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VII. Durch das südwestliche Bornu.

Zwei Fakih als Reisebegleiter. Provinz und Ort Karágga-Uora. Walddörfer. Weihnachten in Uassáram. Der Ort Mogodóm. Ein See. Die Städte Gudjba, Mutë und Gebë. Schlimme Lage der Grenzbewohner.

Meine kleine Karavane verliess am Abend des 21. December Magómmeri und ging nach dem eine Stunde südwestlich davon gelegenen Orte Bumbum, wo durch die Fürsorge des Alamino uns das Nachtlager bereitet war.

Vor dem Aufbruch hatte ich noch eine rührende Scene erlebt. Wie sich der Leser erinnern wird, führte mein Diener Hammed einen etwa 8 Jahr alten Negerknaben mit sich, den er in Uándala vom Sultan geschenkt erhielt. In Magómmeri bestimmte ich nun, er solle den Knaben gegen eine entsprechende Geldentschädigung an Mohammed Gatroni abtreten, damit ihn dieser mit nach Fesan nähme. Die beiden waren auch mit meiner Anordnung einverstanden. Als aber dem kleinen Edris - so hatte ich das Kind genannt - bedeutet wurde, dass er von Hammed getrennt werden sollte, fing er jämmerlich an zu weinen; er hatte sich an seinen Herrn, obgleich er ihm erst wenige Monate zugehörte, bereits aufs innigste attachirt und wollte durchaus nicht von ihm lassen, ja er musste bei unserm Abzuge eingesperrt werden, und noch weithin vernahmen wir sein markdurchdringendes Geschrei. Zwei Jahre nacher traf ich in Tripolis wieder mit dem alten Gatroner zusammen; ich fragte ihn sogleich, was aus Edris geworden sei, und erfuhr zu meiner Genugthuung, der Knabe lebe und gedeihe bei ihm in Fesan, wo er von seiner Frau wie ein eigenes Kind gehalten werde.

Unter mehrern andern Personen schlossen sich mir zwei Fakih zur Reise nach Jacoba an. Der eine war ein Sohn des ehemaligen Kadhi Mohammed el-Habib zu Mursuk, den Lyon als hochbetagten Greis betrunken in einer öffentlichen Kneipe angetroffen. Der würdige Sohn kannte ebenfalls keinen höhern Genuss, als sich in busa oder nbul zu betrinken. Vor 20 Jahren war er nach Kuka gekommen, um dort sein Glück zu machen, aber fortgesetzt seiner Leidenschaft fröhnend, hatte er es zu nichts gebracht, sondern lebte fast ganz von Unterstützungen, die ihm der Sultan oder die Grossen Bornus, auch der Alamino, aus Achtung vor seiner Familie, in der das höchste Kadhiat Fesans seit Jahrhunderten erblich ist, dann und wann zukommen liessen. Als er einmal von jemand denuncirt worden war, der ihn in der grossen Fastenzeit hatte essen sehen, schwor er auf den Koran, er sei krank und könne deshalb die Fasten nicht halten. Ein andermal verklagte ihn ein Kogna, der in der Nokna gerade nichts anderes zu klatschen wusste, beim Sultan, er sei schon den ganzen Tag zum Aergerniss aller Gläubigen betrunken und sitze eben noch bei einer Gulla Busa. Der Sultan, welcher ein strenges Verbot gegen den Verkauf und Genuss dieses berauschenden Getränks erlassen hatte, befahl, den Frevler auf der Stelle zu holen, und herrschte ihn, als er vorgeführt wurde, an: "Schämst du dich nicht, dir nach Art der Christen und Ungläubigen einen Rausch zu trinken und so unserer Religion zu spotten?" - "O Herrscher der Gläubigen", erwiderte der verschmitzte Schriftgelehrte, "wer hat mich bei dir verleumdet! Wie kannst du glauben, dass es jemand wagen würde, in deiner Hauptstadt, unter deinen Augen Busa zu brauen und zu verkaufen!" - "Beim Propheten", sagte Sultan Omar, geschmeichelt, mit solchem Respect von seinem Verbote sprechen zu hören, "der Mann ist so nüchtern wie ich, sonst könnte er nicht so vernünftig reden." Und unser Freund ward nicht nur gnädig entlassen, sondern obendrein zur Entschädigung für die falsche Anklage mit einem Burnus beschenkt. Jetzt war ein Bruder von ihm mit Hinterlassung nur einer Tochter und eines bedeutenden Vermögens, bestehend in 60 Sklaven, mehrern hundert Stück Rindvieh u. s. w., in Jacoba gestorben. Nach mohammedanischem Gesetz muss die Tochter mit den überlebenden Brüdern des Vaters die Erbschaft theilen. Ungeachtet nun noch ein anderer Bruder in Mursuk lebte, ging unser Fakih nach Jacoba, um, wie er mir sagte, die Hälfte des Erbes in Empfang zu nehmen, und hatte schon drei Leute gemiethet, welche die auf seinen Theil fallenden Sklaven und Ochsen heimtreiben sollten. Allein ich fürchtete für den Mann, dass er die Rechnung ohne den Wirth gemacht, denn seine Nichte war verheirathet, die mohammedanischen Gesetze aber sind biegsam und die Richter nichts weniger als unbestechlich.

