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XV. Fahrt auf dem Bénuë.

Nichtexistenz des Ortes Dagbo. Ueber geographische Namen. Die Insel Loko bei Udjë. Die Bassa-Neger. Gewinnung des Palmöls. Abfahrt. Die Flussufer. Dorf Amára. Fischfang. Die Stadt Imáha (Um-Aischa). Landung in Lokója.

An der Stelle, wo wir den Bénuë erreicht hatten, steht auf den Karten der Ort Dagbo verzeichnet, allein es war weit und breit am rechten Ufer entlang überhaupt kein Ort zu sehen, und meine spätern eifrigen Nachforschungen ergaben nicht die geringste Spur, dass ein Ort Dagbo existire oder jemals existirt habe. Den Eingeborenen ist der Name völlig unbekannt. Wie mögen Allen und Oldfield, die vor einem Menschenalter zuerst den Bénuë hinauffuhren, dazu gekommen sein, von einer am rechten Ufer des Bénuë gelegenen Stadt Dagbo zu berichten? Ich kann mir nur denken, dass sie durch einen Führer, welcher sich den Namen ersann, getäuscht worden sind. Auf Grund ihrer falschen Angabe hat dann der Irrthum allgemeine Verbreitung gefunden. So spricht auch Baikie von einem Orte Dagbo, und in Crowthers "Journal of an Expedition up the Niger and Tshadda rivers" heisst es: "Es scheint, dass die alte Stadt Dagbo verlassen wurde, und dass deren Einwohner sich mehr nach dem Flusse hingezogen haben,"

Selbst der englische Gouverneur in Lokója wollte nicht eher an die Nichtexistenz von Dagbo glauben, als bis ich in seiner Gegenwart mehrere Anwohner des Bénuë befragte und dieselben einstimmig erklärten, nie etwas von einem Orte dieses Namens gehört zu haben.

Aehnliche Irrthümer entstehen durch den Gebrauch doppelter oder selbsterfundener geographischer Namen. Der Bénuë z. B. wurde von den Gebrüdern Lander und nach ihnen von Allen, Oldfield, Trotter und andern englischen Reisenden Tshadda benannt, eine Benennung, die in Afrika niemand versteht. Hierüber lässt sich Barth folgendermassen aus: "Ich bezweifle, dass dieser Fluss überhaupt irgendwo wirklich Tshadda oder Tsadda genannt wird, und ich wundere mich, dass die Verfasser der <<Plejade>> nicht ein Wort darüber gesagt haben. Ich nehme an, dass Tshadda oder vielmehr Tsadda ein blosses Versehen der Gebrüder Lander ist, hervorgerufen durch ihre vorgefasste Meinung, derselbe sei ein Ausfluss des Tsad. Denn <<tsad>>, wahrscheinlich eine andere Form für <<ssarhe>>, gehört dem Kótoko- oder Mákari-Idiom an, aber soviel ich weiss keiner der Sprachen am untern Bénuë." Aus dem angeführten Grunde finde ich es auch sehr unzweckmässig, wenn man dem Niger, wie es jetzt häufig geschieht, den Namen Quorra beilegen will. Quorra nennen ihn die Eingeborenen, die für den Strom in seinem ganzen Laufe keinen Gesammtnamen haben, nur von Xauri bis zum Zusammenfluss mit dem Bénuë; von da an bis zur Mündung heisst er bei ihnen Nun, von Xauri aufwärts bis Timbuktu Mayo (Fluss), und oberhalb Timbuktu Yoliba. Die Alten, wie Herodot, Strabo und Ptolemäus, hatten allerdings sehr verworrene Vorstellungen vom Laufe des Niger, es ist sogar wahrscheinlich, dass sie einen andern, weit nördlichem Fluss, den Ger oder den Irharhar, darunter verstanden, aber der classische Name ist einmal bei uns eingebürgert, und es empfiehlt sich durchaus, ihn für Bezeichnung des ganzen Flusses beizubehalten.

