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XXVII. Im Königreich Nyfe (Nupe).

Das Steigen und Fallen des Niger. Stromauffahrt. Station Egga. Des Königs Kriegsflotte. Die Stadt Rabba. Ritt ins Heerlager am Eku. König Mássaban. Ein Zug durchs Lager. Titel und Würden. Misverständnisse. Die Dynastie. Sprache und Rasse des Volks. Producte.

Das schönste Wetter begünstigte unsere Abfahrt. Am Tage vorher gefallener Regen und ein frischer Seewind hatten die Atmosphäre gereinigt, nur einzelne weisse Haufenwolken schwammen in dem klaren Himmelsblau. Taktmässig und eigenthümlich mit der Zunge dazu schnalzend stiessen die sechs Ruderer ihre Schaufeln in den Strom, und zwar absichtlich so, dass bei jedem Stosse ihr nackter Körper von oben bis unten mit dem kühlenden Nass bespritzt wurde.

Der Wasserstand des Niger war um fast 11/2 Fuss höher, als zur Zeit da ich in Lokója ankam; es fand also eine jener unregelmässigen Anschwellungen statt, die sich wol am besten dadurch erklären lassen, dass durch starke Regengüsse im Gebirge die vielen von da herabkommenden Rinnsale plötzlich gefüllt werden und ihr Wasser dem Hauptstrom zuführen. Barth's Ansicht, der die unregelmässigen Anschwellungen dem zeitweiligen Entleeren der Hinterwässer zuschreiben will, erscheint mir in keiner Weise stichhaltig. Von Crowther und Baikie ist eine Anschwellung im Januar und Februar bemerkt worden. Ueber das regelmässige periodische Steigen und Fallen des Niger liegen noch zu wenig Beobachtungen vor, um die mittlern Zeiten genau zu constatiren. Mr. Robins ("Zeitschrift für Erdkunde", Jahrg. 1866) gibt an, bei Lokója falle der Niger von Anfang October bis Ende Mai und steige von Anfang Juni bis Ende September. Nach den Beobachtungen, die er im Jahre 1865 anstellte, war das Wasser am 14. April um 38 Fuss zurückgetreten, am 10. September auf 41 Fuss 6 Zoll und am 28. September auf nahezu 50 Fuss gestiegen, wobei indess zu berücksichtigen ist, dass der Wasserstand in diesem Jahre ein ungewöhnlich hoher gewesen. Im ganzen dauerte das Sinken 243 Tage, das Steigen 122 Tage. Natürlich muss bei der so bedeutenden Länge des Nigerlaufes weit oberhalb und weit unterhalb seines Zusammenflusses mit dem Bénuë das Verhältniss wesentlich verschieden sein, je nachdem in den betreffenden Gebieten die Regenzeit früher oder später einzutreten pflegt.

Gegen 6 Uhr abends legten wir in der Nähe eines kleinen Uferdorfes bei. Hier wurde zum Nachtmahl aus dem mitgenommenen Proviant eine Ziege geschlachtet und das Fleisch über Kohlenfeuer geröstet. Aber noch waren die Stücke nicht gar, da begann dichter Regen herabzuströmen, der die Flamme unsers unbedecktem Kochherdes auslöschte. Doch genug - ich will die Leser nicht mit den täglichen Vorkommnissen einer volle 14 Tage währenden langsamen Flussfahrt ermüden, zumal in Bezug auf Scenerie und Staffage dieser Theil des Niger von der Strecke, die ich auf dem Bénuë befuhr, sich im ganzen wenig unterscheidet. Nur fand ich die Fahrt selbst um vieles unangenehmer. Mit Sonnenaufgang stellte sich stets eine Gattung mikroskopischer Fliegen ein, von den Engländern sandfly genannt, deren Stich eine schmerzhafte Geschwulst verursacht; gegen 11 Uhr vormittags zogen sich diese fast unsichtbaren Plagegeister zurück, aber dann quälte uns die drückende Hitze, da wir, um der starken Gegenströmung in der Mitte des Flusses auszuweichen, immer dicht am Ufer hinrudern mussten, wo kein Luftzug uns Kühlung zuwehte. Sobald die Hitze etwas nachliess, waren auch die giftigen kleinen Fliegen wieder da, und wenn sie nach Sonnenuntergang endlich verschwanden, übernahmen es Myriaden von Mosquitos, die Menschen nicht zur Ruhe kommen zu lassen.

