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X. Uebersteigung des Gora-Gebirges.

Das Dorf Meri. Berg und Ort Saránda. Der Ort Djaúro. Ueber das Gebirge nach Goa. In Badíko. Feier zum Schluss des Ramadhan. Am Fusse des Gora und Uebergang über die Passhöhe.

Nach 20tägigem Aufenthalt verliess ich mit meiner kleinen Reisebegleitung die Hauptstadt Bautschis am 2. Februar nachmittags 21/2 Uhr, direct gen Westen auf den Gebirgsstock des Saránda zugehend. Die Gegend hier im Rücken der Stadt schien vor Ueberfällen der Insurgenten gesichert zu sein, denn ich sah viele einzelne, von blühenden Feldern umgebene Gehöfte. Den Blick in die Ferne hinderte leider der schwarze Qualm von Grasbränden, der rings aus den Waldungen aufstieg und die Luft verfinsterte, sodass vom Saránda selbst nichts zu sehen war; nur die Umrisse des massigen Boli-Berges zu unserer Linken traten schwach aus der Umhüllung hervor. Wir gingen auf das rechte Ufer des vom Saránda herabkommenden und in die Káddera fliessenden Rerë-Flusses über und befanden uns nun in den zerklüfteten Felspartien der Verberge. Beim Ueberschreiten einer Schlucht platzte meinem Lastpferde der lederne Gurt, mit dem die Bagage auf dem Rücken befestigt war. Dies nöthigte uns, in dem Dorfe Meri, nur 11/2 Stunden von Garo-n-Bautschi entfernt, zu bleiben, wo wir übrigens leidliches Quartier und genügende Verpflegung fanden; unsere Pferde freilich mussten, da es keine Getreidekörner gab, mit gedörrtem Koltschekraut fürliebnehmen. Die Bewohner Meris, fast in gleicher Zahl Mohammedaner und Heiden, sprechen unter sich den Saránda-Dialekt, doch verstehen die meisten auch Haussa und Fulfúlde. Ihr Sultan residirt eine halbe Stunde weiter nach Westen in einem ummauerten, von Palmen beschatteten Orte.

Am nächsten Morgen brachen wir um 7 Uhr auf und verfolgten in westsüdwestlicher Richtung den Weg durch die Felsen weiter, die bald in gewaltigen Blöcken über- und durcheinander liegen, bald zu senkrechten Granitwänden aufsteigen. In dem dichtverwachsenen Buschwerk dazwischen sollen viele wilde Thiere ihre Schlupfwinkel haben. Um 91/2 Uhr war der Fuss des Saránda-Berges erreicht. Mein Barometer zeigte zwar noch keine merkliche Erhebung des Bodens an, aus dem Laufe der zahlreichen, fast alle etwas Wasser haltenden Rinnsale aber sah ich, dass von hier das Terrain sich nach Südosten hin abdacht. An dieser Stelle begegnete uns ein grosser Trupp Kanúri, Männer und Weiber, welche Salz von Láfia-Beré-Beré nach Bautschi brachten. Sie trugen das zu grauem Staub zerstossene Salz in 1-11/2 Centner schweren Bastsäcken auf dem Kopfe, und ausserdem waren die Weiber mit Kochgeschirr und sonstigem Geräth, die Männer mit ihrer Waffe, Bogen und Pfeilbündel, beladen. Pferde sind in dem schluchtigen, schroffen Felsgebirge nicht zu verwenden, es müssen vielmehr alle Lasten allein durch Menschenkräfte über dasselbe transportirt werden.

Der Saránda, bis zum Gipfel bewaldet und, soviel ich sehen konnte, ganz aus Granit bestehend, der jedoch stellenweis wie Schiefer in Tafeln geschichtet liegt, ist der Scheidepunkt für die Gewässer des Tschad und die des Bénuë und Niger. Wir umgingen den Berg, indem wir ein Dorf, das dem Sserki-n-makéra von Bautschi gehört, durchzogen, und hatten, auf der andern Seite angekommen, ein zwar hügeliges und allmählich steigendes Terrain vor uns, aber keine höhern Berge mehr in Sicht. Von 111/2 Uhr an in südwestlicher Richtung vorschreitend, passirten wir um 121/2 Uhr das Dorf Mutanim-Bum und erreichten um 2 Uhr den ziemlich bedeutenden, von Pullo bewohnten Ort Saránda, in welchem das Nachtlager genommen wurde.

