<< >> Up Title Contents

ZWÖLFTES KAPITEL. KUFRA.

Kufra, ein nach und nach entdeckter Oasenarchipel. - Hornemann's dürftiger Bericht über Kufra. - Taiserbo kein blos von einigen Palmen umgebener Brunnen, sondern eine stattliche Oase mit herrlichen Datteln. - Djrángedi, das Stammschloss der frühern Sultane der Tebu. - Ein grosser Kirchhof mit zahlreichen Gräbern. - Taiserbo's Flächeninhalt und Vegetation. - Viel süsses Wasser. - Am 7. August Aufbruch nach Buseïma, einer ganz unbekannten Oase. - Inmitten der Oase. - Falken, zahlreiche, nicht giftige Schlangen, Wiedehopfe, Raben, Gazellen, grossfüssige Ratten, Springratten; wie in ganz Kufra keine Schnecken. - Das Ruinenfeld eines grossen, befestigt gewesenen Dorfes. - Aufbruch nach der Oase Kebabo. - Bedeutende Sanddünen. - Bodenbeschaffenheit unterwegs. - Am 13. August in Kebabo. - Lagerung im Palmenwalde des Schich Krim Bu Abd el Rba, des spätern Lebensretters. - Sendlinge der Snussi verlangen die Auslieferung der Reisenden. - Mit dem Verräther Bu Guetin muss der Reisende nach Boëma ziehen. - Unter Anführung Bu Guetin's wird das Lagerzelt überfallen. - Der Orden der Snussi und sein Gründer. - Hamilton und Duveyrier über die Snussi. - Djarabub der Sitz des Snussi-Schichs. - Fanatismus, hohes Ansehen und grosse Verbreitung des Ordens.

Ich muss competentern Leuten, Gelehrten, den Nachweis überlassen, ob Kufra mit einer der von den Alten erwähnten Landschaften identificirt werden kann. Wer hierüber Studien machen, Hypothesen aufstellen will, den verweise ich auf Dr. Behm's[94] "Das Land und Volk der Tebu", wo alles Einschlägige zu finden und die ganze Sache am gründlichsten erörtert worden ist. Auch die Schrift von Berlioux[95] gehört hierher, und es lässt sich nicht leugnen, dass Herr Berlioux mit Construction seiner Karten nach Ptolemaeus, Kufra eine richtigere Lage anwies, als bislang es auf den neueren Karten geschehen ist.

Was das Wort Kufra anbetrifft, so ist es offenbar abzuleiten vom arabischen [arabisches Schriftzeichen] Kafir, im Pl. [arabisches Schriftzeichen] Kafara, welches Ungläubiger bedeutet. Kufra heisst also das Land der Ungläubigen. Nach Brugsch bedeutet Kafir im Koptischen, wie Camperio's "Esploratore", Jan. 1880, mittheilt, auch einen kleinen, vorzugsweise von Heiden bewohnten Ort. Die Lage des Mons Azar ist identisch mit der der Djebel Neri. Ob Kufra dem Berdoa entspricht, einer Oase, welche nach Leo Africanus gegen das Ende des 15. Jahrhunderts eine von Audjila kommende Karavane besuchte, und in der drei Schlösser und fünf bis sechs Dörfer gewesen sein sollen, lässt sich auch nicht mit Bestimmtheit nachweisen. Schlösser (Gasr) gab es in Kufra, und die Zahl der Dörfer belief sich allein in Taiserbo auf ein Dutzend. Unter Taiserbo allein könnte man aber vielleicht Berdoa verstanden haben, denn es ist keineswegs wahrscheinlich, dass ganz Kufra mit einem mal entdeckt wurde, da die einzelnen Inseln alle durch Wüsteneien von circa 100 km Entfernung voneinander getrennt sind.

Unter den neuern Reisenden gibt uns Hornemann[96] die erste, allerdings etwas dürftige Beschreibung:

"In der Richtung von Südwest von Augila, in einer Entfernung von 10 Tagen oder 200 Meilen (soll wohl miles heissen) wohnen die Febabo (soll Kobabo heissen, weil das aus dem Arabischen genommene Wort wegen des [arabisches Schriftzeichen] und [arabisches Schriftzeichen] leicht eine Verwechselung zuliess) und einige Tagereisen weiter südlich die Birgu. Beide Nationen gehören zu den Tibbo und sollen Heiden sein. Ihr Land ist sehr schön und fruchtbar. Es ist sonderbar, dass die Augilaer, wenn sie von diesen Stämmen reden, beinahe dieselbe Vergleichung anstellen, deren sich Herodot bedient, wenn er der Aethiopischen Troglodyten erwähnt, wie sie von den Garamanten verfolgt werden: <<dass ihre Sprache dem Pfeifen der Vögel ähnlich sei>>."

Hamilton konnte niemand finden, der ihn nach Koffra und Gebabo begleitet hätte, und wandte sich dann von Djalo nach Siuah. Ebenso ging es von Beurmann, ebenso ging es 1868 mir.

