Gründung des Reichs. Aufstände der Heiden. Oberhoheit des Sultans von Sókoto. Titel und Hofchargen. Täglicher Markt in Garo-n-Bautschi. Tracht der Bewohner. Arbeiten der Männer und Frauen. Klima. Der Islam als Haupthinderniss für das Vordringen ins Innere von Afrika. Nachrichten über die Niam-Niam-Kannibalen.
Zu Ende des vorigen Jahrhunderts ging Jacoba, der jüngere Sohn des Sultans von Trum, einem kleinen Negerreiche der Gerë im Joli-Gebirge, an den Hof von Sókoto, wo er dem Islam annahm und mehrere Jahre mit Eifer dem Studium des Arabischen und der heiligen Bücher oblag. Kurz nachdem er in die Heimat zurückgekehrt war, starb sein Vater, und unterstützt durch Sultan Osman von Sókoto, der sich damals schon den Titel "Herrscher der Gläubigen" beigelegt hatte, wusste er die ältern Brüder zu verdrängen und sich selbst des Thrones zu bemächtigen. Zugleich belehnte ihn sein Gönner mit dem ganzen Gebiete südlich von Kano bis an den Bénuë, das ausschliesslich von Heiden, meist von Haussa-, Bolo- und Bautschi-Negern, bewohnt war. In Mitte der letztern, deren Stamme auch er und seine Familie angehörten, erbaute Jacoba eine Stadt und nannte sie nach ihnen Garo-n-Bautschi (Garo heisst "ummauerter Ort"); sie wurde bald, begünstigt durch ihre vortheilhafte Lage einerseits zwischen Adamáua und Nyfe oder dem Bénuë und dem Niger, andererseits auf halbem Wege zwischen Rhadames und dem grossen Handelsplatze Kano, der beliebteste Markt der rhadameser Kaufleute, da diese die Waaren von Nyfe und die Producte von Adamáua, namentlich Elfenbein, nirgends wohlfeiler zu kaufen fanden, überdies hier wie alle Fremden vollkommener Zoll- und Handelsfreiheit genossen. Von Garo-n-Bautschi aus erweiterte Jacoba die Grenzen seines neuen, nunmehr nach der Hauptstadt ebenfalls Bautschi genannten Reiches, indem er nach und nach alle heidnischen Stämme bis zum Bénuë und südwestlich bis Nyfe unter seine Botmässigkeit brachte. Es gelang ihm dies hauptsächlich dadurch, dass er klugerweise die annectirten Völker nicht zur Annahme des Islam nöthigte, vielmehr die Verordnung erliess, kein Unterthan von Bautschi, gleichviel ob Mohammedaner oder Heide, dürfe als Sklave behandelt oder verkauft werden; ausgenommen seien nur diejenigen, die sich gegen seine Herrschaft aufzulehnen versuchen sollten. War hiermit die Gleichheit der Bewohner Bautschis zwar im Princip verbürgt, so konnte es doch nicht fehlen, dass die mohammedanischen Pullo, die in Masse namentlich von Sókoto her ins Land kamen, mit Verachtung auf ihre heidnischen Mitinsassen herabsahen, sie bedrückten und von allen Stellen und Aemtern ausschlossen. Natürlich erzeugte dies auf Seiten der letztern Unzufriedenheit und Hass gegen die ihnen aufgedrungene Pullo-Regierung; eine Anzahl der zur Rache gereizten Heiden setzte sich in dem unzugänglichen Gebirgswinkel zwischen Segseg, Kano und Bautschi fest und beunruhigte von da aus durch Raub und Plünderung die in der Ebene gelegenen Ortschaften. Allgemeinere Aufstände verhinderte indess Jacoba mit kräftiger Hand, und auch einen Angriff, welchen der damalige Herrscher von Bornu, der Schich el-Kánemi, gegen das neu erstellende Reich unternahm, schlug er an der Grenze zurück, worauf Bornu seine Regierung förmlich anerkannte.