Sobald es Tag geworden - es war der 19. März -, erhoben wir uns von unserm Lager im Ufersande. Gerade gegenüber, ungefähr 800 Meter vom Ufer entfernt, lag die Flussinsel Loko, die auf den englischen Karten fehlt, obgleich sie als die frequenteste Uebergangsstation über den Bénuë selbst in Keffi und noch weiter nach Norden bekannt ist. Die Fährleute auf derselben hatten uns schon bemerkt und kamen nun mit ein paar Canoes, das heisst ausgehöhlten, wenig mehr als 1 Fuss breiten und nicht ganz so tiefen Baumstämmen, herübergefahren, um uns abzuholen. Sie verlangten für die kurze Fahrt auf den primitiven Fahrzeugen ein unverhältnissmässig hohes Fährgeld, 3200 Muscheln, indess blieb nichts übrig, als ihre Forderung zu bewilligen. Drüben am Landungsplatze wartete eine neugierige Menge Volks, die uns bei der Ankunft sogleich mit Zurufen und Fragen bestürmte. Es dauerte lange, ehe sie sich bedeuten liessen, dass wir ihre Sprache nicht verstünden. Endlich führten sie uns einen Kanúri aus Láfia-Beré-Beré und einen Mann aus Benghasi zu, und nachdem ihnen diese verdolmetscht hatten, dass ich kein Araber oder Pullo, also kein Kinderräuber, sondern ein Bruder der weissen Männer in Lokója sei, wurden wir in eine Hütte geleitet und zur Genüge mit Speisen versehen.

Loko gehört zu der am linken Ufer liegenden grossen Stadt Udjë, der Hauptstadt der Bassa-Neger, die lebhaften Handelsverkebr mit Wúkari und Kontja unterhält. Der schmale Flussarm dazwischen dient als Hafen für die einlaufenden Schiffe. 4 Kilometer lang und 1/2 Kilometer breit, erhebt sich die Insel, wenn der Bénuë am niedrigsten steht, 15 Fuss über den Wasserspiegel, bei seinem höchsten Staude aber wird sie mehrere Fuss hoch überflutet. Die Bewohner, etwa 1000 an Zahl, brechen dann ihre Hütten ab, die zeltartig blos aus Binsen und Matten zusammengesetzt sind, und begeben sich ans Land; nur einige Fährleute bleiben in einer auf Pfählen errichteten Hütte zurück. Ein einziges Gebäude besteht aus Thon, es enthält eine Bank mit sieben Steinen, auf welcher die Weiber das Korn zu Mehl zerreiben.

Meine erste Sorge war nun, ein Canoe zur Weiterfahrt auf dem Flusse zu miethen. Man verlangte für ein schmales Boot von Loko bis Imáha oder wie die Araber und nach ihnen auch die Haussa und Fellata den Ort nennen, Um-Aischa - 10000 Muscheln, und ging sogar, da ich Vorausbezahlung zusagte, bis 8000 herab, ein Preis, der mir im Vergleich mit dem theuern Fährgelde sehr mässig erschien. Der Contract wurde geschlossen und die Abfahrt auf den folgenden Morgen festgesetzt. Nur eine Schwierigkeit blieb noch zu lösen: mein ganzer Geldvorrath betrug kaum 3000 Muscheln, Elfenbein war hier nicht verkäuflich, und an Waaren besass ich nichts mehr als einen letzten Tuchburnus; ich half mir indessen damit, dass ich das Entbehrlichste von unsern Kleidungsstücken zum Kauf ausbot und von dem Ertrage die Summe berichtigte.

