ich mich später überzeugte, wird nicht blos von den heidnischen Dorfbewohnern, sondern auch von den Mohammedanern in Dolon das Fleisch an Krankheiten verendeter Thiere genossen. Auch Denham bestätigt dies. Während seines Aufenthalts am Hofe von Doloo kamen Abgesandte der Musgu dahin; sie verlangten, von einem im Lager crepirten Pferde zu essen, worin Denham einen Beweis erblickte, dass die Musgu keine Christen seien. Er wusste also nicht, dass die Mohammedaner Centralafrikas, da sie nur Gläubige oder Ungläubige kennen, zwischen kerdi (Heide) und nassara (Christ) keinen Unterschied machen. In meiner Wohnung angelangt, liess ich den Kola-ma um einen Topf voll busa, hier nbull genannt, bitten, ein Gebräu, dessen vorzügliche Bereitung in Uándala man mir gerühmt hatte; allein das widerliche Aussehen schreckte mich ab, es zu versuchen, ich überliess das Getränk meinen zum Theil immer noch kranken Dienern.

Früh am andern Morgen wurde ich von einem Boten des Sultans aus dem Schlafe geweckt, durch den er mich ersuchte, sogleich zu ihm zu kommen. Neugierig, was sein Begehr sei, zog ich mich rasch an und folgte dem Boten. Der Sultan bat mich um Medicin für eine seiner Töchter, die auf einem Auge erblindet war. Da ich sah, dass hier mit Medicamenten, vielleicht selbst mit einer Operation nicht mehr zu helfen sei, schrieb ich nur einen Spruch nieder und legte den Zettel auf das leidende Auge, womit der Vater wie die Tochter sich befriedigt erklärten.

Denselben Tag unternahm ich eine Excursion nach dem 2 Kilometer südwestlich von der Stadt gelegenen Berge Sremarda, auch Sau-kursa genannt. An seinem Fusse zeigte das Barometer (ich hatte nur ein kleines deutsches Taschen-Aneroid mit, das mir Dr. Barth kurz vor seinem Tode von Berlin geschickt hatte) 2661/2 also eine absolute Höhe von ungefähr 450 Meter. Die Steilheit der Wände und Abhänge, die mit zerstreuten Granitblöcken, dazwischen aber mit undurchdringlichem Gebüsch und hohem Grase bedeckt sind, machte das Hinaufsteigen äusserst schwierig. Oft konnte ich nur auf allen Vieren vorwärts kommen, und mehr als einmal war ich im Begriff umzukehren, aber die Hoffnung auf eine weite Aussicht vom Gipfel des Berges verlieh mir wieder Kraft zum Weiterklettern. Vor mir sprangen Heerden von Pavianen (Cynocephalus) auf, jedesmal wenn ich mich näherte ein dumpfes Gebrüll ausstossend. Endlich erreichte ich die aus einem einzigen Granitblock gebildete Spitze und wurde in der That durch ein herrliches Panorama für meine Mühe belohnt. Zu meinen Füssen lag die Stadt Doloo, nach Süden zu erstreckt sich eine gewaltige Gebirgsmasse, deren bedeutendste Punkte ich übersehen konnte: den Berg Melko, in der Richtung von 140deg. circa 15 Stunden entfernt, den Berg Muéngdje, in 150deg. circa 8 Stunden, den Berg Wame, in 170deg. circa 5 Stunden, die Stadt Mora, in 190deg. circa 3 Stunden, das Gebirge Padógo, in einem Kreise von 170deg. bis 240deg. circa 4 Stunden, den Berg Mokté1e, in 210deg. circa 8 Stunden, das Gelabda-Gebirge, von 280deg. aus nach Südwesten ziehend, circa 15 Stunden, den Deladebá, von 280deg. nach Westen ziehend, circa 15 Stunden, den Berg Grea, in 300deg. crerader Linie circa 3 Stunden, und im Nordosten den einzelnstehenden Fels Mosa, in der Richtung von 50deg. circa 10 Stunden entfernt. Nach dem Aneroid beträgt die absolute Höhe des Sremarda 620 Meter, die relative 170 Meter. Das Gestein ist grobkörniger grauer Granit, hier und da an der Oberfläche geschwärzt. Ebenso schwierig wie das Hinaufklimrnen war das Herabsteigen, wenn es auch schneller von statten ging. Unten angekommen, fühlte ich mich so ermattet, als wenn ich einen ganzen Tag zu Fusse marschirt wäre.