Der andere Mallem, der sich zu uns gesellte, war aus Lógone gebürtig und hatte soeben auf der Hochschule in Kuka sein Doctorexamen absolvirt. Er trug eine im Lande gefertigte Kulgu, an der mehr Löcher als heile Stellen zu sehen waren; an einem Strick über seiner Schulter hing eine Kürbisflasche, ein Tintenfass und eine kleine Ledertasche, die zwei oder drei Rohrfedern, zwei schmuzige gelbe Bücher oder vielmehr zusammengeheftete, mit Suren beschriebene Blätter Papier und ein hölzernes Täfelchen enthielt. Das waren seine ganzen Habgeligkeiten. Als Zweck seiner Reise gab er an, er habe gerade keine andere Beschäftigung und hoffe, sich vielleicht eine neue Kulgu zu verdienen. Ich schlug ihm vor, unterwegs mein Kamel zu hüten; dafür wollte ich ihm, in Jacoba angekommen, eine Kulgu verehren; er ging aber nicht auf den Vorschlag ein, weil ihm dann keine Zeit bleiben würde, den Leuten Sprüche aufzuschreiben. Im weitern Verlauf der Reise sah ich wirklich, wie er in jedem Dorfe, wo wir anhielten, auf seine hölzerne Tafel ein paar Sprüche oder eine Sure aus dem Koran schrieb und sie den Leuten hinreichte, welche dann die Tinte davon abwuschen und tranken. Manchmal wurde ihm mit einigen Muscheln gelohnt, und bekam er nichts, so schmeichelte es doch seiner Eitelkeit, dass ihn das Volk für einen grossen Gelehrten hielt. Er rühmte sich, den ganzen Koran auswendig zu wissen, und schrieb auch geläufig die arabische Schrift, verstand aber selbst nicht ein Wort von der Sprache Mohammeds.

Am andern Morgen wurde um 71/2 Uhr abmarschirt. Eine Stunde lang hielten wir westsüdwestliche, von da an beständig südwestliche Richtung. Das Aneroid zeigte eine allmähliche, sanfte Steigung des Bodens. Trotz der schon vorgerückten trockenen Jahreszeit standen hier rechts und links am Wege grosse Wassertümpel, in denen sich viele Wildschweine wälzten; auch anderes Wild zeigte sich in ziemlicher Menge. Hier und da prangte noch eine Pflanze in so saftigem Grün wie zur Regenzeit. Mächtige Adansonien treten auf; die Basis eines Baums hatte 17 Meter Umfang, und in seinem hohlen Stamme konnte ich mich liegend bequem nach allen Seiten hin ausstrecken. Um 11/2 Uhr kehrten wir in dem etwas links vom Wege liegenden Orte Lambóa ein, der schon zur Provinz Karágga-Uora gehört. Dort blieben wir über Nacht.

