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SECHSTES KAPITEL. SOKNA.

Einzug in Sokna. - Der zwischen den Oertern Sokna und Hon ausgebrochene blutige Streit. - Die aus Arabern und Berbern gemischte Bevölkerung. - Die besondern Eigenthumsverhältnisse in den Oasen der Sahara. - Der Gouverneur von Fesan erscheint mit Truppen, um von beiden Oertern wegen Friedensbruches die Gelder einzutreiben. - Der Reisende muss abermals über die Truppen eine Parade abnehmen. - Mohammed Gatroni, der frühere treue Diener Barth's, Duveyrier's und des Reisenden. - Ali, der Sohn Gatroni's, tritt in den Dienst der Expedition und bewährt sich ebenso treu wie der Vater. - Die durch den Samum bewirkten eigenthümlichen elektrischen Erscheinungen. - Ausflug nach Hon und Uadan unter Begleitung des Scherif und Schich Ibrahim von Uadan. - Ibrahim beschwert sich, dass man auch die Schürfa (Mehrzahl von Scherif) besteuern wolle. - Unterwegs Spuren des Kampfes zwischen Sokna und Hon. - Die Einwohner Hons sehen mit Verachtung auf die zu Fuss Ankommenden. - Uadan, die älteste Stadt der Oase Djofra. Die Neugier und Zudringlichkeit der Einwohner Uadans, die nie einen Europäer sahen. - Der für einen Heiligen gehaltene verrückte Knabe. - Der Italiener Francesco Guida, jetzt Abdallah geheissen. - Rückkunft in Sokna. - Dr. Stecker besucht den Lochmani-Berg, der Reisende den Garat Tschausch. - Das Haus des Reisenden der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. - Die Stadtverordneten bitten den Reisenden um Vermittelung bezüglich der wegen Hons auferlegten Strafgelder. - Eine Deputation der Soldaten von Fesan bittet um Verwendung wegen des seit einem Jahre rückständigen Soldes. - Die Offiziere versuchen beim Reisenden eine Anleihe mit Anweisung auf ihren rückständigen Sold. - Ein Faki Lehrer des Reisenden in der Sokna-Sprache. - Reichliche Lebensmittel. - Die Frühlingsfeier. - Das Fest des Propheten.

Das war ein wirklich glänzender Aufbruch am 24. Januar, als wir aus dem Palmenhain Ain Hammam in die Ebene hinauszogen, welche wie zu einem Rennen geschaffen erschien: harter mit feinem Kies bedeckter Boden! Man sah es der Cavalerie an, dass sie oft derartige Phantasias zu veranstalten pflegte, und die eben noch halblahmen oder halbverhungerten Pferdchen schien ein elektrischer Funken zu durchzittern. Sie wurden schön, denn jetzt war Feuer in ihnen. Die funfzig Reiter rangirten sich auf einer Linie und zwar auf einer ziemlich geraden, der Oberst auf der linken, und auf den Ruf: "Ialla ia Uled", ("Auf Söhne!") stürzte nun alles davon ventre à terre. Auf ein zweites Zeichen machten sie halt, nachdem sie etwa einen halben Kilometer dahingestürmt waren, und jeder versuchte seine Flinte abzufeuern. Alle ritten sodann langsam zurück, aber aus dem sich nun formirenden Haufen sprengten immer wieder drei oder vier heraus, entweder nach vorwärts oder auf uns Kamelberittene zu, dabei schiessend und ihr Reitertalent zeigend. Dazwischen tanzten unsere eigenen Leute herum und hatten ihre Freude daran, aus den Doppelflinten schnell hintereinander kolossal tönende Doppelsalven zu geben. Dass an dem Tage nicht einige Läufe sprangen, muss als ein grosses Wunder betrachtet werden. Die Phantasia erreichte aber ihren Höhepunkt, als bald darauf eine grosse Deputation, theils berittene Leute, theils Fussgänger, aber alle mit ihren Festgewändern angethan, aus Sokna kam. Man hätte glauben können, es fände eine Schlacht statt, so gross war die Pulververschwendung. Das gehört indessen dazu, und je mehr Pulver einer verbrauchen lässt, desto höher steigt er im Ansehen der Untergebenen.

So erreichten wir Sokna, wo wir einen längern Aufenthalt nehmen wollten, theils um hier die kaiserlichen Geschenke abzuwarten, theils wegen des weitern Vordringens nach dem Süden Beschluss zu fassen. Hier musste ich mich nun entscheiden, ob ich den Weg durch Fesan und Borgu, oder den direct von Sella gerade südwärts führenden, oder endlich den über Audjila, Djalo, Kufra und Uadjanga wählen sollte.

Vor allem aber mussten wir nun daran denken, eine Wohnung zu erhalten; ich konnte zwar, auch, wie der Oberst, mit meinen Leuten ein Lager beziehen, aber da wir den Aequinoctien entgegengingen, wo die häufig eintretenden Stürme nicht unerheblich die ohnedies schon unangenehme Situation des Zeltlebens erhöhen, hätte ich aus unumgänglichen Rücksichten in der Nähe der Cavalerie lagern müssen, was ich nicht wollte, zumal wir von einem Tage auf den andern der Ankunft von zwei Compagnien Infanterie entgegensahen. Der Gemeindevorstand aber und nicht minder der Kaimakam, der doch als ein neuer mit uns zugleich eingetroffen war, schien über der Ankunft des Obersten mit seiner Cavalerie ganz die meine vergessen zu haben. Und als man endlich an mich dachte, stellte man ein so elendes und kleines Haus zur Verfügung, dass ich mit meiner zahlreichen Gesellschaft keinen Platz darin finden konnte. Unwillig über diese Unaufmerksamkeit, befahl ich ruhig, ohne mich auf lange Erörterungen einzulassen, die Richtung nach Hon einzuschlagen. Das wirkte wie Zauber. Die Soknenser, welche sahen, dass ich nach der Stadt ziehen wollte, mit der sie gerade in Krieg lagen, fürchteten nicht nur durch meinen Abzug eine pecuniäre Einbusse zu erleiden - denn wir zahlten Wohnung, Lebensmittel u. s. w. gleich baar und zwar zu hohen, meist doppelten Preisen -, sondern meinten auch, und wol nicht mit Unrecht, dass ich durch meine Gegenwart das Ansehen ihrer Feinde, der Honenser, bei der türkischen Regierung vermehren würde. Wir hatten also noch lange nicht den Palmenwald Soknas verlassen, als auch schon der Kaimakam und der ganze Gemeindevorstand herbeigeeilt kam mit der Bitte, umzukehren: eins der grössten Gebäude stände zu unserer Aufnahme bereit.