Ich übersandte nun dem Sultan meine Geschenke, hauptsächlich aus verschiedenen Gewehren bestehend, und er bezeigte seine volle Zufriedenheit damit. Den Kola-ma, der zwar nichts von mir erwartet zu haben schien, beschenkte ich mit einem Stück weissen Kattun von 70 Ellen, einem Turban und ein paar Taschentüchern.

Nachmittags liess mich der Sultan wieder zu sich rufen. Nachdem er mir alle seine übrigen Sachen, selbst seine Kleidungsstücke gezeigt hatte, verlangte er meinen Revolver zu sehen. Ich schickte nach der Waffe, und als sie der Sultan betrachtet, äusserte er sich ganz entzückt über die wundervolle Arbeit. Plötzlich sagte er: "Willst du zehn Sklaven dafür, oder wie viele ist er dir werth? Kola-ma, suche zwanzig Sklaven aus, zehn männliche und zehn weibliche, und gib sie dem Christen. Bei Gott, den Revolver lasse ich nicht! Du da, trage ihn schnell fort!" Damit übergab er ihn einem Eunuchen, der sich damit entfernte. Der Kola-ma wollte gehen, um die zwanzig Sklaven für mich zu holen; ich protestirte aber dagegen, indem ich dem Sultan sagte: "Du weisst doch, dass ich kein Sklavenhändler bin; den Revolver, da du ein so unwiderstehliches Verlangen danach trägst, mache ich dir zum Geschenk, doch ist es mir um so schmerzlicher, mich von demselben zu trennen, wenn ich bedenke, dass die Waffe,. sobald die paar Ladungen verschossen sein werden, für dich gar keinen Nutzen mehr haben kann. Indess", fügte ich hinzu, "will ich dir von Kuka aus die noch vorräthige Munition dazu schicken." So war ich denn um meinen schönen damascirten Revolver gekommen. Ich hatte ihn von Lefaucheux in Paris für 130 Frs. gekauft, und Lefaucheux Revolver versagen nie, was bei den besten englischen und deutschen nicht selten der Fall ist.

War es der Aerger über den Verlust meines Revolvers, oder hatte ich mich bei der Bergbesteigung zu sehr angestrengt, ich bekam abends heftiges Fieber und musste mich zeitig niederlegen. Die ganze Nacht hindurch von wirren Träumen verfolgt, fühlte ich mich am Morgen aufs äusserste ermattet. Eine starke Dosis Chinin in Citronensäure aufgelöst hemmte zwar sofort das Fieber, die Kräfte aber kehrten mir nur sehr langsam zurück. Als der Sultan erfuhr, dass ich unwohl sei, schickte er mir eine fette Kuh, zwei Lederbüchsen voll Butter und einen Topf Honig nebst einem Gericht aus seiner Küche. Im übrigen blieb nach wie vor der Kola-ma mit unserer Verpflegung betraut; die Speisen, die er uns zukommen liess, waren meist unverdaulich, und das Futter für die Pferde so wenig ausreichend, dass ich es durch selbstgekauftes ergänzen musste.

Einen noch schmerzlichem Verlust als am vorigen Tage sollte ich an diesem erfahren. Mein armer Hund, der schon längst nicht mehr gehen konnte, war nachts aus meinem Zimmer, als wollte er mir den Anblick seines Todes ersparen, in den Stall gekrochen und wurde am Morgen todt zwischen den Pferden liegend gefunden. Es kamen sogleich eine Menge Leute herbei, welche den Leichnam zum Verspeisen haben wollten, darunter auch ein Verwandter des Sultans. Letzterm schenkte ich ihn, und hocherfreut trug er den Braten auf seinem Kopfe nach Haus. Man ersieht aus dem Umstande, dass selbst ein Verwandter des Sultans sich nicht scheute, ein nicht geschlachtetes, sondern gefallenes Thier, das den Mohammedanern für djifa, d. h. unrein gilt, dessen Genuss daher aufs strengste verboten ist, vor aller Augen als Braten heimzutragen, wie wenig der Islam seinem Wesen nach sich hier eingebürgert hat. Meinerseits dachte ich, besser, das Geschöpf, das mir im Leben so grosse Dienste geleistet, dient auch im Tode noch jemandem zum Nutzen, als dass es ungenutzt in der Erde verwest. In unsern Herzen haben ich und alle meine damaligen Begleiter ihm ein dankbares Andenken bewahrt. Als ich 1869 den Gatroner in Tripolis wiedersah, war viel von seiner unermüdlichen Wachsamkeit die Rede, und so oft ich meinen kleinen, jetzt erwachsenen Reisekumpan Noel in Berlin besuche, erinnern wir uns stets gern des treuen Mursuk.