In den Morgenstunden des folgenden Tags verdunkelten Höhenrauch und Wüstenstaub im Verein den Nimmel, sodass die Sonne, als sie endlich sichtbar wurde, wie eine dunkelrothe Kugel erschien. Ueber Höhenrauch in diesen Gegenden, hier wie in Europa von Pflanzenverbrennung herrührend, haben auch frühere Reisende berichtet; unter andern schrieb Vogel ("Zeitschrift für Erdkunde", 1856): "Höhenrauch ist in den bergigen Districten Bautschis sehr häufig, ganz wie in Thüringen, mit dem nämlichen jodartigen Geruche. Oft verhüllt er 4-5 Tage die ganze Gegend, bis ein heftiges Gewitter ihn niederschlägt." Wir legten an diesem Tage sieben Stunden zurück, erst zwei in westsüdwestlicher, dann drei in südwestlicher, und wieder zwei in westsüdwestlicher Richtung. Ueber leichtgewelltes Terrain kamen wir nach der ersten Stunde auf einen ebenen, mit vielen leeren Strohhütten besetzten Platz. Es ist der Marktplatz für dem Ort Karágga-Uora, den wir um 91/2 Uhr erreichten; jeden Freitag verwandeln sich die leeren Hütten in Verkaufsbuden. Der hübsch gelegene Ort gehört zur einen Hälfte dem Alamino, zur andern dem Katschella Blel. Am Eingang desselben fiel mir ein Feigenbaum wegen seiner erstaunlichen Dimensionen auf, welche die unserer stärksten Eichen übertrafen. Die Früchte, die gerade reif waren, unterscheiden sich äusserlich nicht von den Feigen des südlichen Europa, sind aber bei weitem nicht so süss von Geschmack. Gleich hinter den Ackerfeldern dieses Dorfes beginnt ein dichter Wald, durch den mein hochbeiniges und hochbuckeliges Meheri sich mühsam den Weg bahnen musste. Die Kolossalität des Kuka-Baums (Adansonia digitata) erschien mir hier um so augenfälliger, da er mit seinem Riesenhaupte noch aus der Umgebung anderer grosser Bäume so hoch herausragte. Ich möchte ihn den Elefanten der Baumwelt nennen; denn da wo der Baum sich ungehemmt entwickeln kann, entspricht der Höhe und Dicke des Stammes auch die breite Ausdehnung seiner Aeste und Zweige. In der Nähe bewohnter Ortschaften wird freilich dieses natürliche Verhältniss zerstört; die jungen Blätter der Adansonie dienen den Eingeborenen als beliebtes Gemüse, kaum entfaltet, werden sie sammt allen Trieben und Schösslingen abgerissen. So muss das Gezweig verkümmern, und nur in diesem bedingten Sinne kann man Karl Ritter's Ausspruch, die Adansonie scheine ihre ganze Vegetationskraft auf den Stamm zu verwenden, als richtig gelten lassen. Wir passirten um 12 Uhr Kanigi und lagerten um 2 Uhr 20 Minuten in Dábole. Beide Orte liegen, nur von wenigen bebauten Feldern umgeben, mitten im Walde. Die Nachtruhe wurde mir von dreist über mich weglaufenden Feldmäusen geraubt, deren es hier in erschrecklicher Menge gab. Mein Diener Hammed erkrankte von neuem und war so schwach, dass er keinerlei Dienste zu leisten vermochte.

