Ein Wühler. Nutzen des Chinin. Prächtiger Aufzug. Näheres über Eduard Vogel's und Moritz von Beurmann's Ermordung in Uadaï. Veränderter Reiseplan. Das Klima von Bornu. Briefe aus der Heimat. Abschied von Sultan Omar.
Die Kunde von der Wiederankunft des Christen verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt und erregte um so mehr Sensation, da man mich bereits todt gesagt hatte. Mein Haus und meine Sachen fand ich unversehrt wieder, aber der Sklave Skander, den ich krank zurückgelassen, war inzwischen gestorben. Den folgenden Tag stattete ich dem Sultan meinen Besuch ab. Er empfing mich mit gewohnter Freundlichkeit und schickte gleich darauf Lebensmittel aller Art und in verschwenderischem Ueberfluss nach meiner Wohnung. Ich machte ihm dagegen die mitgebrachte junge Sklavin Kadidjá, nachdem sie sich ausgeruht und erholt hatte, zum Geschenk; das Mädchen kam somit aus einem Harem in den andern.
Nach einigen Tagen langte der Ameisenbär an, den mir der Sultan von Uándala verehrt und nachgeschickt hatte. Es freute mich sehr, die Menagerie im Hofe meines Hauses durch ein so seltenes Thier bereichert zu sehen; er wurde mit Buttermilch gefuttert, die zu jeder Zeit in Kuka frisch zu haben ist. Aber eines Nachts weckte mich ein sonderbares Schnüffeln und Prusten aus dem Schlafe, und als ich die Augen aufschlug, sah ich mit Schrecken den Ameisenbär dicht vor meinem Lager stehen. Angelockt von den Hunderten grosser rother Ameisen, die in der Nacht zu mir hereinkrochen, um die süssen Reste aus der Theetasse zu naschen, hatte er sich mittels seiner scharfen, fast zwei Zoll langen Krallen unter dem innern Hofe und einem Vorgemache bis in mein Schlafzimmer binnen wenigen Stunden einen unterirdischen Gang gegraben. Natürlich wollte ich einen so gefährlichen Wühler nicht länger im Hause behalten, ich machte dem Prinzen Aba-Bu-Bekr ein Präsent damit. Das Thier zu schlachten, hatte ich mich nicht entschliessen können, obgleich es fett wie ein Ferkel war. Sein Fleisch soll stark nach Ameisensäure riechen, wird aber von den Negern, die keinerlei Fleisch verschmähen, als Leckerbissen gespeist.
Wie sich leider herausstellte, hatte meine Gesundheit durch die in der Regenzeit unternommene Reise nach Uándala nachhaltig gelitten, und nicht besser ging es meinen Gefährten Hammed und dem Gatroner. War nun auch hier in Kuka die Regenzeit vorüber, so hauchte dafür der zerklüftete, weil in der Sonnenhitze zu plötzlich getrocknete Boden aus seinen Spalten giftige Miasmen aus, während die Ostwinde faule vegetabilische und animalische Stoffe von dem durch den Tschad-See überschwemmten Lande in die Stadt hereinwehten. Um dem Fieber entgegenzuwirken, mussten wir alle zwei Tage starke Dosen Chinin nehmen. Freilich wurde dadurch der Magen sehr geschwächt; und da die schädlichen äussern Einflüsse fortdauerten, konnte keine Heilung erzielt werden, aber es wurde doch der sonst unfehlbare tödliche Ausgang des Uebels verhütet. Nicht oft und dringend genug kann ich daher allen Reisenden die Anwendung sowie den prophylaktischen Gebrauch des Chinin empfehlen; es ist nicht nur das einzige Mittel gegen Wechsel- und perniciöse Fieber, auch rheumatischen Leiden wird, nach den Erfahrungen holländischer Aerzte an der Westküste von Afrika, am erfolgreichsten durch Chinin begegnet.