Nachmittags machte mir der Galadi-ma, der Gouverneur von Loko, einen Besuch in unserer Hütte. Er warf dabei ein begehrliches Auge auf meinen Revolver und liess es nicht an zarten Andeutungen fehlen, wie gern er ihn zu haben wünsche, gab sich jedoch schliesslich zufrieden, als ich ihm in Ermangelung anderer Gegenstände ein Handtuch schenkte, das ich in Keffi Abd-es-Senga gekauft hatte, um es als eine Probe von dem Gewerbfleiss der Eingeborenen mit nach Europa zu nehmen. Uebrigens wusste ich, dass der Eigenthümer des von mir gemietheten Boots nur die Hälfte der empfangenen 8000 Muscheln für sich behalten, die andere Hälfte aber dem Galadi-ma hatte abgeben müssen.

Den ganzen Tag über war es furchtbar heiss gewesen, am Nachmittag stieg das Thermometer auf +40deg. im Schatten, und die Feuchtigkeit der Luft liess die Schwüle um so drückender erscheinen. In der Nacht entlud sich nun ein Donnerwetter von so elementarer Gewalt, wie ich es auch in der heissen Zone kaum jemals erlebt habe. Die Insel schien in ihren Grundfesten zu beben. Dicke Staubmassen, vom Lande herübergefegt, mischten sich mit dem vom Sturm gepeitschten Regen. Ein Windstoss entführte das schwache Binsendach von unserer Hütte; andere wurden noch ärger beschädigt oder ganz umgerissen. So tobte das Wetter mehrere Stunden lang mit gleichem Ungestüm, ein grauses Vorspiel zu der nahenden Regenzeit. Als endlich die Nacht vorüber war, beleuchtete die Morgensonne ein Bild der Zerstörung, und alle Hände hatten zu thun, um die niedergeworfenen Hütten wieder aufzurichten. Dadurch verzögerte sich auch unsere Abfahrt von Stunde zu Stunde.

Das Oberhaupt der Bassa führt den Titel Madáki und residirt in der Hauptstadt Udjë. Ich hätte Zeit gehabt, nach Udjë überzusetzen und den Madáki zu begrüssen, musste aber davon Abstand nehmen, weil ich ihm nicht die üblichen Geschenke überreichen konnte. Religion des Landes ist der Fetischdienst. Bisjetzt haben dem Bekehrungseifer und der Eroberungssucht der Fellata die Wellen des Bénuë Schranken gesetzt; indess kommen schon einzelne Apostel des Islam bis Udjë und Wúkari, und in nicht ferner Zeit dürfte auch hier der Koran seinen siegreicher Einzug halten. Der Sprache nach scheinen die Bassa mit den Nupë verwandt zu sein. Die Männer sind meist gut gebaut, muskulös und auch der Waden nicht entbehrend. Auf dem kurzen, dicken Halse sitzt der breite Kopf mit fast viereckigem Gesicht und, wie es mir vorkam, etwas höherer Stirn, als sonst die Neger zu haben pflegen. Sie feilen sich die Zähne spitz und tätowiren ihre Wangen mit zwei Einschnitten, die in gewundener Linie von den Schläfen nach dem Kinn zu verlaufen. Bis zum Alter von 15 Jahren geht die Jugend beiderlei Geschlechts ganz nackt, nicht einmal die Scham wird mit einem Blatte bedeckt.