Das war auch in der That der Fall: wir bekamen in einer der besten Strassen Soknas, im vornehmsten Quartier der Stadt, ein so geräumiges Haus, dass die ganze Expedition bequem darin ein Unterkommen fand.

Die Zeit unserer Ankunft in Sokna war insofern merkwürdig, als gerade ein seit einigen Wochen zwischen den Bewohnern Soknas und Hons ausgebrochener Streit zum Austrag gebracht werden sollte. Dieser Streit, ein Krieg im kleinen, hatte aber solche Dimensionen angenommen, dass im Gefecht bei Kessir, am 16. December 1878, 18 Mann fielen und über 60 verwundet wurden. Seit dieser Zeit nun, d. h. seit einem Monat, fanden stets Reibereien zwischen den beiden Orten statt, und keiner traute sich, das Weichbild des andern zu betreten: wenn entdeckt, wäre es um ihn geschehen gewesen. Factisch bestand also noch immer der Krieg.

Die Verhältnisse in allen Oasen sind bezüglich des Eigenthums so besonderer Art und so wenig von frühern Reisenden in den Bereich ihrer Betrachtungen gezogen, dass es sich wol verlohnt, einen Augenblick dabei zu verweilen. In Sokna speciell kommt noch hinzu, dass die Einwohnerschaft eine aus Berbern und Arabern gemischte ist.

In allen Oasen der Sahara liegen die Verhältnisse derart, dass ein Individuum den Boden selbst, als ererbt oder erkauft, zu eigen besitzen kann, dass aber die Bäume, also vorzugsweise die Palmen, einem ganz fremden Menschen oder vielleicht der Regierung oder der Geistlichkeit oder dem Gemeindevorstand gehören. Sie sind dann vom ursprünglichen Eigenthümer vererbt, verschenkt oder verkauft. Es existiren darüber nun zwar ganz bestimmte und sogar schriftlich fixirte Regeln und Herkommen, aber bei dem eigenmächtigen, nach Freiheit dürstenden Charakter liegt es auf der Hand, dass es an vielen Ueberschreitungen nicht fehlen kann. Und vom Worte kommt es in diesen Gegenden nur zu leicht zur That und von dieser zu einer blutigen Auseinandersetzung, denn jeder geht bewaffnet.

Nun kommt noch die Berieselungsfrage hinzu. Wenn in Sokna und Djofra überhaupt die Palmen so tief wurzeln, dass sie die allgemeine Wasserschicht mit eigener Kraft erreichen, so bedürfen doch alle übrigen Gewächse: Weizen, Gerste, Hirse, Mais, Rüben, Kohl, Tomaten, Eierfrüchte, Zwiebeln, Knoblauch etc. einer künstlichen Bewässerung. Und wenn diese auch nicht, wie in andern Oasen, z. B. in Rhadames oder Siuah, vermittelst einer Quelle bewerkstelligt wird, wobei die Benetzung der Beete durch eine Wasseruhr für jeden Consumenten geregelt ist, sondern durch Ziehbrunnen, so gibt andererseits der Zeitpunkt zur Bewässerung wieder leicht eine neue Veranlassung zum Hader. Hier will vielleicht der Bodenbesitzer, um seinen Weizen und seine Tomaten zu zeitigen, eine öftere Berieselung der Felder anbringen, als es der Palmbaumeigenthümer für zuträglich hält, dort der Eigenthümer der Dattelbäume seine Früchte einheimsen, was der Bodeneigenthümer, weil ihm seiner Meinung nach die Culturen dabei zerstampft würden, zu verhindern sucht. Die Sache verschärft sich noch durch den Umstand - für Sokna wenigstens -, dass zwischen den Ureinwohnern von Sokna und den Eindringlingen, den Arabern, besondere Verhältnisse obwalten. Die Araber können nämlich überhaupt keinen Grund und Boden erwerben - die türkische Regierung hat nicht gewagt, an diesen localen Verhältnissen zu rütteln -, auch selbst nicht durch Erbschaft. Es besteht allerdings eine Verschwägerung zwischen den berberischen und arabischen Familien, welche aber nach dem auch von den Arabern anerkannten Gesetze so geregelt ist, dass die Nachfolger von einem Berber als Berber gelten, selbst wenn sie mit einer arabischen Frau gezeugt sind. Und ebenso verhält es sich mit den Arabern. Ein Araber, der z. B. eine soknensische Berbertochter heirathet und Kinder mit ihr zeugt, bekommt eine arabische Descendenz, welche aber nicht berechtigt ist, Grundeigenthum zu erben, da es, wenn es vorhanden ist, an die Seitenverwandtschaft der Berberfamilie zurückfällt, die bei der allgemeinen Verschwägerung immer vorhanden ist. Aber Bäume sowol durch Kauf als durch Erbschaft darf dem Gesetze gemäss der Araber erwerben. Heirathet er eine reiche Berbertochter, welcher nach dem Tode ihrer Aeltern ein ganzes Besitzthum zufällt, so kann er nie in die Eigenthumsrechte der Gärten ihrer Aeltern, wol aber in die der darin befindlichen Bäume treten. Man wird zugeben, dass bedeutende Complicationen aus diesen Verhältnissen entstehen können.

