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IIX. Im Reiche Bautschi (Jacoba).

Ueberschreitung der Grenze. Burriburri. Die Bolo-Neger. Ein Pseudo-Scherif. Ankunft in der Hauptstadt Garo-n-Bautschi. Ritt nach Keffi-n-Rauta. Besuch beim Lámedo. Oeffentliche Audienzen. Die Lagerstadt Keffi-n-Rauta.

Der Fluss Gombë bildet die Grenze zwischen den Reichen Kalam und Bautschi oder Jacoba. Wir setzten um 12 Uhr auf das rechte Ufer desselben über und erreichten bald die in weitem Umfange von Mauern umgebene Bautschi-Stadt Burriburri, die indess, da neben den Hütten grosse Felder und Gärten sich ausbreiten, wol nicht mehr als 5000 Einwohner zählt. Letztere sind sämmtlich Kanúri; sie reden die Sprache ihrer Stammesgenossen in Bornu, wissen jedoch nichts von der Gastfreundschaft, wie sie dort gegen Fremde geübt wird; ich sah mich sogar genöthigt, zum Schutz gegen Diebe des Nachts Wachen vor unserm Lager auszustellen. Der Ortsname Burriburri oder Berriberri kommt in diesen Theilen Afrikas nicht selten vor, und man kann mit ziemlicher Gewissheit annehmen, dass alle so benannte Ortschaften von Kanúri gegründet und bewohnt seien. Sporadisch sind die Kanúri bis zum Niger und Bénuë hin verbreitet.

Andern Tags, den 10. Januar, kamen wir wegen der Schwierigkeit des Weges nur 2 Stunden in südwestlicher Richtung vorwärts. Mehrmals warf das Kamel die Ladung ab, die Stricke zerrissen, die Säcke platzten, und vieles von meinen Sachen wurde beschädigt. Indess gewährte die reizende Umgegend von Burriburri vollen Ersatz für diese Widerwärtigkeiten. Das Bild, das sich mir hier in der Morgenfrühe darbot - im Vordergrunde der vom Süden kommende Fluss, dann dessen jenseitiges sanftgewelltes und grünbewaldetes Ufer mit den zahlreichen Hüttendörfern, am östlichen Horizont zwei hintereinander aufsteigende Bergketten, alles mit dem blauen Duft des Waldrauches umschleiert - konnte mich an die Porta Westphalica des heimatlichen Weserstroms versetzen, wenn anders der Blick auf die fremde Vegetation, die Form der Hütten, die fetten Buckelrinder, die mit Bogen und Pfeilen bewaffneten Neger eine Täuschung der Art hätte aufkommen lassen. Wir näherten uns, während das Terrain immer hügeliger wurde, dem Gabi-Flusse, der aus Südwesten vom Djarúnda-Gebirge herabfliesst und in den Gombë-Fluss mündet. Als wir ihn erreicht und überschritten hatten, blieben wir, um die Schäden der Ladung auszubessern, in einem der an seinen beiden Ufern liegenden Dörfer, die alle Gabi genannt werden. Es bestand aus äusserst ärmlichen, schmuzigen Hütten und war von Bolo-Heiden bewohnt. Die Bolo reden eine eigene Sprache und haben stark aufgeworfene Lippen, doch weniger dunkle Hautfarbe als die Bágirmi. Die Männer, gross und kräftig von Gestalt, scheren sich den Kopf nicht kahl, wie die Kanúri, Bágirmi, Haussa und andere Negerstämme, sondern tragen ihr volles Haar. Die Frauen sind klein und corpulent und binden das Kopfhaar von hinten nach vorn in eine hochgethürmte Wulst zusammen. Man räumte uns freundlich eine von den schmutzigen Hütten ein, bekümmerte sich aber sonst nicht viel um die Gäste. Abends ging ich an den Fluss. Der Gabi hält das ganze Jahr hindurch Wasser, um diese Zeit freilich nur einen schmalen Streifen; ich fand es klar und süss. In dem groben Kiessande des Grundes führt er viele Plättchen Marienglas mit sich, die in der Sonne wie Gold schimmern, und sein breites Bett enthält mächtige Blöcke von Granit, weiter abwärts auch von Kalk- und Sandstein. Heerden von Pavianen und Meerkatzen beleben die immergrünen Ufer.