Nach fünf Tagen erreichte das Boot die Stadt Egga am rechten Nigerufer. Ich begab mich sogleich zu dem Vorsteher der dortigen englischen Filial-Factorei, an den ich Briefe von Mr. Fell zu überbringen hatte. Es war ein noch ziemlich junger Mann, ein aus Sierra Leone gebürtiger Neger Namens James, der einzige Christ in Egga. Durch ihn ward ich dem Sserki des Districts vorgestellt, und dieser verschaffte mir nicht nur ein Regierungsboot bis Rabba, sondern schiffte sich auch selbst mit ein, um mich persönlich zum Könige zu führen. Er theilte mir mit, der König residire gegenwärtig nicht in Rabba, auch nicht in seiner eigentlichen, im südlichen Theile des Reichs gelegenen Hauptstadt Bidda, er sei im Kriege gegen eine Rebellenschar begriffen und verweile im Heerlager, etwa 6 Stunden von Rabba, am Flusse Eku.

Je näher wir Rabba kamen, desto mehr durch den Krieg zerstörte Dörfer zeigten sich zu beiden Seiten des Flusses. Am 16. April abends 7 Uhr passirten wir eine Gruppe von Inseln, die jetzt als Hafen für die Kriegsflotte und als Lagerplatz für die Mannschaft derselben diente. Wol an 500 Canoes lagen hier beisammen, von denen die kleinsten für etwa 30, die grössten für 100 Mann Raum bieten mochten. Die Canoes der verschiedenen Stämme hatten verschiedene Formen; die der Kakánda z. B., eines an der rechten Seite des Niger nordwestlich von Lokója wohnenden Stammes, zeichneten sich durch ihre Breite aus, wogegen die der Schaba, eines Inselvolks, besonders lang und schmal gebaut waren. So hat auch jeder Stamm, wie man mir sagte, seine eigene Kampfweise. Die Kakánda, die mit Flinten bewaffnet sind, lassen ihre Kinder die Ruderschaufeln fuhren und schiessen, im Mittelraum des Boots postirt, über deren Köpfe hinweg; die Schaba handhaben selbst abwechselnd das Ruder und ihre Waffe, den Wurfspiess. Die vom aufgehenden Monde beleuchteten Inseln mit den Tausenden zwischen Bäumen, Zelthütten, Waffenpyramiden, Lägerfeuern umherlaufender schwarzer Gestalten boten ein höchst phantastisches Bild.

Noch eine halbe Stunde, und wir landeten am linken Ufer im Hafen von Rabba. Statt einer grossen volkreichen Stadt, wie ich erwartet hatte, fand ich jedoch nur durch Brand geschwärzte, dachlose, meist von ihren Bewohnern verlassene Hütten. Kaum 500 Menschen waren darin zurückgeblieben. Wir wurden in einer halbzerstörten Hütte aufs kümmerlichste untergebracht, und da hier unsers Bleibens nicht lange sein konnte, schickte ich sofort einen Boten an König Mássaban, durch den ich ihm meine Ankunft in Rabba melden und ihn ersuchen liess, mir schleunigst ein Pferd zum Ritt ins Lager zu senden. Trotzdem vergingen vier volle Tage, vergebens harrte ich von Stunde zu Stunde auf die Rückkehr des Boten.