Durch dichten Wald, dessen Einsamkeit hier und da ein Dorf unterbricht, zogen wir am folgenden Tage 11/2 Stunden west-, dann wieder 11/2 Stunden südsüdwest- und schliesslich 1 Stunde südwestwärts. Das Terrain bleibt eben oder kaum merkbar gewellt, doch befinden wir uns jetzt schon ziemlich hoch über dem Tschad-See und folglich in einer etwas gemässigtern Temperatur. Weil nun auch in geringer Tiefe unter der Erde hier überall Wasser vorhanden ist, erhielt sich das Laub auf den Bäumen noch frisch und grün. Hingegen war ebenso wie in den Niederungen gleich nach dem Aufhören der Regenzeit alles Gras abgebrannt worden und der Waldboden in ein schwarzgraues Aschenfeld verwandelt. Hätten die Bäume in Centralafrika weniger saftreiche Stämme, oder wären sie so voll Harz wie fast alle Bäume in der Berberei, dann müssten sie von dem Brande des hohen Grases mit ergriffen und verzehrt werden. Ein grosser Theil Algeriens und Marokkos hat in der That auf diese Weise seine Wälder eingebüsst, und es ist deshalb jetzt unter der französischen Regierung - für viele Gegenden leider zu spät - den Arabern aufs strengste verboten, im Walde und dessen Nähe das dürre Gras anzuzünden. Hier im tropischen Afrika aber scheint das Abbrennen des Grasbodens dem Hochwalde keinen Schaden zu thun, ich fand nur am Fusse der Bäume die Rinde vom Feuer geschwärzt. Die zurückbleibende Asche dient allerdings als vortreffliches Düngmittel, und sobald in der Regenzeit der Boden wieder befeuchtet wird, sprosst neues Grün in üppiger Fülle aus demselben hervor. Ausserdem werden Millionen schädlicher Insekten und Würmer, Heuschrecken, Ameisen, Schnecken, Schlangen u. s. w., durch die Feuergluten vertilgt. Zum ersten mal sah ich an diesem Tage die Früchte der Adansonie; sie hängen wie die Nester dem Webervogels an fadendünnen Zweigen von 1-11/2 Ellen Länge und gleichen in der äussern Form den Melonen, haben aber eine weiche, wie Sammt anzufühlende Schale. Die Kerne werden in Wasser zerkocht, welches dann von Leberleidenden als Arznei getrunken wird. Die Neger im Sudan sollen die Frucht auch wie die Blätter als Gemüse und zu Suppen verwenden. Um 11 Uhr traten wir in den District Uassáram ein, und kurz darauf in den gleichnamigen Hauptort selbst. Das recht stark bevölkerte Gebiet gehört dem Alamino, der durch einen vorausgeschickten Intendanten uns beim Billa-ma des Orts angemeldet und den Einwohnern vorgeschrieben hatte, wie sie uns einquartieren unct verpflegen sollten. Wir fanden daher das Quartier schon in Bereitschaft gesetzt, und sobald wir abgestiegen waren, schickte mir der Billa-ma nicht nur Schüsseln voll Milch und gekochter Speisen, sondern auch ein Dutzend Hühner, 50 Pfund Butter, 25 Pfund Honig und eine Last Getreide. Es war der 24. December, Weihnachten! Um so mehr freute ich mich der reichen Gaben, denn ich konnte nun andere beschenken und damit Festfreude um mich her verbreiten.

Den ersten Weihnachtsfeiertag ruhte ich in Uassáram, zumal auch mein Kamel einen Rast- und Weidetag nöthig hatte. Das Wetter war verhältnissmässig kühl genug - in den heissesten Tagesstunden stieg das Thermometer nicht über +28deg. -, um an Weihnachten zu gemahnen; Rauch und Wüstenstaub verfinsterten den Himmel dermassen, dass erst um Mittag die Sonne den dichten Nebel zu durchbrechen vermochte. Nachdem es heller geworden, unternahm ich einen Spazierritt in die Umgebungen des Dorfs. Gut angebaute Getreidefelder wechselten hier mit Indigo-Pflanzungen, die gleichfalls gut zu gedeihen schienen. Auf den Bäumen war das Laub noch grün, die Digdigi-Pflanze, die sich lustig an den Hütten emporrankte, trieb sogar frische Blüten. Wieder vor meiner Wohnung eingetroffen, wurde ich von einem Fellata - sie selbst nennen sich Pullo und von den Arabern werden sie Fulan genannt - angeredet, der mich bat, ihn nach seiner Heimat Koringa, (Gombë) mitzunehmen, indem er zur Unterstützung seiner Bitte geltend machte, die Pullo seien ja keine Neger, sondern auch weisse Männer. Die Ethnologen mögen untersuchen und entscheiden, ob die rothhäutigen Pullo wirklich der weissen Rasse oder welcher andern sie beizuzählen sind: ich nahm den neuen Vetter gern in meine Begleitung auf, denn da er fertig Kanúri sprach, rechnete ich darauf, dass er mir in seinem Lande als Dolmetscher werde dienen können.

Abends wurden wir ebenso reichlich wie am vorigen Tage mit Speisen und Lebensmitteln versorgt, alles für Rechnung des Alamino, welcher den Leuten an ihren Abgaben den Werth des Gelieferten zurückvergütet. Nach dem Essen streckte ich mich behaglich, eine Tasse Kaffee schlürfend, vor das lodernde Feuer. Auch ein Glas Bordeauxwein hätte mir nicht gefehlt, wenn die Kiste, die Herr Consul Botta in Tripolis gütigst an mich abgesandt, an ihre Adresse gelangt wäre; sie war aber leider von den Tebu, welche sie mit der grossen Karavane nach Kuka bringen sollten, aus Nachlässigkeit, vielleicht auch mit Absicht in Kauar zurückgelassen worden, und wer weiss, in welche unberufene Kehle der mir bestimmt gewesene kostbare Rebensaft geflossen sein mag. Ich gedachte der verschiedenen Weihnachten, die ich wie diesmal fern von den Meinigen, allein unter anders gearteten, anders denkenden und empfindenden Menschen verlebt: in Mursuk, bei den Troglodyten im Djebel Sintan, am Ued braa, und war über dem Sinnen allmählich eingeschlummert. Da weckte mich Hammed mit dem Rufe: "Herr, der Braten ist fertig!" Meine Leute hatten mich nämlich gebeten, als sie von mir hörten, dass bei den Christen dieser Tag ein hoher Festtag sei, zur Feier desselben ihnen ein Lamm zum besten zu geben; dieses war nun geschlachtet und am Spiess gebraten worden, und ungeachtet der Masse von Speisen, die sie an dem Abend bereits zu sich genommen, wurde es noch um Mitternacht verzehrt.