Acht Tage nach meiner Rückkehr begleitete ich Sultau Omar auf dessen Einladung nach seinem Landsitz Kuenge, eine halbe Stunde östlich von Kuka. Auch viele der Grossen bauen sich, wie ich sah, in dem Orte Häuser, sonderbarerweise war aber keins davon fertig. Sobald es bekannt geworden, dass der Sultan die Stadt verlassen habe, beeilte sich alles, was zum Hofe gehörte, ihm nachzureiten. Einer nach dem andern fanden sich die Vornehmen, jeder mit grossem Gefolge, in Kuenge ein, und als man den Rückweg antrat, mochten wol tausend Reiter beisammen sein. Eröffnet wurde der stattliche Zug von etwa funfzig Eunuchen zu Pferde in reicher buntfarbiger Kleidung. Dann kam der Sultan, einen edeln Berberschimmel reitend, der von acht Sklaven am Zügel gehalten wurde. Er trug einen schwarzen Tuchburnus, darunter einen weissseidenen Haïk und weite blaue Tuchhosen, einen Turban von weissem Musselin, rothe Stiefel (von den Arabern "chof" genannt) und an der Seite ein Schwert mit silbergetriebeiier Scheide, das ihm von Vogel überbrachte Geschenk der Königin von England. Das Pferdegeschirr, der Sattel und die goldenen Steigbügel waren von arabischer Art. Am vordern Sattelknopf hing links ein mit Silber beschlagener Karabiner, rechts eine doppelläufige Pistole. Unmittelbar hinter dem Sultan ritten drei Trommelschläger, die unablässig im langsamen Takt auf ihr Instrument lospaukten. Nun folgten dem Range nach die hohen Würdenträger: der Dig-ma, der Katschella-n-burrssa, der Katschella-blall, und das übrige Geleit. Soldaten zu Fuss umschwärmten den Zug und knallten fortwährend Schüsse in die Luft. Dazwischen sprengten Reiter, um ihre schönen Pferde zu zeigen, an den Reiben auf und ab. Je näher wir der Stadt kamen, desto mehr verstärkte sich die Schar. Das Ganze bot ein echtes Bild von der Glanzentfaltung eines mächtigen Negerfürsten. Mich aber hatte der Ritt und der betäubende Lärm dermassen angegriffen, dass ich mich mehrere Tage nicht von meinem Lager zu erheben vermochte.
Ali der Elefant - diesen Beinamen erhielt er wegen seiner kolossalen, plumpen Gestalt und seines schwerfälligen Ganges - war längst von uns allen verloren gegeben. Um so grösser war unsere Ueberraschung, als er nach etlichen Wochen sich wieder bei mir einstellte. Ein schlechter Fussgänger, nicht blos seiner schweren Körpermasse halber, sondern auch infolge der vielen Schläge, welche ihm die Türken auf seine Fusssohlen applicirt, hatte er sich auf der Rückreise, von Uándala absichtlich von der Karavane getrennt, um in kleinern Etappen bequemer marschiren zu können. Das Alleinreisen durfte er als Mohammedaner und mit einer Doppelflinte bewaffnet wol ohne allzu grosse Gefahr wagen. Aber er wurde bald vom Fieber befallen, und so brachte er mit der Zurücklegung eines Weges von fünf starken Tagemärschen nicht weniger als 35 Tage zu.
Woche auf Woche, Monat auf Monat waren vergangen, und immer noch harrte ich vergebens der Antwort des Sultans von Uadaï auf mein an ihn gerichtetes Schreiben. Ich bemühte mich unterdess, über die Verhältnisse am Hofe von Uara, der Hauptstadt Uadaïs, sowie über die nähern Umstände der Ermordung Vogel's und Beurmann's Zuverlässiges zu erfahren. Von Bornu aus findet zwar fast gar kein Verkehr mit Uadaï statt, doch kommen bisweilen Leute von dort nach Kuka; einigen derselben verdanke ich die folgenden Mittheilungen, welche freilich von Dr. Nachtigal's Berichten, der selbst in Uadaï verweilte, zum Theil erheblich abweichen.
Der frühere Sultan von Uadaï, Mohammed, war ein, wie man annehmen muss, wahnsinniger Wütherich. Und noch entsetzlichere Greuel als er selbst verübten seine Söhne, Brüder und Vettern. Sie trieben sich betrunken auf den Strassen umher, drangen in die Wohnungen der fremden
Kaufleute, die sich nach Uadaï wagten, wie in die der eigenen Unterthanen ein, schändeten die Frauen und raubten, was sie vorfanden. Begegnete ihnen jemand, der besser gekleidet war als sie, so rissen sie ihm die Kleider vom Leibe. Einmal trafen zwei von ihnen eine Hochschwangere Frau; der eine behauptete, es sei ein Kind, was sie unter dem Herzen trage, der andere, es seien Zwillinge; die Frau wurde befragt, und da die Arme keine Auskunft zu geben wusste, schlitzten sie ihr, um den Streit zu entscheiden, ohne weiteres den Bauch auf. Mord und Todtschlag gehörten zu den täglichen Vorkommnissen.
