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ZWEITES KAPITEL. VON WEIMAR ÜBER PARIS, MARSEILLE, MALTA NACH TRIPOLIS.

Der Reisende vertritt die Afrikanische Gesellschaft in deren Auftrage bei dem Leichenbegängnisse Petermann's zu Gotha. - Abreise nach Paris. - Die Geographische Gesellschaft daselbst und die Chauvinisten. - Auf dem Dampfer "Assyrien" von Marseille nach Malta. - Viele Geistliche, hauptsächlich französischer Nationalität, am Bord. - Am 18. October Ankunft im Hafen von Valetta. - Der auf kaiserliche Kosten zu Berlin erzogene Neger Henry Noël. - Die Freihafenstellung Valettas trug nicht zur Hebung der Stadt bei. - Die grundlosen Klagen der Malteser über die englische Regierung. - Die günstigen klimatischen Verhältnisse Maltas. - Die Malteser ein Mischvolk verschiedener Nationalitäten. - Die Freundlichkeit des italienischen Consuls, Herrn Ferro, und seines Secretärs, Herrn Attard. - Die grössere Bedeutsamkeit der Nordhälfte des Atlantischen Oceans im Verhältniss zum Mittelmeer. - Durch den Besitz Gibraltars, Maltas, Cyperns sank das Mittelmeer zu einem grossen Strom Englands herab. - Die das Mittelmeer umwohnenden, für Bildung unempfänglichen Völker, Italiener jetzt ausgenommen. - Die durch den Kanal von Suez wachsende Bedeutsamkeit des Mittelmeers. - Frankreich erwarb sich durch die Froberung Algeriens hohe Verdienste um die Civilisation am Mittelmeer. - Es kommt die Zeit, wo die Cultur vom Norden über Marokko, Tunis, Tripolis unaufhaltsam zum Süden vordringt, zunächst durch Franzosen, Italiener, Spanier. - Was sagt England dazu? - Irrthümliche Auffassung der Engländer, dass dadurch ihr Handel Einbusse erleide. - Ankunft im Hafen von Tripolis.

Am 5. October 1878 entliess uns in Berlin die geographische Gesellschaft. Ein Abschied ist nie leicht, aber diesmal wurde derselbe besonders schmerzvoll, da einige Tage vorher die Nachricht von Petermann's Tode einlief. Die Geographische Gesellschaft beauftragte mich, dieselbe bei der Beisetzung des grossen gothaer Geographen zu vertreten; eine traurige Aufgabe, die ich ohnedies auch erfüllt haben würde, welche aber jetzt, so unmittelbar vor der Abreise, für mich tief ergreifend war. Hatte doch von allen Reisenden keiner dem Verschiedenen so nahe gestanden wie ich, hatte vielleicht niemand so viele gute Rathschläge, so viele moralische Unterstützung von ihm erhalten wie ich, und weiss vielleicht keiner mehr als ich, was er gelitten und wie er gekämpft haben mag, ehe er zu dem verzweifelten Entschluss kam, sich das Leben zu nehmen und so der Wissenschaft viel zu früh eine der besten Stützen zu entziehen. Friede seiner Asche!

Mein Begleiter, Dr. Stecker, verliess Weimar am 7. October, um vorauszueilen und in Paris Quartier zu bestellen - es war gerade die internationale Ausstellung -, während ich selbst mit meiner Frau am 8. October die Reise antrat.

In kühner Entschlossenheit hatte diese nicht gezaudert, der Heimat Lebewohl zu sagen, auf alle gewohnten Bequemlichkeiten, auf den Freundeskreis, auf die so ausgesuchten Kunstgenüsse in Weimar zu verzichten, blos um dem Manne ihrer Wahl näher zu sein, um noch einige Wochen länger mit ihm verbringen und namentlich um ihm während der Expedition nützlich sein zu können. Ich nahm das Opfer an, anfangs mit Zaudern, da ich von früher her wusste, dass in Tripolis wenig auf Comfort, auf Bequemlichkeit, ja nicht einmal mit Bestimmtheit auf ein passendes Logis zu rechnen sei. Ich vertraute in dieser Beziehung zwar auf die grosse Gastfreundlichkeit der eurepäischen Consuln, aber wie mancher war, seitdem ich vor zehn Jahren Tripolis besucht hatte, versetzt oder gar gestorben.

In Paris blieben wir nur so lange, um einer eigens veranstalteten Ausschusssitzung der dortigen Geographischen Gesellschaft anzuwohnen, welche noch einige für die Erforschung Afrikas. wünschenswerthe Punkte mit uns festzustellen beabsichtigte. Wie contrastirte das Benehmen der ersten geographischen Gesellschaft Frankreichs, der die grössten Gelehrten des Landes angehören, mit jenem in französischen Blättern kundgegebenen Gebaren chauvinistischer Schreier, welche in meiner Expedition "de la part de la Prusse" den Beginn eines militärischen Unternehmens zur Annectirung Tripolitaniens und zum Bau einer "preussischen Bahn" vom Mittelmeer nach dem Tschadsee erkennen wollten. Ja, einige Zeitungen[17] gingen in ihrem stupiden Treiben so weit, dass sie die französische Regierung aufforderten, mich durch Agenten überwachen zu lassen. Hätte sie mir nur eine militärische Ueberwachungscommission beigegeben!