Bis zum Nachmittag hatte sich mein Zustand so weit gebessert, dass ich den kurzen Weg zur Residenz, zwar nicht zu Fuss, doch zu Pferde zurücklegen konnte. Der Sultan bot mir einen jungen Löwen als Präsent an. Ich dankte natürlich für die Ehre, mit dem Ersuchen, er möge das schöne Thier aufbewahren, bis einmal vielleicht ein anderer Reisender aus einem Christenlande zu ihm käme, der mit geeignetem Mitteln zu dessen Transport versehen sei als ich. Von mir verlangte er, ich solle ihm vier Sprüche aufschreiben: einen, der ihn unverwundbar, einen andern, der ihn immer siegreich über seine Feinde mache, einen dritten, der die Kraft habe, dass niemand seine Stadt einnehmen könne, und einen vierten, der ihn vor jeder Krankheit schütze. In seinem Aberglauben befangen, kam der Verblendete gar nicht auf den Gedanken, dass derjenige, dem er solche Zaubermacht zutraute, in diesem Augenblick ja selbst von Krankheit befallen war. Ferner wünschte er einen besonders wirksamen Spruch aus dem Evangelium zu haben; ich schrieb ihm das "Vaterunser" ins Arabische übersetzt auf und sagte, dieses hielten die Christen für das kräftigste Gebet; wenn er aber mehr aus dem Evangelium lesen wolle, könnte ich ihm das ganze Buch in arabischer Sprache verschaffen.

Auch am Morgen des 27. September entbot mich der Sultan wieder zu sich, und wieder hatte er allerhand Begehren an mich zu stellen. Ich sollte ihm meine Uhr - den Chronometer, überhaupt alle werthvollern Sachen hatte ich in Kuka gelassen - und mein Fernrohr zeigen. Allein da ich nun wusste, dass sehen und behalten bei ihm eins sind, wandte ich vor, die beiden Gegenstände seien ganz zu unterst in meinem Reisesack verpackt und liessen sich jetzt nicht heraussuchen. Er beruhigte sich dabei, verlangte aber nun mein Zelt zu sehen. Dieses glaubte ich eher missen zu können, denn ich hatte noch zwei kleinere Zelte mit, die jetzt, nachdem der grösste Theil des Gepäcks hier verschenkt worden war, für meinen Bedarf genügten. Ich schickte danach, und als es aufgeschlagen vor dem Sultan dastand, fanden die eisernen Pflöcke, das starke Segeltuch, die innere Bekleidung von blauem Merino sofort seinen allerhöchsten Beifall, und ohne mich weiter zu fragen, sah er es als sein Eigenthum an.

Dagegen erhielt ich leicht die Erlaubniss zur Besteigung des südlich von Doloo circa drei Tagereisen entfernten Berges Mendif, dessen Gipfel man als den höchsten Punkt des Gebirges bezeichnet. Leider erwies sich aber mein Vorhaben als unausführbar. Die Regenzeit, die in Uándala und besonders in dem angrenzenden Gebirge gewöhnlich volle sieben Monate dauert, verlängerte sich in diesem Jahre noch darüber hinaus, und während derselben auf die Berge zu gehen, ist eine reine Unmöglichkeit. Ausserdem stellte man mir vor, dass die Bewohner des Gebirgs jeden von Uándala Kommenden als Feind behandeln; denn der Sultan ist wie mit allen Nachbarstämmen beständig im Kriege mit ihnen. Bestreitet er doch seinen ganzen, nicht unbeträchtlichen Aufwand einzig aus dem Verkauf der Menschen, die er in den Grenzländern ringsum jagt und als Beute mit fortschleppt. So geschah es in der Zeit meiner Anwesenheit zu Doloo, dass eines Abends der Kola-ma mit 50 Mann auf den Menschenraub auszog und in einem jenseit der Grenze liegenden Dorfe ein Dutzend wehrloser Weiber und Kinder vom Felde wegfing. Unselige Folgen des Sklavenhandels! Hätte ich noch monatelang dableiben können, so würde sich vielleicht Gelegenheit gefunden haben, unter sicherer Bedeckung in das Gebirge zu kommen; allein ich musste wieder in Kuka sein, wenn die Antwort auf mein Schreiben an den Sultan von Uadaï dort eintraf, leider also von meinem Vorhaben Abstand nehmen. Ebenso scheiterte der Plan, von Uándala aus über den Delalebá und Isge nach Magómmeri zu gehen, da man mich versicherte, ich könne auch diese Berge in der nassen Jahreszeit mit Pferden und Ochsen absolut nicht passiren.