Solcher Art waren die Zustände, als Vogel im Januar 1856 nach Uadaï kam. Gleich anfangs mochte er die Vorsicht, die unter so gewaltthätigen und raubsüchtigen Menschen doppelt nothwendig ist, nicht genugsam beobachtet haben, namentlich gab er dadurch, dass er in Gegenwart der Eingeborenen zeichnete und seine Notizen niederschrieb, Anlass, den Fremden bei Sultan Mohammed als türkischen oder christlichen Spion zu verdächtigen. Dieser liess Vogel zu sich nach Uara bringen, empfing ihn jedoch nicht unfreundlich, sondern nahm seine Geschenke an und erwiderte sie mit den üblichen Gegengeschenken. Dann liess er ihm die Stadt Nimro, wo die fremden Kaufleute zu wohnen pflegen, als Aufenthaltsort anweisen. In Nimro verweilte unser Reisender acht Tage frei und ungehindert, ohne jeden Gedanken an Gefahr. Da kam aus Uara der Befehl, er habe sofort das Land zu verlassen; ob er über Kanem nach Fesan zurück, oder über Fur nach Aegypten gehen wolle, sei ihm freigestellt. Er entschied sich für das letztere. Am Tage der Abreise rieth man ihm, seine drei Diener mit dem Gepäck vorauszuschicken und für sich die Kühle der Nacht zum Ausmarsch zu benutzen. Arglos ging Vogel auf den Rath ein. Als er nun abends, nur von einem ihm befreundeten Scherif begleitet und von fünf Reitern des Sultans escortirt, aus Nimro fortgeritten war, wurden er und sein Begleiter von hinten überfallen und niedergestochen. Seine drei Diener durften, nachdem man ihnen alles Gepäck abgenommen, frei nach Bornu zurückkehren. Beim Weggange von Kuka hatte Vogel noch wenigstens 3000 Thaler an baarem Gelde bei sich gehabt, und dies war wol der Hauptgrund zu seiner Ermordung. Der Sultan nahm von dem Gelde, den Waaren und Reiseeffecten Besitz; sämmtliche Papiere aber sowie die Instrumente - die grössern hatte Vogel bekanntlich in Kuka zurückgelassen, wo ich sie bei Sultan Omar sah - liess er als verdächtige Gegenstände auf der Stelle vernichten.
In demselben Jahre 1856 starb Sultan Mohammed, und einer seiner Söhne, Prinz Ali, ein kaum erwachsener Knabe, bestieg den Thron, nachdem die ältern Söhne auf Anstiften von Alis Mutter, deren einziger Sohn er ist, theils getödtet, theils geblendet worden waren. Seine Regierung scheint an Gewaltthätigkeit der seines verrückten Vaters wenig nachzugeben. Immer noch setzen Händelsleute, die nach Uadaï gehen, um, Sklaven, Elfenbein, und Straussfedern dort einzuhandeln, Gut und Leben aufs Spiel, denn mancher wird, wenn er Nimro wieder verlassen will, beraubt oder wol gar ermordet. Nur die Djelaba aus Fur und die Modjábra aus den Djalo-Oasen lassen sich daher durch die Hoffnung auf grossen Gewinn zu dem Wagniss verlocken; dem Sultan Hussein von Fur soll nämlich Uadaï in neuerer Zeit tributpflichtig geworden sein, sodass dessen Unterthanen jetzt einigen Schutzes daselbst gemessen. Das Volk in Uadaï ist dem Trunk von busa und merissa ergeben, und man erzählte sich in Kuka, erst kürzlich seien zwei betrunkene Parteien auf den Strassen Uaras miteinander in Streit gerathen, wobei 68 Menschen das Leben eingebüsst hätten. Auch was man von Sultan Ali selbst berichtete, klang keineswegs erbaulich. Bei einem Ausritt kam ihm sein erster Minister in den Weg. "Bleib stehen!" rief er demselben zu; "wer ein herangalopirendes Pferd fürchtet, um wieviel mehr wird der sich vor Spiessen und Schwertern fürchten!" Damit liess er sein Ross über den Mann hinwegsetzen, dem durch einen Hufschlag der Arm zerschmettert wurde. Einen andern seiner Beamten sperrte er zu einem an ein langes Seil gebundenen Tiger in den Käfig, wo derselbe nur, indem er sich so dicht wie möglich an die gegenüberliegende Wand presste, von den Klauen der Bestie nicht erfasst werden konnte. Der junge Herrscher stand übrigens noch ganz unter dem Einfluss seiner Mutter, welche auch die Beziehungen Uadais zu den Höfen der Nachbarstaaten leitete. Ihr Agent in Bornu war der Alamino. Dieser wollte mir gern ein Empfehlungsschreiben an sie mitgeben, sobald ich nur erst den Geleitsbrief vom Sultan erhalten haben würde, den er allerdings für meine Sicherheit unentbehrlich hielt.