Aber jetzt waren wir doch in Taiserbo, der nördlichsten Insel von Kufra. Und wie übertraf die Oase alle Erwartungen! Wir glaubten bislang, dass wir nur einen von einigen Palmen umgebenen Brunnen vorfinden würden, so aber hatten wir bereits von Norden nach Süden innerhalb der Oase über 30 km zurückgelegt und lagerten nun angesichts des alten Stammschlosses Djrángedi, von dem aus die frühern Sultane der Tebu in Taiserbo ihr Volk beherrschten.

Die Suya, welche sich dort schon aufhalten und theilweise zum Stamme der Bu Guetin gehören, empfingen uns sehr freundlich, und die herrlichen Datteln, die man traubenweise von den uns beschattenden Palmen schnitt, mundeten nach den anstrengenden Märschen vortrefflich. Aber Gastfreundschaft wurde kaum geübt, man erwartete als Gegenleistung baares Geld, das wir auch gaben. Wir befanden uns in Taiserbo nun schon circa 250 m über dem Meere, da wir von Audjila und Djalo aus ganz unmerklich anstiegen. Aber so sanft erhebt sich von dieser Syrtendepression der Boden nach dem Süden zu, dass man von einer Steigerung nicht das mindeste merken kann.

Unser erster Besuch galt dem alten Gasr, welches von weitem wie ein Erdhaufen aussieht, in dessen Ruinen sich aber noch Gemächer, Balkenlagen und aus Salzklumpen errichtete Mauern erkennen lassen. Auf dem Rückwege gelang es mir sogar, einen Kopf hier auszugraben, der aus der ehemaligen Sultan-Familie stammte und also einer der echtesten Tebu-Schädel sein dürfte. Der Sohn des Schich Djib al Lah el Abid behauptete sogar, es sei der seines Urgrossvaters. Und als ich sagte, es sei unter solchen Umständen die Mitnahme des Schädels seines Ahns eine Entweihung, erwiderte er, es schade das nichts, der sei ein "Kafir", d. h. ein Ungläubiger gewesen. Dicht hinter Djrángedi erstreckt sich ein grosser Salzsumpf mit vielen Wassertümpeln; ringsherum in tropischer Fülle wuchert Kasbah und Ethel so dicht durcheinander, dass man nur auf einigen künstlichen Pfaden durchdringen kann. Auf den Pfützen waren wilde Gänse und wilde Enten, mitten in der Sahara eine gewiss seltene Erscheinung. Etwas weiter hinaus sieht man abermals die Ruine eines Gasr.

Unsere uns begleitenden Suya zogen nun nach den verschiedenen Palmenbeständen, der eine nach el Haua, der andere nach Mahbus, der dritte nach Djesira, welche Palmenbestände von den Suya als Orte bezeichnet wurden und gewiss auch früher Tebu-Ortschaften enthielten. Heute gibt es hier aber höchstens Palmenhütten. Die meisten Araber ziehen es vor, einfach im Schatten der hohen Palmenbüsche zu lagern. Unsern eigenen 240 m über dem Meere gelegenen Lagerplatz bestimmte Dr. Stecker zu 25deg.37'44'' nördl. Br. und 21deg.25'20'' östl. L. von Greenwich. Derselbe lag circa 1 km südöstlich von Gasr Djrángedi.

Nördlich vom Uadi befindet sich ein grosser Kirchhof mit zahlreichen, meist runden Gräbern, welche mit kleinen, aus harten Sebchamassen verfertigten niedrigen Kuppeln versehen sind. Ich entdeckte den Kirchhof erst nach der Beraubung auf dem Rückwege und konnte daher wegen mangelnden Werkzeugs leider kein einziges Grab öffnen. Aber bei verschiedenen konnte man durch Löcher hineinsehen und entdeckte dann die Todten in sitzender Stellung und von Matten bedeckt, welche, zum Theil gut erhalten, zum Theil zerfallen, nicht aus Palmblättern bestanden, sondern aus Halfa mta Kufra geflochten waren und alle dieselbe Ordnung zeigten, d. h. es wechselten immer je vier Strähne miteinander ab. Künftigen Reisenden möchte zu empfehlen sein, sich mit Wasser zu versehen, um durch Erweichung die Gräber zu öffnen; Wasser ist überall in der Oase und zwar sehr gutes zu haben, und kein noch so harter Erdsalzklumpen widersteht dem schmelzenden Einfluss.