Am 26. December verliessen wir 7 Uhr morgens Uassáram. Drei Stunden nördlich davon an dem directen Wege von Magómmeri nach Gudjba liegt der ummanerte Ort Gáfata. Von den sieben Stunden, die wir an dem Tage zurücklegten, liefen die ersten vier in gerader westlicher, die letzten drei in güdwestlicher Richtung. Wir passirten zunächst wieder den Marktplatz von Uassáram, in dessen leerstehenden Hütten weissbrüstige Raben und Aasgeier einstweilen ihr Quartier aufgeschlagen, und kamen dann an zahlreichen Dörfern mit wohlcultivirten Saatfeldern vorüber. Der Wald hat hier dem Ackerbau weichen müssen, nur der Kuka-Baum steht mitten in den Feldern und darf seine gigantisehen Glieder, frei von beengender Umgebung, in die Höhe und Breite ausstrecken. So ging es vier Stunden im offenen Lande fort, durch den District Kodúmba, den wir nach zweistündigem Marsch erreichten, bis zur Grenze des Districts Ingrumai. Von da an hatten wir drei Stunden lang wieder durch sehr dichten, besonders für mein Kamel fast undurchdringlichen Wald zu marschiren, ehe wir an das Reiseziel dieses Tages, nach Mogodóm, den ersten Ort im District Gudjba, gelangten. Merkwürdig, dass hier im äussersten Südwesten von Bornu ein ganz gleichlautender Name vorkommt wie der des ehemaligen Teda-Ortes in Kauar, nach welchem das dortige Mogodóm-Gebirge benannt wurde. Unser Mogodóm ist ein recht ansehnlicher Ort, der früher wahrscheinlich mit Wällen umgeben war, wenigstens sind noch Spuren eines Wallgrabens vorhanden. Die Bewohner treiben die Cultur der Baumwollpflanze in einer Ausdehnung, wie ich sie bis dahin noch nirgends angetroffen hatte.

Sobald wir am folgenden Morgen die Baumwollfelder um Mogodóm hinter uns gelassen, nahm uns abermals ein dichtes Waldrevier auf. Wir gingen zwei Stunden südsüdwestlich und lenkten dann ganz nach Südwesten um. Nach dreistündigem Marsch kamen wir mitten im Walde an einen schönen grossen See, wol eine Stunde im Umfang, der mit einer grün bewachsenen Insel darin und dem frischen Laub, das seine Ufer umkränzte, einen wirklich reizenden Anblick darbot. Die trockene Jahreszeit verlor hier gänzlich ihre ausdörrende Macht. Tausende von Wasservögeln belebten den Spiegel des Sees, und unfern von uns löschten Gazellen ihren Durst in der süssen Flut, während eine Heerde Affen, als sie uns gewahr wurde, mit ängstlichem Geschrei ins Dickicht zurückfloh. Niedergetretenes Gras und abgebrochene Baumzweige bezeichneten den Pfad, auf dem die Elefanten sich zur Tränke heranbewegen. Einen besondern Namen scheint der See nicht zu haben, denn die Wörter "kúlugu" und "ngalajim", die man mir nannte, heissen nur überhaupt stehendes Wasser. Weitere drei Viertelstunden brachten uns an das Bett eines Flüsschens, das einzige Rinnsal auf dem Wege von Kuka bis hierher; es hatte zwar noch Wasser, aber ein so schwaches Gefälle, dass ich die Richtung seines Laufs nicht zu erkennen vermochte. Wie ich später erfuhr, heisst das Flüsschen Ansei, kommt aus Kogu (wol Barth's "Kogher") im Lande der Babur, also aus Süden, und wendet sich von hier an Schemgo vorbei und durch Kerri-Kerri dem Waube zu. Bevor es Kerri-Kerri erreicht, soll es unter der Erde, dort aber durch eine lange Höhle fliessen; und auch hier behält es, obzwar sein Bett in den regenlosen Monaten austrocknet, das ganze Jahr hindurch Wasser in geringer Tiefe. Aus dem Laufe dieses Flusses geht somit hervor, dass das Land der Babur zum Wassersysteme des Tschad, nicht zu dem des Bénuë gehört.