Am folgenden Tage wurden wieder kaum 4 Wegstunden zurückgelegt. Nachdem wir die erste Stunde südwestlich einen volkreichen Landstrich, hierauf südlich einen Wald, gleichfalls an vielen bewohnten Dörfern vorbei, durchzogen hatten, galt es, ein äusserst zerklüftetes und unwegsames Gebirge mit unserm Kamel zu übersteigen. Oft mussten wir dem Thiere seine Ladung abnehmen und alles einzeln auf unsern Köpfen tragen, damit es die steilen Pässe erklimmen konnte, und es war selbst zu verwundern, wie es unbelastet die Mühen und Hindernisse des Weges überwand. Je nach der Beschaffenheit des Terrains bogen wir im Zickzack bald rechts, bald links von der geraden Richtung ab, hielten uns jedoch im allgemeinen südwestlich. Wie in der Kabylie fehlt es auch hier mitten im Gebirge nicht an Dörfern, theils keck von schroffen Höhen herabschauend, theils hinter Felsblöcken versteckt liegend. In einem derselben, wo wir anhielten, um nach dem besten Wege zu fragen, wurden wir mit Tamarindenwasser bewirthet und zum Absteigen eingeladen. Die Oberfläche der Berge bestand anfangs aus Kalk- und Sandstein, später trat grobkörniger Granit zu Tage. Unter der reichen Baumvegetation herrschten die Mimosen vor, und zum ersten male begegnete mir hier der Candelaber-Baum, ein riesiger Cactus mit ganz eigenthümlichen Formen. Durch Vogelstimmen aller Art und das heisere Geschrei der Affen war die Waldeinsamkeit belebt. Gegen Abend kehrten wir in dem Bergdorfe Djaro ein. Obwol uns mehrere seit dem Frühjahr leerstehende Hütten zur Verfügung gestellt wurden, lagerten wir, aus Furcht vor Skorpionen und anderm Ungeziefer, im Freien unter einem breitästigen Runo-Baume. Es sollen viele Panther und Leoparden in der Gegend hausen; wir unterhielten deshalb in der Nacht grosse Feuer, ich wurde jedoch durch nichts als dann und wann durch das Geheul hungeriger Hyänen im Schlafe gestört.

Am 12. Januar vollbrachten wir einen sechsstündigen nach Südwesten gerichteten Marsch in wilder Gebirgsgegend. Wir passirten im Aufsteigen eine Menge nach Osten strömender Wässer und hatten vom Orte Barë an im Westen eine Reihe von Bergen zur Seite, deren höchste, südliche Spitzen, der Súngoro- und der Kobi-Berg, nach meiner Schätzung sich 1500 Fuss über das Plateau erheben. Zwischen und auf den Felsen fanden wir auch hier noch zahlreiche Dörfer. Ihre Bewohner, Bolo-Neger von schwarzer, nur bei einigen, wol infolge der Vermischung mit den Fulan, etwas hellerer Hautfarbe, gingen nackt. Die Männer, robuste und gedrungene Gestalten, hatten wenigstens kleine Schurzfelle von ausgefranstem Leder vorgebunden. Die Weiber aber, alte wie junge, waren ohne alle Bekleidung, während sehr breite Ringe von Silber, Eisen oder Kupfer die Oberarme und Beine umschlossen; ausnahmsweise legen sie einen handbreiten Ledergürtel um die Hüften, an dem vorn und hinten ein oder mehrere Blätter befestigt sind; die Haare werden entweder wie ein Helmbusch oder in Form eines hohen korbähnlichen Kranzes zusammengerafft. Von Statur klein und rund, haben die Weiber in der Jugend sanfte Gesichtszüge, im Alter dagegen sind sie von abscheulicher Hässlichkeit. Wollte ich sagen, sie sehen aus wie des Teufels Grossmutter, so wäre dies ein falsches Bild, dann die Neger malen den Teufel nicht deshalb weiss, um ihn recht hässlich, sondern um ihn möglichst furchtbar darzustellen. Ueberhaupt darf man nicht glauben, dass die Neger, weil ihre Gesichtsbildung von der unserigen so entschieden abweicht, wesentlich andere Begriffe von Frauenschönheit haben als wir. Ein nach unserm Geschmack mehr oder weniger schönes Gesicht steht bei ihnen in gleicher Geltung, und wenn sie auch bisweilen spottweise unsere feinen Lippen mit denen der Meerkatzen und unsere langgestreckte Nase mit dem Schnabel des Pfeffervogels vergleichen, so wissen sie doch die Schönheit einer Fellata-Frau mit kaukasischen Gesichtszügen recht wohl zu schätzen. Ein Neger, der eine schwarze Madonna zu malen hätte, würde sicher nicht eine Musgu- oder Tuburi-Negerin, sondern eine wohlgebildete Bornuerin oder Uándala zum Modell nehmen.