Etwas nördlich vom Friedhof der Tebu sieht man eine grosse Ruine moderner Construction. Es ist das die erste Anlage der Snussi, welche hier zuerst eine Sauya gründetöin, die sie jedoch später wieder aufgaben, um den Sitz nach Kebabo zu verlegen. Wie ich hörte, soll aber auch diese Sauya wieder besiedelt und bezogen werden

Der mit Vegetation bestandene Raum der Oase Taiserbo, die sich oblong von Westen nach Osten zieht, hat nach Dr. Behm's Berechnung 6343,2 qkm Flächeninhalt, ist also ungefähr so gross wie das Grossherzogthum Oldenburg. Die Oase unterscheidet sich hinsichtlich der Vegetation sehr von den meisten übrigen Oasen, weil alles eine vorzugsweise mit Halfa mta Kufra bestandene Hattieh bildet. Doch kommt auch Rissu, Had Kasbah und Ethel vor, sowie im Süden bei Mahbus ein schöner grosser Talha-Wald, dessen Ausdehnung man - er war licht bestanden - nach Südwesten gar nicht absehen konnte. Schilf, und ein einziges Exemplar des Suakbaumes, dessen Existenz aber durch mitgebrachte Blätter bewiesen werden konnte, bilden so ziemlich alles, was an Pflanzen in Taiserbo zu nennen ist.

Fast aller Orten und bei geringer Tiefe findet man Wasser, welches zum Theil mineralisch, wie das der Ain Djelaled, in deren Nähe wir campirten, zum Theil aber ganz süss ist. Ain Djelaled hatte, bei 2 m Tiefe und 35deg. Lufttemperatur, 24deg. Wärme.

Wir blieben in unseren Lager bis zum 5. August. Da unsere Kamele mehr noch, als wir, der Ruhe bedurften, so gingen wir auch an dem Tage nur bis zu dem circa 10 km südlich gelegenen Mahbus, wo ein anderer der uns begleitenden Suya einen grossen Palmenwald besass. Die Datteln waren hier von vorzüglichster Güte, und das Trinkwasser so süss, wie wir es seit dem alten Römerbrunnen zwischen Euhesperis und Automalax nicht mehr vorgefunden. Hier rasteten wir noch bis zum 7. August abends und verliessen dann die Oase, um nach dem circa 100 km entfernten Buseïma zu ziehen, dessen Namen wir nun zum ersten male hörten und zugleich erfuhren, es sei eine Oase auf dem Wege nach Kebabo.

Wer Entdeckungsreisender ist, wird ermessen können, mit welcher Freude wir daran gingen, diese Oase zu erreichen, von deren Existenz man absolut keine Kenntniss gehabt hatte. War die Oase gross, klein? Das waren die Fmgen, die wir oft genug unsern Begleitern vorlegten, aber wir erfuhren nichts Bestimmtes, nur dass sie am Fusse eines Bergs und an der Seite eines Sees liegen sollte. Ein See mitten in der Libyschen Wüste! Scharf südöstlich haltend, mussten wir abermals eine kiesige Ebene durchschreiten, welche sich zuletzt in grosse, aber harte Sandwellen auflöste. Endlich aber erblickten wir schon von den höchsten Sandwegen aus die schönen Berge dieser Oase. Wenn man tagelang über Flächen wanderte - und was für Flächen! - dann imponiren auch kleine Berge (die Djebel Bu-Seima 388 m absolut), zumal wenn sie sich mit malerischen Formen darstellen: schwarz und zackig die ganze Längsseite. Und was war das? Ein blauer See mit starker Brandung? Ja, der See existirte in der That, aber der Wellenschlag wurde hervorgezaubert durch das Wüstengespenst, die Fata-Morgana. Ein breiter Saum weissen Salzes an der nördlichen Seite des Sees gewann infolge der starken Vibration der erhitzten Luft in täuschendster Nachahmung das Ansehen einer Seebrandung, wo denn freilich nicht das Wasser, wohl aber die heisse Luft ihre Wellen schlug, die auf silbernem Salzgrund gegen die schwarzen Berge und Palmen tosten.

Buseïma oder Bu-Seïma liegt am Südfusse eines von Norden nach Süden sich erstreckenden Bergzugs, um einen daselbst befindlichen Salzsee. Unser Lager, unter 25deg.11'42,5'' nördl. Br. und 22deg.15' östl. L. von Greenwich am Wasserufer gelegen, hatte vollkommen süsses Wasser, welches man, wie auf vielen Oasen, in unmittelbarster Nähe des salzigen Sees der Erde entlocken kann. Der mit Vegetation bestandene Boden beträgt nach Behm's Berechnung 319,9 qkm, wobei zu bemerken, dass diese Angabe ziemlich genau ist, da wir durch Abgehen den Umfang der Oase feststellen, wie überhaupt vom Berge aus sie ganz überschauen konnten. Bei den andern von uns besuchten Oasen darf man aber die Zahlen nur als auf Schätzung beruhende betrachten, die allerdings so gewissenhaft wie möglich vorgenommen worden ist.