Rabba liegt am letzten Ausläufer der Admiralitätsberge, auf dem südlichen Abhange eines Felsrückens, der unmittelbar ans Ufer des Flusses herantritt. Etwas südlich davon mündet der Gingi, von dem einen Tagemarsch nach Nordosten entfernten Gebirge kommend, in den Niger. Zur Zeit als der Sklavenhandel an der afrikanischen Westküste noch schwunghaft betrieben wurde und die Karavanen aus dem Innern hier durchzogen, gehörte Rabba zu den bedeutendsten Städten im Westen. Die Gebrüder Landers geben die Einwohnerzahl noch auf 40000 an. Jetzt zeugen nur die stehen gebliebenen Umfassungsmauern von der ehemaligen Grösse der Stadt, und auch das früher meilenweit angebaute Land ist bis auf ein paar Getreidefelder zu beiden Seiten des Gingi wieder verödet und mit wildwucherndem Unterholz bewachsen.

Am vierten Tage mittags kam endlich der ersehnte Bote zurück. Ohne sich wegen der langen Verzögerung entschuldigen zu lassen, sandte mir König Mássaban ein Pferd und einen Korb mit Kola- (Goro-) Nüssen. Nachmittags um 5 Uhr machte ich mich mit meiner ganzen Begleitung auf, um noch in der Nacht das Lager zu erreichen; ich allein war zu Pferde, alle andern, auch der Sserki, mussten zu Fusse folgen. Es dauerte über eine halbe Stunde, ehe wir das alte Stadtgebiet in nordwestlicher Richtung durchmessen und die Mauern hinter uns hatten. Dann führte der Weg 3 Stunden lang durch einen hochstämmigen Butterbaumwald zu dem malerisch gelegenen Orte Moo; von da marschirten wir noch 3 Stunden bei Mondschein über großswelliges Terrain, das von dem Flüssehen Edda, 1/2 Stunde hinter Moo, und vielen kleinern Rinnsalen durchschnitten ist, und langten erst kurz vor Mitternacht am linken Ufer des Eku an, wo eine Abtheilung des königlichen Heeres, meist aus Reiterei bestehend, gelagert war.

Morgens brachte uns ein Fährboot hinüber ans rechte Ufer, und nach einigen hundert Schritten betrat ich das Lager der grossen Armee. Im Laufe des Vormittags fand die Empfangsaudienz beim König statt. Er sass unter einer von allen Seiten offenen, nur vorn durch seidene Vorhänge verschliessbaren Hütte, etwas erhöht auf einer Giraffenhaut; ihm gegenüber kauerte auf dem blossen Sandboden in fünf Reihen hintereinander eine Versammlung von etwa hundert Männern, alle sowie er selbst dürftig und unsauber gekleidet. Mich hiess er auf einer zierlich geflochtenen Matte dicht zu seinen Füssen Platz nehmen. König Mássaban schätzte sein Alter, wie man mir gesagt, auf 50 Jahre; ich hätte ihn dem Aussehen nach für jünger gehalten, obgleich er schon Vater von 60 Söhnen und einer gleichen Anzahl Töchter war. Von dunkelschwarzer Hautfarbe, verrieth er doch in der regelmässigen Gesichtsbildung seine Abstammung aus Fellata-Geblüt. Sobald die üblichen Begrüssungsformeln gewechselt waren, theilte er eine Kola-Nuss mit mir, was als Friedens- und Freundschaftszeichen gilt und aus der Hand eines Fürsten als besonderer Gunstbeweis angesehen wird. Hierauf brachten die Diener eine Schüssel Milch, Lammfleisch und einen Topf voll Honig. Unsere Unterhaltung bezog sich meist auf meine bisherige Reisetour, namentlich schien den König alles, was ich von Bornu erzählte, zu interessiren. Von der Factorei in Lokója sprach er mit freundlichen Worten, doch dürfte seine Freundschaft wol eine erheuchelte sein und lediglich auf Eigennutz beruhen, indem er sich durch Vermitteluing der Engländer Flinten und Pulver zur Bekämpfung seiner rebellischen Unterthanen verschafft; dass er als Muselman die Ausbreitung einer christlichen Gemeinde auf die Länge gleichgültig betrachten werde, möchte ich wenigstens stark in Zweifel ziehen.