Gerade sieben Jahre nach Vogel, im Februar 1863 musste Moritz von Beurmann den Versuch, in Uadai einzudringen, mit seinem Leben bezahlen. Kaum in der Grenzprovinz Mao angekommen, ward er auf Befehl des dortigen Statthalters ermordet. Sultan Ali befand sich damals in Bágirmi, von ihm ist also der Befehl dazu nicht ausgegangen; als man ihm nach seiner Rückkehr von dem Geschehenen Meldung machte, soll er gesagt haben: "Warum habt ihr den Christen getödtet? Hättet ihr ihn doch wenigstens bis hierher kommen lassen, damit ich mich mit ihm belustigen konnte." Gewiss ist, dass der Statthalter von Mao abgesetzt und als Sklave nach Uara gebracht wurde. Die Sachen des Ermordeten nahm der Sultan natürlich in Beschlag, und es heisst, auf Anrathen der fremden Kaufleute habe er die Papiere nicht vernichtet, sondern halte sie noch in Verwahrung. Somit wäre es immerhin möglich, wenn auch kaum wahrscheinlich, dass Beurmann's Aufzeichnungen, die sicher namentlich in Betreff seiner Reise durch Jacoba von Wichtigkeit sind, noch einmal zum Vorschein kommen und nach Europa gelangen.
War das, was ich über Uadai in Bornu erkunden konnte, schon sehr dürftig und ungenügend, so blieben meine Bemühungen, über die weiter nach Süden gelegenen Länder mir irgendwelche Kunde zu verschaffen, gänzlich erfolglos. Man wusste hier absolut nichts von den Völkerstämmen, die jenseit Bágirmi wohnen; es scheint demnach zu keiner Zeit ein Verkehr mit dem Süden bestanden zu haben. Unterdessen beschäftigte ich mich, soweit es meine tief gesunkenen Kräfte zuliessen, mit dem Studium der afrikanischen Sprachen; ich suchte meine Kenntniss des Kanúri und Teda zu vervollkommnen und legte mir von der Musgu-, der Búdduma- und der Uándala-Sprache Vocabularien an.
Mitte November besserte sich mein Gesundheitszustand sowie der meiner Leute. Fieber und Durchfälle hörten auf, wir waren über die schädlichste Jahreszeit, bis auf einen Sklaven, welcher der Blutdiarrhöe erlag, glücklich mit dem Leben hinweggekommen. Bei der Kostspieligkeit des Lebens in Kuka hatten die 200 Thaler, die ich mir geliehen, nicht lange vorgehalten, meine baaren Mittel gingen wieder zur Neige, und ich musste allen Ernstes an die Weiterreise denken. In Gebieten, die ausserhalb des Bereichs der arabischen und berberischen Kaufleute liegen, wo infolge dessen kein Geldumlauf stattfindet, konnte ich hoffen, gegen meine Waaren, gegen Glasperlen und dergleichen alles zum Unterhalt Nöthige einzutauschen; für die Ausrüstung an Lastthieren und sonstigem Reisebedarf aber rechnete ich auf die Freigebigkeit des Sultans.
Doch wohin sollte ich zunächst meine Schritte lenken? Eine Antwort aus Uadaï war nun nicht mehr zu erwarten, und ohne vorherige Genehmigung Sultan Ali's wäre es vergeblich gewesen, nach Bágirmi zu gehe; hätte er mich auch, die Macht des Herrschers von Bornu respectirend, nicht tödten lassen, so würde er mir doch alle meine Sachen abgenommen und mich zur Umkehr gezwungen haben; selbst Araber wagten damals nicht, nach Másseña zu reisen. Dass die Gebirgsländer im Süden von Uándala unpassirbar waren, erwähnte ich bereits. Ebenso wenig konnte ich mich nach Musgu wenden, da dessen Bewohner, die Massa-Völker, erbitterte Feinde von Bornu sind; Barth und Vogel drangen zwar durch Musgu bis zu den Tuburi-Sümpfen vor, beide aber nur unter dem Schutze von bornuer Truppen, die damals Kriegszüge dorthin unternahmen. Es blieb somit kein anderer Weg nach Süden übrig als der über Adamáua, und diesen beschloss ich einzuschlagen.