Der See, der äusserst concentrirtes Salzwasser enthält, erstreckt sich von Nordwest nach Südost, und der Längendurchmesser beträgt etwa 10 km. Die Ufer sind mit zwei Arten von Kasbah, sowie mit Schilf aufs dichteste bestanden, oft reichen auch die Palmbüsche unmittelbar an den Rand des Wassers hinan. Um den See lagert sich, durchschnittlich in der Breite eines Kilometers, die mit grossen Palmbüschen bestandene Oase. Aber auch viele Feigenbüsche gibt es hier, offenbar verwilderte, welche von den ehemaligen Bewohnern, den Teda, herstammen. Man brachte uns Feigen, die zwar nicht besonders, aber doch geniessbar waren. Da aber die Suya sie grösstentheils unreif pflückten und assen, so bemerkte ich die das Fleisch auflösende Kraft des Feigensaftes sichtbar an mehreren von ihnen, welche sich die ganze Mundhöhle verwundet hatten.

Pflanzen fanden sich hier dieselben, wie in der nördlichen Oase, nur fehlten Talha, sowie Had. Buseïma scheint aber ein Aufenthaltsort vieler Falken zu sein; auf dem Rückwege wurden mehrere gefangen. Die Suya nennen den grössern Bu Hauam, den kleinern Bu Scheraga.[97] Auf dem Hinwege trafen wir nur einen kleinen graubräunlichen Vogel, der einheimisch hier wie in Kebabo zu sein scheint, und auf eine Schlange Jagd macht[98], die sich in wirklich erstaunlicher Menge hier vorfindet, bis zu einem Meter lang wird, eine gelbbräunliche Farbe hat und fast in jedem Palm- und Feigenbusche haust, aber nicht giftig ist. Sie pflegt sich um die Zweige eines Feigenbusches oder die Djerid zu ringeln - die Feigen bilden keine Bäume, sondern Büsche - und wartet nun mit erhobenem Kopfe auf die Vögelchen, welche ohne Arg sich auf die Schlange setzen, die sie für ein Palmblatt oder einen Feigenzweig halten. Ich hatte in Buseïma Gelegenheit, einen kleinen Vogel, dessen ängstliches Zwitschern mich herbeilockte, aus dem Rachen einer solchen Schlange zu befreien, ein kräftiger Hieb mit dem Stock schlug sie entzwei. Das Vögelchen flatterte fort, aber starb doch bald darauf. Räben und Wiedehopfe scheinen ebenfalls einheimisch zu sein, und wenn die Zugzeit ist, dient diese Oase, wie die übrigen, als Halte- und Ruhepunkt. Wir trafen, ausser den genannten, auch Störche und Schwalben, welche, als wir im October zurückkamen, nach Süden zogen. Interessant war es, anzusehen, wie die Falken Jagd auf die Thiere machten.

Während wir auf dem Hinwege auf keine Gazellenspuren stiessen, fanden wir solche in Menge auf dem Rückwege. In grosser Zahl kommen sie nur in Erbehna vor. Aber Fenneg, Springratten, Mäuse, Far (pl. Firane) und eine Ratte mit grossen Füssen, Beyut genannt, sind sehr häufig. Dann verschiedene Eidechsen, Spinnen und Ameisenarten. Aber in ganz Kufra, sowie überhaupt südlich vom Bir Rissara, fehlen alle Schnecken.

Aeusserst interessant erschien uns am Fusse eines Berges das Ruinenfeld eines Dorfes, in welchem die runden und viereckigen Häuser mit gutem Mörtel gemauert gewesen waren, und zwar so fest und widerstandsfähig, dass jeder Versuch, eine Mauer zu zerstören, äusserst schwer hielt. Diese Bauten unterschieden sich von den gewöhnlichen Ruinen der Tebu durch die Grösse der wenn auch nicht behauenen, doch sorgfältig ausgewählten Steine. Aber wie staunte ich, als ich, um die Höhe aufzunehmen, den Djebel Buseïma erstieg und hier nun auf der südlichsten Ecke ein grosses und so gut erhaltenes Dorf fand, dass man nur die ehemaligen Strohdächer auf die runden Steinhütten zu setzen brauchte, um sie sofort beziehen zu können. Und nicht allein das Dorf, sondern die ganze vom übrigen Gebirgsstock durch eine Einsattelung getrennte Bergecke, die Zugänge, die etwaigen Pfade, die hinaufführten, Wachtplätze u. s. w., alles war befestigt und zu einer energischen Vertheidigung eingerichtet. Oft genug mögen sich hier die Teda vor den räuberischen Einfällen der Araber oder Tuareg zurückgezogen und durch den Ruf "Kerkora", d. h. "habt Acht!", ihre Landsleute gewarnt haben, bis sie endlich dem Feinde und hauptsächlich wol der Feuerwaffe erlagen.

Aber nicht nur hier war eine solche Zufluchtsstätte, sondern mein Begleiter fand eine ebenso gut angelegte Befestigung auf einem kleinen Hügel mitten im Sebcha von Buseïma.

In Buseïma fanden wir Sandstein und Kalk und das Ganze von einer Masse übergossen, welche wie Lava aussah. Der Boden der schmalen Oase ist nicht besonders, obschon eine üppige Vegetation von Schilf, Rohr und Palmbüschen sich entwickelt. Die Palmen werden nur zum Theil befruchtet, da sich hier niemand aufhält. Doch hat man auch hier junge Anpflanzungen angelegt, welche aber, da ihnen die erste Pflege zu fehlen scheint, nicht besonders gedeihen, wenigstens nicht so gut, wie in Taiserbo und Kebabo.