Um 111/4 Uhr zogen wir in die Staat Gudjba ein und hielten vor dem Hause des Katschélla Abdallahi-uld-Ali-Margi, des derzeitigen Statthalters. Man geleitete uns in ein passendes Quartier, wohin alsbald der Katschélla ein Schaf und mehrere Schüsseln voll Speisen schickte. Ich übersanate ihm darauf mein Gegengeschenk zugleich mit einem Schreiben des Sultans von Bornu, in welchem er von diesem angewiesen wurde, mir die erforderliche Schutz- und Begleitmannschaft nach Koringa zu stellen. Am folgenden Tage begrüsste ich ihn persönlich in seiner Wohnung, einem Complex mit verschiedenen Höfen umschlossener Hütten und Veranden aus geflochtenen Matten. Alsdann machte ich einen Gang durch die Staat. Gudjba hat in seinen baufälligen Mauern eine grosse Anzahl Hütten wie Häuser von Thon und zählt gegen 20000 Einwohner, die theils Bekenner des Islam, theils Heiden, sind. Früher von einem eigenen Sultan regiert, der zwar noch seinen Titel, aber keinen Einfluss mehr besitzt, steht der District jetzt ganz unter der Botmässigkeit des Sultans von Bornu.

Wir verliessen am 29. December früh 63/4 Uhr Gudjba und gingen fünf Stunden lang südwestlich, dann bis Mutë südsüdwestlich. Da die dazwischenliegenden Orte Kóreram und Dora zerstört und nicht mehr bewohnt sind, nahmen wir den kürzern Weg durch den Wald, obwol derselbe durch räuberische Ngússum unsicher gemacht wird, weshalb wir fortwährend unsere Doppelflinten und Revolver in Bereitschaft hielten. Ehe wir in den Wald eintraten, sahen wir - die Atmosphäre war an dem Tage ausnahmsweise rein - auf circa zehn Stunden Entfernung den Berg Figa oder Fika in Westsüdwesten sich erheben. Nach drei Stunden befanden wir uns auf dem Kamm der Hochebene von Gudjba; während von Magómmeri bis hierher der Boden immer sanft angestiegen war, senkte er sich nun ziemlich rasch abwärts. Hier lag auch zum ersten mal wieder Gestein, und zwar rother Sandstein, offen zu Tage. Um 33/4 Uhr erreichten wir ohne Unfall den kleinen befestigten Ort Mutë, der ungefähr auf gleicher Höhe mit Kuka, also nur wenige Fuss über dem Spiegel des Tschad-See liegt. Er präsentirt sich von aussen recht malerisch, denn aus den vielen Bäumen, mit denen er wie alle Kanúri-Dörfer bepflanzt ist, ragen einzelne Dattel- und Dum-Palmen empor, und die Palme macht stets einen angenehmem, ästhetischern Eindruck in der Umgebung von andern Bäumen als in einem einförmigen Palmenwalde. Da die Region der Dum-Palme schon einen Tagemarsch südlich von Kuka ihre Grenze hat, so mussten die Exemplare hier eigens angepflanzt sein und sorgfältig gepflegt werden. Wir zogen durch eins der beiden engen Thore in Mutë ein und blieben daselbst zur Nacht. Die Bevölkerung ist ebenfalls aus Mohammedanern und Heiden gemischt. Ihr ehemals unabhängiger Sultan ist jetzt dem Katschélla von Gudjba unterstellt.

