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XVI. Die englische Factorei Lokója.

Empfang. Geschichte der Gründung. Elfenbeinhandel. Die christliche Gemeinde und ihr Gottesdienst. Klima. Mr. Fell und Mr. Robins. Neue Reisedisposition. Ausrüstung und Begleitung. Abschied.

Auf halbem Wege zum Gouvernementshause kam mir ein schwarzer Diener in europäischer Kleidung entgegen, der mich auf Englisch grüsste, und wenige Schritte hinter ihm der Gouverneur Mr. Fell selbst, begleitet von seinem hier ansässigen Landsmann Mr. Robins. Die Herren reichten mir die Hand zum Willkomm und schüttelten die meinige, als wären wir schon viele Jahre miteinander befreundet; hatten doch auch sie schon seit Jahresfrist keinen Europäer gesehen, und waren sie doch durch meine Ankunft vollständig überrascht worden. Wie sehr wuchs aber erst ihr Erstaunen, als ich auf die Frage, in welcher Zeit ich den Weg von der Küste des Atlantischen Oceans bis Lokója zurückgelegt habe, ihnen berichtete, dass ich nicht von Westen, sondern vom Mittelländischen Meer durch die Wüste über Bornu an den Niger vorgedrungen sei. Sie führten mich zum Gouvernements-Gebäude, das aus zwei langen, einstöckigen, durch ein gemeinsames Strohdach verbundenen Häusern bestand. Zwischen dem Dache und den Wänden war ein fusshoher Raum gelassen, um dem kühlenden Winde freien Durchzug zu eröffnen. Vor der Fronte wehte von einer hohen Stange herab die britische Flagge, und in einer Lunette mit offener Kehle standen zwei sechspfündige Kanonen, von schwarzen Soldaten bewacht, die zu einem aus Westindien hierher commandirten kleinen Detachement gehören. Das eine der beiden Häuser wurde mir und meinen Leuten als Gastwohnung eingeräumt.

Schon die ersten Niger-Expeditionen unter Trotter, Allen, Oldfield, Laird u. s. w. hatten an der Stelle, wo das heutige Lokója steht, eine sogenannte model farm (Musterwirthschaft) angelegt, die aber, angeblich wegen Ungesundheit des Klimas, bald wieder verlassen wurde. Hierauf geschah es, dass der König von Nyfe, Mássaban, das Land am obern Niger mit Krieg überzog und bis an den Berg Pattë, an dessen östlichen Abhang Lokója sich anlehnt, seiner Herrschaft unterwarf. Später hat Dr. Baikie nach Beendigung der von ihm ausgeführten Bénuë-Expedition fast sieben Jahre hier gelebt, doch ohne dass er eine Niederlassung gründete. Auf wiederholte Anregung der Westafrikanischen Compagnie, welche die Wichtigkeit dieses Punktes für den Handel nach Innerafrika erkannt hatte, beschloss nun die englische Regierung im Jahre 1865, eine permanente Niger-Mission in Lokója zu etabliren. Sie erkaufte vom König von Nyfe die Erlaubniss, eine Handelsfactorei errichten und zum Schutze denselben eine Garnison von 50 Negersoldaten halten zu dürfen. Herr des Gebiets blieb jedoch der König. Neben dem englischen Gouverneur residirt in Lokója ein Sserki aus Nyfe, und die Engländer müssen durch häufige Geschenke, an König Mássaban sich die fortdauernde Gunst des Landesherrn sichern.

Ich habe bereits angeführt, dass der Export von afrikanischem Elfenbein die Richtung nach der Westküste zu nehmen beginnt. Für diese Richtung gewährt nun die Handelsfactorei Lokója den wesentlichsten Stützpunkt. Von Keffi Abd-es-Senga gehen jetzt Elfenbeintransporte nach Egga, dort wird die Waare von Agenten der Engländer in Empfang genommen und dann zu Wasser in das Hauptdepôt befördert. Einen bedeutend grössern Umfang aber könnten die Transporte nach Südwesten erreichen, wenn der Bénuë in seinem obern Laufe von Adamáua an der freien, ungehinderten Schiffahrt offen stände. Der Centner Elfenbein kostet bis Lokója nominell 200000 Muscheln (50 Mariatheresienthaler), allein da die Engländer meist importirte Waaren als Zahlung geben, so kommt ihnen in Wirklichkeit der Centner nicht höher als auf 100000 Muscheln zu stehen. Die gangbarsten der als Tauschmittel verwendeten Waaren sind: deutscher, holländischer und amerikanischer Branntwein, Pulver, Schiessgewehre, Glasperlen, Korallen und verschiedene Sorten von Geweben. Ausser Elfenbein hat man in jüngster Zeit auch angefangen, in Nyfe erbaute Baumwolle zu exportiren, bisjetzt allerdings nur geringe Quantitäten, doch unterliegt es bei der ausserordentlichen Ergiebigkeit des Bodens keinem Zweifel, dass nicht nur Baumwolle, sondern auch Getreide, Indigo und Taback in grosser Menge und vorzüglicher Güte für den Export gebaut werden könnte. Um die Production und den Handel zu beleben, müsste vor allen Dingen eine directe, rasche und sichere Verbindung mit der Küste hergestellt werden. Das Einfachste wäre regelmässige Befahrung des untern Niger mit Dampfschiffen; lässt sich aber eine solche zur zeit noch nicht ermöglichen, so ist wenigstens für einen sichern Landweg durch die Jóruba-Länder zu sorgen, was bei dem friedlichen Charakter der dort wohnenden Negerstämme, vorausgesetzt dass der Gouverneur von Lagos mit richtiger Einsicht in die Verhältnisse zu Werke geht, nicht allzu grosse Schwierigkeiten bieten würde.