Den bekannten Weg über Lyon nach Marseille legten wir mit dem gewöhnlichen Zug zurück, completirten in diesem Hafen, woselbst auch Herr von Csillagh und Karl Eckart aus Apolda zu uns stiessen, noch einiges an unserer Ausrüstung und gingen sodann an Bord des der Compagnie Freycinet zugehörigen Dampfers "Assyrien". Der Director hatte in liberalster Weise eine bedeutende Preisermässigung für die Mitglieder der nunmehr auf sechs Köpfe angewachsenen Expedition gestattet.

Der "Assyrien", zwar kein Dampfer wie diejenigen der Messagerie maritime (früher Messagerie impériale, eine Zeit lang auch Messagerie nationale genannt), war immerhin ein recht gutes Schiff. Langsam dampfte es aus dem Bassin Napoléon heraus, Marseille, die traurig ausschauende ehemalige kaiserliche Residenz und Notre Dame de la Garde entschwand bald unsern Blicken, und somit sagten wir auf lange Zeit, vielleicht auf immer, dem europäischen Festlande Lebewohl.

Die Fahrt bei ruhigem Meer, frühlingsmässiger Luft und in Gesellschaft interessanter Persönlichkeiten war sehr angenehm. Zu letztern gehörte mit Frau und Tochter Mr. Buggles, welcher im Auftrage der Vereinigten Staaten als Consul nach Malta ging, während bislang die Union sich dort nur durch einen Agenten vertreten liess. Ferner der Patriarch von Babylon, Monsignore Pantaleone, ein liebenswürdiger alter Herr, welcher Frankreich, England und Italien besuchte und nun auf seinen Posten zurückzukehren beabsichtigte. Dann verschiedene andere Religiöse, sogar malteser Mönche, die von England kamen, aber ihre Mönchskutten erst in Malta wieder anlegten. Merkwürdigerweise fand ich, so oft ich auf dem Mittelmeer fuhr - und meine Mittelmeerfahrten beziffern sich nach Dutzenden - stets die Dampfer mit einem zahlreichen Contingent religiöser Leute besetzt; wenigstens ein Drittel der Passagiere besteht zumeist aus Priestern und Nonnen. Und gewöhnlich gehören die den überirdischen Interessen sich Weihenden der französischen Nationalität an. Das ist ein beständiges Kommen und Gehen der Geistlichen zwischen Frankreich und dem Orient. Man sollte glauben, dass Italien, mit Rom als Centrum der katholischen Kirche, doch auch eine verhältnissmägsig grosse Anzahl reisender Priester stelle, das ist aber keineswegs der Fall, selbst auf italienischen Dampfern findet man ebenso viele französische wie italienische Geistliche. Es ist das auch ganz natürlich: nicht die Italiener sind die Propagandisten des Papstes, sondern die Franzosen; nicht Italien ist Protectorin des römischen Glaubens, sondern Frankreich. Nur vergesse man nie, dass Frankreich mehr als je ein anderes Land aus der römischen Religion eine politische Angelegenheit machte. Nicht Italien, wie das eigentlich viel naturgemässer wäre, sondern Frankreich ist officieller Beschützer der römisch-katholischen Kirche im ganzen Orient. Freilich, Italien konnte eine solche Rolle gar nicht spielen, weil, als Frankreich sie schon seit alters übernahm, die Apenninische Halbinsel noch kein politisches Ganzes bildete wie jetzt, und jetzt ist es zu spät. Frankreich beutet sein Amt denn auch aufs vortrefflichste aus: nicht für die römisch-katholische Kirche, sondern für sich selbst zieht es den Nutzen aus dem Schutzrecht im Orient. Deshalb ist es auch ganz einerlei, ob in Frankreich protestantische Männer an der Spitze der Regierung stehen, wie Guizot und Waddington, oder katholische: im Orient wird Frankreich im Einverständniss mit der Kirche immer dasselbe Ziel verfolgen. Aus diesem Grunde kann dort ein ernster Culturkampf auch gar nicht recht aufkommen, und es ist ganz einerlei, ob in Frankreich ein allerchristlichster Kaiser, ein allerchristlichster König, ein allerchristlichster Präsident oder ein allerchristlichster Communard regiert: unter allen Umständen geht man immer Hand in Hand mit der römischen Kirche, um im Orient und am Mittelmeer seines Einfluss nicht zu verlieren. Und selbst, als man in Frankreich eine Zeit lang die Kirche abgeschafft hatte, standen im Orient die französischen Missionen, sowie die Angehörigen der römischen Kirche in Asien und Afrika unter französischem Protectorat. Die augenblicklich aus Frankreich vertriebenen Jesuiten beschützt man im Orient.