Ich theilte dem Sultan meinen Entschluss sowie die Motive zu demselben mit, indem ich ihn um die Erlaubniss bat, am 12. des Monats Redjib (19. November) abreisen zu dürfen. Er war ebenfalls der Ansicht, dass Sultan Ali unsere Schreiben unbeantwortet lassen würde und dass ich nur über Adamáua weitergehen könne, sprach aber den Wunsch aus, ich möge noch bis zum Ende des Monats Redjib (7. December) verweilen; zur Bestreitung meiner Ausgaben für diese Zeit werde er mich mit dem nöthigen Gelde versehen. Noch an demselben Tage spät abends - die Neger lieben es, wie schon Clapperton bemerkt hat, Geschäfte in der Dunkelheit abzumachen - kam der Eunuchenoberst Abd el-Kerim in meine Wohnung und behändigte mir seitens des Sultans die Summe von 60 Thalern, welchem grossmüthigen Geschenk am andern Morgen noch eine Naturalsendung folgte, bestehend aus einer fetten Kuh, einem Schaf, zwei Krügen Butter, vier Töpfen voll Honig und zehn Ladungen Getreide. Die Freigebigkeit des Sultans gegen den Christen erregte grosses Aufsehen in der Stadt, es hiess, ich hätte 1000 Thaler geschenkt erhalten, man kam mich zu beglückwünschen, und als ich nach dem Schlosse ritt, um meinen Dank abzustatten, wurde ich von allen Seiten angebettelt: der eine wollte 5 Thaler, ein anderer 2, ein dritter 3 Thaler von mir haben.
Der Sultan verlangte diesmal meinen "Indischen Spiegel", den Fraunhofer, den ich von Gotha mitbekommen, gab mir indess dafür einen Londoner Dollond von mindestens gleicher Güte. Besonders grosse Freude machte ich ihm durch Ueberlassung des unterwegs, beim Herabfallen der Kisten vom Kamel, zerbrochenen Opernguckers, obgleich derselbe von gar keinem Nutzen für ihn sein konnte. Hingegen schickte er mir als Proben einheimischer Industrieerzeugnisse in Bornu und Logone gefertigte Körbe, Tellerchen und Matten, schöner und feiner als ich sie auf dem Markte von Kuka gesehen; ferner ein silbernes Pferdegeschirr, ein gesprenkeltes Löwenfell und ein Pantherfell mit den Mähnen. Von all diesen Sachen ist leider nur das Pferdegeschirr wohlerhalten nach Europa gekommen; ich hatte später die Ehre, es dem Kaiser Wilhelm zu überreichen, und es befindet sich jetzt nebst andern Gegenständen, die ich aus Centralafrika mitgebracht, im berliner Museum.
Am 20. November erreichte das Wasser des Tschad-Sees seinen höchsten Stand. Seit Menscheligedenken war ein so hoher Wasserstand nicht erlebt worden; die angeschwollenen Zuflüsse des Komádugu Waube unterbrachen eine Zeit lang alle Communication zwischen Bornu und Haussa, und im Norden von Ngígmi strömte ein mächtiger Fluss, der sich wahrscheinlich aus Hinterwassern des Waube gebildet hatte, in den See. Dies stimmt auch mit Barth's Beobachtungen überein[58]. In seiner Tabelle "Flussschwelle" heisst es: "Das Tschadbecken erreicht sein höchstes Niveau erst Ende November; alle Ufer des Tschad werden dann überschwemmt, das Wasser fliesst aber dann aus dem Tschadbecken in diesen kleinen Fluss (Komádugu Waube) hinein..." Ueber die verschiedene Regenmenge in den einzelnen Jahren liegen noch gar keine Beobachtungen vor. Nachtigal will 1870 ausserordentlich starken Regenfall erlebt haben, doch möchte ich bezweifeln, dass in diesem Jahre der Tschad mehr Wasser enthalten habe als 1866.