Binnen der zwei Jahre von 1865-67 war die Bevölkerung des Orts durch Zuzug von Eingeborenen von einigen hundert auf 2000 Seelen angewachsen. Gleichzeitig mit der Factorei hatte der Bischof der englischen Hochkirche Crowther eine Mission zur Einführung des Christenthums unter den Negern gegründet, und schon zählte die Christengemeinde gegen 150 Mitglieder. Ich wohnte dem sonntäglichen Gottesdienste bei, der, nach englischem Ritus abgehalten, einen recht erbaulichen Eindruck machte und nur zu lange, nämlich volle vier Stunden, währte, weil der Missionar, ein in Sierra Leone ordinirter Neger Namens Jonston, erst in englischer und dann in der Haussa-Sprache predigte. Vortrefflich hörte sich der Choralgesang der schwarzen Gemeinde an, wie ja bekanntlich die Neger viel Sinn für Musik haben und eine vorgespielte Melodie leicht mit dem Gehör erfassen. Nach beendigtem Gottesdienste empfing mein Negerknabe Noel durch den Missionsprediger die christliche Taufe, wobei Mr. Fell und die Frau des Schulmeisters, eine getaufte Negerin, Pathenstelle vertraten.

Der in jeder Jahreszeit rasch fliessende Strom mit seinen hohen Ufern, die Nähe mässig erhobener Berge, das Nichtvorhandensein voh Urwäldern und von fauligen Sümpfen, alles dies lässt darauf schliessen, dass für Europäer das Klima von Lokója nicht unzuträglich sei; jedenfalls ist der Aufenthalt hier gesünder als an der westlichen Meeresküste. Dr. Baikie vermochte ohne Nachtheil für seine Gesundheit sieben Jahre in Lokója auszudauern, und auch. Mr. Fell und Mr. Robins versicherten mich, sie seien, obwol letzterer keineswegs von starker Constitution war, während ihrer zweijährigen Anwesenheit niemals ernstlich krank gewesen, leichte Fieberanfälle wichen stets einer kleinen Dosis Chinin.

Meine beiden Gastfreunde waren um die Wette bemüht, mir die Tage, die ich bei ihnen verlebte, so angenehm als möglich zu machen. Den Abend brachten wir gewöhnlich unter der offenen Veranda des Robinsschen Hauses zu, das ganz aus Eisen erbaut und comfortabler eingerichtet war als die Gouverneurswohnung. Dort fanden sich auch der Missionar und der Schulmeister ein. Mr. Jonston, ein äusserst gemüthlicher und für seinen Beruf tüchtig gebildeter Mann, hatte die sonderbare Gewohnheit, bei der ernsthaftesten Unterhaltung in helles Lachen auszubrechen, was er in Gesellschaft von Weissen für eine Pflicht des Anstands hielt. Er klagte mir, dass seinem christlich apostolischen Werke das immer weitere Vordringen des Islam vielfach Abbruch thue, und dass leider die englische Regierung, auch wo es ganz in ihrer Macht stehe, dem Mohammedanismus nicht hindernd entgegentrete, seinen Fortschritten vielmehr eher noch Vorschub leiste. Von vielen wolle er mir nur einen, besonders eclatanten Fall mittheilen. Ein beim Gouvernement mit einem Monatsgehalt von 3 Pfd. St. als Dolmetscher angestellter Neger, der als Knabe von Dr. Baikie erzogen, im Christenthum unterrichtet und dann in England getauft worden war, trat kürzlich, aus keinem andern Grunde als weil er sich nicht mit Einer Frau begnügen mochte, zum Islam über; trotzdem wurde er von der Regierung nicht entlassen, obgleich mehrere gute Christen von mindestens gleicher Fähigkeit sich um das Amt bewarben. Solche Beispiele seien hier natürlich von schädlichster Wirkung auf den Erfolg der christlichen Mission. Aeusserlich gewandter und mehr mit europäischer Sitte vertraut war der Schulmeister, zwar ebenfalls ein Neger, der aber einige Jahre in den Küstenstädten unter Europäern gelebt hatte. Die Pausen zwischen dem Gespräch wurden durch Musik ausgefüllt, indem die Herren abwechselnd auf einem in der Veranda stehenden Harmonium spielten oder den Gesang deutscher, englischer und französischer Lieder begleiteten. Wenn dann ab und zu ein Blitzstrahl die Dunkelheit draussen erhellte, sah man auf dem freien Platz vor dem Hause die Diener mit andern von der Musik angelockten Schwarzen sich im Tanze drehen und in der Ferne den Niger und Bénuë ihre vereinigten Fluten dahinwälzen.