Wir gelangten an Damagúsa, Kakaláfia und andern unbedeutenden Ortschaften vorbei nachmittags zu dem grossen ausschliesslich von Fellata bewohnten Orte Tjungóa, dem Ziel unsers Tagemarsches. Zu meiner Verwunderung ward uns seitens der Bewohner gastfreundliche Aufnahme und Bewirthung zutheil; selbst unsere Pferde bekamen wieder einmal sattsam Korn zu fressen. Die Sache klärte sich folgendermassen auf. Seit Jahren war ein Mann hier ansässig, der sich einen Scherif der Schingóti nannte, d. h. der Schellah-Berber, die nordwestlich von Timbuktu bis zum Ocean die Wüste durchstreifen und, obwol sie nichts weniger als Abkömmlinge Mohammeds sind, den zum Islam bekehrten Negern sich als Schürfa darstellen, um sie auf schamlose Weise auszubeuten. Der Fulfúlde-Sprache vollkommen mächtig, predigte er den Fellata beständig vor, um in das Paradies zu kommen, gebe es kein sichereres Mittel, als dass sie seine geheiligte Person nach Gebühr verehrten, ihm dienstbar seien und seine Ländereien unentgeltlich bearbeiteten. Er hatte eine Frau ihres Stammes geheirathet und war mit ihr im Jahre 1866 nach Mekka gepilgert, was den Ruf seiner Heiligkeit noch bedeutend vermehrte. In Bornu verstand man es besser, wie er wohl wusste, die echten Schürfa von den falschen zu unterscheiden; daher war er auf die Kanúri sehr schlecht zu sprechen, und damit wir den Ortsbewohnern seine wahre Herkunft nicht verrathen möchten, empfahl er ihnen angelegentlich, uns aufs beste zu verpflegen.

Als wir am folgenden Tage aufbrachen, hatte sich eine Menge Volks um uns versammelt. Da kam auch der Pseudo-Scherif auf einem kleinen verkrüppelten Pferde herbeigeritten, um mir eine Strecke weit das Geleit zu geben. Zum Abschiede beschenkte er meinen Diener Hammed, welcher sich ebenfalls für einen Scherif auszugeben pflegte, als Collegen mit 100 Muscheln, indem er den seine Freigebigkeit anstaunenden Negern zurief: "Seht, so muss man Schürfa bewirthen, das ist der sicherste Weg zur Thür" (des Paradieses)! Jedenfalls war er seinerseits sicher, dass seine gläubigen Verehrer ihm die 100 Muscheln bald wieder ersetzen würden.