Wir kamen bei der corsischen und sardinischen Küste vorbei, sahen abends, am zweiten Tage unserer Fahrt, die ferne Küste von Sicilien und kamen am 18. October abends um 7 Uhr in dem Hafen von Valetta an. Es dunkelte schon, und so verlockend die hell erleuchteten Strassen auch aussahen, zogen wir es doch vor, nachts am Bord zu bleiben, da wir eine Menge Handgepäck bei uns führten, dessen Ausschiffung und Ueberwachung zu grosse Mühe verursacht hätte. Am Bord aber tranken wir abends ein Glas auf das Wohl unsers ruhmvollen deutschen Kronprinzen.

Am andern Morgen früh ging das Geschäft des Landens mit ziemlicher Geschwindigkeit vor sich, dank dem deutscheu Consul Ferro, der mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit seinen Secretär, Herrn Attard, sowie seine übrigen Leute zur Verfügung gestellt hatte. Ohne solche officielle Unterstützung ist man in Malta fast so schlimm daran wie in den Häfen Nordafrikas und der Levante, wo ein entsetzliches Durcheinander gesticulirender, lärmender, halbnackter Bummler stattfindet, die sich um den Ankommenden und sein Gepäck streiten. Bald darauf waren wir denn auch mit der ganzen Expedition gut untergebracht im Hôtel de l'Europe, welches, mehr Pension oder Hôtel garni als gewöhnliches Hôtel, dem eleganten Opernhaus gerade gegenüber und dicht bei der Sanct-Paulsbastion liegt, von welcher aus man eine wundervolle Aussicht auf den vielbuchtigen Hafen geniesst.

In Malta schien sich unsere Reisegesellschaft noch um ein Glied vermehren zu sollen und zwar in der Person Henry Noël's, des Negers. Auf Befehl des Kaisers kam derselbe von Alexandria, um sich uns als Diener anzuschliessen. Henry Noël, den mir, wie sich die Leser meiner frühern Reiseberichte erinnern werden, im Jahre 1865 ein Sklavenhändler in Mursuk schenkte, der dann über Bornu, Bautschi, Keffi Abd n Senga, Lokodja, Ilori u. s. w. den Continent bis Lagos mit mir durchwanderte, wurde nach seiner Ankunft in Deutschland auf kaiserliche Kosten zu Berlin im Hause des Professors Strack aufs sorgfältigste erzogen. Als ich im Jahre 1873 die grosse deutsche Expedition nach Aegypten führte, musste Noël, der schon früher mit mir ausser jener ersten Reise auch den abessinischen Feldzug mitgemacht hatte, mich begleiten, weil er das rauhe Klima Norddeutschlands nicht vertragen konnte. Sei es nun, dass man ihm bei seiner Erziehung zu viel in den Kopf gesetzt, sei es, dass man diese überhaupt zu vornehm angelegt, oder sei es, dass seine Eitelkeit auf natürliche Weise sich steigerte - denn wie sollte ein junger Neger, da die Neger ohnedies schon eitler als die Weissen sind, nicht eitel werden, wenn er sich auf Schritt und Tritt bewundert sieht -, kurz, er zeigte schon damals bedenkliche Spuren von Hochmuth und überspannten Ideen. Aber im allgemeinen war er immer noch bescheiden und gefällig, und die mich nach Aegypten begleitenden Gelehrten wussten nicht genug dessen Zuvorkommenheit und liebenswürdigen Eigenschaften, sowie seine bei sonst tief schwarzbrauner Hautfarbe fast kaukasischen Gesichtszüge zu rühmen.

In der That war dieser junge Neger ein nach unsern Begriffen schöner Jüngling geworden, und manche Dame in Berlin erinnert sich vielleicht noch heute dieses Othello, der in den ersten Häusern der Residenz verkehrte und den man als flotten Tänzer überall gern auf Bällen sah. In Aegypten liess ich ihn zurück, anfangs bei amerikanischen protestantischen Missionaren, später unter Obhut des rühmlichst bekannten deutschen Predigers in Kairo, des Herrn Pastor Trautvetter. Gewiss verwandte man auf ihn, den man dazu bestimmt hatte, in die Cavassen-Carrière oder in die der Dolmetscher der deutschen Consulate einzurücken, alle mögliche Sorgfalt; aber es half nichts, es entwickelte sich bei ihm der Hochmuthswahnsinn bald zur höchsten Potenz.

Noël sollte auch diesmal auf Wunsch des Kaisers mich begleiten, aber die Mitnahme eines solchen Menschen war unmöglich. Gleich sein erstes Auftreten, als er am folgenden Tage mit dem französischen Dampfer von Alexandria kam, überzeugte mich, dass man es mit einem vollkommen Irrsinnigen zu thun hatte, und so konnte ich nichts anderes machen, als ihn zurückzusenden. Nur mit Mühe brachte man ihn nach Aegypten zurück. Er weigerte sich aber andererseits auch, mich zu begleiten, und schliesslich hat man ihn von Aegypten nach Ancona ins Irrenhaus bringen müssen, da sein Wahnsinn anfing, gefährlich zu werden.