Als wir Buseïma verliessen, hielten wir dieselbe Richtung inne, nämlich Südost zu Ost, und fanden, dass die Hauptinsel Kebabo von Buseïma ebenso weit entfernt ist, wie diese von Taiserbo. Aber wir hatten nun bedeutende Dünen zu übersteigen, was unsern ohnedies schon müden Kamelen viele Schwierigkeiten bereitete. Wie mancher warf ab; und mehrere mal waren die Gehänge so steil, dass alle Mann herbei mussten, um Treppen mit den Händen in den Sand zu wühlen, damit die Lastthiere besser festen Fuss fassen könnten. Man lässt einen einzelnen schwarzen Zeugen, der den eben nicht decenten Namen Gor Sibbel el Abid führt, westlich liegen, und bald darauf erblickt man im Süden die imposante Kette des Djebel Neri, welche von Ost nach West verläuft, ebenfalls von schwärzlicher Farbe ist und den Kufra-Archipel in eine nördliche und südliche Hälfte theilt. Im Sande finden sich nun jene merkwürdigen Gebilde, die oft wirkliche Blitzröhren sind, manchmal aber auch nur solche zu sein scheinen. Auch erinnern einige von ihnen an die Gehäuse des Röhrenwurms, und ich lasse es dahingestellt sein, ob es nicht in der That solche gewesen sind. Auch kleine winzige, inwendig feste Kalkstückchen findet man, als ob es versteinerte Würmer wären. Nur etwa 30 km bleibt der Gebirgszug Neri von der Karavane entfernt im Südwesten liegen, und die Suya erzählten uns, dass sowol oben auf dem Plateau des Gebirgsstocks, als auch am Fusse des Nordrandes sich ein Brunnen befinde, und auch einige Palmen dort wachsen. Sehen konnten wir keine.

Von einer Düne östlich vom Wege, welche über 100 Meter hoch ist, kann man ziemlich halbwegs zwischen Buseïma und Kebabo den Berg, an welchem Erbehna liegt, sowie das im Nordosten sich erstreckende Gebirge von Sirhen erblicken, obschon letzteres sich nicht unmittelbar bei Sirhen, sondern zwei Tagereisen südlich davon befindet. Die Dünen, welche man durchwandert, haben keinen bestimmten Verlauf, wie z. B. im Osten der Libyschen Wüste oder südlich von Algerien; aber aus der Vogelperspective würde man doch vielleicht einen Streifen derselben von Nordost nach Südwest erkennen können. Der Sand besteht aus Quarz und Kalktheilchen, ist aber mitunter, wahrscheinlich durch Beimengung von Eisenpartikelchen, dunkler gefärbt. Etwas nördlich vom Gor el Hauari, welcher wie die übrigen Zeugen eine Fortsetzung des Djebel Neri[99] ist, kommt man in eine charaschaf-artige Gegend, die Sanddünen gehen über in flache, grosse und harte Sandwellen, und endlich erreicht man wieder Sserir, kiesigen Boden, aus welchem aber jene stehengeblichenen Zeugen hervorragen. Nun sieht man aber auch jene merkwürdigen, öfters auch an andern Theilen der Wüste beobachtete Gebilde: grosse und kleine Kugeln, bald mathematisch rund, bald knorpelig und oval, manchmal hohl, manchmal mit hellem Sand gefüllt, zuweilen voll von derselben glasigen Masse, aus der die Rinde der Kugel besteht; dann auch aus derselben Masse fladenartig aufgewickelte fusslange und fussdicke Röhrengebilde. Der ganze Boden ist davon bedeckt, und die kleinern Bruchstücke verleihen ihm den schwarzen Ton.

Am 13. August erreichten wir den nordöstlichsten Theil von Kebabo, Hueuïri ([az]) genannt, und befanden uns somit in der Hauptoase Kebabo. Wir lagerten in einem schönen Palmwalde, welcher dem Schich Krim Bu Abd el Rba gehörte, dessen Leute uns aufs freundlichste aufnahmen. Ueberhaupt hatte bisjetzt nichts vermuthen lassen, dass wir bald in eine so entsetzliche Lage gerathen sollten, da die Suya immer aufmerksam und freundlich gegen uns gewesen waren. Und wenn ja einmal einige Zwistigkeiten zwischen uns vorkamen, so vermittelten stets die Schiuch, sodass ernstliche Zerwürfnisse bisjetzt gar nicht stattfanden.