Wir legten an diesem Tage abermals nur einen Weg von 6 Stunden in westsüdwestlicher Richtung zurück. Die uns umgebenden Berge bildeten jetzt gewaltige Granitmassen in relativer Höhe von 1500 bis 2000 Fuss, alle gut bewachsen und von mannichfachster, oft wunderlichster Formation. Zwei Stunden zu unserer Rechten ragte der von Heiden bewohnte Dündi-Berg empor; an ihn stösst der bedeutende Berg Ngámoli, der sich im Bogen bis zum Djinker-Berge hinzieht. Letzterer scheint mit seinen nach Südosten entsendeten Ausläufern den Weg gänzlich zu versperren, aber durch die von steilen, fast lothrechten Granitwänden eingefasste Schlucht führt ein gangbarer Pass. Hier sollen viele Panther im Hinterhalt lauern, um von Viehheerden, die hindurchgetrieben werden, sich ein Beutestück zu holen. Die östlich und westlich von dem Passe befindlichen Fellata-Dörfer werden nach dem Berge selbst Djinker genannt. Nach Ueberschreitung des Passes sahen wir rings am Horizont Berge von grössern Dimensionen und bis zu 6000 Fuss relativer Höhe vor unsern Blicken auftauchen. Es war Nachmittag, als wir den Ort Súngoro erreichten, der theils von Pullo-, theils von Haussa-Negern bewohnt ist. Ein heftiger Fieberanfall nöthigte mich leider, gleich bei der Ankunft mein Lager aufzusuchen.

Die Dörfer der Pullo sind meist weitläufiger angelegt als die der Kanúri, und auch ihre Wohnungen weichen in der Bauart von denen der letztern erheblich ab. Während die Hütten einer Kanúri-Wohnung, eines sogenannten fáto, einzeln und ohne Ordnung in einem viereckigen Gehege stehen, bilden die drei bis vier Hütten der PulloWohnung einen Kreis, dessen Zwischenräume durch thönerne Vorrathsthürme von gleicher Höhe wie die Hütten selbst ausgefüllt sind. Aus einer Hütte führt eine Thür, durch die man aufrecht hindurchsehreiten kann, nach dem innern Hofraum; es ist dies ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal auch von allen andern Negerwohnungen. Die übrigen Hütten haben nur nach dem äussern Hofe eine runde Oeffnung von 11/2 Fuss im Durchmesser. In der Mitte des Kreises stehen meist noch einer oder mehrere solcher Vorrathsthürme, und oft ist das Ganze mit Matten überdacht. So bildet die Pullo-Wohnung ein geschlossenes Haus, wogegen die der Kanúri und anderer Negerstämme nur aus einer oder mehrern einzelnen Hütten besteht. Was indess die Kanúri vor den Pullo voraus haben, ist die grössere Reinlichkeit.

Ich war am, andern Morgen noch sehr angegriffen, stieg aber doch zu Pferde, um die nur mehr 3 Stunden entfernte Hauptstadt von Bautschi zu erreichen. Südwestliche Richtung haltend, passirten wir die Orte Joli, am Berge gleiches Namens gelegen, und Kiruin, ebenfalls von hohen Felsen umgeben. Die Berge im Südost, Süd und Südwest traten immer deutlicher hervor, namentlich der kolossale Tsaránda- (Djaránda-) Berg, der mich lebhaft an den Monte Baldo am Gardasee erinnerte. Jetzt sahen wir die röthlich schwarzen, nur von wenigen Thoren durchbrochenen Thonmauern der Hauptstadt Garo-n-Bautschi - dies ist ihr eigentlicher Name, während sie von den Arabern und nach ihnen auch von den östlich wohnenden Negern, nach dem Namen ihres Gründers, Jacoba, Jacobo, Jacobári genannt wird - in endloser Einförmigkeit sich hinstrecken. So herrlich die Natur dieses weite Alpenthal geschmückt hat, einen so öden Eindruck macht von aussen gesehen die Stadt, da die Bäume im Innern nicht hoch genug sind, als dass sie mit ihren Kronen die hohe, kahle Mauer überragen könnten.