Als Gegengeschenk für das Zelt verehrte mir der Sultau eine Meerkatze von der kleinen, in der Berberei und in Tibesti heimischen Art und zwei alte werthlose Pantherfelle, die indess meine Leute zu Schlafdecken gebrauchen konnten; ein Stachelschwein lehnte ich mit dem Bemerken ab, dieses Thier sei auch in Europa genugsam vorhanden. Obgleich er nun schon Geschenke im Werthe von 150 Thaler von mir bekommen hatte, verlangte er noch, ich solle ihm meine Doppelflinten schenken oder wenigstens gegen zwei seiner verrosteten Steinschloss-Gewehre in Tausch geben. Ich erklärte ihm jedoch kurz, die Flinten seien Eigenthum meiner Begleiter, die ich nicht zwingen dürfe, ihre guten Waffen gegen schlechte zu vertauschen. Hierauf liess er sich eine Ledertasche bringen, aus welcher er etwa zwei Dutzend verschiedene Messer und Scheren hervorzog; während er dieselben vor mir ausbreitete, erzählte er, sie seien ihm von Vogel geschenkt worden und er habe die Tasche immer am Sattel hängen, wenn er ausreite. Ehe er mich entliess, musste ich versprechen, nächsten Vormittag wieder zu ihm zu kommen.

Seiner Gewohnheit gemäss ging auch diese Morgenaudienz nicht vorüber, ohne dass er dies und jenes von meinen Sachen begehrte. Zuletzt beanspruchte er eine Portion von aller Medicin, die ich bei mir habe. Ich brachte ihm Brechpulver, Chinin und Opiumextract, belehrte ihn auch über den Gebrauch dieser Arzneimittel. Da er aber im höchsten Grade mistrauisch ist und in beständiger Furcht schwebt, vergiftet zu werden - er berührt keine Speise, die nicht seine Mutter zubereitet hat, und niemand, sei es auch sein Bruder, darf sich ihm bewaffnet nahen -, sollte ich vor seinen Augen von jedem der drei Medicamente etwas einnehmen. Ich entschuldigte mich mit meinem Unwohlsein, worauf Almas, als echter Höfling, an meiner Statt das fatale Experiment freiwillig an sich vollzog. Man kann denken, welche Wirkung dieses gleichzeitige Verschlucken drei so drastischer Arzneien hervorbrachte und welch fürchterliche Grimassen Almas ohnehin hässliches Negergesicht verzerrten. Von der Todesfurcht des Sultans erhielt ich einen neuen Beweis, als er mich bat, einen Leistenbruch, an dem er litt, zu untersuchen; denn da ich sagte, er möge sich entkleiden und zu dem Ende seine Diener herausschicken, brach er in die Worte aus, die mir Almas nachher verdolmetschte: "O seht den Christen! Er will mit mir allein sein und mich dann erdrosseln!" Beim Weggehen forderte er mich auf, nachmittags mit nach Mora, der frühern Hauptstadt von Uándala, zu reiten, was ich gern annahm.