Am Abend desselben Tags - mit grosser Schnelligkeit hatte sich nach allen Richtungen das Gerücht unserer Ankunft verbreitet - kamen von verschiedenen Orten, von Djof, Buma und namentlich von der Sauya, eine Menge Suya unter Anführung von Chuan[100] der Snussi herbei. Es wurde unfern unsers Lagers eine mehrstündige lebhafte Sitzung gehalten, die sich zuweilen zu einem wahren Höllenlärm steigerte. Ich glaubte damals, es handle sich um interne Angelegenheiten, wie solche ja so häufig zu langen und lauten Erörterungen Veranlassung geben. Aber mit nichten. Wie ich später erfuhr, hatten jene Sendlinge einfach unsere Auslieferung verlangt, um uns zu tödten. Unser Hab und Gut sollte getheilt werden. Aber es siegte damals der Wille der Schiuch der Suya, die es gut mit uns meinten; und namentlich der Umstand, dass wir uns auf Grund und Boden unsers spätern Lebensretters befanden, trug wol nicht wenig dazu bei, unsere Auslieferung zu verhindern. Von dem Augenblicke an mochten aber die verbrecherischen Gedanken im Hirn Bu Bekr Ba Guetin's eine bestimmtere Gestalt an nehmen, da er merkte, auf welche und wie mächtige Bundesgenossen er bei seinen Plänen würde zählen können. Man debattirte nun darüber, da man dem Ansinnen, uns auzzuliefern, nicht nachgab, wo wir lagern sollten. Und wäre man nur darauf eingegangen, uns in Hueuïri zu lassen, vielleicht wäre dann viel Unglück vermieden worden. Man beschloss aber, wir sollten mit Bu Guetin nach Boëma ziehen, dem südöstlichsten und abgelegensten Orte von Kebabo. Theils hatte man auch recht, weil Buma, Djof, Hueifiri und alle übrigen Palmenwälder Durchzugsörter der Karavanen sind, wobei es leicht zu feindlichen Reibereien zwischen uns und den Fanatikern kommen konnte: alle Tage kamen ja jetzt Zuzüge vom Norden, wie auch vom Westen, nämlich Tebu, welche westlich von Surk und Djof, namentlich in Tolelib lagerten.

Den Schich Bu Guetin erkor man deshalb zu unserm speciellen Schutzherrn, weil wir mit ihm am vertrautesten standen, er war fast ein Diener von uns geworden, und seinen Bruder, Mohammed Bu Guetin, hatte ich wirklich und ohne Bedenken engagirt, weil ich ihn durch zahlreiche Wohlthaten verpflichtet glaubte. Aber es scheint fast, dass bei manchen Menschen, wie auch bei Nationen, Wohlthaten die entgegengesetzte Wirkung äussern: dass sie nicht Dankbarkeit, sondern Neid und Rache erwecken, wenn von letzterer die Rede sein kann. Das schien auch mit Bu Guetin der Fall zu sein: je mehr Wohlthaten ich ihm erwiess, je mehr er Geschenke erhielt, desto grössern Hass gegen mich und uns alle schien er in seinem Innern anzuzammeln, und nothgedrungen, wie bei einem Vulcan, musste es endlich bei ihm zu einer Eruption kommen.

Demnach gingen wir von Hueuïri über den inmitten Kebabos befindlichen Gebirgszug nach Boëma, welches nur circa 16 km davon entfernt ist, und richteten uns hier häuslich ein. Unser Lagerplatz war überaus schön. Mächtige Palmbüsche überall, untermischt von Feigen!

Vor uns, bei einer sumpfigen Niederung, wuchsen Ethel (Tamarix), und im Norden war das Bild abgegrenzt durch jenen Grat, welcher Hauari und Hueuïri von dem südlichen Theile von Kebabo trennt. Im Süden dehnte sich bis fast an die südlichen Berge eine üppige Kamelweide aus, ebenso nach Osten, und die Spuren ehemaliger Tebu-Besiedlungen gaben dem Ganzen auch einen historischen Grund. Ich liess unsere Zelte mit einer Einfriedigung von Palmen umgeben, fing an, die Waaren, Vorräthe und Geschenke, die nun Tag für Tag mit den Suya eintrafen, aufzuspeichern, und richtete mich für einen längern Aufenthalt ein. Theils hatten ja auch die Kamele eine anhaltendere Ruhe nöthig, theils wollten die Suya nicht gleich aufbrechen. Alle die schönen, von uns beabsichtigten Pläne, z. B. der Verfolg der Oase bis zu ihrer östlichsten Grenze, um zu sehen, ob von dort wirklich ein Weg nach den ägyptischen Oasen führe, oder der Besuch Erbehnas, jener Oase im Westen, kamen nicht zur Ausführung, da wir schon vom folgenden Tage an aus einer aufregenden Scene in die andere geriethen, bis man uns nach 10 Tagen Aufenthalt in Boëma zu Gefangenen erklärte, welche Gefangenschaft mit Flucht und vollständiger Ausplünderuug unsers Lagers endete.