Wenn es möglich wäre, die Gewässer einzudämmen und die Sümpfe auszutrocknen, so würde das Klima Bornus selbst Europäern ganz zuträglich sein, denn die Temperatur ist zufolge der Feuchtigkeit, mit welcher der Tschad-See die Luft schwängert, für ein in der Mitte Afrikas, unter der tropischen Zone gelegenes Land eine gemässigte. Ist die Wassermasse des Tschad zum grössern Theil verdunstet, dann steigt zwar die Temperatur in Bornu ebenso hoch wie in den südlichen Regionen der Grossen Wüste, doch mit dem Unterschiede, dass, während in den Wintermonaten das Thermometer in der Sahara vor Sonnenaufgang unter Null, ja bis auf -5deg. fällt, es in Bornu zur Zeit, wo sich die Sonne am weitesten vom Krebse entfernt, vor Sonnenaufgang nie unter +18deg. sinkt. In der nassen Jahreszeit zeigte das Thermometer durchschnittlich vor Sonnenaufgang +22deg., um 9 Uhr +25deg., um 3 Uhr nachmittags +35deg., nach Sonnenuntergang +25deg.; die Feuchtigkeit der Luft betrug (Psychrometer in Fahrenheit-Scala) durchschnittlich vor Sonnenaufgang (Unterschied der beiden Scalen) ldeg., um 9 Uhr 4deg., um 3 Uhr nachmittags 9deg., nach Sonnenuntergang 3deg.; der Wind war immer Südwest, in den obern Luftschichten aber, in denen die Regen- und Gewitterwolken zogen, wehte er aus Südost, selten aus Ost. In den Monaten nach der Regenzeit zeigte das Thermometer durchschnittlich vor Sonnenaufgang +19deg., um 9 Uhr +27deg., um 3 Uhr nachmittags 35deg., nach Sonnenuntergang 23deg.; die Feuchtigkeit der Luft betrug vor Sonnenaufgang 6deg., um 9 Uhr 17deg., um 3 Uhr nachmittags 20deg., nach Sonnenuntergang 10deg.; der Wind war constant Ost, nur manchmal etwas nach Norden abweichend, am stärksten von morgens 8 Uhr bis Mittag, in der Nacht herrschte, wie in der Wüste, mit geringen Ausnahmen vollkommene Windstille.
Die Regenzeit, "ningéri" oder "níngeli" genannt, beginnt in Bornu im Juni und dauert bis Mitte oder Ende September. Während derselben werden die Felder angebaut und kommen die meisten Früchte: Argum moro, Argum máttia, ngáfoli, Reis, Bohnen, koltsche, ngángala u. s. w., zur Reife. Bornu, überhaupt ganz Innerafrika ist dann ein einziger grosser Park, mit dem üppigsten Gras-, Blumen- und Pflanzenwuchs geschmückt und mit Thieren, namentlich aus dem Insektenreiche aufs mannichfachste belebt. Ende September und Anfang Outober ist die Erntezeit, "bígela". Aber schon fängt alles Land, das nicht unter Wasser steht, an auszutrocknen und seine grüne Decke zu verlieren. Nur massakúa wird in dieser Periode auf sumpfigem Boden gepflanzt. Mit dem October tritt die kalte Jahreszeit, "binem" ein, die bis zum März währt - natürlich nur verhältnissmässig kalt, denn das Thermometer sinkt nachts nicht unter +18deg. und mittags nicht unter 30deg.. Auf sie folgt von März bis Juni die eigentliche heisse Jahreszeit, "be". Unter der sengenden Sonnenglut erstarb die Natur, auch alle Insekten, wie die Mosquitos, Schnaken und Flöhe, deren man sich bald darauf nicht zu erwehren vermag, sind gänzlich verschwunden. Trotz der furchtbaren Hitze sind aber gerade diese Monate die gesundesten für Europäer; selten erkranken und sterben Fremde in der heissen Periode. Desto ungesunder ist der Aufenthalt während und unmittelbar nach der Regenzeit, und auch in diesem Jahre war ihr mancher Araber und Berber zum Opfer gefallen. Die Eingeborenen selbst widerstehen nicht den Einflüssen der mit fauligen Stoffen erfüllten Luft, Tausende siechen am Wechsel- oder Sumpffieber dahin. Sogar die Säugethiere fliehen in schlimmern Jahren die sumpfigen Umgebungen des Tschad-Sees, und Nachtigal berichtet, nachdem er von der grossen Sterblichkeit unter den Weissen und Eingeborenen am Ende der Regenzeit gesprochen ("Zeitschrift für Freunde der Erdkunde", Bd. VI): "Zu gleicher Zeit mit dieser excessiven Mortalität der Menschen begann ein allgemeines Fallen der Pferde, welche ebenfalls dann in wenigen Tagen verreckten. Es ist eine allgemein feststehende Thatsache, dass in allen besonders nassen Jahren die Mortalität der Pferde eine ungewöhnliche Höhe erreicht..." Kamele bleiben deshalb in Bornu nur kurze Zeit am Leben, der Bestand muss durch Zuzug vom Norden her immer wieder ergänzt werden. Bei den Kanúri trägt die Beschaffenheit ihrer feinern Haut dazu bei, dass sie auch gegen Kälte äusserst empfindlich sind und schon frieren, sobald das Thermometer unter +25deg. sinkt. Bezeichnend hierfür ist die unter ihnen gebräuchliche Anrede: "nda tége", wie ist deine Haut? statt unsers: wie gehts? wie befindest du dich?