Jacoba hatte vierzig Jahre regiert, als er im Jahre 1263 der Hedjra (1847) starb. Es folgte ihm sein Sohn Brahima, der gegenwärtige Lámedo, der von den Herrschertalenten seines Vorgängers, von dessen Klugheit und Energie, wenig geerbt zu haben scheint. Gleich bei seinem Regierungsantritt erbitterte er durch ungerechte Bevorzugung der Pullo die heidnischen Unterthanen in solchem Grade, dass diese sich zu offener Empörung gegen ihre Bedrücker zusammenscharten. Hauptsitz der Aufrührer war wieder das Gebirge und das am Fusse desselben gelegene, vom Stamme der Afaua oder Sonóma bewohnte Gebiet. Brahima zog mit einem Heere zu ihrer Bekämpfung aus, wurde aber vor dem Orte Tébula, 8 Stunden nordwestlich von Rauta, in dem sich der Feind verschanzt hatte, sieben Jahre lang festgehalten; erst im achten Jahre der Belagerung, nachdem sein Heer 7000 Mann verloren, vermochte er den Platz einzunehmen und damit den Aufstand vorläufig zu dämpfen.
Vogel, der nicht Tébula, sondern "Tebala Sau zwei Bautschi" (vermuthlich "ssinssinni Bautschi", Lager der Bautschi) schreibt, begrüsste 1855 den Lámedo dort im Lager, machte von da noch einen Abstecher nach den Salz- und Antimon-Minen, dann südlich bis Láfia-Beré-Beré und Gandiko am Bénuë, und kehrte über Garo-n-Bautschi nach Kuka zurück. Beurmann kam 1862 nach Bautschi, hielt sich 17 Tage in der Hauptstadt auf und ging dann gleichfalls, aber auf directem Wege, wieder nach Kuka, ohne den Lámedo, der an einem Beinschaden krank daniederlag, gesehen zu haben.
Zehn Jahre lang, von 1856-66, erfreute sich das Land ziemlicher Ruhe. Da brach, etwa ein Jahr vor meiner Ankunft, ein neuer sehr ernstlicher Aufstand aus. Im Rhamadan 1282 war ein mohammedanischer Mallem aus Kano, Namens Ssala, zu den heidnischen Gebirgsbewohnern gekommen, der sie gegen die Herrschaft der Pullo aufwiegelte, ihnen Schiessgewehre verschaffte und, nachdem er sie militärisch organisirt, an ihrer Spitze die Bewohner der Ebene überfiel. Die Männer, welche sie gefangen nahmen, wurden getödtet, Frauen und Kinder in die Sklaverei geschleppt. Keinen Widerstand findend, drangen die Rebellen immer weiter vor und bedrohten mit ihren Streifereien sogar die Hauptstadt. Nun endlich begab sich der Lámedo, um gegen sie ins Feld zu ziehen, nach Keffi-n-Rauta zum Heere; allein solange ich im Lande verweilte, hatten die militärischen Operationen noch nicht begonnen, während die Zahl des Feindes durch Zuzüge aus allen Theilen des Sókoto-Reiches von Tag zu Tage wuchs.
Bautschi ist kein unabhängiger Staat, es steht gleich den noch grössern Staaten Adamáua und Segseg unter der Oberhoheit des Sultans von Sókoto, dem es nicht nur tributpflichtig ist, sondern der auch nicht selten in die innern Angelegenheiten entscheidend eingreift. So erzählte man mir: vor mehrern Jahren hatte der Lámedo einem bornuer Mallem Namens Mohammed alle Regierungsgewalt in die Hände gegeben, und dieser misbrauchte seine Stellung zur Verübung willkürlichster Gewaltthätigkeiten; vergebens führten die Grossen bei dem charakterschwachen Brahima Klage wider seinen allmächtigen Günstling, da wandten sie sich insgeheim an den Sultan von Sókoto, und auf dessen Befehl musste der Mallem sofort entlassen und aus dem Reiche verbannt werden. Der regelmässige jährliche Tribut, den Bautschi nach Sókoto zu entrichten hat, besteht in Sklaven, Muscheln, Antimon und Salz (1867 waren freilich die das Salz liefernden Sebcha im Besitz der Rebellen); aber auch ausser der Zeit lässt sich der Sultan, wenn er gerade Geld braucht, von seinen Vasallen beliebige Summen auszahlen. Diese Macht des Sultans von Sókoto beruht lediglich auf seinem geistlichen Ansehen als Beherrscher der Gläubigen, denn an materieller Macht wird die Provinz Sókoto von den Provinzen Adamáua, Segseg und Bautschi weit übertroffen. Hierin liegt aber, da die mohammedanischen