Ein Hauptthema unserer Unterredungen bildete von Anfang an die Berathschlagung über den Weg, den ich nehmen müsse, um an die Küste zu gelangen. Mein Plan war gewesen, mit einem Boot von Lokója den Niger bis zur Einmnndung des Nun hinabzufahren, wo nach den Kartenangaben die englische Station Palm-Port liegen soll; von da, meinte ich, würden mir die dort ansässigen Europäer zur Weiterfahrt behilflich sein. Mr. Fell belehrte mich aber, dass es eine Niederlassung Palm-Port an der Nun-Mündung nicht gebe, und dass mit meinem Boot unfehlbar einem der wilden, raub- und mordsüchtigen Negerstämme, die in den Gegende am untern Niger hausen, in die Hände fallen würde; ebenso gefahrvoll und ungangbar sei der Landweg über den Berg Pattë direct nach Westen, seit mehrern Monaten schon hätte selbst von den in seinem Dienst stehenden Botenläufern keiner sich zur Küste durchschlagen können. Wiederholt redete er mir daher zu, ich möchte bei ihm bleiben, bis nach beendeter Hochwasserzeit, also in 5-6 Monaten, das Dampfschiff von Lagos heraufkäme. Da ich indess auf meinem Entschluss, die Reise fortzusetzen, beharrte, machte er mir den Vorschlag, mit Geschenken für den König von Nyfe den Niger stromauf nach Rabba zu fahren und von da südwestlich durch das Jóruba-Gebiet gehend die Küste zu gewinnen. Die bezeichnete Route war freilich ein bedeutender Umweg, doch schien einerseits in der That eine directere Linie weder zu Wasser noch zu Lande passirbar, andererseits gereichte es mir auch zur Befriedigung, dem gastfreundlichen Gouverneur einen Dienst erweisen zu können; er hätte sonst nämlich selbst die Reise nach Rabba unternehmen und die Geschenke an König Mássaban in Person überbringen müssen. So ging ich denn ohne langes Besinnen auf den Vorschlag ein.

Jetzt beschäftigten sich die Herren aufs angelegentlichste mit der Sorge für meine Ausrüstung zur Reise. Sie mietheten das Boot, auf dem ich von Imáha gekommen war, für die Nigerfahrt bis Egga, liessen es ausbessern und mit 6 Ruderern bemannen. Den für Mássaban bestimmten Waaren, rother Sammt, seidene Tücher, Korallen, Glasperlen u. s. w., fügten sie eine Menge anderer bei, damit ich mir durch Geschenke an die Häuptlinge in den noch zu durchreisenden Gebieten deren Freundschaft und gute Aufnahme erkaufen könne. Deggleichen verproviantirte man mich reichlich mit Lebensmitteln und ergänzte auch meinen zu Ende gehenden Vorrath an Chinin. Zwei beim Gouvernement angestellte Dolmetscher wurden mir beigegeben, einer für Nyfe und einer für die Jóruba-Länder. Ersterer war der aus Barth's Reisen bekannte Negerknabe Durugu (Dyrregu schreibt Barth), der sich inzwischen, durch Rev. Schön in England erzogen, zum tüchtigen Manne gebildet hatte. Der andere war eben jener Akkra-Neger, über dessen Abfall vom Christenthum zum Islam der Missionar Jonston sich so bitter bei mir beklagte. Meine beiden Diener Hammed und Noel erhielten an einem getauften, etwas Englisch redenden jungen Neger Namens Tom einen neuen Kameraden.

Bis zum 2. April waren alle die fürsorglichen Reisevorkehrungen beendet. Am Morgen dieses Tages versammelten wir uns noch einmal in Mr. Robin's Veranda zum gemeinsamen Frühstück; dann begleitete man mich ans Ufer, wo das Boot zur Abfahrt bereit lag und die halbe Einwohnerschaft von Lokója sich als Zuschauer eingefunden hatte. Als ich das Boot bestieg, wurde die englische Flagge aufgehisst, und gleichzeitig donnerten neun Salutschüsse aus den Kanonen vor dem Gouvernements-Gebäude. Ich tauschte mit den zurückbleibenden Freunden die letzten Scheidegrüsse. Es sollte leider ein Abschied auf Nimmerwiedersehen sein; bald nach meiner Ankunft in Europa ging mir die betrübende Nachricht zu, dass Mr. Fell bei der Abwehr eines Angriffs feindlicher Neger seinen Tod gefunden, und dass um dieselbe Zeit Mr. Robin infolge der geringen Widerstandsfähigheit seiner Körperconstitution einer klimatischen Krankheit erlegen war.


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