Wir ritten durch das Thor in die Stadt ein. Unterwegs hatte ich schon gehört, dass der Lámedo (das Pullo-Wort, für Sultan, König) nicht in Garo-n-Bautschi anwesend sei, sondern seit 2 Monaten mit seinem Kriegsheer in der befestigten Stadt Rauta verweile. Auch Vogel berichtete in einem Briefe an Ehrenberg vom 11. December 1855, er habe den Lámedo nicht in seiner Residenz angetroffen; derselbe stehe schon 7 Jahre im Felde gegen den 65 englische Meilen gegen Nordnordwest an der alten Strasse nach Kano wohnenden heidnischen Stamm der Sonóma, welcher durch aus Bautschi entlaufene Sklaven fortwährend Verstärkung erhalte. Zum Glück war ich ausser an den Lámedo auch an einen Kaufmann aus Rhadames Namens Hadj Ssudduk empfohlen. Ich liess mich nach dessen Hause führen und erfuhr hier zwar, auch er habe bereits seit längerer Zeit die Stadt verlassen; das Haus war aber von einem Verwandten von ihm Namens Ali-ben-Abidin bewohnt, der mir, nachdem, er, mein Empfehlungsschreiben in Empfang genommen, freundlichst seine Dienste anbot. Er geleitete mich sofort zur Residenz des Lámedo und stellte mich daselbst dem Obersten der Sklaven, dem Intendanten über den königlichen Hofhalt, als Gast seines Gebieters vor. Es wurde zwischen den beiden ausgemacht, dass der Kaufmann für mein Quartier, der Intendant für die Beköstigung zu sorgen haben sollte. Demgemäss ward mir ein ebenfalls dem Rhadameser gehöriges Haus zur Wohnung eingeräumt, und bald brachten mehrere königliche Diener zwei kleine Särke mit Korn, ein Huhn und ein Töpfchen Honig. Als Trinkgeld gab ich den Ueberbringern eine Anzahl Muscheln, welche den Werth der Sendung reichlich aufwog; dennoch waren sie nicht zufrieden damit, sondern unverschämt genug, noch 1000 Muscheln zu verlangen. Ali-ben-Abidin wollte sich ins Mittel legen, allein meinem als durchaus nothwendig erkannten Grundsatz getreu, jeden Erpressungsversuch der Art sogleich energisch zurückzuweisen, liess ich mich auf keine Unterhandlungen ein, machte vielmehr kurzen Process und jagte die Kerle mitsammt den überbrachten Lebensmitteln zum Hause hinaus. Abends schickte uns dann die Erste Frau des Lámedo, der man inzwischen meine Ankunft gemeldet hatte, ein gutes und splendides Mahl.

Den folgenden Tag widmete ich der Ruhe und Erholung von den Strapazen der Reise. Am 16. Januar aber brach ich nach Keffi-n-Rauta auf, um den Lámedo zu begrüssen und ihm meine Geschenke zu überreichen. Ich nahm die beiden Kanúri aus Gombë mit, auch mein Kamel und mein Zelt, in der Hoffnung, der Lámedo werde mir beides abkaufen, denn ich hatte mich überzeugt, dass es unmöglich sei, mit dem Kamel weiterzukommen; ohne dasselbe aber konnte mein schweres Zelt nicht transportirt werden, welches mir übrigens für die fernere Reise auch allenfalls entbehrlich schien. Es war 8 Uhr morgens, als ich die Stadt in nordweglicher Richtung verliess. Um 81/2Uhr passirte ich das vom Djaránda kommende Flüsschen Sadánka, kurz darauf den ansehnlichen Ort Tündu, von hohen Felsen umschlossen, um 101/2 Uhr den Fluss Lindíoa, der, ebenfalls vom Djaránda kommend und nach Nordosten fliessend, etwa 5 Stunden weiter abwärts sich in den Gabi ergiesst, und gelangte, die Ortschaften Billi und Magária hinter mir lassend, an den letztern selbst. Es ist, unter anderm Namen, derselbe Fluss, den wir bei Gombë überschritten; seine Quellen und Zuflüsse entspringen theils im Goa- und Gora-, theils im Djaránda-Gebirge. Jenseit des Gabi folgten noch mehrere unbedeutende Wasserrinnen, einige von den Heiden zerstörte Dörfer, dann der grosse Ort Nahúta, und um 3 Uhr nachmittags, nach einem scharfen Ritt von 7 Stunden (101/2 Kamelstunden), befand ich mich vor den Mauern von Keffi-n-Rauta. Ich ritt durch ein geöffnetes Thor und direct bis zur Wohnung des Lámedo. Auf meine Frage, wo derselbe augenblicklich verweile, wies man auf ein der Wohnung gegenüberliegendes verandenartiges Gebäude, ohne hinzuzufügen, dass es seine Moschee sei. Erst als ich eingetreten war, bemerkte ich den Verstoss, dessen ich mich als Ungläubiger mit dem Betreten eines Bethauses schuldig gemacht, und zog mich auf der Stelle wieder zurück. Nun wurde ich in mein Quartier, eine recht gut eingerichtete Hütte geführt.