Pullo überall in der Minderheit und die heidnischen Unterthanen stets zur Empörung gegen deren Herrschaft geneigt sind, ein gefährlicher Keim für den Zerfall des Pullo-Reichs. Schon Barth deutet darauf hin, indem er schreibt: "Ungeachtet dieser gänzlichen Auflösung umfasst das Reich selbst noch in jetziger Zeit die Provinzen wie in seiner blühendsten Periode, mit Ausnahme der Provinz Chadedja, deren Statthalter sich unabhängig gemacht hat; aber sowol die militärische Stärke dieser Provinzen, vorzüglich in Bezug aufdie Reiterei, als auch die Zahlfähigkeit hinsichtlich des Betrages der Einkünfte sind in Bedeutendem Masse gesunken." Was indess den Betrag der Einkünfte betrifft, die der Sultan von Sókoto gegenwärtig noch aus den Provinzen bezieht, so schätzt ihn Barth zu niedrig auf 100 Millionen Muscheln (etwa 65000 Thaler) baar und einen ungefähr gleichen Werth an Sklaven, Baumwolle und heimischen wie von Arabien und Europa eingeführten Waaren; sie sind nach den von mir eingezogenen Erkundigungen wesentlich höher, ja Barth selbst gibt an einer andern Stelle die Einkünfte aus der Provinz Kaus allein mit circa 100 Millionen Kurd (Muscheln) an. Abgesehen von der durch die innern Zerrüttungen drohenden Gefahr, würde übrigens das Sókoto-Reich auch einem kräftigen Angriff von Bornu, dessen Heer mit einer grossen Anzahl guter Gewehre bewaffnet ist, während die Pullo nur wenige Luntenflinten besitzen, wol nicht zu widerstehen im Stande sein.
Am Hofe von Bautschi wird vorwiegend die Haussa-Sprache gesprochen, auch fast alle Titel der Beamten und Würdenträger sind in diesem Idiom benannt. Der Thronfolger, derzeit des Regenten ältester Sohn, Namens Osman, heisst Tschiró-ma; der hohe Beamte, welcher den vom Lámedo abhängigen Sultanen die Befehle desselben zu überMitteln und ihre Streitigkeiten zu schlichten hat, Galadí-ma (ein in den Negerländern häufig vorkommender Titel, mit dem aber an den verschiedenen Höfen verschiedene Functionen verknüpft sind); der Schatzmeister Adía; der Obermeister der Schmiede Sserki-n--makéra (Fürst der Eisenarbeiter). Es ist sehr merkwürdig, dass die Schmiede, die bei den Tebu, wie wir gesehen haben, eine verachtete Pariaklasse bilden, bei den Pullo und Haussa im Gegentheil vorzüglichen Ansehens gemessen, dass ihr Obermeister sogar eine der höchsten Stellen am Hofe einnimmt; die Wohnung des Sserki-n-makéra in Garo-n-Bautschi stand der des Lámedo an Grösse und Ausstattung wenig nach. Weder Clapperton noch Barth haben dieses höchst auffallenden Verhältnisses Erwähnung gethan. Der Oberbefehlshaber des Heeres heisst Sserki-n-naki, der Scharfrichter Sserki-n-ara, der erste Minister, der allein zum innern Hause des Lámedo Zutritt hat, Beráya, der Intendant der Hofhaltung Uómbë, der Oberste der Verschnittenen Yinkona, der erste Vorreiter Madáki, der Inspector der Rüst- und Waffenkammer Bendóma, der Marktaufseher Sserki-u-kurmi, der Hofschlächter Sserki-n-faua, der Hofschneider Sserkin-dumki. Eine besonders hervorragende Stellung haben der .Sultan von Uóssë (Wase), dem alle Orte südlich von Láfia-Beré-Beré untergeben sind, und ein anderer, der speciell die Angelegenheiten der im Lande wohnenden Haussa- und Bolo-Neger sowie der eingewanderten Kanúri leitet. Ersterer führt den Titel Sserki-n-dutschi, letzterer den Titel Sennóa.
In Betreff der Rechtspflege verdient rühmend hervorgehoben zu werden, dass im Gegensatz zu den meisten mohammedanischen Negerhöfen, wo es dem Volke nie gestattet ist, sich dem Herrscher zu nahen, wo selbst seine Vertrauten nur mit abgewandtem Gesicht, als vermochten sie den Strahl aus dem Auge der Majestät nicht zu ertragen, vor ihm erscheinen dürfen, in allen Pullo-Staaten dem Niedrigsten aus dem Volke das Recht zusteht, bei den öffentlichen Audienzen frei vor den Sultan zu treten und ihm selbst seine Klage zu Gehör zu bringen.