Pünktlich um 2 Uhr fand ich mich, von Almas, Dunkas und dem Gatroner begleitet, vor der königlichen Wohnung ein, wo bereits etwa 50 Grosse des Reichs, alle zu Pferde und mit ihrer besten Kleidung angethan, versammelt waren. Bald erschien auch der Sultan auf einem schönen, reichgeschirrten Schimmel; er war ganz in Weiss gekleidet und sass auf einer blauseidenen, mit Goldsternchen gestickten und mit goldenen Fransen besetzten Schabracke, einen aufgespannten blauen Regenschirm in der Hand haltend. Sobald die Grossen seiner ansichtig wurden, erhoben sie zur Begrüssung ein wüstes Geschrei, in dem ich die Worte "Sieger - Stier - Löwe - Herrscher der Könige" unterscheiden konnte. Ich und meine drei Begleiter mussten uns an die Spitze des Zuges stellen, wahrscheinlich weil wir mit Flinten bewaffnet waren, während alle andern nur Lanzen hatten; dann folgten die Würdenträger und zuletzt der Sultan, umgeben von seinen Sklaven und Eunuchen. Wo der Zug vorüberkam, fielen die Leute auf die Knie nieder und schrien, so laut sie konnten, namentlich die Weiber. Auch seitens der Grossen hörte das barbarische Geschrei den ganzen Weg über nicht auf. "Eine Grube, o Herr! - Ein Stein, o Herr! - Hab Acht, o Herr! - Ein Kornfeld, o Löwe!" so gellte es mir in einem fort in die Ohren. Schon Denham fand den Gebrauch, dass beim Ausritt des Herrn das Gefolge ihm unablässig zuschreit, sonderbar genug, um desselben in seinem Reisewerke Erwähnung zu thun; er schreibt von einem Ritt, auf dem er den Feldherrn von Bornu Barca Ghana begleitete: "Unterhaltender aber und nützlicher waren die Fussgänger, die dem Zuge vorausliefen und als Pionniere dienten. Es waren ihrer zwölf, sie hatten zackige Lanzen, mit welchen sie sehr geschickt, indem sie rasch voraufgingen, die Zweige zurückbogen und so den Weg offen hielten, der sonst fast ungangbar gewesen wäre. Dabei hörten sie nicht auf zu rufen: >>Habt Acht auf die Löcher! - Weicht den Zweigen aus! - Hier geht der Weg! - Vermeidet den Tullah (Akazienbaum)! - Seine Stacheln sind wie Speere, schlimmer als Speere! - Biegt die Zweige weg! - Für wen? - Für Barca Ghana! - Wer ist in der Schlacht dem rollenden Donner ähnlich? Barca Ghana! - Wer ist unser Führer? Barca Ghana!<< u. s. f."

In kurzem Trabe ritten wir 21/2 Stunden südwestlich immer durch den Wald. Dann lag die Trümmerstätte von Mora vor uns an der Nordseite einer steilen, 600-800 Fuss hohen Bergwand. Die Stadt wurde im letzten Kriege mit Bornu, 1863, von Aba-Bu-Bekr, dem Sohne des Sultans von Bornu, eingenommen und gänzlich zerstört. Der Sultan hatte sich mit seiner Kriegsschar auf den Berg zurückgezogen. Dorthin konnte ihm der Feind nicht folgen, und es kam eine Capitulation zu Stande, laut welcher er sein Land als Lehen von Bornu zurückerhielt, dagegen sich zum jährlichen Tribut einer bedeutenden Anzahl Sklaven verpflichtete. Als Unterpfand des Friedens musste er Aba-Bu-Bekr seine Tochter zur Frau geben. Indessen, so wenig die Verschwägerung des frühern Herrschers von Uándala, des Sultans Bekr, mit dem Schich Mohammed el Kanemi von Bornu neue Kriege zwischen den beiden Ländern verhinderte, ebenso wenig dürfte der jetzige Sultan sich abhalten lassen, bei erster Gelegenheit die Wiederabschüttelung des ihm auferlegten Vasallenjochs zu versuchen. Gewiss in keiner andern Absicht geschieht es, dass er seine neue Hauptstadt sorgsam befestigen lässt und sich mit den Sultanen von Uadaï und Dar-Fur verbindet.

Mora stand übrigens, als es zerstört wurde, erst kaum 40 Jahre, wie uns Denham erzählt: "Delow (Doloo), die erste Stadt in Mandara, die wir erreichten, und früher des Sultans Residenz mit wenigstens 10000 Einwohnern, hat Quellen mit herrlichem frischen Wasser; in den Thälern stehen Feigenbäume... " Und weiter: "Vor etwa zehn Jahren (also etwa 1812) fand der Sultan so wenig Schutz hinter den Mauern seiner damaligen Residenz Delow gegen die Angriffe der Felatahs, dass er die neue Stadt Mora baute, fast ganz gegen Norden und unter einer halbkreisförmigen Reihe sehr malerischer Berge liegend. Diese natürliche Schutzwehr bildet einen sichern Wall bis auf eine Seite, und der Sultan hat bisher den Angriffen seiner Feinde Widerstand geleistet."