So endete die kurze Laufbahn eines Negers, der zu den besten Hoffnungen berechtigte: ein warnendes Beispiel, Leute nicht herauszureissen aus einer Sphäre, für die sie bestimmt sind. Uebrigens ist bemerkenswerth, dass bei den Negern Wahnsinn äusserst selten vorkommt. Man wird nicht irre gehen, wenn man annimmt, dass von den Schwarzen neunzig Procent weniger an Seelenkrankheiten leiden, als die europäischen Weissen, und wenn bei erstern Wahnsinn zum Ausbruch kommt, dann äussert er sich nur unter der Form von Hochmuthswahnsinn. Meistens glauben sie, sie seien Könige, Zauberer, Feen, Gott, neue Propheten oder dergleichen, aber auch höchstens von zehntausend einer; nie aber habe ich Tobsüchtige bei den Schwarzen gesehen, während unter den Arabern schon bedeutend mehr Formen von Irrsinn zum Durchbruch kommen. -

Malta hat sich wenig, Lavaletta gar nicht verändert. Es ist wahr, einige Hotels bekunden, dass jetzt mehr Fremde nach der Honiginsel kommen; aber es sind das nicht etwa Geschäftsreisende, sondern solche, welche sich im Winter dort aufhalten, und die nur nach diesem, mit einem so köstlichen Klima gesegneten Eiland kommen, um den nebeligen Wintern in England aus dem Wege zu gehen. Man findet nur Engländer als Gäste.

Obschon Valetta Freihafen ist, kann man keineswegs behaupten, dass dies zur Hebung der Stadt beigetragen habe, wie denn überhaupt von den drei am Mittelmeer noch bestehenden Freihäfen Malta, Gibraltar und Triest nur der letztere einen bedeutend entwickelten Handel zeigt. Triest als Haupthafen, fast könnte man sagen als einziger Hafen eines Reichs von fast 40 Millionen Einwohnern, müsste aber heute unter andern Verhältnissen mindestens die doppelte Seelenzahl haben. Venedig fängt jetzt erst an, sich wieder zu erholen, seit es der Freihafenstellung, welche es unter österreichischer Regierung einnahm, verlustig ging; denn es lässt sich nachweisen, dass seit 1874 Aus- und Einfuhr in der Lagunenstadt einen neuen Aufschwung nahmen.

Malta ist übrigens zu unbedeutend, um irgend von den Vortheilen oder Nachtheilen einer Freihafenstellung beeinflusst zu werden. Die Tausende von Schiffen, welche in Malta einlaufen, kommen ja nicht der Insel wegen, sondern um frische Vorräthe, Wasser, Kohlen und manchmal auch um Proviant einzunehmen. Zoll haben die Malteser nur für einige Artikel, namentlich Korn, zu zahlen. Aber trotzdem die Steuern dort unbekannt sind, trotzdem man jede grösstmöglichste Freiheit geniesst, gibt es kein unzufriedeneres Völkchen als diese Malteser. Es gehört wahrlich die Geduld einer britischen Regierung, der abgehärtete Sinn der Söhne Albions dazu, die Verunglimpfungen zu ertragen, womit die Einwohner der Insel tagtäglich in ihren Blättern die englische Regierung überschütten. Und haben die Bewohner etwa Ursache zur Klage? Nicht die geringste.

Die Malteser zahlen keine Steuern, sie haben die weitgehendsten politischen Rechte, sie brauchen nicht als Soldaten zu dienen, sie reden ihre eigene Sprache, sie haben - abgesehen von manchen Eingriffen in civile Angelegenheiten der Bewohner und der Stadt, welche aber durch die Eigenschaft, die erste Festung des Mittelmeers zu sein, durchaus nicht vermieden werden können - das ausgedehnteste Selfgovernment, und dennoch! - - Wenn ich eben sagte, sie hätten nicht Ursache, unzufrieden zu sein, so haben sie jedoch nach ihrer Meinung gewiss eine, nämlich die, von einer protestantischen Regierung beherrscht zu werden, einem ketzerischen Staate anzugehören. Der Hass der Bewohner der Insel wird von den 1200 Geistlichen (auf 140 Einwohner kommt ein Geistlicher) stets wachgehalten, und namentlich die Landbevölkerung muss den fanatischen Befehlen und Einflüsterungen der römischen Geistlichkeit gehorchen, denn man denke nur, ein Viertel aller Landrenten befindet sich in den Händen der Miliz des Papstes. Das ist gerade wie in Kufra!

Dass unter solchen Verhältnissen die Insel Malta thatsächlich viel kleiner ist für die arbeitende Bevölkerung, als sie dies ohnehin bei so dichter Bevölkerung ist, liegt auf der Hand, und das hat denn auch seit Jahren zu einer starken Auswanderung geführt. Von Algier an aufwärts bis nach Alexandria findet man in allen afrikanischen Hafenstädten, oft auch im Innern des Landes ein starkes Contingent Malteser. Sie befinden sich meist in guter Stellung, ohne gerade reich zu sein. Werden sie begütert, so kehren sie zurück zu ihrer Insel der Glückseligkeit, welche ihrer Meinung nach den Mittelpunkt der Welt bildet.