Unter den Getreidearten cultivirt man hier vorzugsweise Mais, in der Landessprache "mas" genannt, woraus ich schliessen möchte, dass die Pflanze, die zwischen Bornu und dem Bénuë fast unbekannt ist, direct von Amerika, nicht, wie Barth meint, über Aegypten hier eingeführt wurde; auf letzterm Wege mag der Mais den östlichen und nördlichen Ländern, wie Bornu, Bágirmi u. s. w., wo er "massara" heisst, zugekommen sein. Der wichtigste Baum für die Bassa-Neger ist die Oelpalme, Elais Guineensis, aus deren Früchten man das essbare rothe oder braune Oel bereitet. Vom Westen hierher verpflanzt, erreicht sie in Loko ihre östlichste Grenze; Baikie behauptet zwar, sie noch weiter stromaufwärts gefunden zu haben, doch fügt er hinzu, Dagbo sei der östlichste Punkt, an dem Palmöl bereitet werde. Der Wuchs der Oelpalme gleicht dem der Dattelpalme; sie wird gegen 80 Fuss hoch und hat nur eine Krone, von welcher die Früchte, bräunliche pflaumengrosse Nüsse, in Traubenbündeln herabhängen. Bei den Bassa geschieht die Bereitung des Oels auf sehr primitive Art. Nachdem der Kern aus der reifen Frucht entfernt worden, häuft man das faserige Fleisch derselben in Gruben zusammen und überlässt es darin einem Fäulungsprocess, der durch Zugiessen von warmem Wasser befördert wird; die nun an die Oberfläche tretende Schicht Oel wird abgeschöpft und ohne weitere Reinigung verspeist. Ein sorgfältigeres und complicirteres Verfahren kommt in Jóruba zur Anwendung. Dort wird das Fleisch der Früchte, wenn es die Maceration lange genug durchgemacht, in grossen Kesseln mit Wasser gekocht, bis alle Fasern, Schalen und sonstigen unreinen Bestandtheile zu Boden gesunken sind, und dann auch das abgeschöpfte Oel noch durch wiederholtes Kochen mit Wasser immer mehr raffinirt und geklärt. Weder in Loko noch in Jóruba und Nyfë werden die Kerne der Palmnüsse, wie Baikie gesehen haben will, mit zur Oelgewinnung benutzt; sie gehen nach Europa, um in der Stearinfabrikation Verwendung zu finden. Auch das Oel enthält Stearin, es schmeckt widerlich süss, hat einen veilchenähnlichen Geruch, ist dickflüssig, gerinnt aber leicht und dient bei uns hauptsächlich als Eisenbthnwagen- und Maschinenschmiere. Der Export von Palmöl und Palmnüssen ist zwar bedeutend, doch könnten die ausgedehnten, dichten Oelpalmenwälder zwischen dem Niger und der Küste in weit grösserm Masse, als es bisjetzt geschieht, ausgebeutet werden.

Erst um 3 Uhr Nachmittag kamen die Leute mit dem gemietheten Canoe. Kurz vorher hatte mir der Galadi-ma noch ein Huhn, zwei grosse getrocknete Fische und 20 Madidi, in Bananenblätter gewickelte Portionen Mehlbrei, geschickt, und beim Abschiede bat er mich, ich möchte die Christen in Lokója veranlassen, den Bénuë heraufzufahren, um Handelsverbindungen mit Loko und Udjë anzuknüpfen. Am Ufer waren wieder viele Neugierige versammelt, die unserer Abfahrt beiwohnen wollten und mit den Worten "A la cheir Thoraua - l'afia Thoraua - Ssünno ssünno nasara" (Geh im Guten, weisser Mann! - in Frieden, weisser Mann! - Gruss, o Christ!) mir ein Lebewohl nachriefen. Das Fahrzeug, dem wir uns anvertrauen mussten, war wie die am vorigen Tage benutzte Fähre nichts weiter als ein ausgehöhlter Baumstamm, nur von etwas grössern Dimensionen: es mass 30 Fuss in der Länge, 13/4 Fuss in der Breite, hatte 1 Fuss Tiefe und kaum 3 Zoll dicke Wände; seine Tragfähigkeit ward von dem Eigenthümer auf 10 Mann nebst Gepäck angegeben. Mein Elfenbein und die Reiseeffecten wurden in die Mitte niedergelegt, wir selbst vertheilten uns zu beiden Seiten; vorn hisste ich die bremer Flagge auf, hinten stand der Steuermann mit seiner Schaufel. Ich hätte allerdings ein breiteres Boot haben können, aber der Preis, den man dafür verlangte, war mit den mir verbliebenen Baarmitteln unerschwinglich.