Noch ermüdet von dem am vorigen Tage zurückgelegten starken Marsch gingen wir den 30. um 7 Uhr morgens weiter. Die Richtung blieb diesen ganzen Tag hindurch Südsüdwest. Gleich hinter Mutë kamen wir an einen grossen, von zahlreichen Ibissen und einigen Störchen bevölkerten kúlugu (Teich) vorüber, dann an einem Flüsschen Namens Dindeli, das vom Fika herabkommt und, nachdem es sich mit andern ebenfalls von Westen kommenden Rinnsalen vereinigt hat, dem Góngola zufliesst. Nun folgte wieder dichtbestandener Wald, anfangs nur von Talha-Bäumen, deren Blüten die Luft mit heliotropähnlichem Wohlgeruch erfüllten; später gesellten sich andere Bäume dazu, namentlich Korna mit reifen, wohlschmeckenden Früchten, und Kuka-Adansonien, doch bei weitem nicht von der Grösse wie die auf der Hochebene von Gudjba. Um 11 Uhr passirten wir das trockene Flussbett des Gúnguru, mit so steilem Ufer, dass mein Kamel beim Hinabsteigen das Gepäck verlor, und um 12 Uhr das des Konokáne; beide Flüsschen gehören zu denen, die mit dem Dindeli vereint in den Góngola münden. Von hier an tritt auch Granit zu Tage, doch erhebt sich der Boden nicht über das Niveau von Kuka.

Um 1 Uhr war unser Tagesziel, die von Wällen umschlossene Stadt Gebë, erreicht. Wir fanden ihre Bewohner in sehr kriegerischer Stimmung, selbst die kleinen Knaben übten sich eifrig im Schiessen mit Pfeil und Bogen, denn die Stadt hatte kurz vorher eine Belagerung auszuhalten gehabt. Von alters her musste nämlich Gebë einen jährlichen Tribut von zwei Sklaven an das benachharte Gombë entrichten; weil aber ersteres in neuerer Zeit an Bornu gefallen war, verweigerte es seit drei Jahren diesen Tribut. Nun rückte der Sultan von Gombë, Mohammed Koringa, vor die Stadt, um sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit zu zwingen. Die Belagerten hielten indess tapfer stand, und als der Feind vernahm, dass Aba-Fa aus Kuka ein Heer zum Entsatz heranführe, hob er die Belagerung auf und ging eiligst über die Grenze zurück. Trotz dieser Sachlage entschied Sultan Omar von Bornu, Gebë müsse den rückständigen Tribut bezahlen.

Ueberhaupt sind die Grenzorte dieser Negerländer in übler Lage, selten finden sie genügenden Schutz vor feindlichen Ueberfällen. So hatte erst kürzlich der Katschélla von Gudjba einen Einfall in das Fellata-Gebiet gemacht und aus einem Orte, der weder zu Bornu noch zu Sókoto gerechnet wird, eine Anzahl Gefangener fortgeschleppt, um sie als Sklaven zu verkaufen oder nur gegen hohes Lösegeld frei zu geben. Besonders wird dem Sultan Omar in dieser Beziehung wol mit Recht Mangel an Energie vorgeworfen. Er hat sich von Uadaï wie von Sókoto Beleidigungen ruhig gefallen lassen, und als während meines Aufenthalts in Kuka die räuberischen Uled Sliman aus Kanem 9000 Stück Rinder von Ngígmi forttrieben, schickte er keine Soldaten zu ihrer Verfolgung und Bestrafung aus. Sollte er sich vorgenommen haben, in den letzten Jahren seiner Regierung in Frieden mit seinen Nachbarn zu leben, so könnte ihm solche Schlaffheit unter den Verhältnissen, wie sie in Bornu bestehen, leicht Thron und Leben kosten. Noch gibt es viele Anhänger der alten Sefua-Dynastie, und auch die Nachkommen seines getödeten Bruders Abd-er-Ráhman warten nur auf eine günstige Gelegenheit, die Ermordung ihres Vaters zu rächen. Nachtigal deutet in seinen Berichten aus Bornu auf den möglichen Sturz der herrschenden Familie hin und schreibt unter anderm in einem Briefe vom 14. November 1870 an die Redaction der "Zeitschrift für Erdkunde": "Wie zu Denhams Zeit der Hof der alten Sefua-Dynastie mit seinen demoralisirten, zu nichts mehr fähigen Hofschranzen das Land an den Rand des Verderbens gebracht hatte, so scheint mir der Hof von Kukaua (Kuka) nicht viel besser zu sein." Im Interesse der europäischen Reisenden wäre es jedenfalls sehr zu beklagen, wenn ein so wohlwollender Herrscher wie Sultan Omar beseitigt werden und vielleicht ein Wütherich vom Schlage des frühern Sultans von Uadaï oder des Königs von Dahomëh den Thron des Bornu-Reiches einnehmen sollte.


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