Es wird sich gewiss manchem beim Lesen dieser Zeilen die Frage aufgedrängt haben: wenn die Malteser unter so ausnehmend günstigen Verhältnissen - abgesehen von der Uebervölkerung, welche eben zum Verlassen der Insel, zum Auswandern zwingt - sich befinden, was wünschen sie denn eigentlich? Im Grunde genommen wissen sie es wol selbst nicht; sie befinden sich eben in der Stimmung jener Leute, welche einen Regierungswechsel à tout prix wollen. Sie würden vorziehen, französisch zu sein, aber so vernünftig sind sie doch, um einzusehen, dass dies zu den Unmöglichkeiten gehört. Viele von ihnen, besonders die vornehme und italienisch sprechende Bevölkerung Maltas, haben irredentistische Gefühle, aber sie bekennen, dass Italien die Insel weder gegen England noch gegen Frankreich zu schützen im Stande wäre; zudem wissen sie, dass die Mehrzahl der Einwohner, namentlich die Landbewohner, nicht einmal eine mit Italien gemeinsame Sprache besitzt. Zu republikanischen Gefühlen hat sich in Malta, abgesehen von einigen wenigen, wol noch niemand verstiegen, aber einen grossen Wunsch haben alle: sie möchten patrimonial werden! Dieser ihr Wunsch kam so recht zum Ausdruck, als Pio nono zuerst seine eigene Gefangenschaft der römisch-katholischen Welt verkündete. Und als dann die Rede war von einem Verlassen Roms, von einer Flucht des Papstes, wie hofften da die Malteser, er würde nach Malta kommen und ihre Insel als Sitz seiner Herrschaft auserlesen.

Fast möchte man sagen, dies Sehnen nach geistlicher Herrschaft sei hervorgerufen durch eine sich forterbende Erinnerung an die Malteser-Ritter. Haben sie doch immer noch vor Augen den alten Palazzo und die verschiedenen Palazzi der Nationalitäten! Ist doch ganz Valetta selbst ein Product eines ihrer berühmtesten Grossmeister! Aber dieser Traum der Malteser, dass das Inselreich einst Sitz des Papstes werde oder gar, dass es in die Hände einer andern Macht käme, geht voraussichtlich nie in Erfüllung.

So lange Grossbritannien zur See die erste Macht der Welt ist, so lange wird das Mittelmeer und folglich auch Malta englisch bleiben. Für Frankreich ist es zu spät, jetzt noch aus dem Mittelmeer einen lac français zu machen.

Während unsers mehrtägigen Aufenthalts in Malta nahmen wir alles, was Stadt und Insel Sehenswerthes darbieten, in Augenschein: den Gouvernementspalast, die Bibliothek, die im Innern so prächtige Johannes-Kathedrale, den herrlichen Garten von San-Antonio, in dessen Gartenpalast, ehemals Villa der Grossmeister, die Herzogin von Edinburgh einen Winter zubrachte und hier ihrem Gemahl ihre Melita schenkte.

Wir gingen dem Ende des Monats October entgegen, und hier befand man sich wie im Frühling. In der That ist Malta eine von den gesegneten Inseln des Mittelmeers, wo der Winter absolut fehlt. Die geringste Wärme im Winter beträgt 10deg., während die durchschnittliche Temperatur 12deg. ist. Wunder nehmen muss es, dass auf einer so dicht bevölkerten Insel so wenig für gute Communication gesorgt ist. Die ehemaligen alten, den römischen Triumphwagen nicht unähnlichen federlosen Karren haben allerdings reizenden kleinen viersitzigen Droschken Platz gemacht, aber keine von den Ortschaften im Innern ist mit Valetta durch Post oder Omnibus verbunden. Man sprach seit Jahren davon, zwischen Citta vecchia und Valetta eine Pferdebahn herstellen zu wollen, die Kühnhoffenden redeten sogar von einer schmalspurigen Eisenbahn, aber es bleibt immer beim Project.

Inzwischen boten die Engländer alles auf, um Valetta, uneinnehmbar zu machen, und diese Festung sowie die dominirende Lage von Malta haben in der That etwas Achtunggebietendes. Ob aber, falls die englische Flotte nicht bei der Hand ist, um eine Landung an einem andern Theile der Insel zu verhüten, bei unsern heute so weit tragenden Geschützen Valetta uneinnehmbar wäre, wer würde das mit Sicherheit zu behaupten wagen?