Die Stadt Garo-n-Bautschi liegt nach meinen von Dr. Hann berechneten Messungen 2480 Fuss über dem Meere (Vogel fand, beinah genau übereinstimmend, 2500 Fuss) auf einer Hochebene, welche die Wasserscheide zwischen dem Quorra und dem Bénuë mit seinen Zuflüssen bildet. Gegen Nordosten, Osten und Südosten begrenzen schroffe, 4-500 Fuss hohe Granitwände, gegen Westen und Südwesten die bis zu relativer Höhe von 4500 Fuss, also bis zu absoluter von fast 7000 Fuss sich erhebenden Gebirgsstöcke des Djaránda und Boli den Horizont. In einem unregelmässigen Viereck gebaut, wird die Stadt nebst Feldern und Gärten, unbebauten steinigen Hügeln und zahlreichen Wasserlöchern, welche durch Ausgraben der Thonerde zum Häuserbau entstehen, im Umfange von 31/2 Stunden durch hohe Mauern eingeschlossen. Sie hat ziemlich breite, aber krumme und winkelige Strassen. Alle Häuser sind aus Thon errichtet; die der Vornehmen, wozu meist grosse Höfe und Gärten gehören, haben flache Dächer, die Hütten des Volks spitze Strohbedachung.
Die Bevölkerung, der Mehrzahl nach Haussa-Neger, mag sich auf 150000 Seelen belaufen, doch war die frühere Lebhaftigkeit des Orts, seitdem die aufrührerischen Heiden das Land unsicher machten, von den Strassen und Plätzen verschwunden. Der Handelsverkehr mit Adamáua und Nupe stockte gänzlich, die Kaufleute aus Sária, Kano und andern fremden Städten hatten daher Bautschi verlassen, kaum drei oder vier Rhadameser blieben noch zurück, und mit dem Lámedo waren auch alle Grossen ins Lager nach Rauta gegangen. Auf dem täglichen Markte fand ich fast nur inländische Erzeugnisse aus der nächsten Umgegend. Sklaven wurden hier um die Hälfte des Preises feilgeboten, den man in Kuka dafür bezahlt; allerdings ist die Auswahl geringer, da im Sókoto-Reiche, wie ich oben berichtet, kein Pullo als Sklave verkauft werden darf. Ein Pferd kostet 2 bis 20 Thaler, eine Kuh 1 bis 3 Thaler, ein Schaf oder eine Ziege 1/4 oder 1/2 Thaler. Die Pferde, sei es dass Klima und Futter ihnen nicht zusagen, oder infolge der schlechten Behandlung, sind elende Klepper und meist nicht grösser als Esel; was hier für ein schönes Reitpferd gilt, würden die Bornuer "kidar", d. h. Schindmähre nennen. Schafe und Ziegen sehen ebenfalls höchst erbärmlich aus, obgleich sie doch bei der hohen Lage und der gebirgigen Natur des Landes hier gerade besonders gut gedeihen sollten. Rinder scheinen etwas besser gepflegt zu sein, können jedoch an Grösse und Wohlgenährtheit mit denen in Kanem oder Bornu keinen Vergleich aushalten. Steht somit die Viehzucht im allgemeinen bei den Haussa auf sehr niedriger Stufe, so macht die Zucht der Hühner, auf welche sie grosse Sorgfalt verwenden, eine bemerkenswerthe Ausnahme. Vielleicht liegt der Grund hiervon in der unter den Landbewohnern herrschenden Sitte, wonach der Bräutigam die Aeltern der Braut mit einem Dutzend Hühner beschenkt, was dem Geldwerth von 12-1500 Muscheln gleichkommt. In den Städten ist das Heirathen etwas kostspieliger; dort hat der junge Mann seiner Braut oder deren Aeltern eine Summe von 20-25000 Muscheln (6-8 Thaler) zu schenken, welche der Frau, auch im Falle er sich wieder von ihr trennen sollte, als Eigenthum verbleibt.