Jetzt hatten sich bereits wieder etwa funfzig Familien an der Stätte neu angebaut. Alle ihre Habe und ihre Vorräthe aber verwahrten sie der Sicherheit wegen oben auf dem Berge, der allerdings ohne europäische Geschütze, wenigstens von der Nordseite her uneinnehmbar ist. Für den Sultan war ebenfalls wieder ein Haus hier errichtet worden. Vor demselben hielt der Zug, doch ich allein wurde vom Sultan eingeladen, mit ihm hineinzutreten. Drinnen fragte er mich, ob auch den christlichen Königen, wenn sie ausreiten, solche Ehren von ihrem Gefolge erwiesen würden, wie ich sie auf dem Wege hierher gesehen und gehört hätte. Ich erwiderte, jedermann bezeige bei uns dem Könige Ehrfurcht, nur geschehe es in anderer Weise; auf Steine und Gruben brauche man den König nicht durch lautes Rufen aufmerksam zu machen, weil alle Wege gebahnt oder gepflastert seien. Das schien freilich über seinen Horizont zu gehen, er schüttelte ungläubig den Kopf dazu. Hierauf musste ich die einzige Merkwürdigkeit des Ortes bewundern, einen Citronenbaum im ehemaligen Garten des Sultans; sonst erhebt noch hier und da eine einsame Palme ihr Haupt über die zerstörten Häuser und Hütten. Nach kurzer Rast stiegen alle wieder zu Pferde, und im Trabe ging es denselben Weg zurück. Die Nacht war schon hereingebrochen, als der Zug in Doloo ankam.

Mora ist einer der südlichsten Orte in Uándala; ich hatte somit ziemlich das ganze Ländchen gesehen, und da die überschwemmten Wege dem weitern Vordringen ein unüberwindliches Hinderniss entgegensetzten, schickte ich mich zur Rückreise nach Kuka an. Am folgenden Tage wurde ich dreimal zum Sultan gerufen. Das letzte mal, abends, fand ich ihn im Innern seines Weiberhauses vor einem lodernden Feuer, das sowol der Beleuchtung als der Erwärmung wegen brannte, denn sobald das Thermometer unter +30deg.sinkt, frösteln die Eingeborenen schon. Er äusserte den lebhaften Wunsch, eine Flagge zu besitzen, und hatte ein Auge auf meine bremer Flagge von feinem Merino geworfen. Ich machte ihm indess begreiflich, wenn ein Sultan die Flagge eines andern Sultans führe, so halte ihn alle Welt für dessen Unterthan; es müsse also für das Reich Uándala eine eigene Flagge angefertigt werden. Den nächsten Morgen liess ich von Almas einen Halbmond von weissem Baumwollenzeug mit einem Stern und noch einem andern Abzeichen auf ein viereckiges Stück rothen Damast nähen und einen Stock daran befestigen, an dem man es heraufziehen und herunterlassen konnte. Diese roh zusammengestückelte Flagge brachte ich dem Sultan. Sie wurde sofort an einer passenden Stelle seines Hauses aufgepflanzt. Als er sie von dort herabwehen sah, glänzte sein fettes Negergesicht vor Stolz und Freude. Auf die Frage, wann die Sultane ihre Flagge aufziehen, gab ich ihm zur Antwort: Freitags und an andern mohammedanischen Feiertagen.