Als wir andern Morgens noch eine kurze Strecke auf dem grossgewellten, von Schluchten zerrissenen Plateau, das mit dem von Garo-n-Bautschi gleiche Höhe hat, in der Richtung von 285deg. zurückgelegt, sahen wir gerade vor uns am westlichen Horizont wieder eine Bergkette auftauchen. Wie der Lauf vieler wasserhaltiger Rinnsale zeigt, dacht sich auch dieses Plateau nach Südosten ab. 13/4 Stunden hinter Saránda blieb uns zur Rechten im Norden das Dorf Rugáni; wir passirten nach weitern 11/2 Stunden ein von seinen Bewohnern verlassenes Dorf und langten 1 Stunde später in Djaúro an, einem ummauerten Orte von etwa 15000 Einwohnern. Hier sah ich auf dem Markte unter andern Esswaaren eine gallertartige Süssigkeit in kleinen Stücken feilbieten und erfuhr, dass sie aus der Frucht des Runa-Baumes (von den Kanúri ngálimi, von den Haussa ligña genannt) durch Einkochen des Saftes bereitet wird; sie schmeckt ganz ähnlich wie die zur Consistenz verdickten Honigstückchen, die man in den Städten Marokkos, namentlich in Fes, mit dem Rufe "Ja mulei Dris" zum Verkauf ausbietet. Der Sultan von Djaúro beherrscht ein Gebiet, das sich bis über Goa hinaus erstreckt.

Zwei Söhne des Sultans begleiteten mich am folgenden Tage über das Gebirge nach Goa. Wir ritten früh 71/2 Uhr aus, gerade westwärts der 2-3 Stunden entfernten Bergkette von Djim-Djim entgegen, die wir schon gleich hinter Saránda deutlich gesehen hatten, heute aber, da qualmiger Waldrauch die Luft verdunkelte, nicht eher wahrnahmen, als bis wir uns unmittelbar an ihrem Fusse befanden. Das Hinaufsteigen zum Kamm war äusserst mühsam und beschwerlich. Keine Spur von einem gangbaren Pfade. Unsere Pferde mussten an den steilen Abhängen, oft mehrere Fuss hoch schreitend, von Fels zu Fels klimmen, und stellenweis blieb zwischen den senkrechten Wänden und dem zur Seite gähnenden Abgrunde so wenig Raum, dass ein einziger Fehltritt genügt hätte, um Ross und Reiter in die jähe Tiefe zu stürzen. Auch eine Menge wasserhaltender Rinnsale mit hohen, steilen Ufern mussten durchritten werden; ihr Lauf geht nach Norden am Ssum-Berge vorbei durch Dilimi, bis sie sich weiter abwärts zum Gabi-Flusse vereinigen. Unterhalb der Passhöhe, die noch von circa 1000 Fuss hohen Gipfeln überragt wird, treten die Berge weiter auseinander, und es eröffnet sich ein Plateau, auf welchem wir, ganz erschöpft von der mühsamen Tour, zu dem Orte Goa gelangten.

Dank unserer prinzlichen-Begleitung beeiferte sich der Galadi-ma, ein Untergebener des Sultans von Djaúro, uns reichlich mit Speise und Trank zu erquicken und für gute Herberge zu sorgen. Er wohnt inmitten des weitläufigen Orts in einer kleinen ummauerten Burg. Die Bewohner von Goa sind grösstentheils Pullo, aber, wie ihre dunkle Hautfarbe zeigt, stark mit Negerblut vermischt. IhreWeiber scheinen sehr putzsüchtig zu sein, denn sie tragen nicht blos einen Ring in den Ohren, sondern eine ganze Menge, oft zehn bis zwölf, und an der Stirn ein mit bunten Perlen gesticktes zollbreites Band; das gekräuselte, doch bis 11/2 Fuss lange Haar lassen sie in drei Flechten vom Hinterkopf und zu beiden Seiten herabhängen. Gegen Abend machte ich einen Spaziergang in die nahen Berge, die ganz aus grobem Granit bestehen. Ich fand dort Bäume mit essbaren Früchten und mehrere zuvor noch nicht gesehene Cactusarten.