Anfangs trug uns der Wind reissend schnell von dannen; als wir die Insel aus dem Gesicht verloren hatten, ging es langsamer vorwärts, ja bisweilen hemmten Gegenströmung und conträrar Wind dermassen die Fahrt, dass wir uns nicht von der Stelle zu bewegen schienen. Hier und da gerieth das Canoe auch auf eine Sandbank, und wir mussten dann alle aussteigen und helfen, es wieder flott zu machen. Die Ufer, mit hochstämmigen, dicht belaubten Bäumen bewachsen, sind durchschnittlich 3-4 Kilometer voneinander entfernt, doch wird das Fahrwasser häufig durch Inseln eingeengt, von denen mehrere mit Oelpalmen, Mangroven und Adansonien bestanden waren. Die Nacht campirten wir auf einer ziemlich hoch über dem Wasser herausragenden Sandbank. Unsere Fahrtrichtung war im ganzen gerade westlich geblieben.

Vor Sonnenaufgang um 51/2 Uhr fuhren wir am folgenden Tage wieder ab. Unbedeutende Krümmungen abgerechnet, nimmt der Fluss auch auf dieser Strecke einen geraden Lauf, immer westlich einige Grad zu Nord. Am linken Ufer guckten überall zwischen dem grünen Laubwalde die spitzen, zuckerhutförmigen Dächer von Negerhütten hervor. Das rechte Ufer scheint weniger stark bewohnt zu sein; hier sprangen Affen von Ast zu Ast, und Tausende von bunten Singvögeln erfreuten Auge und Ohr.

Auf dem Flusse selbst ab es Wasservögel verschiedener Art, wenn auch nicht in solcher Menge wie auf dem Tschad-See und den Hinterwassern des Waube; nicht selten streckten Flusspferde ihre dicken Köpfe schnaubend und prustend aus der Flut. Leider befand ich mich nicht in der Verfassung, die reizende Scenerie dieses jungfräulichen Stroms in vollen Zügen zu geniessen, denn gleich nach der Abfahrt von Loko hatte ich einen heftigen Fieberanfall, der meine Lebensgeister zu völliger Kraftlosigkeit und Apathie herabdrückte.

Mehrmals sahen wir ein 8-10 Fuss langes Krokodil auf einer Sandbank sich sonnen und bei unserer Annähernng ins Wasser untertauchen. Man erzählte mir von der höchst verwegenen Weise, in welcher die Eingeborenen auf das Krokodil Jagd machen, so verwegen und gefahrvoll, dass es mir unglaublich scheinen würde, wenn nicht auch andere Reisende, wie Laird und Oldfield, davon berichteten. Sie beschleichen nämlich zu drei oder vier den ruhenden Saurier, einer ersieht sich den richtigen Moment und stösst seinen Speer mit aller Kraft durch den Schwanz des Thieres hindurch in den Boden; wüthend reist das festgenagelte Ungethüm um sich selbst, bis die Gefährten des kühnen Angreifers herzueilen und es mit Keulen- und Axtschlägen tödten. Das Fleisch, obwol stark nach Moschus riechend, wird von den Negern gegessen, und auch die Eier des Krokodils, die ungefähr die Grösse eines Gänseeis haben, gelten ihnen als Leckerbissen.

Es begegneten uns an dem Tage viele Canoes, beladene und unbeladene, die nach einem Uferdorf zu Markte fuhren oder von dort herkamen. In den meisten unterhielten die Leute ein kleines Feuer, blos zu dem Zweck, um ihre Tabackspfeifen mit grossem messingenen Kopf, aus denen sie fast beständig rauchen, immer neu in Brand zu setzen, und in keinem fehlte ein Topf mit Bum (im Norden Busa oder Merissa,), dem berauschenden Lieblingsgetränk der Neger. Unser Bootsmann liess kaum ein Canoe vorüber, ohne eine Weile zu halten und mit seinen schwarzen Kameraden zu rauchen und zu schwatzen. Nachmittag um 4 Uhr traf er einen Freund, einen Koto-Neger aus dem in der Nähe am linken Ufer liegenden Orte Amára. Mit ihm hatte er besonders viel zu verhandeln, und ich musste es geschehen lassen, dass bei Amára angelegt und unsere Tagesfahrt geendet wurde. Der Sultan des Orts lud mich ein, in seiner Wohnung das Abendessen einzunehmen, aber ich war so kraftlos und fieberkrank, dass ich nicht ans Land gehen konnte; er schickte mir darauf Madidi und getrocknete Fische, für welches Geschenk ich mich durch ein Packet Zündhölzchen revanchirte, einen von den tabackrauchenden Negern sehr hoch geschätzten Artikel. Um vor der zudringlicher Neugier der Bewohner Ruhe zu haben, liess ich abends unser Boot zum Uebernachten an das rechte Ufer hinüberrudern.