Als ich mich wieder empfahl, wurde mir die Matte, auf der ich gesessen, eine wirklich vorzügliche einheimische Arbeit, nachgetragen, ferner ein Topf Palmöl, ein Gefäss mit Shea-Butter und ein Gebund Zwiebeln. Auch 20000 Muscheln liess mir der König einhändigen; sie reichten freilich kaum hin, um die nöthigen Trinkgelder an seine Diener davon zu bestreiten. Die enge, dumpfe und feuchte, keinen Schutz gegen die häufigen Gewitterregen bietende Strohhütte, welche man uns zur Wohnung anwies, entsprach, selbst in Berücksichtigung dass wir uns im Lager befanden, nicht meinen bescheidensten Erwartungen. Dabei stand sie mitten im ärgsten Getümmel, wo das Trommeln und Pfeifen, das Ausschreien von Lebensmitteln, das Toben der oft in Barassa berauschten Soldaten bis tief in die Nacht hinein währte und mich keinen Augenblick Ruhe finden liess.

Andern Tugs stieg ich zu Pferde, um das Lager in seiner ganzen Ausdehnung zu durchreiten. Es hatte in der That einen imposanten Umfang, denn ich taxirte die Zahl der Hütten auf annähernd 90000 und glaube, dass mit Einschluss der Weiber, Kinder und Sklaven nicht weniger als 100000 Menschen hier beisammen waren. Ueberall aber lagen Cadaver gefallener Thiere oder Haufen die Luft verpestenden Unraths, von ekelhaften Insekten umschwärmt. Bei der Rückkehr begegnete mir der König in militärischem Paradezug. Voran schritt das Musikcorps, mit grossen und kleinen Trommeln, hölzernen Trompeten, dudelsackähnlichen Pfeifen und eisernen Klappern; hinter ihm marschirte eine Colonne von 2-300 mit Flinten bewaffneter Fusssoldaten; dann kamen der königliche Vorreiter, der königliche Schwertträger, und nach letzterm König Mássaban selbst zu Pferde, diesmal in reicher Kleidung: sie bestand aus einem im Lande gefertigten blauen Hemd, einem weissen, mit Gold und bunter Seide gestickten tripolitaner Tuchburnus, roth und weiss gestreiften seidenen Hosen, rothen Safflanstiefeln und einem tuniser Fes. Unmittelbar hinter ihm ritten zwei Leibgardisten, mit einem Schilde aus Hippopotamosleder, so gross dass er Mann und Ross deckte, und an sie schloss sich in gemessener Entfernung die Suite der Generale an, jeder von einer Anzahl Sklaven gefolgt.

Nachmittags um 3 Uhr überreichte ich in feierlicher Audienz die aus Lokója mitgebrachten Geschenke, zusammen im Werthe von etwa 500 Frs., welche Sr. Majestät allerhöchsten Beifall fanden. Als Gegengescherik erhielt ich zwei kunstvoll gestickte Toben[60] und jeder von meinen Dienern 20000 Muscheln. Dieser Audienz wohnte der gesammte Hofstaat des Königs bei. Nächst dem designirten Thronfolger Omaro-Elima, einem Neffen Mássabans, wurden mir folgende Titel und Würden genannt: der Bargo-n-gioa (d. h. Elefantenspiegel; welche Beziehung das Wort zu den Functionen des so Betitelten hat, habe ich nicht ergründen können), Sklavenoberst und damals zugleich Admiral der königlichen Kriegsflotte; der Maiáki, Höchstcommandirender des Landheers der Bendoáki, General der Cavalerie; der Sserki-n-karma, General der Infanterie; der Sserki-n-fada, Ober-Ceremonienmeister, welcher die Fremden beim König einführt; der Damaráki, erster Rathgeber des Königs; der Sserki-n-dogáli, Polizeidirector und Oberscharfrichter; der Siggi, Obervorreiter, der Sserrónia, Oberkoch; der Imam (arabisch), Geheimsecretär. Die übrigen Räthe und Hofleute, in Bornu Kogna genannt, heissen einfach Sserki (Plural Sseráki). Fast alle diese Titel sind der Haussa-Sprache entnommen.