Die Bevölkerung von Malta, bekanntlich entstanden aus einer Vermischung von Gott weiss wie viel andern Völkern, in deren Adern nicht nur Araberblut, sondern sicherlich auch Negerblut rollt - man denke nur an die Raubzüge der Malteserritter, welche ja fast nur gegen Afrika hin unternommen wurden -, hat seit dem Jahre 1800 eine starke Beimischung englischen, also angelsächsischen Blutes erhalten, denn jetzt liegt auf Malta eine ständige Garnison von mindestens 7000 Mann, ausser der Flotte, welche in der Regel durch einige Schiffe der Kriegsmarine vertreten ist. Aber abgesehen von hellhaarigen und blauäugigen Individuen, erhielt bisjetzt der Maltesertypus durch Beimischung der schönern Engländer keine Verschönerung. Die hässlichen Elemente in der Malteserbevölkerung: dunkelgelbe Hautfarbe, dicke Lippen, welche fast an die Wulstlippen der Neger erinnern, Kleinheit der Frauen wie bei den Arabern, viereckige Gesichter, sind zu stark ausgeprägt, als dass sie schnell absorbirt werden könnten. Kein Platz Europas sah in der That so viele vorübergehende Bvölkerungen wie Malta, nicht nur solche, welche, durch Beute gelockt, dahin kamen und zeitweise die Insel in Besitz nahmen, sondern auch auf den friedlichen Wegen des Besuchs und Verkehrs. Täglich laufen Dampfer von allen Herren Länder ein; nicht selten bleiben die Schiffe längere Zeit im Hafen liegen, und es bildet sich zwischen den Fremdlingen und Insulanern ein intimes Verhältniss. Mehr noch und von grössern Folgen wirken die Kriege der Neuzeit. Während des Krimkriegs und während des russisch-türkischen Kampfes standen monatelang ganze Regimenter fremder Nationalität, z. B. 1876 dicht bei Valetta indische Regimenter, im Lager. Alle diese im besten Mannesalter befindlichen Truppen lassen ihre Spuren zurück, sodass man wol behaupten darf, Malta habe die gemischteste Bevölkerung von ganz Europa.

Am Abend vor unserer Abreise mit dem italienischen Dampfer "Lombardia" besuchten wir noch das Opernhaus, wo "Norma" von einer italienischen Gesellschaft recht gut gegeben wurde. Sodann verabschiedeten wir uns von unserm Consul, der uns während der ganzen Zeit unsers Aufenthaltes auf Malta in aufopferndster Weise beistand und sich namentlich bei unsern Einkäufen mit Rath und That betheiligte. Freilich hatten wir viel zu besorgen. Die feinern Provisionen, wie Gemüse und Fleisch in Blechbüchsen (mit Genugthuung constatire ich, dass die vorzüglichen Gemüse aus einer lübecker Fabrik stammten, wie denn überhaupt manche deutsche Waare ihren Weg nach Malta gefunden hat), Handwerkszeug, Munition, Spiritus, Kaffee und Thee, Reis und Zucker u. s. w. wurden hier erst besorgt. Und in Malta ist es keine leichte Sache, zu kaufen, da die Bewohner, welche bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts von Piraterie lebten, dies Handwerk jetzt auf eine Art fortsetzend die zwar minder gefährlich ist, aber doch oft den Geldbeutel des Reisenden stark in Anspruch nimmt. Unser guter Consul und sein Secretär, Herr Attard, schützten uns aber stets vor den Prellereien der Malteser. Es gibt nur ganz wenige Magazine mit wirklich reellen Verkäufern, wo man dann nicht um den Preis der Waare zu feilschen braucht.

Die "Lombardia" war ein recht guter Dampfer, und nach einer Fahrt von vierundzwanzig Stunden hatten wir das Südende des Mittelmeeres, das Nordende Afrikas erreicht.

Unerfreulich ist doch der Gedanke an die weitgestreckten, so lange Zeit der Barbarei preisgegebenen Küsten dieses Culturbeckens. Man kann wohl sagen, die grössere Länge der Gestade des Mittelmeeres erfüllt heute ihren Zweck nicht, denn die Ufer der Türkei, Syriens, Palästinas, die Ufer von Aegypten bis nach Algerien, die Küste von Marokko, was produciren sie? Nichts, gar nichts, wenn man sie mit den Gestaden anderer Länder, mit denen von Frankreich und Italien vergleicht. Man kann mit Recht behaupten, dass dieses Civilisationsbecken, dieses Centrum der alten Welt jetzt ganz seinen Nimbus eingebüsst. Das Mittelmeer und die um dasselbe wohnenden Völker geben heute nicht mehr den Ton an für die übrigen Völker der Erde. Die Geschicke der Welt drehen sich heute nicht mehr um Rom und Konstantinopel. Die Phrase, welche zu Napoleon's I. Zeit Sinn zu haben schien: der Herr Konstantinopels ist Herr der Welt, ist heute eine leere. Heute kann vom Mittelmeer aus niemand mehr die Welt erobern; die Zeiten Roms, Athens und Aegyptens sind längst vorüber. Auch die hierarchische Weltherrschaft, welche die altkaiserlichen Zeiten ablösen sollte, gehört zu den überlebten Institutionen. Trotz der Unfehlbarkeit, trotz der Jesuiten ist die Weltherrschaft des Papstes ein überwundener Standpunkt. Die gewaltigen Anstrengungen können den Zerfall einer auf Absolutie gegründeten Kirche wol um einige Jahrhunderte hinausschieben, aber nicht ganz verhindern.