Das Wasser des Bénuë hat meist, im Widerschein der bewaldeten Ufer, einen grünlichen Schimmer, ist jedoch in Wirklichkeit farblos, klar und ohne Beigeschmack. Ich fand die Temperatur an der Oberfläche morgens vor Sonnenaufgang bei +25deg. Luftwärme und ebenso vormittags 9 Uhr bei +33deg. Luftwärme +32deg., nachmittags 2 Uhr bei +36deg. und abends nach Sonnenuntergang bei +35deg. atmosphärischer Wärme +33deg.; in einiger Tiefe nehmen natürlich die Wärmegrade ab. An Fischen, die fast alle wohlschmeckend sind und wenig Gräten haben, ist der Fluss ausserordentlich reich. Da sie die Hauptnahrung nicht blos der Ufer- und Inselbewohner, sondern der gesammten Bevölkerung bis weit ins Land hinein ausmachen, wird ihr Fang sehr eifrig und auf mannichfache Art betrieben: mittels strohgeflochtener, mit einer Fallthür versehener Körbe, die an geeigneten Stellen unfern vom Ufer ins Wasser gesetzt werden, mit Trichter-, mit Sack- und mit langen Strand-Netzen, mit der Angel, oder durch Anspiessen der Grundfische. Krebse gibt es auch, doch sah ich sie nirgends feilbieten.

Wir waren morgens 6 Uhr von Amára wieder abgefahren und bekamen um 10 Uhr den etwa 5 Kilometer vom linken Ufer entfernten Gebirgszug Akólogo in Sicht, der, bis zu relativer Höhe von circa 500 Fuss aufsteigend, von Westnordwest nach Ostsüdost streicht und wahrscheinlich die drei schmalen Flüsschen, die hier in den Bénuë einmünden, herabsendet. Um 9 Uhr nachmittags langten wir bei der Station Imáha (Um-Aischa) an, bis zu der ich das Canoe von Loko gedungen hatte. Quer vor der Stadt streckt sich eine lange Insel im Flusse hin, mit schönem Laubwald bewachsen, der Heerden von Pavianen, Meerkatzen und andern Affenarten zum Aufenthalt dient. Sobald man dem Sultan von Imáha, Namens Schimmegë, unsere Ankunft gemeldet, schickte er uns einige von seinen Leuten zum Ausladen und Tragen des Gepäcks. Die Hütte, in die wir geführt wurden, starrte jedoch von Schmuz; zudem herrschte ein unerträglicher Leichengeruch darin, denn es war erst vor kurzem ein Todter unter dem Boden verscharrt worden. Als Willkommgeschenk liess uns der Sultan eine junge Ziege zustellen.