Nach einer Stunde liess mich der Lámedo zu sich entbieten. Er lag im vordersten Hofe seines Hauses auf einer Ochsenhaut, umgeben von den Grossen des Reichs, die fast alle, während sonst an Negerhöfen niemand bewaffnet vor dem Herrscher erscheinen darf, lange Schwerter trugen. Beinahe hätte ich einen zweiten Verstoss begangen und einen andern statt des Monarchen begrüsst, da ihn äusserlich nichts von den Versammelten unterschied; seine ursprünglich weiss gewesene Kleidung war infolge langen Gebrauchs ebenfalls schmuzig grau geworden, und ein Litham verhüllte wie bei den übrigen sein Gesicht, sodass nur die Augen frei blieben. Als die Begrüssungsformeln ausgetauscht waren, übergab ich ihm meine Briefe. Den des Sultans von Bornu entfaltete und las er sofort, worauf er - ich hatte meinen Kanúri-Burschen als Dolmetscher zur Seite - zu mir sagte. "Es scheint, du bist sehr befreundet mit dem Sultan, der wol überhaupt die Christen liebt?" - "Sultan Omar", erwiderte ich, "hat mir in der That viel Freundschaft erwiesen, wie er auch andere christliche Reisende vor mir aufs Grossmüthigste behandelt hat." Dann eröffnete ich ihm, ich hätte einen Revolver für ihn mitgebracht, und da er denselben gleich zu sehen wünschte, liess ich das Kästchen durch den Kanúri aus meiner Wohnung herbeiholen. Inzwischen zeigte ich ihm meinen türkischen Firman. Er wandte das Pergamentblatt hin und her, beguckte es von oben und unten und fragte dann spöttisch, wozu es mir nütze. "Dieses vom Beherrscher aller Gläubigen ausgestellte Schreiben", antwortete ich, "wird überall, wo Mohammedaner wohnen, respectirt und gewährt mir Schutz auf meinen Reisen." - "Das mag im türkischen Reiche sein", sagte er; "wir aber verstehen kein Türkisch, und unser Beherrscher der Moslemin ist nicht der Sultan in der Türkei, sondern der Sultan in Sókoto." Danach erhob er sich und ging allein mit mir in einen der innern Höfe. Hier behändigte ich ihm den Revolver. Nachdem er sich dessen Construction und einzelne Bestandtheile genau hatte erklären lassen, fragte er nach dem Preise denn es ist bei den Lámedos der Fellata nicht so selbstverständlich wie bei andern Negerfürsten, dass jeder Fremde ihnen Geschenke überreichen muss. Natürlich ersuchte ich ihn, die Waffe, die mich mit dem Etui 5 Guineen gekostet, als Geschenk zu behalten; ich nahm aber die Gelegenheit wahr, ihm mein Kamel und mein Zelt zum Kauf anzubieten. Scheinbar auf die Offerte eingehend, bestimmte er, dass folgenden Tages die Besichtigung der Gegenstände und der Handel darüber stattfinden solle. Wir unterhielten uns sodann über meine Weiterreise. Sultan Omar hatte ihn in seinem Schreiben gebeten, er möge nur behülflich sein, dass ich sicher nach Nupe, oder falls die Wege dahin durch Krieg oder Aufruhr versperrt wären, nach Kuka zurückgelangen könnte. Der directe Weg nach Nupe, durch das Gebirge über Daróro, meinte der Lámedo, sei gegenwärtig nicht sicher; er rathe mir, zunächst nach Láfia-Beré-Beré zu gehen, bis wohin er mir einen Führer mitgeben wolle; von da werde ich leicht nach Egga und weiter nach Nupe kommen. Mir war dieser Vorschlag ganz recht, da die Tour über Sária durch frühere Reisende theilweis schon beschrieben worden ist, und ich erklärte mich daher gern damit einverstanden.