Mit Feld- und Gartenfrüchten war der Markt hinreichend versehen; ich nenne: Getreide verschiedener Art, Reis, Ngangala und Koltsche, süsse Kartoffeln, Yamswurzeln, eine Lieblingsspeise der Eingeborenen, Karess oder Jatropha manihot, die herrliche Gunda-Frucht, die jungen Keime der Fächerpalme, die gekocht ein schmackhaftes Gemüse geben, Citronen und Tamarinden, denen sich in betreffender Jahreszeit noch Datteln, Granatäpfel und andere Früchte beigesellen. Die Preise waren durchgängíg niedriger als in Kuka. An sonstigen Esswaaren gab es: Ochsenfleisch, getrocknete Fische aus dem Niger, Honig, Koltsche-Oel, Milch und Buttermilch, Butter vom Butterbaum und frische Kuhbutter, Küchelchen aus Mehl und zerstossenen Koltsche, in Arachis-Oel gebackene Brötchen aus Negerhirse oder Weizen. Durstige konnten sich für 1 Muschel einen Trunk Tamarindenwasser, mit Reismehl vermischt, kaufen, und aus den Garküchen drang der Duft von gebratenem Fleisch, der auch manchen gläubigen Moslem zur Uebertretung der Rhamadan-Fasten verlockte.
Neben den Producten des Landes bot der Markt auch eine Auswahl der gangbarsten heimischen Industrieartikel. Man liefert in Bautschi Kattun von anerkannter Güte und versteht sogar Lumpen wieder zu neuem Stoff zu verarbeiten, ihre Einsammlung wird daher als eigener Erwerbszweig betrieben; berühmt sind die hier gefertigten weissen Toben mit kunstvollen Stickerei. Aus den Fasern der Karess-Rinde dreht man Stricke und Taue, die an Haltbarkeit denen von Manilla-Hanf wenig nachstehen. Irdenes Geschirr, wie Schüsseln, Töpfe und Krüge, wozu sich das Material im nahen Djáranda-Gebirge findet, wird mit einer feinen Bronzeglasur überzogen. Ebenso zeichnen sich die Strohgeflechte, Matten, Tellerchen, Körbchen u. s. w., durch zierliche Arbeit aus. Für bemerkenswerth halte ich, dass Seife aus Natron und Oel oder Butter im Lande selbst bereitet wird und allgemein in Gebrauch ist. Liebig's Ausspruch, die Civilisation eines Volks lasse sich nach dem Verbrauch der Seife beurtheilen, findet aber in diesem Falle keine Bestätigung; denn obgleich man in Bornu die Seifenbereitung nicht kennt und der Gebrauch von Seife dort, selbst bei den Vornehmen Kukas als Luxus gilt, stehen doch die Haussa-Pullo an Reinlichkeit wie in vieler anderer Hinsicht hinter den Kanúri zurück.
Europäische Waaren sah ich wenig, da die stattfindende Handelssperre sie selten und theuer gemacht hatte. Sonst ist Garo-n-Bautschi ein Stapelplatz der aus Europa importirten Waaren, als da sind: Gewebe, Glasperlen, besonders auch feine zu Stickereien, Nadeln, kleine Spiegel, Rasirmesser, ordinäres Schreibpapier, englische Silbermünzen, die eingeschmolzen und zu Arm- und Beinringen verarbeitet werden, unechte Schmucksteine, Kupfer und Pulver. Grosse Karavanen bringen sie theils von Tripolis über Kano, theils von Nyfe über Sária oder Láfia-Beré-Beré zum Verkauf hierher.
Auf dem Markte wird durch den Sserki-n-kurmi (Marktaufseher) und seine Gehülfen strenge Polizei geübt; man untersucht die Milch, ob sie nicht mit Wasser verfälscht ist, und hält darauf, dass aus dem feilgebotenen Fleische die Knochen entfernt werden. Ueberhaupt herrscht mehr Redlichkeit im Handel und Wandel als jenseit des Góngola-Flusses. Als Zahlmittel dienen ausschliesslich Muscheln, hier Uuri genannt, die sich von Kano aus immer weiter in die Pullo- und Kanúri-Reiche verbreiten.