Gleich am folgenden Tage stürzte eine grosse Zahl bis an die Zähne bewaffneter Suya in unser Zeltlager und verlangte auf der Stelle den "Hak el drub", d. h. Weggeld. Es befand sich unter ihnen als Haupträuber der Schwiegersohn Bu Guetin's, ein gewisser Ssala. Nur durch äusserste Ruhe und Kaltblütigkeit verhinderte ich an dem Tage eine Plünderung und vielleicht noch Schlimmeres; aber von dem Augenblick an wurde mir klar, welch Menschenkind Bu Guetin sei. Er sass auf einer der Kisten in meinem Zelte, und rief mit bedeutungsvollem Blicke: "Ich sitze hier auf den Schätzen, in dieser Kiste ist das Geld."

In den Augen der Chuan[101] der Snussi galten wir für vogelfrei: der eigentliche Herrscher von Kufra, Omar Bu Haua, hatte mir ja und absichtlich keinen Empfehlungsbrief für die dort befindliche Sauya mitgegeben. Der Hass der Chuan steigerte sich derart, dass sie sogar unsern Begleitern den Zutritt zur Sauya el Istat verboten. Wir selbst aber durften es gar nicht wagen, uns dem Kloster zu nähern.

Die Sauya el Istat in Kufra hat jetzt schon fast einen ebenso grossen Ruf der Heiligkeit, wie Djarabub selbst. Ja, sollte es sein, dass in Aegypten dereinst eine andere Herrschaft platzgreift und somit Siuah, in welcher Oase Djarabub liegt, in andere Hände kommt, dann machen die Snussi gewiss die Sauya von Kebabo zur Centralstelle ihrer Bestrebungen. Die reichste Sauya ist sie jetzt schon. Man bedenke nur, dass ein Viertel aller Palmen in Kufra den Snussi geschenkt wurde, und wie viele haben sie selbst seitdem angepflanzt!

Da die Snussi während des Verlaufs der Expedition eine so verhängnissvolle Rolle spielten, so scheint es mir geboten, näher auf diesen Orden einzugehen, zumal erst dadurch der ganze Gang der Ereignisse in Kebabo die richtige Beleuchtung erhält.

Der Orden der Snussi ist verhältnissmässig neu, und wir werden wol nicht weit von der Wahrheit abgehen, wenn wir die Stiftung desselben ins Jahr 1849 oder 1850 verlegen. Denn als Heinrich Barth 1847 durch Cyrenaïka reiste, existirten die Snussi noch nicht; wenigstens erwähnt er des Ordens in seinen "Wanderungen u. s. w." nirgends; es erscheint uns aber ganz undenkbar, dass unser als so gewissenhafter Beobachter bekannter Landsmann eine in alle Verhältnisse so tief eingreifende Genossenschaft könnte übersehen, haben. Dagegen sagt Hamilton, welcher die Cyrenaïka 1852 durchreiste, S. 96 in seinen "Wanderings in North Africa":

There is one nuisance in Cyrene, too characteristic of the country not to be mentioned. A small community of Derwishes or Marabuts, as they are called here, has established itself lately in one of the largest tombs not far from the fountain. They belong to an order recently founded by a respected saint, called the Sheikh Es-Snoussi, and their president in Grennah is a fanatic of the first water, who will not defile his eyes by even looking at a Christian, etc.

Smith und Porcher[102] machten schon viel schlimmere Erfahrungen mit einem gewissen Sidi Mustafa, welcher während ihrer Anwesenheit Schich der Snussi Chuan in Cyrene war. Glücklicherweise fanden sie Schutz bei englischen Soldaten und fortwährend hielten sich englische Kriegsschiffe an der nahen Küste auf, sonst würde ihnen von diesen Fanatikern wol das Schlimmste begegnet sein.

Als Henri Duveyrier seine Reise machte fand er die Snussi schon vollständig als Ordensgesellschaft organisirt. Er führt die Stiftung der Sekte sogar auf die Eroberung von Algier zurück, was jedoch irrthümlich zu sein scheint. Aber Duveyrier gibt S. 304 seines Werks die ersten bestimmten Notizen über Djarabub oder, wie Duveyrier schreibt, Jerhajib.

Cependant Es-Senoussi, sentant la mort venir et trouvant le Djebel el Akhdar (Barka oder Cyrenaïka) encore trôp rapproché des Turcs de Ben-Gâhzi et des consuls qui y résident, ordonna la création d'une nouvelle zaouiya à Jerhajib, dans un désert un peu au Nord de la route de Sioua à Audjela. A Jerhajib, il n'y avait qu'un seul puits d'eau amère, dans une vallée, au milieu du vide; de nouveaux puits y ont été creusés et la zaouiya s'est élevée comme par enchantement. Au printemps 1861 on y plantait des dattiers, etc.

Dass Henri Duveyrier ebenfalls genug von den Snussi zu leiden hatte, ist bekannt, und so ist es fast jedem Reisenden gegangen, der sich innerhalb des Bereichs ihrer Machtsphäre befand.