Ehe wir am andern Morgen aufbrachen, verabschiedeten sich die beiden Prinzen, um nach Djaúro zurückzukehren. Leider hatte ich mich gar nicht mit ihnen unterhalten können, da keiner von uns Fulfúlde verstand. Um 7 Uhr setzten wir uns in Marsch, anfangs westsüdwestwärts, und hatten zunächst wieder einen steilen, mit Geröll bedeckten Felsenpass zu übersteigen. Dann zeigte sich gegen Norden in etwa 3 Stunden Entfernung der Schrau-Berg, während uns zur Linken ein ununterbrochener Gebirgszug in naher Distanz begleitete. Um 9 Uhr passirten wir den grossen Ort Uóno und gleich dahinter den Koki (Fluss) Uóno, der von Südsüdosten kommt und, nachdem er weiter abwärts noch einen von Süden kommenden Arm aufgenommen hat, in den Gabi fliesst. Wir mussten, nun gerade südwärts gehend, 1/2 Stunde später sein Bett nochmals durchsehreiten, ritten darauf über eine sehr steinige, von Schluchten zerrissene Hochebene und kamen um 11 Uhr in Badíko an, einem Orte von gegen 20000 Einwohnern. Man hatte mir Badíko als bedeutenden Marktort genannt, und ich stellte mir demnach eine wirkliche Handelsstadt darunter vor. Nun überzeugte ich mich, dass dies ein Irrthum war. Der Ort hat nur einen, allerdings recht lebhaften Landmarkt, auf dem die Boden- und Industrieerzeugnisse aus der Umgegend zum Verkauf gestellt werden, von ausländischen Waaren aber höchstens Glasperlen und einige Stücke Baumwollenzeug zu haben sind.

An dem Tage, dem 6. Februar, ging das Ramadhan-Fest zu Ende. Sowie abends der Mond am Himmel erschien, wurde er aus diesem Anlass von den Einwohnern mit lautem Jubelgeschrei begrüsst, und die ganze Nacht hindurch vergnügte man sich mit Tanz und Spiel. Auch der heidnische Theil der Bevölkerung schloss sich nicht von den Lustbarkeiten aus, da ja bei den Negern dem Monde besondere Verehrung gewidmet und der Eintritt des Neumonds jedesmal von ihnen gefeiert wird. Ich schaute dem Tanze eine Zeit lang zu. Auf einem grossen freien Platze reihten sich an der einen Seite die Männer zusammen, meist nur mit blau und weiss gestreiften Schürzen oder schmalen Streifen von Ziegenfell bekleidet und mit bunten Federbüschen auf dem Kopfe, gegenüber die Weiber, ein Tuch um die Hüften gewunden, manche einen Säugling auf dem Rücken tragend, und in der Mitte die Knaben und Mädchen, letztere mit einem Fächer aus Stroh oder Palmblatt in der Hand. Nach dem Takte der Musik, die in Trommelschlägen und im Klirren von eisernen, an den Füssen der Tänzer befestigten Schellen bestand, schritten die Reihen bald gravitätisch wie im Polonaisen- oder Menuetschritt ihrem Vis-à-vis entgegen, bald lösten sie sich auf und alles sprang und hüpfte wilddurcheinander. Dazwischen gab es auch pantomimische Einzeltänze. Eine Frau neigte sich plötzlich hinten über, als müsste sie umfallen, wurde aber in den Armen der hinter ihr Stehenden aufgefangen und nun immer von einer der andern zugeworfen. Oder ein junges Mädchen drehte sich wirbelnd im Kreise, bis sie erschöpft niedersank, worauf alle Männer an ihr vorbeitanzten und jeder einige Muscheln in ihren Schos warf.

Die Aufnahme, die wir beim Sultan von Badíko fanden, war keine so gastliche wie die beim alten Sultan von Djaúro; erst nach langen Umschweifen wurde uns eine leere Hütte eingeräumt, sie starrte aber so von Schmuz, dass ich lieber unter einem Baume im Freien campirte, was man hier, wo in der Nacht kein Thau fällt, ohne Gefahr für die Gesundheit thun darf. Sollte nicht die dicke Rauchmasse, die, von den täglichen, so ausgedehnten Grasbränden erzeugt, über der Erde lagert, den gänzlichen Mangel an Thau mit verursachen, indem sie etwaige in den obern Luftschichten sich bildende Feuchtigkeit nicht als Niederschlag hindurchdringen lässt? Ueberhaupt dürfte der Einfluss dieses centralafrikanischen Grasrauchs viel weiter reichen als man denkt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass er sich nicht nur mit dem Staube der Wüste mischt, sondern auch darüber hinaus in die Berberei, ja unter Umständen bis über das Meer getragen wird und dort noch als vermeintlicher Nebel die Atmosphäre zu trüben vermag.