Die Kleidung der männlichen Stadtbewohner besteht bei den Wohlhabenden aus weissen oder blaucarrirten sehr weiten Hosen, einem weissen Hemd mit langen Aermeln, beides aus schmalen Kattunstreifen zusammengenäht, und einer langen Tobe; vor dem Gesicht tragen sie einen schwarzen oder weissen Litham und an der Seite ein gemdes Schwert (Spiesse wie bei den Teda, Kanúri und östlichen Negervölkern sieht man wenig, allgemeine Waffe ist der Pfeilbogen); die Aermern begnügen sich mit Hemd und Hosen, oder auch blos mit letztern. Haupt- und Barthaar werden sorgfältig abrasirt. Auf dem Lande gehen die Männer nackt, nur die Schamtheile mit einem Lederschurz, einem Baumwollfetzen oder einem grünen Blatte bedeckend; wenn sie zur Stadt kommen, winden indess die meisten ein Tuch um die Hüfte. Die Haussa-Neger lassen ihr krauses Haar frei wachsen; die heidnischen Pullo thürmen es nach Art der Uándala-Weiber zu einem hohen Wulste auf, was den jungen Burschen, die sich überdies mit Perlen, Korallen und sonstigem Schmuck zu behängen pflegen, ein weibisches Aussehen gibt. Die Frauentracht in Garo-n-Bautschi weicht dadurch von der in andern grossen Negerstädten ab, dass sie die Brüste völlig entblösst lässt. Bei den Mädchen wird der Kopf in einer Weise geschoren, wonach nur in der Mitte ein firstartiger Streif und ringsum ein schmaler Kranz von Haaren stehen bleibt; bei den verheiratheten Frauen werden die vollen, stark eingebutterten Haare auf dem Wirbel zusammengebunden. Die Landbewohnerinnen sind wie die Männer unbekleidet.
Schon öfter habe ich erwähnt, dass die Pullo-Mädchen durch regelmässige Gesichtszüge, schöne Körperformen und goldbronzene Hautfarbe sich auffallend von den hässlichen, grobknochigen Haussa- und andern Negerinnen unterscheiden. Freilich währt ihre Schönheit nicht lange; schon im Alter von 25 Jahren sind sie alt und ihre Reize dahingewelkt. Auch sollen sie minder fruchtbar sein als die Negerinnen, und wirklich gehören Pullo-Familien mit mehr als 3 bis 4 Kindern zu den seltenen Ausnahmen, wogegen in Negerfamilien häufig 6 bis 8, in manchen 10 bis 12 Kinder von Einer Mutter geboren werden. Ueber den Ursprung der Pullo-Rasse, die in so vielen Beziehungen von den eigentlichen Negern verschieden ist, andererseits wieder so vieles mit ihnen gemein hat, konnte ich auch hier nicht das Geringste ermitteln. Die zum Islam übergetretenen Pullo rühmen sich zwar, von den Beni-Israel oder Juden abzustammen, ähnlich wie die mohammedanischen Berber sich gern für Araber und Schürfa ausgeben; aber weder die alten Volkstraditionen noch die Fulfúlde-Sprache, in der sich keine Anklänge an die hebräische oder sonst eine semitische Sprache entdecken lassen, liefern für diese Aussage einen Beweis.
An den Arbeiten und gewerblichen Hantierungen nehmen Männer und Frauen gleichen Antheil. Letztere stampfen und reiben die Getreidekörner zu Mehl, kneten den Teig und bereiten aus den harzigen Blättern der Adansonie die Brühe dazu, die in Ermangelung des theuern Salzes stark mit Pfeffer und Ingwer gewürzt wird; sie spinnen die Baumwolle, drehen Stricke, beschäftigen sich auch vorzugsweise mit der Töpferei. Die Männer weben das gesponnene Garn, gewöhnlich zu vier oder fünf an einem freien Platze oder mitten in einer breiten Strasse ihren Webstuhl aufschlagend; andere geben durch anhaltendes Klopfen, das man den ganzen Tag über hört, dem rohen Gewebe Glanz und Appretur; wieder andere nähen die schmalen Streifen in breitere Stücke zusammen. Desgleichen wird das Matten- und Korbflechten, die Lederbereitung, das Schuhmacher- und andere Handwerke von den Männern betrieben. Die hier wachsende Baumwolle, von vorzüglicher Qualität, gibt einen ebenso feinen als haltbaren Faden, und da ein Theil der Abgaben in Kattunstreifen entrichtet werden muss, hat jeder, auch der kleinste Ort seine Weberei.