Wir leben heute in andern, viel grossartigern Verhältnissen, und die Stelle, welche einst das Mittelmeer hinsichtlich der Cultur einnahm, wird heute von der Nordhälfte des Atlantischen[18] Oceans behauptet. In die grossen Culturfragen der Neuzeit greift, abgesehen von Italien, kein am Mittelmeer lebendes Volk mit ein. Es ist möglich, dass sich dies noch einmal wieder ändert, dass sich die Spanier, die den Balkan umwohnenden Völker ermannen, sich dem verdummenden Einfluss ihrer specifischen Kirche entziehen, augenblicklich ist es aber nicht der Fall, und von den Barbaren Nordafrikas kann in dieser Beziehung gar nicht die Rede sein. Die Zukunft gehört vorläufig den dem Protestantismus huldigenden germanischen Völkern an beiden Seiten des nordatlantischen Oceans. Dieser ist in unsern Tagen das Mittelmeer im vergrösserten Massstabe.

Durch die Besitzergreifung Cyperns seiten Englands ist heute das Mittelländische Meer thatsächlich zu einem grossen Strom Englands herabgesunken. Allerdings lassen sich unsere schnellen und um Wind und Strömung sich nicht kümmernden Dampfer das Mittelmeer durch die Festung Gibraltar nicht verschliessen, wie man zuweilen irrthümlich annimmt. Aber was lässt sich mit einer Panzerflotte, Gibraltar im Rücken, nicht alles machen? Durch eine dort concentrirte starke Flotte ist sicher die Absperrung zu Wege gebracht. Wir begreifen daher vollkommen die Idee der Franzosen, einen für Kriegsschiffe befahrbaren Kanal vom Golf von Biscaya bis zum Golf von Lyon herzustellen. Und sie haben, so lange England eine so prädominirende Stellung im Mittelmeer einnimmt, nicht nur das Recht, sondern die Verpflichtung dazu.

Man bedenke nur, Malta im Centrum des Mittelmeers, im Osten Cypern und im Westen Gibraltar, diese drei Hauptpunkte in der Hand der grössten Weltmacht, welches Uebergewicht erlangt dadurch auf dieser Stelle der Erde Grossbritannien! Und es scheint, als ob ihm keine dabei interessirte Macht den Besitz streitig machen würde.

Alle Völker, welche um das Mittelmeer wohnen, im Norden die römischen Katholiken, im Süden die Mohammedaner, sind in den Banden von Religionen, welche keine Cultur und keinen Fortschritt gestatten, und ohne diese gibt es keine Macht heutzutage. Die rohe Gewalt siegt heute nicht mehr, sondern das Wissen. Das Volk, welches am meisten weiss, wird das herrschende und starke sein, nicht das, welches am meisten glaubt. Das Volk, welches die besten Schulen hat, wird sich am unbesieglichsten erweisen. Die Zeiten der vielen Kirchen und Schlösser sind vorüber, heute baut man mehr Schulen und Museen, denn lernen wird der Mensch immer, die Wissbegier lässt sich nicht mehr eindämmen.

Es ist nicht zu leugnen, dass durch die Eröffnung des Kanals von Suez das Mittelmeer ebenfalls eine neue und erhöhte Bedeutung gewonnen hat. Eigene Dampferlinien sind entstanden, und im Jahre 1878, als wir in Tripolis uns befanden, passirten den Kanal über 1500 grosse Dampfer, deren Bedeutung erst dann ins Auge springt, wenn man erfährt, dass dieselben einen Gehalt von 3,248600 Tonnen repräsentiren. Wäre der Suezkanal nicht eröffnet worden, so hätte England vielleicht Cypern nicht genommen. Aber die Bedeutung des Kanals für den englischen Handel wird erst klar, wenn man erwägt, dass England durch den Kanal viermal mehr Schiffe gehen lässt, als alle andern Nationen zusammen. Nicht der Besitz von Konstantinopel ist gegenwärtig für England von weittragender Bedeutung, sondern der des Suezkanals, und auch die Besitzergreifung Aegyptens seiten Englands ist wol nur noch eine Frage der Zeit. Sollte nicht die Annectirung von Cypern die blosse Einleitung dazu gewesen sein?

Man muss eben die Verhältnisse nehmen, wie sie sind. Warum haben die am Mittelmeer wohnenden Völker den Handel Englands so überhand nehmen lassen? Jetzt nach Vollendung der Thatsachen lässt sich nichts dagegen machen, und niemand, der die Dinge unparteiisch beurtheilt, wird es einem Lande verdenken können, seine Interessen oder die seiner Angehörigen zu schützen. Am allerwenigsten aber werden sich die Mohammedanischen Völker, welche am Mittelmeer wohnen und nichts thaten für Cultur und Civilisation, sondern bis in die neuere Zeit von Raub und Mord ihr Dasein fristeten, beklagen können, wenn man sie von den Ufern zurückdrängt.

Es ist in der That unbegreiflich, wie bis zu unsern Zeiten an diesem alten Culturbecken, von wo einst durch die hoch civilisirten Aegypter, Griechen und Römer die Menschheit zuerst die Segnungen humaner Ideen erhielt, jene asiatischen Barbaren im Besitze der schönsten Länder der Erde bleiben konnten! Was machten sie z. B. aus Syrien, Palästina und den hundert kleinen und grössern Inseln des Mittelmeers? Und wie haben jene asiatischen Semiten den ganzen Nordrand von Afrika verwüstet? Dort, wo einst Wälder standen und das Klima so feucht war, dass Elefanten existiren konnten, finden wir jetzt vermengte Einöden!