Vormittags am 30. September machten wir dem Sultan unsern Abschiedsbesuch. Meine Begleiter erhielten Sklaven zum Geschenk: Almas und der Mann Aba-Bu-Bekrs jeder ein erwachsenes Mädchen im Werthe von 25 Thaler, Hammed einen Knaben von gleichem Werth, Dunkas ein kleines Mädchen im Preise von etwa 10 Thaler. Für mich wurde ein Ameisenfresser (Erdferkel, Orycteropus aethiopicus, auf Uándala: ngurugu, auf Kanúri: djóro) gebracht, und da ich bedauerte, das interessante Thier nicht mitnehmen zu können, erbot sich der Sultan, es mir nach Kuka nachzusenden. Zugleich forderte er mich auf, selbst zu sagen, was ich noch begehrte; jeder meiner Wünsche sollte erfüllt werden. Ich erwiderte, für meine Person bedürfe ich nichts weiter, ich hätte nur den Wunsch, dass er Reisende, die nach mir zur Erforschung des Landes und der Gebirge hierherkämen, gastlich aufnehmen und ihnen alle Unterstützung bei ihrem Vorhaben gewähren möge. Das versprach er mit den Worten: "Sage allen Christen, ich hin ein guter Mann, und jeden, aus welchem Christenlande er sei, werde ich willkommen heissen." Meine Rückreise betreffend, rieth er mir, nicht über Díkoa zu gehen, weil das ganze Land bis dahin unter Wasser stehe, sondern wieder den Weg über Udjë zu nehmen. Mittlerweile hatte sich ein heftiger Regen eingestellt, sodass ich mir um nicht auf dem Gange nach meiner Wohnung ganz durchnässe zu werden, einen wollenen Haïk leihen musste.

Einige Stunden nach der Abschiedsaudienz schickte mir der Sultan noch folgende Präsente: einen Korb Datteln, in Uándala eine grosse Rarität, einen Topf voll nbull, das ich aber, obgleich es im Gebirge bereitet war, ebenso ungeniessbar fand wie das früher von dem Kola-ma mir übersandte Gebräu, ferner einen kräftigen, etwa zwanzigjährigen Burschen, dergleichen auf dem Sklavenmarkte zu Kuka um 25 Thaler verkauft werden, und eine zwischen 12 und 13 Jahre alte Maid von tiefschwarzer Farbe, für die wol, da sie eben die Pubertät erreicht hatte, doppelt soviel zu erlangen wäre. Letztere wollte ich gleich wieder zurückgeben; man sagte mir aber, der Sultan würde dies als eine Beleidigung ansehen, denn er habe sie seinem eigenen Harem entnommen. Sie verstand kein Wort Kanúri und bezeigte völlige Gleichgültigkeit gegen ihr Schicksal, als ich ihr verdolmetschen liess, dass sie mit nach Kuka gehen solle. -

Uándala ist im Süden halbkreisförnlig von Gebirgen umschlossen, im Westen bildet der Delalebá, im Osten unabhängiges Fellata-Gebiet, im Norden Bornu die Grenze. Nach Denham hat das Land nicht mehr als 12 Ortschaften, doch kann diese Zahl jedenfalls nur die grössern Orte umfassen. Die Bewohner, im ganzen etwa l50000, wovon 30000 auf die Hauptstadt kommen, halten sich für nahe mit den Kanúri verwandt, und in der That haben die Sprachen der beiden Völker eine Menge übereinstimmender Wörter; Barth hätte deren viel mehr finden können, als er in seinen Vocabularien anführt, wäre er nicht immer von der vorgefassten Meinung ausgegangen, dass die Kanúri nur mit den Teda verwandt seien. In der Körperbildung aber stehen die Uándaler den Haussaern näher als den Kanúri, von denen sie sich durch vollere Formen unterscheiden. Die Männer haben einen hohen, doch flachen Vorderkopf, grobes krauses Haar, feurige Augen und weniger platte, mehr gebogene Nasen als die Bornuer. Von den Frauen sagt Denham: "sie sind berühmt wegen ihres guten Aussehens - Schönheit kann ich nicht sagen. Was man an ihrer Gestalt hervorhebt, muss ich ihnen auch zugestehen: sie sind ausgezeichnet mit der den Hottentottinnen eigenen Fülle begabt, ihre Hände und Füsse sind klein, und da dies in den Augen der Türken sehr geschätzte Eigenschaften sind, so werden Sklavinnen aus Mandara immer mit hohen Preisen bezahlt." Nach meinen Wahrnehmungen haben die Frauen, meist von kleiner Statur, breite Gesichter mit hervorstehenden Backenknochen, ausdrucksvolle Augen und nicht so stark gewulstete Lippen wie die Männer. Hinsichtlich der Industrie, namentlich was die feinern Arbeiten anlangt, können sich die Uándaler nicht mit den Kanúri messen; nur in der Verarbeitung des Eisens, das in grossen Massen im Gebirge zu lagern scheint, haben sie es zu ziemlicher Geschicklichkeit gebracht. Gleich in den südlich an Uándala grenzenden Orten sind Eisenstücke als Münze im Verkehr, während bis hierher noch die Kattunstreifen die Stelle des Kleingelds vertreten.