Das Klima der Hochebene von Bautschi hat Aehnlichkeit mit dem in den südlichen Gegenden Europas. Die intensive Hitze der Monate Mai und Juni wird durch die hohe Lage des Landes, durchschnittlich 3000 Fuss über dem Meere, bedeutend ermässigt, von Ende Juni bis Ende September kühlen Regen und Gewitter die Luft, und während der ganzen übrigen Zeit des Jahres, vom October bis April, herrscht eine milde Frühlingswärme, indem das Thermometer in der Nacht nicht unter +10deg. sinkt, in den Mittagsstunden nicht über +30deg. im Schatten steigt. Citronen-, Dattel- und Granatbäume gedeihen hier fast ohne Pflege, und ebenso liessen sich viele andere Erzeugnisse der südlichen gemässigten neben denen der heissen Zone heimisch machen. Zu so günstigen Temperatur- und Vegetationsverhältnissen kommt noch hinzu, dass mittels leicht anzulegender Fahrstrassen der Bénuë sowol als der Niger in acht Tagen zu erreichen, folglich eine nahe Verbindung mit dem Weltmeer herzustellen wäre. Möchte doch irgendeine der christlichen Mächte, diese von der Natur gebotenen Vortheile nutzend, das Plateau von Bautschi in Besitz nehmen und unter ihrem bewaffneten Schutze mit Ansiedlern aus Europa colonisiren! Hier im Gebiete der Haussa- und Bolo-Neger, die in der grossen Mehrzahl noch Heiden sind und die Herrschaft der mohammedanischen Pullo verabscheuen, könnte der Weiterverbreitung des Islam ein kräftiger Damm entgegengesetzt werden. Der Islam erfüllt seine Bekenner mit herzloser Verachtung der ungläubigen Heiden, mit fanatischem Hass gegen die Christen. Er ist es, der die empörenden Menschenjagden unter den Negern veranstaltet, der den fluchwürdigen Sklavenhandel aufrecht erhält; er ist es, der europäischen Reisenden das Vordringen ins Innere auf jede Weise erschwert - ein so toleranter muselmännischer Herrscher wie Sultan Omar von Bornu dürfte als einzige Ausnahme dastehen -, ihnen nur gegen kostspielige Geschenke den Durchzug gestattet oder gar, wie Vogel's und Beurmann's unglückliches Ende bezeugt, sie ohne Scheu vor Vergeltung zu berauben und hinzumorden wagt. Nicht eher als bis europäische Waffen nicht blos an der Küste, sondern auch tiefer im Lande den mohammedanischen Gewalthabern Respect vor dem christlichen Namen einflössen, wird die vollständige Erforschung Innerafrikas möglich sein.
Verlockt durch die angenehme Frühlingstemperatar und die herrliche Umgegend, machte ich, so oft mein geschwächter Gesundheitszustand es erlaubte, kleine Excursionen zu Pferde in die bewaldeten Vorberge des Tela-Gebirges, die im Südosten, Süden und Südwesten dicht an Garo-n-Bautschi herantreten und mit ihren immergrünen Bäumen, ihren kristallklaren Bächen, auf deren Grunde Plättchen von Marienglas wie Goldsand glitzern, mir eine wahrhafte Erquickung gewährten. Allzu weit von der Stadt durfte ich mich indess nicht entfernen, auch nicht versäumen, von Zeit zu Zeit meine Büchse knallen zu lassen, denn einzelne von den aufrührerischen Heiden streiften im Gebirge umher und lauerten mit Bogen und Pfeil ihren Feinden, den Mohammedanern, auf, die ihre Väter und Brüder, Weiber und Kinder wegfangen und als Sklaven verkaufen.
Vogel berichtet aus Bautschi ("Zeitschrift für Erdkunde", Bd. VI, Hft. 5): "Dabei habe ich auch die Kannibalen-Stämme des Innern kennen gelernt, mit denen selbst die mohammedanischen Eingeborenen sehr wenig Verkehr haben. Der Name <<Njem-Njem>> ist ein Collectivname, ähnlich in der Bedeutung unseim <<Menschenfresser>>, da <<njem>> in der Sprache der Moteny (drei Tagereisen südöstlich von Jacoba), welche die allgemeine der Heiden zwischen Jacoba und dem Bénuë ist, dasselbe bedeutet. Der wildeste und bedeutendste Stamm derselben sind die Tangale, die eine Bergkette am Ufer des Bénuë bewohnen, in welcher sich ein überaus prächtiger Pic gegen 2000 Fuss über die Ebene erhebt. Diese Leute haben sich bisjetzt noch unabhängig erhalten und werden nur hin und wieder durch Raubzüge des fünf Tage von ihrem Wohnplatze residirenden Sultans von Gombë beunruhigt. Sie