So entsprang der Grund des Streites und Kampfes zwischen Hon und Sokna aus der Frage, wem ein grosser Palmenwald und wem die darunter gelegenen Gärten, Kessi genannt, gehören sollten.

Bald nach unserer Ankunft kamen dann auch die Truppen von Mursuk an, und mit ihnen der Mutassarif, d. h. der Gouverneur von Fesan.

Die Truppen selbst gehörten zur regelmässigen Armee, auch der Kadhi von Fesan war erschienen, damit die Beilegung des Streites einer richterlichen Basis nicht ermangele. Natürlich begann man zuerst damit, beiden Städten wegen Friedensbruchs ziemlich hohe Strafgelder aufzuerlegen, sodann wurden die Sühnegelder fixirt, und da bei den Honensern sechzehn, bei den Soknensern nur zwei Getödtete in Berechnung kamen, so standen sich erstere sehr gut, denn für jeden Todten mussten die Gegner 1000 Mahbub, d. h. 4000 Frs. zahlen. Die Honenser hatten mithin 14000 Mabbub von den Soknensern zu bekommen. Dass aber diese Bestimmungen zahlreiche Intriguen, viele Bestechungen veranlassten, braucht wol kaum gesagt zu werden. Und da nun einmal die ausserordentliche Militärmacht in der Oase war, benutzten Offiziere und Beamte die Gelegenheit, nicht nur Extrasteuern und Steuern mit Gewalt im voraus einzutreiben, sondern es wurde auch wieder einmal eine "Jana", d. h. eine freiwillige Zwangsanleihe ausgeschrieben, um dem Beherrscher der Gläubigen im Kampfe gegen die "Musku", wie man die Russen nennt, zu unterstützen. Dass man die Jana nicht nach Konstantinopel schickte, versteht sich wol von selbst.

Auch hier musste ich wieder, was nicht zu vermeiden war, eine Parade über die Truppen abnehmen, und der Glanz derselben verstärkte sich noch dadurch, dass Tamboure und Trompeter sowol während der eigentlichen Parade, als später während meines Aufenthalts im Zelte beim Mutassarif, wo der übliche Kaffee getrunken wurde, durch musikalische Genüsse die Feier erhöhten. Der Mutassarif, Ali Bei, ein Araber vom Stamme der Alauna, hatte schon seit geraumer Zeit den Posten als Gouverneur von Fesan inne, was er zum Theil seiner Verheirathung in die reiche Familie der Ben Alua von Mursuk hinein, zum Theil seinen Geschenken an Geld oder Sklaven verdankte, die er dem jeweilig neuen Generalgouverneur von Tripolitanien überschickte. Auch jetzt war er wieder daran, Gelder für Mahmud Damadh einzusammeln. Da aber der Wechsel der Generalgouverneure von Tripolis von jetzt an mit telegraphischer Geschwindigkeit vor sich ging, so erlag er bald nach unserer Abreise seinem Schicksal: er wurde abgesetzt.

Inzwischen hatten wir uns in Sokna ganz häuslich eingerichtet und unsere regelmässige tägliche Beschäftigung aufgenommen. Im Bestande der Expedition trat aber insofern ein Wechsel ein, als Herr von Csillagh dieselbe verliess und mit mehrern Dienern und sechs Kamelen nach Mursuk zog, von welchem Ort er eventuell nach Bornu ziehen oder über Rhadames zurückkehren wollte. Wir andern machten uns aber auf einen mehrwöchentlichen Aufenthalt gefasst, da wir auf alle Fälle hier die Geschenke des Kaisers abwarten wollten. Wenn nun das Personal der Expedition in seinem Bestande durch den Abgang des Herrn von Csillagh eine Verminderung erfuhr, so bekam dasselbe andererseits einen Zuwachs durch Ali ben Mohammed el Gatroni.

Allen denen, welche sich mit der Entdeckungsgeschichte Nordafrikas befasst haben, wird Mohammed el Gatroni, der treue Diener Barth's, bekannt sein, welcher später mit Duveyrier reiste, dann mich nach dem Tschad-See begleitete und später mit Dr. Nachtigal wieder auf Reisen ging. Derselbe nun hatte einen Sohn, der in seiner frühesten Jugend bei Nachtigal als Kameltreiber angestellt war.

Eines Tages, als ich unsere Wohnung verliess, um in die Palmenwälder zu gehen und zwar in Begleitung verschiedener Diener, welche das oft sehr lästig fallende Volk abhalten sollten, drängte sich ein junger, sehr ärmlich gekleideter Bursche heran und fragte schüchtern: "Kannst du mir nicht sagen, wie es Edris Efendi[36] geht?" - "Ganz gut, mein Sohn." -"Weisst du nicht, ob er in Tripolis ist? ich möchte ihn gern aufsuchen." - "Das geht nicht, er ist weit weg, in Berlin, im Lande Brussia, mitten unter den Christen." - "Ach, wie schade, ich bin eigens deshalb von Fesan hierhergekommen." Eine Zeit lang ging er schweigend neben mir her, und einer meiner Diener fing an, ihn zu schelten und wollte, in der Meinung, er belästige mich, ihn gerade von meiner Seite wegziehen, als er wieder zu fragen begann: "Und kannst du mir nicht sagen, wo Mustafa Bei sich aufhält?" Ich sah ihn jetzt schärfer an, und wie ein Blitz kam mir der Gedanke: das muss ein Sohn des Gatroni sein, denn ebenso hässlich wie der Alte sah er aus, nur jung war er. "Das bin ich selbst", erwiderte ich schnell, "aber bei Gott, du musst der Sohn von Muhammed Gatroni sein!" -"Ja, das bin ich, und schon seit drei Tagen warte ich vor deiner Thür, deine Diener wiesen mich aber immer ab, und auf meine Fragen, ob du nicht Mustafa Bei seiest, erwiderten sie stets Nein; ich hatte schon die Absicht, wieder fortzugehen, um dem Vater zu sagen, unter den neuen Fremden sei weder Edris Efendi noch Mustafa Bei, aber jetzt bleib ich bei dir, und wohin du gehst, geh ich auch." - Diese in Hast gesprochenen Worte verkündeten zugleich die Freude, mich gefunden zu haben, und die Zuversicht, mit der er darauf zählte, bei mir bleiben zu können, schloss zugleich eine Bürgschaft treuer Dienste in sich. Und so hat er sich auch bewährt, denn Ali Gatroni zeigte sich als der treueste Diener von allen; in Noth und Gefahr war er uns stets zur Seite, und von den dreissig Dienern, die sich während der Expedition um uns befanden, hielt er als einzigster bis zum letzten Augenblicke treu aus.