Imáha stand früher wahrscheinlich zwei Stunden westnordwestlich von der Stelle, die es jetzt einnimmt, auf dem vereinzelten steilen Berge Takórakóra. Noch Oldfield und Baird schreiben: "Yimmahah is beautifully situated on the top of nearly a perpendicular rock"; seitdem mag es von den Fellata auf einem ihrer Raubzüge zerstört, und als diese wieder abgezogen waren, ein neuer Ort dieses Namens unten am Flusse erbaut worden sein. Gegen etwaige fernere feindliche Angriffe ist die Stadt nach der Landseite zu durch Mauern und Gräben geschützt; übrigens dürften auch die Fellata jetzt nicht mehr wagen, ihre Räubereien bis so nahe an Lokója hin auszudehnen. Ungefähr drei Stunden östlich, wo der Fluss Kantang, von Funda kommend, in den Bénuë- mündet, liegen die beiden Orte Batóndja und Ligi. Die Bergkette Akólogo ist von Imáha aus nicht sichtbar, weil hier hoher Wald die Aussicht verdeckt.

Die 10000 Einwohner der Stadt gehören zum Stamme der Koto-Neger, welcher die Gara-Sprache spricht; gegenüber, am rechten Ufer hat der Stamm der Akoto (nicht Akpoto, wie auf einigen Karten steht) seine Wohnsitze. Alle ohne Ausnahme gehen bekleidet, und seltsamerweise liebt es das weibliche Geschlecht, mittels einer feinen Thonerde Gesicht, Brust, Arme, Beine, kurz den ganzen Körper ziegelroth anzustreichen; doch muss die Schminke rar und theuer sein, denn nur die reichen Frauen können, von den ärmern natürlich aufs höchste beneidet, sich diesen Luxus gestatten.

Am Vormittag des andern Tags begab ich mich zur Audienz nach der Wohnung des Sultans. Dieselbe umfasst einen sehr weiten quadratischen Raum, in dessen Innerm mehrere länglich viereckige Hütten stehen, während alle übrigen Hütten der Stadt die gewöhnliche runde Form haben. In der grössten empfing mich Sultan Schinimegë, ein etwa sechzigjähriger Mann von untersetzter, robuster Gestalt, der vollkommen unabhängige Herrscher über Imáha und die dazu gehörigen Dörfer. Von Lokója aus genügend mit Feuergewehren und Pulver versorgt und durch die Protection der Engländer zu Ansehen erhoben, gelingt es ihm, den eroberungssüchtigen Pullo gegenüber die Unabhängigkeit seines kleinen Gebiets zu behaupten. Dabei ist er ein thätiger und speculativer Geschäftsmann; er liefert das Elfenbein aus der ganzen Umgegend nach Lokója, während er seinen Unterthanen aufs strengste verbietet, Elefantenzähne, namentlich grössere, zu kaufen oder zu verkaufen, und bezieht für den Erlös europäische Waaren von da, die er weiter nach dem Innern vertreibt. Bis von Rhadames kommen Kaufleute nach Imáha, um mit ihm Geschäfte zu machen. Er war zur zeit noch Heide, hat sich aber wahrscheinlich inzwischen durch einen Imam, der in der Stadt lebte und bereits grossen Einfluss auf ihn zu haben schien, für den Mohammedanismus gewinnen lassen. Ich überreichte ihm das Letzte, was ich zu verschenken hatte, den bis hierher aufbewahrten Tuchburnus, und erhielt als Gegengeschenk eine Flasche Branntwein. Unter den Elefantenzähnen, die er mir zeigte, sah ich die zehn grössten, die mir je vorgekommen; der kleinste war mindestens so gross wie der grösste von denen, die im pariser Jardin des plantes zu sehen sind. Gerade den folgenden Tag sollte eine Schiffsladung abgehen, und gern nahm ich sein Anerbieten an, ich möge diese Gelegenheit zur Fahrt nach Lokója benutzen. Als ich nach beendigter Audienz aus der Empfangshütte wieder heraustrat, standen im Hofe gegen zwanzig junge Weiber, die sich den weissen Mann in der Nähe betrachten wollten, vermuthlich des Sultans Frauen oder Töchter, denn alle waren mit der kostbaren Schminke roth gefärbt.