Am 22. November traf die Nachricht in Kuka ein, dass zwei Karavanen, die von hier nach Jola abgegangen waren, durch das Land der Margi, das unter der Herrschaft von Bornu steht, nicht passiren konnten, sondern nach Magómmeri umkehren mussten. Zugleich wurde dem Sultan gemeldet: die Städte Gebeh und Gudjbah seien von den Fellata angegriffen worden; der Besitzer von Gudjbah, ein Katschélla, habe nicht gewagt, mit seiner kleinen Mannschaft die Stadt zu entsetzen; da sei der Bruder des Sultans, Aba-Fa, der sich gerade mit einigen tausend Mann auf einer Sklaven-Rasia befand, den beiden Städten zu Hülfe geeilt. Hier brach die Meldung ab, und es blieb ungewiss, ob der Kampf mit den Fellata inzwischen geendet und welchen Ausgang er genommen habe. Dauerten die Feindseligkeiten in dieser Provinz länger fort, so war mir der Weg über Jacoba verlegt und ich wäre genöthigt gewesen, wollte ich nicht durch die Wüste zurückkehren, über Kano zu gehen; aber auch nach Kano war der nähere Weg über Gummel im Augenblick wegen Unruhen versperrt, sodass Karavanen von Bornu nach Haussa den weiten Umweg über Sinder machen mussten.
In der letzten Woche des November erkrankte ich von neuem, und obwol sich kein Fieber einstellte, schwanden mir die Kräfte in einer Weise, die das Schlimmste befürchten liess. Gleichzeitig waren auch meine Diener wieder krank geworden, mit Ausnahme des kleinen Negers Noel und eines andern Negerknaben, den Hammed vom Sultan von Uándala als Gastgeschenk erhielt. Indess leistete uns allen auch in diesem Falle der Gebrauch von Chinin die vorzüglichsten, wahrhaft wunderbare Dienste. Sobald ich nur wieder mein Pferd zu besteigen im Stande war, ritt ich zum Sultan - er befand sich eben in seiner unfern von meinem Hause gelegenen Wohnung in der Weststadt - und erklärte ihm, wenn er wolle, dass ich Kuka lebendig verlasse, möge er mich keinen Tag länger zurückhalten. Theilnahmvoll hörte er meinen Krankheitsbericht an, worauf er mir nicht nur die Erlaubniss gab, schon den 1. Decemher abzureisen, sondern auch die angenehme Mittheilung hinzufügte, laut neuem Nachrichten von seinem Bruder Aba-Fa seien die Fellata verjagt und der Weg nach Jacoba wieder ohne Gefahr zu passiren.
Ich bereitete nun sofort alles zur Abreise vor. Währenddem lernte ich noch zwei Eingeborene kennen, die zu frühern europäischen Reisenden in persönlicher Beziehung gestanden und sich derselben noch mit lebhaftem Interesse erinnerten. Der eine war ein alter Katschélla und damals Commandeur der Truppen, welche die Grenze nördlich vom Waube gegen herumschweifende Tuareg bewachten; er erzählte mir, dass er mit den "wackern" Reisenden Denham und Clapperton bekannt gewesen, die zur Zeit des "grossen" Schich el-Kánemi nach Bornu gekommen seien. Der andere, Namens Jussuf Mukni, ein Sohn des einst sehr gefnrchteten Statthalters von Fesan, hatte in seiner Jugend Ritchie und Lyon von Tripolis nach Mursuk begleitet und war später mit Barth über Rhat nach dem Sudan gereist. An die Sitten der nördlichen Mohammedaner gewöhnt, fühlte er sich, obgleich schon seit 20 Jahren zuerst in Haussa, dann in Bornu lebend, nicht recht heimisch unter den Negern, und er würde auch nach Tripolis zurückgekehrt sein, hielten ihn nicht die Gnade des Sultans, der es ihm an nichts fehlen lässt, und seine hier erzeugte zahlreiche Familie an Kuka gefesselt.