Natürlich machten wir fleissig Excursionen, grössere und kleinere, und bei einer solchen, die Dr. Stecker mit Hubmer zum Djebel Ferdjan unternahmen, wurden sie von einem entsetzlichen Samum oder, wie man eigentlich schreiben muss, Simum überfallen, welcher mit widerstandsloser Heftigkeit toste und dabei die eigenthümlichsten Elektricitätserscheinungen im Gefolge hatte. Dieser Samum fand am 24. Februar statt und entwickelte sich am stärksten gegen Abend und Mitternacht. Nur mit Mühe gelang es den beiden, während des Orkans das Zelt aufrecht zu erhalten, und wol nur dadurch, dass sie selbst die Zeltstange hielten. Bei der fast absolut trockenen Luft werden nun, wie es scheint, alle Gegenstände mit Elektricität überladen. Ist die atmosphärische Luft schon an und für sich ein schlechter Leiter, so wird, wenn z. B. das Haarhygrometer eine relative Feuchtigkeit von nur 10deg. oder 15deg. zeigt oder gar auf 4-5deg. herabsinkt, die Leitungsfähigkeit bei einer solchen Trockenheit fast ganz aufgehoben. Es muss sich nun in allen Körpern eine grosse Menge von Elektricität ansammeln, hervorgebracht durch die Reibung, welche der Sand und die kleinen Steinchen erfahren, wenn sie mit grösserer Geschwindigkeit über den felsigen Boden vom Orkan dahingeschleift werden. Tritt nun noch jene grosse, zuweilen bis über 50deg.C. anwachsende Hitze, sowie die häufige Eisenhaltigkeit des Gesteins hinzu, zumal wenn vielleicht auch Magneteisenstein darunter ist, so gibt alles dies zusammengenommen genügend Gründe zur Erklärung jener auffälligen Thatsachen.

Diese waren aber derart[37], dass die fast ein Decimeter langen Haare Stecker's wie Borsten zu Berge standen, dass sein Begleiter Hubmer ihm mehrere centimeterlage Funken durch Berührung aus dem Körper lockte, ja dass Dr. Stecker an der dem Sandsturm ausgesetzten Wand des Zeltes durch Darübergleiten mit dem Finger feurige Schriftzüge hervorbrachte. Ob sein Begleiter Hubmer gleichfalls so elektrisch geladen war, vermag ich nicht mehr zu sagen, aber die Thatsachen, soweit sie Stecker betreffen, verdienen volles Vertrauen. Während dieses Sturms befand ich mich nebst Franz Eckart in unserer Wohnung in Sokna, der feine Staub durchdrang alles, obschon wir direct wenig vom Sturm bemerkten, da das Haus fest eingekeilt zwischen andern Wohnungen lag. Aber weder er noch ich konnten nachts auch nur eine Minute schlafen, ebenso ging es den meisten Dienern, und ich stehe keineswegs an, diese Schlaflosigkeit mit der Elektricität in Verbindung zu bringen. Uebrigens hatte ich bei heftigen Gewittern unter den Tropen ebenfalls in frühern Jahren eine fast allgemeine Schlaflosigkeit beobachtet. Was das Vorkommen der Elektricität in der Sahara während und nach den Samum-Stürmen anbetrifft, so machten Ritchie und Duveyrier vor mir schon ähnliche Beobachtungen, und auch in meiner Reise "Quer durch Afrika" gab ich Mittheilungen über Vorkommnisse elektrischer Erscheinungen derselben Natur. Künftigen Reisenden soll es aber angelegentlich empfohlen sein, sich mit Instrumenten auszurüsten, durch die man bezüglich des Magnetismus und der Elektrieität präcise Beobachtungen anstellen kann.

Die Anwesenheit der Truppen bewirkte auch die Heranziehung Sellas zu einer Extraabgabe. Früher hatte ich mich schriftlich an den Schich Ibrahim von Sella um die Erlaubniss zum Besuche des Ortes gewandt, erhielt jedoch eine durchaus abschlägige Antwort. Jetzt aber ward infolge seines persönlichen Erscheinens die Angelegenheit zu beiderseitiger Zufriedenheit geregelt. Ich fühlte mich hierbei zum grössten Danke dem mich von Tripolis begleitenden Saptieh verpflichtet, welcher, obschon ein grosser Lump - er besorgte die täglichen Einkäufe, wobei er stets grosse Betrügereien verübte -, durch sein gewandtes Benehmen die Erlaubniss zum Besuch Sellas zu erwirken verstand. Obschon nämlich der Mutassarif von Fesan gar keine Garantie für ein Vordringen von Fesan nach Borgu übernehmen konnte und wollte, und obschon Kaufleute versicherten, dass dieser Weg überhaupt nicht zu begehen sei, wünschte derselbe sehr, ich solle mit ihm nach Mursuk ziehen, zum Theil wol, um direct von mir profitiren zu können, zum Theil aber, weil er glaubte, durch meine Anwesenheit in Mursuk beim Generalgouverneur von Tripolitanien die Idee seiner Unentbehrlichkeit zu erwecken, denn jeder Beamte ist seinem Vorgesetzten gegenüber immer in der Schwebe. So suchte denn auch der Mutassarif Ali Bei meine Absicht, nach Sella zu gehen, zu hintertreiben, und er war es gewesen, der dem Schich Ibrahim und der Midjeles von Sella rieth, mich nicht zu empfangen.