Am Vormittag des nächsten Tages wohnte ich einer öffentlichen Audienz, beim Lámedo bei, zu der seine Grossen wieder vollzählig um ihn versammelt waren. Der von mir geschenkte Revolver wurde unter ihnen herumgereicht und fand allgemeine Bewunderung, desgleichen eine Pistole, die Beurmann, und ein Messer mit mehrern Klingen und Schrauben, das Vogel hier zum Präsent gemacht hatte. Bei diesen öffenlichen Audienzen hat jeder aus dem Volke freien Zutritt und darf seine Anliegen oder Beschwerden dem Lámedo selbst vortragen, welcher persönlich, ohne Zuziehung der Räthe, alles auf der Stelle entscheidet. Leider verstand ich wegen Unkunde der Sprache nichts von den Verhandlungen, ich war deshalb froh, als die vierstündige Sitzung endlich geschlossen ward. Jetzt kam der Handel um mein Kamel und Zelt an die Reihe. Nach Negersitte, nicht nur in Mittel-, sondern auch in ganz Nordafrika, selbst auf dem Markte zu Tripolis, stellt der Verkäufer keine Forderung, sondern wartet ab, was man ihm für seine Waare bietet, und der Reflectant steigert sein Gebot so lange, bis es vom Verkäufer annehmbar befunden wird. Die Beauftragten des Lámedo gingen aber mit ihrem Gebot nicht über 30000 Muscheln für das Kamel und 10000 für das Zelt hinaus; und da ich mich zur Annahme eines im Verhältniss zum Werthe der Gegenstände so äusserst niedrigen Preises nicht entschliessen konnte, blieb der Handel ohne Resultat.

Abends wurde in der Nähe meiner Wohnung eine Hochzeit gefeiert. Ein Haufen Männer und Weiber, gefolgt von einer lärmenden Kinderschar, zog durch die Strassen und schleppte in seiner Mitte die junge, fast nackte Braut, die wie unsinnig zappelte und schrie, an Armen und Beinen zur Hütte des ihrer harrenden Bräutigams. Mag nun das Sträuben natürlich oder erheuchelt sein, der gute Ton in Bautschi verlangt, dass die Ehecandidatin auf dem Transport zum Hause ihres Zukünftigen aus Leibeskräften strample und schreie, überhaupt möglichst starken Widerstand an den Tag lege.

Keffi-n-Rauta, oder kurzweg Rauta, liegt etwas niedriger als Garo-n-Bautschi, doch auf demselben Plateau, das im Westen und Nordwesten in einer Entfernung von 8 bis 10 Stunden durch anscheinend 3-4000 Fuss hohe Berge begrenzt ist, unter welchen in der Richtung von 170deg. vom Mittelpunkte der Stadt aus gesehen der Djaránda-Berg hervorragt. Zufolge des von den Bergmassen ausgeübten Drucks findet sich überall auf dem Plateau Wasser in geringer Tiefe unter dem Boden, hier und da sogar ein offenes, selbst in der trockenen Jahreszeit gefüllt bleibendes Wasserloch. Der Ort ist eigentlich weniger eine Stadt als ein mit Thonmauern umwalltes Lager, in dessen Mitte der Lámedo eine weitläufige, ebenfalls aus Thon erbaute Wohnung hat. In den sie umgebenden Hütten waren 10000 Mann Truppen einquartiert. Die ständigen Bewohner, nur etwa l0000 an Zahl, sind sämmtlich Haussa-Neger und Sklaven des Lámedo. Sonntags wird vor den Thoren ein kleiner, unbedeutender Wochenmarkt abgehalten.

Ich wollte am 18. Januar früh morgens die Rückreise nach der Hauptstadt antreten, musste aber bis Mittag warten, ehe mich der Lámedo zur Abschiedsaudienz empfing. Bei derselben stellte er mir den Mann vor, der mich nach Láfia-Beré-Beré geleiten sollte, und versprach, ihn demnächst mit Empfehlungsschreiben für mich nach Garo-n-Bautschi zu senden. Nun stieg ich zu Pferde, und nach einem siebenstündigen scharfen Trabe traf ich abends wieder in der Hauptstadt ein.


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