Am dritten Tage begab ich mich, Durugu als Dolmetscher mitnehmend, unangemeldet zum König, der mich auch sogleich empfing und seine Dolmetscher rufen liess. Jetzt verhehlte ich ihm nicht, dass ich als Fremder, als Christ und als Beauftragter der Engländer in Lokója, von denen er so grossen Vortheil ziehe, eine bessere und achtungsvollere Aufnahme erwartet hätte, indem ich namentlich seine Rücksichtslosigkeit, mich vier Tage in Rabba ohne Bescheid auf meine Botschaft zu lassen, und das elende Quartier im Lager, wo ich viele geräumigere und wohnlichere Hütten gesehen, mit scharfen Worten hervorhob. Schliesslich zeigte ich ihm an, ich sei entschlossen, den nächsten Tag abzureisen. Seine Antwort lautete nach Durugus Uebersetzung, wenn ich abreisen wolle, werde er mir ein Pferd, einen Führer und einen Gepäckträger bis Ilori mitgeben.

Somit schien mir alles in bester Ordnung und meine Abreise durch nichts behindert zu sein. Nachdem die Sachen gepackt waren, brachen wir auf und gelangten gegen 4 Uhr Nachmittag ans Ufer des Eku. Hier aber weigerten sich die Fährleute, uns überzusetzen, und während ich noch mit ihnen verhandelte, kam ein Bote des Königs mit der Aufforderung, ich solle ins Lager zurückkehren. Ich erwiderte, dazu hätte ich keinen Grund, und wenn man mir nicht binnen einer Stunde die Fähre zur Verfügung stelle, würde ich mit meinem Schwimmgürtel über den Fluss schwimmen. Darauf kam der Sserki, der mich von Egga aus begleitet hatte, gefolgt von Durugu und zwei königlichen Dienern, und meldete mir: sein Herr sei höchst ungehalten, dass ich mich heimlich entfernt habe; er wolle mich zwar nicht länger halten, breche aber alle Freundschaft mit mir ab und sende zum Zeichen dessen meine Geschenke zurück. Nun klärte sich das Misverständniss auf. Durugu hatte aus Furcht vor dem Zorne des Despoten demselben weder meine vorwurfsvolle Rede noch die Anzeige von meiner nahen Abreise verdolmetscht. Als nun dem König hinterbracht wurde, dass ich das Lager ohne Abschied zu verlassen im Begriff stehe, gab er in seinem ersten Aerger Befehl, mir die Ueberfahrt über den Fluss nicht zu gestatten. Unter so bewandten Umständen und eingedenk meiner von den englischen Freunden in Lokója übernommenen Mission, hielt ich es doch nicht für schicklich, in Unfrieden von Mássaban zu scheiden. Ich kehrte daher mit dem Sserki zurück und liess den König um Wiederannahme der Geschenke bitten, der mir denn auch noch abends als Pfand der Versöhnung und des wiederhergestellten Friedens einen grossen Napf Milch in meine Wohnung schickte.

Am 26. April verabschiedete ich mich in öffentlicher Versammlung. Der König erwähnte des Zwischenfalls mit keiner Silbe; er wünschte mir Glück zur Reise und liess uns einen Vorrath von Kola-Nüssen, getrocknetem Fleisch und mit Honig vermengten Reisküchelchen zustellen. Ohne Störung wurde nun der Rückweg nach Rabba angetreten, wo wir denselben Abend wohlbehalten wieder eintrafen.