Ein gut angebrachtes Geschenk, ein Burnus sowie Geld (von welchem allerdings der Saptieh Hadj Ssalem ein Drittel unterschlug), und namentlich die Aussicht auf "mebr", machten in dess, dass der Schich Ibrahim seine Gesinnungen änderte, nur bat er, vorerst nach Sella zurückkehren zu dürfen, um mit dem Gemeindevorstand dieses Ortes zu berathen. Eigentlich wollte er sich indess nur dem Einflusse des Mutassarif entziehen, oder vielmehr in dessen Gegenwart diese Erlaubniss nicht ertheilen.

Mittlerweile machten wir auch einen gemeinsamen Ausflug nach Hon und Uadan. Von Hon erhielt ich schon früher Einladungen, ja, am liebsten wäre es den Bewohnern gewesen, wenn ich bei ihnen ganz Wohnung genommen hätte. Aber das ging nicht, da Sokna Regierungssitz ist. Auch musste ich, solange ich auf türkischem Grund und Boden weilte, doch immer Hand in Hand mit der Regierung gehen. Aber eine Höflichkeit war der andern werth, und so wollte ich doch wenigstens den Honensern meinen guten Willen zeigen.

Hon ist von Sokna nur circa 14 km entfernt wir beschlossen also, die kleine Reise zu Fuss zurückzulegen. Von unsern Kamelen, welche ich gleich nach unserer Ankunft in Djofra auf die Weide schickte und die unter der Obhut einiger unserer Diener in den Uidian von Tassilet, Alfa und Lochmani sich einigermassen wohl befanden, liess ich nur drei kommen, da diese Zahl sich als genügend erwies, um unsere Zelte und die wenigen Vorräthe, welche wir mitnahmen, transportiren zu können. Eckart und Hubmer aber liessen wir mit dem Saptieh zur Bewachung unsers Hauses, unserer Vorräthe und Waaren zurück, alle übrigen Diener aber wurden mitgenommen.

Es war Mittag geworden, als wir aufbrachen, da der Baschaga von Fesan sowie der Schich von Uadan, welche uns begleiten sollten, nicht früher eintrafen. Ersterer, ein äusserst munterer Mann, hatte absichtlich seine Begleiterschaft vom Mutassarif erbeten, weil er dann hoffte, die Stelle als Mudir von Sirhen in Fesan zu bekommen, um so mehr als er, wie er sagte, sein Gesuch noch durch ein passendes Geldgeschenk unterstützen wolle. Er log indess noch stärker als Bu Aischa, der Kaimakam der Beni Ulid, übertraf in dieser Fertigkeit sogar noch den Lügenobersten, nur unser tripolitanischer Saptieh, Hadj Ssalem, konnte ihm die Stange halten. Der Schich von Uadan, ein mehr ernsthafter Mann und Scherif seines Standes, liebte religiöse Gespräche und war sehr erbosst auf den Mutassarif, da dieser die unerhörte Neuerung einführen wollte, dass auch die Schürfa Abgaben zahlen sollten. Das war in der That auch entsetzlich! Wie konnte man nur daran denken, diesen bevorzugten, bislang abgabenfreien Stand zu besteuern, der weiter nichts that als selbst vom Abgaben-Erheben zu leben. "Hört denn da nicht alle Religion auf!" rief der fromme Scherif. "Was soll aus dem Staate werden, wenn man das Volk in seinem Glauben an uns erschüttert? Die Menschheit geht unter, sobald sie den Glauben an uns verliert. Und wenn man uns, die angestammten Vertreter des Islam, die leiblichen Nachkommen unsers gnädigen Herrn Mohammed, mit dem gemeinen Volke zusammenwirft, dann ist es aus mit der Herrschaft des Islam, dann bricht das Reich der Christen an!" - Ich bemerkte ihm, dass das Reich der Christen gar nicht so schlimm sei, und dass sich die Mohammedaner unter christlichem Scepter jedenfalls besser befänden als unter der Regierung der Türken. Das musste er wider Willen zugeben. Ich aber dachte: es ist doch alles einerlei, rüttelt man an dieser oder jener Religion und an den Privilegien der vermeintlichen Träger derselben, so schreien sie gleich und meinen, das Ende der Welt sei gekommen. Tout comme chez nous!

Wir nahmen unsern Weg östlich und liessen den Djebel Filgi südlich liegen. Schon bei früherer Gelegenheit hatte ich ihn erstiegen und seine absolute Höhe auf 450 m festgestellt. Nördlich vom Filgi erhebt sich auf einem kleinen Berge die Ruine einer alten sarazenischen Befestigung, früher zum Schutz gegen die übrigen Bewohner der Oase ein Aufenthalt der Bewohner von Sokna. Am Fusse des Filgi im Westen zieht sich ein den Soknensern zugehöriger Palmenwald hin. Hat man die Filgi-Berge hinter sich, so betritt man eine nur einmal durch das breite Thal des Sufeldjilla unterbrochene Sserir. Der Fluss bewässert zum Theil Hon, zum Theil geht er weiter nordwärts, um zwischen den Hon-Bergen abzufliessen. Nach einem dreistündigen Marsch erreichten wir die schönen Palmgärten von Kessir, welche, wie schon erwähnt, jüngst das Streitobject zwischen den beiden Orten Hon und Sokna bildeten.