Durch einen Kurier aus Bárua kam die Meldung, eine von Fesan kommende grosse Karavane sei auf dem Marsche hierher und werde binnen 3 oder 4 Tagen eintreffen. Dies bestimmte mich, meine Abreise noch zu verschieben, denn ich hoffte, mit dieser Gelegenheit Briefe aus Europa zu erhalten, von wo mir nun seit fast einem Jahre keine Nachrichten mehr zugegangen waren. Am 3. December langte die Karavane an. Sie hatte unterwegs, wie ihr Chef erzählte, bei A'gadem einen harten Strauas mit räuberischen Hassun-Arabern zu bestehen gehabt. Im Jahre 1860 war nämlich eine Horde Hassun-Araber aus der Grossen Syrte zu einem Raubzuge nach Süden aufgebrochen und, nachdem sie sich Air unterworfen, durch die südliche Sahara in Kanem und von da in Uadai eingedrungen. Hier wurden sie von den Truppen des Sultans geschlagen und zerstreut. Ein Theil schlug sich raubend und plündernd wieder nach den frühern Wohnsitzen durch (Beurmann sah sie damals in einer Oase zwischen Benghasi und Fesan an sich vorüberziehen); die übrigen, welche ihre Pferde und Kamele eingebüsst hatten, blieben in Kanem und setzen von dort aus gelegentlich ihre gewohnten Rasien fort. Diese, durch die Tebu-Jäger der Tintümma benachrichtigt, dass eine Karavane am A'gadem-Brunnen lagere, waren 70 Mann stark dorthin gekommen und bei Nacht auf das Lager losgestürmt. Die Módjabra hatten aber nicht versäumt, Wachen auszustellen, um sich gegen einen nächtlichen Ueberfall zu sichern; mit einer Salve aus fast 60 Flinten empfingen sie die Angreifer und nöthigten dieselben nach kurzem Kampfe, unter Zurücklassung von sieben Todten die Flucht zu ergreifen, während sie ihrerseits nur einen Mann, einen Tebu aus Kauar, verloren.
Wirklich überbrachte mir die Karavane Briefe, Zeitungen und ein paar Hefte der Geographischen Mittheilungen, doch war die Sendung von Deutschland aus nicht weniger als elf Monate unterwegs gewesen. Andern Tags bat ich den Sultan, mir die versprochenen Empfehlungsschreiben für die Weiterreise zukommen zu lassen; aber, sei es dass die angekommene Karavane seine Zeit in Anspruch nahm, oder wollte er mich absichtlich noch in Kuka zurückhalten, er sandte die Papiere nicht. Diese neue Verzögerung stellte meine Geduld auf eine harte Probe. Seitdem ich mich überzeugen musste, dass leider keine Aussicht vorhanden sei, durch Bágirmi und Uadaï weiter ins Innere zu gelangen, war mein Entschluss zur Rückkehr gefasst. Ich wollte auf dem kürzesten Wege das Atlantische Meer zu erreichen suchen und mich dann so bald als möglich nach Europa einschiffen. Aber die Reise von Bornu bis an die Meeresküste erforderte mehrere Monate Zeit, und nur für so lange reichte meine erschöpfte Reisekasse gerade noch hin.
Erst am 11. December wurden mir die nothwendigen Legitimationspapiere gebracht und zugleich ein letzter grosser Vorrath von Lebensmitteln. Am 12. ritt ich nach der Residenz, um feierlichen Abschied zu nehmen. Der Sultan empfing mich in versammelter Nokna. Nachdem er mir noch einen europäischen Offiziersäbel geschenkt, wünschte er mir Glück zur Reise und fügte hinzu: "Sage, wenn du zu den Deinen heimgekehrt, jeder Christ werde in meinem Reiche willkommen sein." Ich sprach den aufrichtigsten Dank aus für das Wohlwollen und die Güte, die er mir, dem Fremdling, habe zutheil werden lassen, mit der Versicherung, dass ich überall die Grossmuth des Beherrschers von Bornu rühmen und preisen würde.
Sultan Omar ist in Wahrheit ein Fürst von toleranter und humaner Gesinnung. Bei Lebzeiten seines Vaters schon hatten Denham und Clapperton, später Barth, Vogel und namentlich Beurmann wie ich selbst einen freigebigen Beschützer und hülfreichen Freund an ihm gefunden. Ebenso weiss Nachtigal die Unterstützung, die er ihm angedeihen liess, nicht genug zu rühmen. Möchten seine Nachfolger auf dem Throne mit gleicher Milde mehr Energie und Thatkraft verbinden, damit Bornu auch in Zukunft seinen hervorragenden Rang unter den centralafrikanischen Negerreichen zu behaupten im Stande sei.
[58]Barth, "Dr. Balfour Baikie's Thätigkeit am untern Niger".