Neidlos müssen wir es anerkennen, dass die Franzosen, die in jüngster Zeit so Grosses in cultureller Beziehung am Mittelmeer schufen - ist Lesseps, der Erbauer des Suezkanals und Schöpfer der Idee dazu nicht ein Sohn Frankreichs? - sich durch die Eroberung Algeriens ein Verdienst um die ganze Menschheit erwerben. Aber warum gingen sie nicht noch einen Schritt weiter und vertrieben die asiatischen Eindringlinge? Warum drängten sie nicht, wie ihnen Ernst Renan anrieth, jene semitischen Räuber dahin zurück, woher sie gekommen: in die Wüste? Hat eine funfzigjährige, von den Franzosen speciell in Algerien gemachte Erfahrung nicht genügt, um zu beweisen, dass man jene Menschen nicht civilisiren kann, weil sie nicht civilisirt werden wollen? Bewies nicht die Erfahrung mehrerer Jahrhunderte, dass die Türken und Araber am Mittelmeer mit europäischer Cultur nichts zu thun haben wollen?

Gewiss besässe man schon manches Land im Norden von Afrika, wenn England nicht wäre, welches seiner commerciellen und politischen Interessen wegen der geborene Schutzherr der Mohammedaner und aller Mohammedanischen Staaten ist. Man erinnere sich nur, mit welchen Mitteln aller Art England sich dem so hoch civilisatorischen Werke der Eroberung Algeriens seiten Frankreichs widersetzte, und dass es, als die Spanier nach der Eroberung von Tetuan auf Fez marschiren wollten, der spanischen Armee ein Halt zurief. Nicht die einzelnen Engländer hegen für Mohammedaner, für Türken und Araber Sympathien, im Gegentheil, die Engländer als Individuen sind viel zu hoch gebildet, um für jene rohen Horden Theilnahme zu besitzen. Es ist immer nur die Regierung.

Aber hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo Marokko, Tunis und Tripolis europäischen Mächten anheimfallen, um dann einer bessern Zukunft entgegenzusehen.

Die einstmals so blühenden Städte Karthago, Cyrene, Leptis, Caesarea und andere werden dann zu neuem Glanze emporblüben. Es kann das aber nur geschehen, wenn die am Mittelmeer gelegenen Länder eine gemeinsame Action nach dem auf sie wartenden Süden unternehmen. Erst wenn Spanien die ihm gegenüberliegende Küste des Mittelmeers, wo es ja jetzt schon Besitzungen hat, einnimmt; wenn Frankreich seine an der Nordküste Afrikas gelegene Colonie abrundet und Italien sein ihm zu Füssen liegendes Land aufhebt: dann erst beginnt für jene Länder eine neue Periode des Glücks. Diese Zeit kommt, und England wird dann erkennen, dass es durch Beziehungen mit civilisirten Ländern in seinem Handel keine Einbusse erleidet. Denn in seiner politischen Machtstellung fühlt England sich doch wol sicher genug. Es hat ja jetzt drei Gibraltar im Mittelmeer oder drei Malta, denn diese Festungen können ohne Unterschied, was Stärke anbetrifft, ihre Namen sich leihen. Falls man in England jenes nicht glauben will, so consultire man die Importe englischer Waaren und Erzeugnisse nach Algerien. Man vergleiche den Import und Export unter türkischer Herrschaft mit dem gegenwärtigen. Schon ein oberflächlicher Vergleich dieser directen Wechselbeziehung Englands und Algeriens wird genügen, das eben Gesagte zu bestätigen.

Derartige Betrachtungen halfen mir die Zeit verkürzen, und schneller als wir dachten, lag die "Lombardia" im Hafen von Tripolis.

[17] Erst kürzlich brachte eine französische Zeitung, deren Inhalt im "Bremer Courier" abgedruckt war, wieder die Nachricht - ich sass schon seit Wochen ruhig in Weimar -: "Der Afrikareisende G. Rohlfs durchreist augenblicklich Tunesien, um für die italienische Regierung die Annectirung der Regentschaft zu betreiben." Und 1870, als ich während des deutsch-französischen Kriegs mit Henri Duveyrier in Schlesien ein Glas Bier trank, wurde im selben Augenblicke der Afrikareisende Junker in Batna ins Gefängniss geworfen, weil die Franzosen sich in den Kopf gesetzt hatten, ich revolutionäre ihre Colonie. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn die französischen Zeitungen mich in nächster Zeit wieder nach einer andern Gegend expediren, während ich ruhig in Deutschland sitze und meine Erlebnisse zu Papier bringe.

[18] Man sollte der Südhälfte des Atlantischen Oceans, d. h. dem Theil desselben, welcher südlich von einer Linie liegt, die man sich gezogen denkt zwischen Cap Palmas und Cap San-Roque, einen andern Namen geben.


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