kommen selten in die Ebene herab, um eiserne Werkzeuge zum Ackerbau für Korn einzuhandeln. Es kostete mir einige Mühe, Verkehr mit ihnen anzuknüpfen; sie liefen wie die Heiden auf den Bergen von Mándara davon, sowie sie meiner ansichtig wurden; einige Perlen und kleine Muscheln beschwichtigten endlich diese Flucht, und ich fand die Leute gutmüthig, gesprächig und äusserst dankbar für meine Geschenke. Dass sie die Kranken ihres Stammes essen, ist unwahr; ich habe zufällig zwei Leute in ihren Dörfern sterben sehen und gefunden, dass sie mit äusserster Sorgfalt gepflegt wurden; nach ihrem Tode brachen die Verwandten in das gewöhnliche Jammergeschrei aus, was die ganze Nacht durch erschallte. Dagegen essen sie alle im Kriege erlegten Feinde; die Brust gehört dem Sultan, der Kopf als der schlechteste Theil wird den Weibern übergeben; die zartern Theile werden an der Sonne getrocknet und als Pulver dem gewöhnlichen Mehlbrei beigemischt." Desgleichen erwähnt Clapperton, er habe vom Sultan von Sókoto gehört, dass die Bewohner des zu Jacoba gehörigen Bezirks Umburu Kannibalen seien, und R. Sander fügt hinzu: "Die Eingeborenen sagten mir, die früher erwähnten Berge erstreckten sich bis zur See hin und würden von den wilden <<Yamyams>> bewohnt, die hier sowol als überall, wo ich mich unterwegs nach ihnen erkundigte, für Kannibalen gehalten werden." Stimmen nun auch die drei Gewährsmänner in ihren Berichten ziemlich überein, so schöpfte doch keiner von ihnen aus eigener Anschauung, und die Aussagen der Eingeborenen Afrikas sind stets nur mit grosser Vorsicht aufzunehmen. Das Wort "niamniam" hat allerdings den Nebenbegriff des Kannibalismus, es bezeichnet aber in seiner allgemeinen Bedeutung alles Schlechte und Verwerfliche überhaupt. Nach alledem hielt ich es meinerseits nicht für glaubhaft, dass einer von den Negerstämmen Centralafrikas, die unleugbar sich auf einer gewissen Stufe der Cultur befinden, noch gewohnheitsmässig der Menschenfresserei ergeben sein sollte, bis ganz neuerdings Schweinfurth's Besuch der Niam-Niam[59] die Existenz dieses Volks und dessen Kannibalismus allerdings ausser allen Zweifel gestellt hat.
Für mein Kamel und mein Zelt war in Garo-n-Bautschi noch weniger als in Rauta ein angemessenes Gebot zu erzielen. Ich musste endlich ersteres halb verschenken und letzteres, um wenigstens etwas daraus zu lösen, in die schmalen Streifen zerschneiden, aus denen es zusammengenäht war. An Stelle des Kamels kaufte ich zum Transport meiner Bagage ein drittes Pferd, nachdem ich den geringen Rest der mir verbliebenen Waaren gegen Muscheln verhandelt hatte. Dabei lernte ich den Inhaber eines Hanut (Verkaufsbude) kennen, der mich in seine Familie einführte. Er war ein Schellah-Berber aus Tuat und mit einer bronzefarbigen Pullo verheirathet. Aus dieser Ehe gingen ein Mädchen und zwei Knaben hervor, damals 12, 11 und 9 Jahre alt, von tadelloser Schönheit, mit vollendeten Körperformen und reizenden, intelligenten Gesichtszügen: eine neue thatsächliche Widerlegung derjenigen, welche die Ansicht vertreten, durch Kreuzung verschiedener Menschenrassen könne nur ein körperlich und geistig verwahrlostes Geschlecht erzeugt werden. Ich meinestheils bekenne mich auf Grund vielfältiger Beobachtungen zur entgegengesetzten Ansicht jedenfalls meine ich, darf man die Untersuchungen und Erfahrungen auf diesem Gebiete noch lange nicht als abgeschlossen betrachten.
Der Lámedo Brahima hatte sich, seit ich ihm in Rauta meine Aufwartung gemacht, in keiner Weise mehr um mich bekümmert und auch seine Zusage, mir einen Geleitsmann bis Láfia-Beré-Beré nebst Empfehlungsschreiben zu senden, unerfüllt gelassen. Ihn an das gegebene Versprechen zu erinnern, schien mir nicht rathsam; ich miethete gegen Bezahlung einen Führer zunächst bis Saránda und war nun zur Weiterreise fertig.
[59]Schweinfurth, "Im Herzen von Afrika. Reisen und Entdeckungen im centralen Aequatorial-Afrika während der Jahre 1868 bis 1871" (2 Thle., Leipzig und London 1874).