An verschiedenen Orten bemerkten wir noch die Spuren und Folgen der Kämpfe: unbestellte Felder, verlassene Häuser und Hütten, niedergerissene Einfriedigungen, zerstampfte Gemüsebeete - alles zeigt nur zu deutlich, wie man gehaust! Die Anwesenheit der Truppen bewirkte indess, dass die Leute wieder Zutrauen fassten. Und so sahen wir, indem wir uns nach Norden wandten, um direct nach Hon zu kommen, je näher der Stadt, desto mehr Menschen auf den Feldern beschäftigt, alle jedoch waren bewaffnet. Staunen und Bewunderung, aber auch Verachtung erregten wir bei allen, weil wir - zu Fuss kamen. Bei uns in Europa hat man keine Idee von den Aeusserlichkeiten, auf welche man im Orient und auch bei den afrikanischen Völkern so grosses Gewicht legt. Ein Türke, namentlich ein gemeiner Vollbluttürke, wird nie begreifen können, dass jemand aus freien Stücken zu Fuss geht. Entweder, so calculirt er, ist der Fussgänger arm oder krank, sonst würde er sich doch gewiss ein Pferd anschaffen. Der lumpigste Türke kauft daher, sobald er es zu etwas gebracht hat, sobald er z. B. Mudir geworden ist, zuerst ein Pferd.

Um 41/2 Uhr waren wir vor den Thoren der Stadt Hon und schlugen südlich von der Stadtmauer, seitwärts an der Hecke der Palmgärten, welche bis dicht vor die Stadt reichen, unsere Zelte auf. Unsere Karavane verfehlte nicht, eine ungeheuere Menschenmenge herauszulocken. Da aber bald die Sonne unterging, so entstand Ruhe. Nur die vornehmen Bewohner der Stadt blieben zurück und leisteten uns bis spät in die Nacht hinein Gesellschaft. Natürlich wurden wir sowol von seiten der Stadt wie auch von einem reichen Kaufmann, dem ich von Tripolis aus ein Empfehlungsschreiben mitgebracht hatte, sehr reichlich bewirthet, welche Gastfreundschaft wir selbstverständlich mit entsprechenden Geschenken erwiderten. Und als die Honenser sahen, dass wir das uns zur Verfügung gestellte Gebäude nicht benutzen wollten, baten sie uns, doch wenigstens am andern Morgen ihre Stadt zu durchwandern, welche allerdnngs von aussen gesehen ein äusserst schmuckes und neues Ansehen gewährte, aber inwendig ohne alles Interesse ist.

Wie erstaunten daher die Honenser, als sie uns am andern Morgen, nachdem einige von ihnen vor Sonnenaufgang aus den gerade geöffneten Thoren hervorgetreten, schon marschbereit und, als Phöbus anspannte, auch unsere Karavane wieder in Bewegung sahen. Abermals war die Richtung Ost, aber der Marsch, weil fast noch einmal so weit, bedeutend beschwerlicher und dazu unwegsamer, da wir beinahe auf der ganzen Strecke Djef-Djef-Terrain[38] hatten und gegen Mittag einen langsam aufspringenden, aber immer heftiger werdenden Samum erlebten. Und als wir, circa 5 km von Uadan entfernt, endlich in die Palmenhaine des Ortes kamen, däuchte uns die Strecke, welche uns vom Orte trennte, gar kein Ende nehmen zu wollen. Unsere Füsse waren auf dem rauhen, wenn auch nicht eben langen Wege - wir hatten etwas mehr als 20 km gemacht - durch die scharfkantigen Schollen der Erdformation halb wund geworden. Mein Begleiter Dr. Stecker bekam sogar Blasen an den Füssen, und da wir beide keine Strümpfe trugen, sondern nur gelbe arabische Pantoffeln, so wird man dies auch ganz begreiflich finden. Nirgends marschirt es sich unangenehmer als im Djef-Djef-Erdreich.

Endlich befanden wir uns angesichts Uadan, der ältesten Stadt von Djofra, liessen schnell unsere Zelte aufschlagen und harrten nun der Dinge, die kommen sollten, froh, einigermassen Schutz gefunden zu haben, da der Samum ganze Sandwolken über uns ausschüttete. Aber an Schutz wol, nur an Ruhe war nicht zu denken. Die Neugier und Zudringlichkeit der Menschen, welche nie Europäer gesehen hatten, überstieg alle Begriffe. Und wollte man sich den Belästigungen durch Zumachen der Zelte entziehen, so konnte man es vor Hitze nicht aushalten: die Temperatur war draussen über 35deg. und erreichte im geschlossenen Zelt eine noch viel bedeutendere Höhe. Der Schich Ibrahim und der uns vom Mutassarif mitgegebene Saptieh waren vollkommen unfähig, uns vor der turbulenten Menge zu schützen; ersterer hatte sich gleich davon gemacht, um mit seinen Untergebenen über Steuerverhältnisse zu berathen, und letzterer war ebenfalls bald verschwunden, um culinarische Untersuchungen im Innern des Ortes anzustellen.

Der halbe Ort, namentlich aber die Jugend, umlagerte unsere Zelte, und jeder Gegenstand, den man irgend erreichen konnte, musste befühlt und untersucht werden. Selbst unsere eingeborenen Diener waren vor einem Examen nicht sicher; die neuen Gerara (Kamelsäcke), die in Tripolis gefertigten Hauya (Kamelsättel), namentlich aber die Doppelflinten und die schönen Faschinenmesser erregten grosse Bewunderung und Staunen. Desto schwerer aber fiel es, die nothwendigsten Lebensmittel zu bekommen und doch musste dafür gesorgt werden, da in diesem religiösen Ort schwer auf Gastfreundschaft zu rechnen war.