Der grossen Mehrzahl nach ist die Bevölkerung heidnisch. Die Heiden gehen nackt bis auf einen hinten vorgebundenen Lederschurz; sie leben in Monogamie, sind sehr abergläubisch und haben von einem höchsten Wesen wie von der Fortdauer nach dem Tode äusserst schwache Vorstellungen. Gott nennen sie "da-dámia", die guten Geister "abi", das böse Princip "leksee"; für Hölle haben sie gar kein, für Paradies das arabische Wort. Ihres Heidenthums wegen werden sie von den mohammedanisch gewordenen Städtern verachtet, obwol diese mit der Bekehrung nur das Schlechte des Islam: Vielweiberei, Hochmuth, Dünkel und Scheinheiligkeit, sich aneigneten.

Die Regierung des Landes ist eine rein despotische. Wie lange Sultan Bekr regiert, weiss er selbst nicht; ich vermuthe, nahe an zwanzig Jahre. Er soll ein Neffe seines Vorgängers und mit Gewalt zur Herrschaft gelangt sein. Nicht ohne gute Anlagen, wäre er bei vernünftiger Erziehung gewiss ein tüchtiger und braver Mann geworden, aber auch auf ihn übte der dem Heidenthum aufgepfropfte Islam nur verderblichen Einfluss. Nach seiner Angabe hatte er bereits 60 Söhne, und ich zweifle nicht, dass, falls er am Leben bleibt, das Hundert voll werden wird. Bei meinen Besuchen sah ich stets eine Menge der kleinen Prinzen, halb oder ganz nackt, sich in den Höfen umhertreiben; als Abzeichen tragen sie einen silbernen Ring um den Arm, der Vater würde sonst seine eigenen Kinder nicht erkennen; wol aus diesem Grunde werden auch in andern Negerländern, z. B. in Sinder, die jungen Sprösslinge des Herrschers durch ein solches Abzeichen kenntlich gemacht. In grossem Ansehen steht die Mutter des Sultans, denn sie ist die einzige Person, welcher er Vertrauen schenkt; sie führt den Titel Mai-gera. Seine vornehmste Frau, die Herrscherin im Harem, wird Chalakálto titulirt. Ausser dem Kola-ma (Grossvezier) sind die höchsten Würdenträger: der Temd-Alla (Oberste der Eunuchen), der Ketagamá (Oberaufseher der Sklaven), der Pugu-má (Oberbefehlshaber der Truppen), der Katschélla-kir-mássare (Commandeur der Fusssoldaten), der Katschélla-ndagrúme (Commandeur der Bogenschützen). Die ganze Kriegsmacht beläuft sich auf einige tausend Mann, darunter etwa 100 Reiter und 20-30 mit Luntenflinten Bewaffnete. Zwei Kanonen, die sich der Sultan aus Aegypten kommen liess, liegen ohne Laffetten und sonstiges Zubehör in einem Hofe seines Hauses.

Die politische Abhängigkeit von Bornu, der sich Uándala nicht zu entziehen vermag, gereicht dessen Entwickelung zum grössten Nachtheil. Denn von dorther wird den Bewohnern der Islam aufgedrungen, damit zugleich aber Feindschaft und Krieg gegen ihre Stammesgenossen, die heidnischen Bergvölker, auf welche sie doch mit allen ihren materiellen Interessen angewiesen sind. Es ist dieser Misstand um so mehr zu beklagen, als gerade die Gebirgsländer im Süden von Uándala der Schlüssel zur Eröffnung Innerafrikas sein könnten. Gewiss liesse sich ohne besondere Schwierigkeiten vom Mendif zur Biafra-Bai ein praktikabler Weg herstellen. Für christliche Missionen - wenn überhaupt solche in Afrika Erfolg haben können, ein Thema, auf das ich noch zurückkomme - wären sie der geeignetste Niederlassungsort, unbedingt viel geeigneter als die von andern vorgeschlagenen Länder Bornu oder Haussa, wo das von der Sumpfluft erzeugte Klima die Missionäre binnen kurzem hinwegraffen und wo die Unduldsamkeit der muselmännischen Regierungen dem Bekehrungswerk unbesieglichen Widerstand entgegensetzen würde. An dar Seite des Islam kann und wirddas Christenthum irgends Eingang finden.


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