Um Mittag den 27. März bestiegen wir das Transportschiff Schimmegë's. Es war ein wirkliches aus Planken zusammengefügtes Boot, in dem wol 30 Menschen Platz finden konnten, schien aber an Altersschwäche zu leiden und machte keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck. Ausser einer bedeutenden Partie Elfenbein hatte es auch andere Producte geladen. Die Schiffsgesellschaft bestand aus 15 Personen, einschliesslich von 5 Ruderern, oder vielmehr Schauflern, denn statt der Ruder haben die Neger breite Schaufeln, die nicht zwischen Pflöcken auf dem Rande des Fahrzeugs ruhen, sondern aus freier Hand regiert werden. Vom Strome in westsüdwestlicher Richtung getrieben, fuhr das Boot mindestens doppelt so geschwind als unser Canoe von Loko. Die Ufer unterhalb Imáha sind weniger dicht bewaldet und auch spärlicher bewohnt; nur selten sah ich einen von den Fischkörben, die bis dahin so häufig waren, im Wasser stehen. Dagegen zeigten sich hier mehr Flusspferde und Krokodile, sowie Scharen von Tummlerfischen, die schuhhoch aus dem Wasser springend oft ganze Strecken weit unser Boot umkreisten. Abends 71/2 Uhr wurde an einer Insel zum Uebernachten angelegt. Dabei bemerkte ich erst, dass sich auch zwei Sklaven, eine bejahrte Frau und ein halberwachsener Knabe, auf dem Schiffe befanden; man band die Unglücklichen an einem Baume fest, aus Furcht, sie möchten in der Dunkelheit ihren Eigenthümern entwischen.

Vor Sonnenaufgang stiess das Boot wieder von der Insel ab, in derselben Richtung und mit gleicher Geschwindigkeit wie am vorigen Tage die Fahrt fortsetzend. Jetzt wurden die Dörfer und Hütten an beiden Ufern wieder zahlreicher, und mehrmals stiegen die Händler aus unserm Schiffe ans Land, um mit den Bewohnern, friedlichen Bassa-, Afo-, Koto-, Akoto- oder Igbira-Negern, Geschäfte abzumachen. Auch auf dem Flusse selbst herrschte reges Leben; stromauf und stromab fuhren viele grössere und kleinere Boote, die meisten mit bunten Wimpeln beflaggt; fast von jedem wirbelte der Rauch eines offenen Feuers in die Luft, an dem sich die Insassen ihre Pfeifen anzünden oder das Essen kochen oder die gefangenen Fische auf Stangen zum Räuchern aufhängen.

Gerade um 12 Uhr mittags erreichten wir die Stelle, wo der Bénuë mit südwestlichem Laufe in den Niger mündet. Schrägüber am rechten Ufer des Niger, dessen Strom hier sehr eingeengt und nur halb so breit wie der Bénuë ist, ungefähr eine Stunde oberhalb des Zusammenflusses, liegt Lokója. Ich musste indess meine Ungeduld, dort anzukommen, noch zügeln, da wir erst an einem in dem Winkel zwischen den beiden Flüssen gelegenen Orte längere Zeit hielten. Die Lage dieses Orts - sein Name ist mir entfallen, es ist nicht die auf den Karten verzeichnete Stadt Igbegbe -scheint mir besonders günstig zur Anlage einer europäischen Factorei, günstiger, auch in strategischer Hinsicht, als die von Lokója; denn während letzteres bisweilen monatelang durch die angeschwollenen reissenden Fluten des Niger vom jenseitigen Ufer abgeschnitten ist, würde hier der Verkehr mit den productionsreichen Gebieten Centralafrikas nie eine Unterbrechung erleiden.

Endlich fuhren wir in den Hafen von Lokója ein. Der Anblick zweier in Europa gebauten Schiffe gab mir meine ganze Kraft und Elasticität wieder. Bisher hatte ich mich mit Mühe aus der liegenden Stellung aufzurichten vermocht, jetzt sprang ich, als kaum die Spitze unsers Boots das Ufer berührte, mit Einem Satze aus Land.


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