Um aber unsere unangenehme Lage mit etwas Komik zu würzen, gesellte sich gegen Abend ein verrückter Knabe zu den uns umlungernden Wilden, und diese, welche den zwölfjährigen Bengel für heilig hielten, machten ihm ehrerbietigst Platz. Natürlich wusste er in seinem Wahnsinn erst recht nicht, was er aus uns machen sollte, aber sei es, dass ihm das Fremdartige imponirte, sei es, dass er von seinen frommen Verwandten dazu abgerichtet war: er gab uns, nachdem er uns eine Zeit lang angestarrt, seinen Segen mit lallender Stimme, wie es eben ein halb Blödsinniger vermochte. Gleich darauf hielt er seine offene Hand hin, und ich ermangelte nicht, einen halben Piaster hineinzulegen. Hierdurch schien er sehr beglückt zu sein; einen Bu Aschrin (d. i. ein 20-Parastück, gleich einem halben Piaster) hatte er wol noch nie für seinen Segen erhalten. Gewiss wäre er auch mit einer Hand voll Datteln zufrieden gewesen. Natürlich bekam mein Begleiter, Dr. Stecker, auch den Segen und der verrückte kleine Heilige sein Geldgeschenk. Nun aber ging es los. Es kamen andere Knaben, zwar nicht verrückte, aber doch Schürfa, also geborene Heilige, welche uns alle, trotzdem wir Ungläubige waren, segnen und dafür ihr Geldstückchen empfangen wollten. Vor lauter Segnenden wären wir fast erdrückt worden! Endlich kam der Baschagha, um den Leuten auseinanderzusetzen, wie unpassend es sei, Christen den Segen zu ertheilen; aber wenn es ihm auch gelang, etwas Luft zu schaffen, so wäre er doch fast der segnenden Jugend zum Opfer gefallen, nur dem dazwischentretenden Schich Ibrahim war es zu verdanken, dass man ihn nicht tüchtig durchprügelte. Ein Heiliger darf sich eben alles erlauben, und wenn Verrücktheit und Erbheiligkeit sich in einer Person vereinigen, so wird dadurch das Ansehen ausserordentlich. gesteigert.

Es gelang uns, abends eine elende Ziege für uns und Futter für die Kamele zu kaufen, und da sich mit Sonnenuntergang der Wind legte, so bekamen wir auch noch einen klaren Blick auf das malerisch gelegene Uadan und das im Osten davon gelegene Gebirge gleichen Namens.

An dem nämlichen Abend machte uns auch ein Italiener, Namens Francesco Guida, einen Besuch. Früher Neapolitaner, wohnte er nun seit Jahren in Sella und, mit einer Sellenserin verheirathet, war er selbst seit langem zum Islam übergetreten. Wegen Todtschlags zum Tode verurtheilt, hatte vor mehr als zwanzig Jahren Frederic Warrington den Flüchtling, der gerade von Tripolis nach seiner Heimat eingeschifft werden sollte, um sein Urtheil zu empfangen, in seiner Villa verborgen gehalten und ihn dann mit Empfehlungsbriefen ins Innere geschickt, woselbst ihn natürlich die neapolitanische Gerechtigkeit nicht ergreifen konnte. Goldschmied von Geschäft, konnte er sich ernähren, indem er von einer Oase zur andern zog und für die Frauen und Jungfrauen Gold- und Silberringe anfertigte. Sein Italienisch hatte er fast ganz verlernt. Abdallah - so hiess er nach seinem Uebertritt - war insofern für mich von Interesse, als er gestand, einen Brief von Sella aus an mich gerichtet zu haben, worin er im fehlerhaftesten Italienisch mich beschwor, nicht dorthin zu kommen, da die Araber Mordpläne gegen mich hegten. Als ich bei meiner Ankunft in Sokna jenen Brief erhielt, war es mir vollkommen unerfindlich, wer ihn könnte geschrieben haben.

Am folgenden Tage traten wir recht früh unsern Rückmarsch nach Sokna an und zwar auf einer directern, etwas südlich von dem Wege nach Hon gelegenen Route, und als wir mittags in Kessir anlangten, machten wir in einem Garten Halt, frühstückten daselbst und erreichten noch nachmittags Sokna, wo wir die Freude hatten, dass gerade vor uns der Schantat (Wüstenpostbote) mit zahlreichen Briefen und Zeitungen angelangt war.

Einen grössern Ausflug unternahm sodann noch mein Reisebegleiter, Dr. Stecker, nach dem Lochmani-Berg und nach den in jenen Gegenden befindlichen Uidian, während ich selbst den Garat el Tschausch als Ziel meiner kleinen Expedition ausersah. Beide Berge, Vorberge des gewaltigen Djebel Ssoda (Schwarzes Gebirge), hatten uns durch ihre hervorspringenden Formen schon lange angezogen und namentlich abends, wenn wir dicht vor Sonnenuntergang ausserhalb der Stadt noch einen Spaziergang machten, hoben sich die eigenthümlichen, von der Sonne erzeugten Färbungen aufs wunderbarste von den grünen Palmenwäldern an seinen Hängen und vom blauen Himmelsgewölbe ab.

Und durch diese kleinen Expeditionen, lernten wir nicht nur die Topographie der Oase Djofra kennen, sondern konnten auch unsere Sammlungen vervollständigen. Dass auch hier die Abwesenheit des Regens höchst ungünstig auf die Pflanzen- und Thierwelt einwirkte, braucht wol kaum gesagt zu werden.

Inzwischen war mein Haus zum Mittelpunkt der ganzen soknensischen Welt nicht nur, sondern auch der Oase Djofra geworden. Die Stadtverordneten kamen fast einen um den andern Tag und baten um Intervention wegen der hohen, ihnen auferlegten Steuern und namentlich wegen Ermässigung der Strafgelder in der honenser Angelegenheit. Wenn ich achselzuckend erwiderte, ich habe gar keinen Einfluss, weil mir jede officielle Stellung fehle, wollten sie es nicht glauben. "Du hast doch einen Firman ali", riefen sie, "hilf uns doch!" Der Kaimakam von Djofra, der mit uns zugleich in Sokna eingetroffen war, und der sich bezüglich der Einnahme arg in seinen Hoffnungen betrogen sah, wünschte meine Vermittelung in Tripolis, um gleich wieder abberufen zu werden; er müsste, meinte er, verhungern, wenn er lange in Sokna bleibe. Als ich sagte, ich könne mich unmöglich in die Angelegenheiten der türkischen Beamten mischen, legte er mir meine Offenheit als bösen Willen aus, und hätte ich ihm beim Abschied nicht ein Geschenk von 100 Frs. gemacht, wäre er als Feind von mir zurückgeblieben. Die fesaner Soldaten schickten mehreremal eine Deputation zu mir mit der Klage, dass sie seit länger als einem Jahre keinen Sold erhalten hätten, ich möge dem Mutassarif Befehl geben, ihnen wenigstens einige Monate von ihren Rückständen auszuzahlen. Als ich kopfschüttelnd erwiderte, dass ich gar keine Macht über Ali Bei habe, sagten sie, "wie kommt es denn, dass er dich stets mit solchen Ehren empfängt?" Die Cavalerie, welche uns herbegleitet hatte, verlangte nach Tripolis zurückgeschickt zu werden, und der Lügenoberst wünschte eine Beförderung. Eines Tags kamen sogar die Offiziere der von Mursuk gekommenen Truppe und versuchten, bei mir geradezu eine Anleihe zu machen, sie wollten mir dafür eine Anweisung auf ihre rückständige Löhnung geben! Welch eine Menge von Unzufriedenheit war hier angehäuft! Und welch eine Ausdauer in Geduld besitzen diese Leute!