Wir entfernten uns am andern Morgen nordnordwestwärts von Badíko und betraten dicht hinter dem Orte einen Wald, in welchem Massen schwerer Granitstücke zwischen den Bäumen umherlagen. Hier sah ich an den Ufern zweier von Südwesten nach Nordosten laufenden Flüsschen die ersten Deleb-Palmen. Die Deleb-Palme, Borassus flabelliformis aethiopicus von Martius (in der Kanúri-Sprache kamelutu, in der Haussa-Sprache djidjinia), ist einer der schönsten Bäume Innerafrikas; ihr schlanker Stamm von durchschnittlich 50 Fuss Höhe hat ungefähr in der Mitte eine nur ihr eigenthümliche Ausbiegung. Nach Barth soll sie im Sonrhai-Gebiete nur in der Umgebung des Debu-Sees vorkommen. Ein dreistündiger Marsch brachte uns um 11 Uhr nach dem Orte Gora, wo wir indess nur kurze Rast hielten, um unsern Weg bis zu der am Fusse des eigentlichen Gora-Gebirges gelegenen Residenz des Sultans von Gora fortzusetzen. Auf mässig steigendem bewaldeten Terrain links und rechts an Gehöften vorbeipassirend, langten wir nach 2 Stunden daselbst an und wurden vom Sultan inmitten seines ganzen Hofstaats feierlich empfangen. Man liess es uns, nachdem wir in eine geräumige Wohnung geführt worden, an nichts fehlen, weder an Speisen, wie Hühner und Reis, noch an Korn zum Futter für die Pferde, und da letztere dringend einer längern Ruhe bedurften, waren wir genöthigt, auch den folgenden Tag hier liegen zu bleiben.

Morgens 8 Uhr am 9. Februar wurde der Aufstieg auf den Gora begonnen: er kostete den Thieren, die wieder Schritt vor Schritt sich den Weg suchen mussten, Anstrengung genug, nahm aber weniger Zeit, als ich glaubte, in Anspruch, denn schon nach 11/2 Stunden war der Uebergangspunkt zwischen etwa 1500 Fuss höhern Bergen und damit zugleich die Grenze der beiden Länder Bautschi und Sária erreicht. Der Gora scheidet nicht nur die Gewässer, die einerseits dem Tschad-See, andererseits dem Niger zufliessen, auch für die Vegetation bildet er eine sehr merkbare Scheidewand. Aus dem Bereiche der Dattel- und Dum-Palme kommt man an seinem westlichen Abhange in den der Oel-, der Kokos- und Deleb-Palme; Adansonien gedeihen zwar noch, wo sie angepflanzt werden, entwickeln sich aber bei weitem nicht mehr zu der Höhe und dem Umfang ihrer Riesenschwestern auf dem Plateau von Gudjba, die Akazie erscheint nur noch sporadisch, die Tamarinde verschwindet ganz, ebenso der Korna und Hadjilidj, sie werden aber durch hohes Bambusrohr, den Butterbaum, an den sich Park's Name knüpft, und die Banane vollauf ersetzt. Ohne Zweifel findet auch in der Thierwelt, obwol sie leichter die von der Natur gezogenen Schranken überspringt, hier ein mannichfacher Wechsel der Arten statt; der künftigen zoologischen Durchforschung Centralafrikas bleibt es vorbehalten, diese Unterschiede im einzelen nachzuweisen.

Wir waren um 11 Uhr an dem rechts über uns liegenden Orte Súkuba, zum District Lerë gehörig, vorbeigezogen und traten um 12 Uhr aus dem eigentlichen Gebirge heraus auf ein allerdings fast ebenso hohes Plateau, denn mein Aneroid zeigte noch nicht mehr als 24''10''. Eine Stunde später lag auf der Spitze eines schroffen Felskegels, der von keiner Seite zugänglich schien, das kleine Dorf Schimrë vor uns. Man wies uns aber einen verborgenen, für Pferde ersteigbaren Pfad, und oben angekommen fanden wir bei den Bewohnern, Heiden vom Stamme der Kado-Neger, die gastlichste Aufnahme, gastfreundlicher, als ich sie in vielen von Mohammedanern bewohnten Orten gefunden habe. Zwischen den Hütten des Dorfs stehen prächtige Bäume, und unten in der Ebene haben die Bewohner einige Felder, auf denen sie ihren Bedarf an Getreide bauen.


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