Das Königreich Nyfe steht zu dem Sultanat Gando in gleichem Verhältniss wie Bautschi zu Sókoto, denn die Oberherrschaft des Sultans von Gando beruht ebenfalls auf seiner geistlichen Würde als Beherrscher der Gläubigen. Wie bedeutend der Tribut ist, den er von Nyfe empfängt, erhellt daraus, dass während meiner Anwesenheit im Lager König Mássabans eine Sklaven-Karavane von 400 Köpfen nach Gando abging. Uebrigens sind die Regentenfamilien von Sókoto und Gando, beide mohammedanische Fellata, blutsverwandt miteinander, und es scheint als ob in den letzten Jahren Gando seinerseits in eine Art Abhängigkeit von dem grossen Sókoto-Reiche gekommen wäre.

Bis ins zweite Viertel dieses Jahrhunderts wurde Nyfe von eingeborenen heidnischen Fürsten regiert. Da bemächtigte sich ein Mallem Dodo (in englischen Werken Dendo genannt) mit Hülfe des Sultans von Gando des Landes, indem er den König Mádjia vertrieb. Dodo starb 1832, zur Zeit der Laird-Oldfield'schen Expedition, in Rabba, und es folgte ihm sein ältester Sohn Audo, der aber schon nach dreijähriger Regierung in einem Kriege den Tod fand. Hierauf folgte Dodos zweiter Sohn Smasaki. Dieser wurde, nachdem er 12 Jahre regiert, durch den dritten Sohn Mássaban (Baikie und Crowther schreiben irrthümlich Dassaba) vom Throne gestossen und lebte 14 Jahre in der Verbannung. Nach Verlauf dieser Zeit brachte der Sultan von Gando eine Aussöhnung zwischen den beiden Brüdern zu Stande. Smasáki übernahm wieder die Regierung; er starb jedoch 1853, und nun folgte Mássaban als rechtmässiger Herrscher.

Ob das Volk von Nyfe ursprünglich seinen Wohnsitz in dem Lande hatte oder aus andern Gegenden eingewandert ist, dürfte schwer nachzuweisen sein. Seine Sprache, das Uon-Nupe, deutet auf Verwandtschaft mit den Bewohnern von Jóruba hin und zeichnet sich durch einen merkwürdig reichen Wortschatz aus, den sie wol der so höchst mannichfaltigen Natur des Landes verdankt. So ist z. B. das Zahlensystem in ihr so ausgebildet wie kaum in der Sprache irgendeines andern Volks: l heisst nini, 5 gutzu, 6 gutzucin (5+1), 10 guo, 15 godji, 20 cschi, 30 bano, 40 schiba, 50 arata, 60 schita, 24 cschi be guni, jedes Hundert hat seine eigene Benennung, und sogar für Million gibt es ein Wort: babapotzu. Ungeachtet ihres Reichthums vermochte indess die Sprache nicht über die Grenzen Nyfes hinauszudringen, ja im Lande selbst hat sich, seit die Fellata zur herrschenden Klasse geworden, die Haussa-Sprache ihr gleichberechtigt zur Seite gestellt. Alle Vornehmen verstehen und sprechen Fulfúlde.