Uebrigens hatte ich täglich einen sehr gescheiten Faki, der mir die Sokna-Sprache beibrachte. Wenn ich aber an die verlorene Mühe und Arbeit denke - denn auch das von mir Aufgezeichnete wurde von der Suya zerstört -, so wollte ich lieber, ich hätte nichts unternommen. So viel Anstrengung und Fleiss, und alles vergeblich!

Indess vergingen die Wochen schnell und keineswegs unangenehm, da wir regelmässig unsere Posten bekamen. Der Unterricht im Soknensischen, Ausflüge in die Oase, die Vermehrung der Sammlungen von Pflanzen und andern Gegenständen, die Ueberwachung der Mannschaft, die Unterhandlungen wegen der Weiterreise, die langen Midjeles-Sitzungen - welche ja auch manches Interessante und Lehrreiche boten -, alles das füllte die Zeit vollständig aus. Und materiell waren wir vorzüglich gestellt: ein grosser Hühnerhof im Hause, viele zum Verkauf gebrachte Eier, fast täglich frisches Fleisch, entweder Lamm-, Antilopen- oder Gazellenfleisch, Kürbis und Rüben sowie Zwiebeln als Gemüse, vorzügliche Datteln - alles das wol etwas theuer, aber doch zu haben! Unsere eigenen Vorräthe brauchten wir mithin gar nicht anzugreifen, sondern fanden auch noch Gelegenheit, das auf der langen Strecke von Tripolis bis Sokna an Mehl, Butter, Reis u. s. w. von uns Consumirte hier wieder zu ergänzen.

Am 27. Februar feierten die Soknenser Frühlingsanfang; worauf aber die Leute ihre Rechnung basirten, konnte ich nicht herausbringen, es sei immer so gewesen, sagten sie. Also Usus. Wir feierten natürlich mit. Die Hauptsache der Festlichkeit bestand natürlich in Essen und Trinken, Schiessen und Tanzen, und da sich eine grosse Anzahl Neger in der Oase aufhält, so waren sie auch hier stark vertreten, ebenso Fesasna, die gleichfalls zahlreich in Djofra leben. Die Neger und Arbeiter campirten von dem Tage an nicht mehr bei ihren Herren in der Stadt, sondern in den Gärten, und auch viele Familien zogen Hinaus, um an Ort und Stelle das Wachsthum und Gedeihen der Saaten zu überwachen.

So kam denn der März heran. Am 6. feierten wir mit den Bewohnern der Stadt das Milud-Fest, d. h. den Geburtstag des Propheten, und die Soknenser waren sehr erfreut, dass ich unsere Fahne, die sonst nur Sonntags wehte, aufhissen liess.

Endlich musste ich mich aber doch entschliessen, aufzubrechen. Die Geschenke kamen immer noch nicht. Ich hatte jedoch die Anordnung getroffen, dass sie nachgeschickt werden konnten. Längeres Warten war unmöglich. Ehe ich nun aber den Leser bitte, mich auf meinen weitern Wanderungen zu begleiten, werfen wir einen Blick auf die Oase Djofra.

[36] Dr. Nachtigal.

[37] Da vielfach an der Wahrhaftigkeit des Mitgetheilten gezweifelt worden ist, so erlaube ich mir hier aus Professor Carl's "Die elektrischen Naturkräfte" (München, 1871, S. 95) einige ähnliche Beispiele anzuführen.

Am 14. Januar 1824 bemerkte Maxadorff auf einem Felde nahe bei Köthen, dass auf einem mit Stroh beladenen Wagen, welcher unter einer grossen schwarzen Wolke stand, die Spitzen der Strohhalme sich aufrichteten und mit einem Lichtschimmer umgehen waren, selbst die Peitsche des Fuhrmanns strahlte in lebhaftem Lichte. Die Erscheinung verschwand, sobald der Wind die Gewitterwolke hinweggeführt hatte; sie hatte etwa zehn Minuten gedauert.

Am 8. Mai 1831 gingen auf der Terrasse des Forts Bab-Azoun in Algier Offiziere während eines Gewitters spazieren. Jeder bemerkte, als er seinen Nachbar beobachtete, dass sich dessen Haare sträubten und einen hellen Lichtschimmer ausstrahlten. Als sie die Hände erhoben, bildeten sich an den Fingern Lichtbüschel.

Im Jahre 1855 liess sich ein Reiter auf einem Kahne mit seinem Pferde bei Aschaffenburg über den Fluss setzen und beobachtete dabei ein Leuchten der Mähne und der Ohrenspitzen seines Pferdes sowie der Spitze seiner Reitpeitsche.

[38] Das Wort Djef-Djef, im Arabischen geschrieben, lässt sich in der Aussprache mit deutschen Lautzeichen nicht genau wiedergeben, weil es ganz so gesprochen wird, alg ob die Franzosen gefgef schreiben wollten. Das entspricht zwar nicht genau dem arabischen; es dürfte das Wort aber auch nicht arabisch, sondern berberisch sein.


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