Im Verhältniss zur Gesammtzahl der Bewohner leben bisjetzt wenig Fellata in Nyfe, viel weniger als in den Sókoto-Ländern, und nomadisirende Fellata wie dort gibt es hier gar nicht. Bei den Eingeborenen blieb daher der Rassentypus noch fast ganz unvermischt, sie sind echte Neger an Hautfarbe und Gesichtsbildung, und zwar unstreitig einer der wohlgebildetsten Negerstämme Afrikas. Die Männer tätowiren sich im Gesicht und an vielen andern Stellen des Körpers durch eine Menge feiner Einschnitte, scheren den Kopf kahl und lassen auch vom Barthaar nur einen schmalen Streif um Kinn und Wange stehen. Am Oberarm tragen sie einen dicken Ring von blauem oder weissem Glase, meist aus eingeschmolzenen Glasscherben im Lande selbst geformt. Dagegen sah ich bei den Frauen, welchen die Haare aufgelöst um den Kopf hängen, zwar Schmuck von Korallen, Glasperlen und bunten Steinen, aber weder Arm- noch Beinringe. Den Knaben wird, bis sie das Alter der Mannbarkeit erreicht haben, das Kopfhaar nur theilweise abgeschoren, sodass entweder in der Mitte ein 2 Zoll breiter Streifen Haare stehen bleibt, oder bewachsene Kreise, Halbkreise und andere Figuren über den Schädel vertheilt sind. Niemand, auch die heidnische Bevölkerung nicht ausgenommen, erscheint vor den Leuten ohne alle Kleidung.

An dem Nigerstrome, der Hauptverkehrsader zwischen der Meeresküste und dem Innern des afrikanischen Continents wohnend, musste das Volk frühzeitig mit fremden Völkerschaften in Berührung kommen, die ihm vielfachen Bildungsstoff zuführten. Schon als die Portugiesen und Spanier Handelsniederlassungen an der Küste gegründet hatten, drang manches von den Künsten europäischer Industrie nach Jóruba und Nyfe und regte die Bewohner zu nachahmender Thätigkeit an. Der civilisirende Einfluss von daher hätte aber ein bedeutenderer sein können, wenn nicht gleichzeitig der Sklavenhandel nach der Westküste in Schwung gekommen wäre. Durch den Sklavenhandel wurden die Insassen jener Länder von der Beschäftigung mit gewerblichen Arbeiten und von der Bebauung des Bodens abgezogen; in Nyfe waren es besonders die Kakánda, welche Sklaven und Elfenbein den Niger bis zur Einmündung des Nun hinunterschifften, hier von den Europäern Salz, Kleiderstoffe, Schmucksachen, Geräthe, Flinten, Pulver und Branntwein dafür eintauschten und weiter ins Innere, nach Bautschi, Kano, ja bis Rhadames hin vertrieben. Seit Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten von Amerika hat zwar der Menschenhandel an der afrikanischen Westküste aufgehört, nun hindern aber wieder die beständigen Kriege zwischen den Fellata und Negern das Aufblühen der Landescultur. Indess ist sicher die Zeit nicht fern, wo Nyfe eine Menge kostbarer Bodenerzeugnisse zur Ausfuhr produciren wird. Mit Baumwolle hat man, wie ich erwähnte, bereits den Anfang gemacht. Für den Anbau im grossen sind ferner geeignet: Taback in vorzüglichen Sorten, Indigo, verschiedene Getreidearten, Arachis, Reis. Letzterer, der im ganzen Nigerthale wild wächst, scheint hier seine ursprüngliche Heimat zu haben, denn das Wort dafür: schinkaffa, ist aus der Nyfe- in die Haussa-Sprache übergegangen und selbst in Bornu gebräuchlicher als das Kanúri-Wort férgami oder pérgami. Oelpalmen, wenn auch nicht so häufig wie auf dem rechten Ufer des Niger, namentlich aber die ausgedehnten Butterbaumwälder würden reiche Erträgnisse liefern. Schwarzer Pfeffer, den ich sonst in Centralafrika nirgends gesehen, gedeiht hier ebenso gut wie in Indien, und auch andere Gewürzstauden, desgleichen der Kaffeebaum liessen sich gewiss mit bestem Erfolge auf den Boden von Nyfe verpflanzen.

[60]Eine davon habe ich als Probe von der Kunstfertigkeit der Nyfe-Neger mit nach Europa gebracht; sie befindet sich jetzt nebst einer ebendaselbst gefertigten Hose, die, ich später eingliefert, in der ethnologischen Abtheilung des königlichen Museums in Berlin.


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