Si Mohammed Snussi oder Sidi el Hadj Mohammed es Snussi ist zu Tlemçen im Anfange dieses Jahrhunderts oder vielleicht am Ende des vorigen geboren und starb Mitte der sechziger Jahre in Djarabub, woselbst er auch beerdigt liegt. Früh von Algerien auswandernd, vielleicht schon ehe die Franzosen die Regentschaft eroberten, bekam er seine Erziehung in Fes und besuchte dort namentlich die berühmte Karuin-Universität. Sein Hass gegen die Christen erhielt Nahrung in Marokko, wo man mehr als in irgendeinem andern mohammedanischen Lande die Andersgläubigen verabscheut, ausserdem aber dadurch, dass er den Schmerz erleben musste, seine Heimat in den Händen der Franzosen zu sehen.

Und in jenem Lande fasste er auch wol zuerst den Plan, einen religiösen Orden zu stiften, an dessen Spitze er sich selbst stellen wollte. Marokko ist ja das Heim der religiösen Genossenschaften, und die in Westafrika verbreitetste, die von Muley Thaib, herrscht bis nach Tripolitanien mit unumschränkter Gewalt. Vor allem musste er erst Hadj werden und zwar durch eine Pilgerreise nach Mekka, die er auch ausführte, und wenn er, was nicht sicher erwiesen ist, nicht wirklich Scherif (d. h. Abkömmling Mohammed's) war, so machte er sich doch dazu, indem er sich von nun an "Mulei" oder "Sidi", d. h. gnädiger Herr, nennen liess. Er reiste sodann nach Konstantinopel, wo er durch sein frommes Gebaren so zu imponiren verstand, dass man seinen Plan, im Osten von Afrika einen religiösen "revival" in Scene zu setzen, für vorzüglich fand, und der Sultan ihn mit einem Firman ali ausrüstete, wodurch er ermächtigt wurden sich irgendein beliebiges Stück Land zur Gründung einer Sauya auszusuchen.

Der Schich Snussi wählte Djarabub, genau da gelegen, wo auf der östlichen Stieler'schen Mittelmeerkarte Santariah verzeichnet steht, und das nun der Hauptort und Mittelpunkt einer der mächtigsten religiösen Genossenschaften wurde. Liess er sich durch Zufall leiten oder bestimmten ihn dazu gewichtige Gründe? Schwer wird das zu entscheiden sein. Er hätte ja in der östlichen Wüste viel besser gelegene, mehr von der Natur begünstigte Punkte finden können, als Djarabub, wo in der That, wie Duveyrier sagt, nur Bitterwasser zu finden ist. Aber dem ist längst durch grosse Cisternen abgeholfen, welche einen reichlichen Vorrath Regenwasser sammeln. Vielleicht liess er sich durch geschichtliche Reminiscenzen leiten. Denn die Oase des Jupiter Ammon ist seit Jahrtausenden religiöser Mittelpunkt gewesen. Hierher soll Hercules gepilgert sein, hierher kam wirklich Alexander der Grosse und selbst Cato richtete Fragen an den Gott in der Libyschen Wüste. Es gab eine Zeit, in welcher ein grosser Theil der damaligen Welt ebenso gläubig auf die Aussprüche der Priester des Ammonium lauschte, wie heute auf die Decrete des Vatican. Und als mit dem Aufhören der ägyptischen Gottheit die Oase christlich wurde, befand sich dort abermals ein berühmtes christliches Heiligthum, denn die Lesart Sanmaria[103] für Santaria scheint mir mehr für sich zu haben, da hier wahrscheinlich ein der Maria geweihter Tempel stand. Anfangs seit Verdrängung des Christenthums durch den Mohammedanismus lässt sich kein bestimmtes Heiligthum der Mohammedaner nachweisen, jetzt aber gelangte Djarabub durch die rapide Verbreitung der Lehren der Snussi weit über die Grenzen der Libyschen Wüste hinaus zur höchsten Berühmtheit. Es gibt im Westen, in Tuat, schon Anhänger dieses Ordens, und in den nordcentralafrikanischen Ländern schwört alles auf Sidi Snussi, sodass dieser grosse Heilige dort viel mehr verehrt wird, als der Prophet selbst, und wenn die Tebu in Kufra z. B. einen Eid ablegen, so gebrauchen sie als stärkste Bekräftigung: "el Hak Sidi Snussi", d. h. "bei der Wahrheit Sidi Snussi's". Es kamen während unsers Aufenthalts in Kufra sogar Pilger aus dem französischen Senegalien, deren Ziel nicht etwa Mekka war, sondern Djarabub. Eine solche weite Reise, die sie für verdienstvoller zu halten scheinen, als eine Reise nach Mekka, erhob sie in den Augen derjenigen Bewohner, deren Länder sie durchzogen, zu verdienstvollen und heiligen Männern.

Es ist von vielen Mohammedanern, namentlich aber von andern Ordensbrüdern, wie das ja auch ganz natürlich ist, behauptet worden, die Snussi seien Choms[104], d. h. gehörten nicht den vier allein berechtigten orthodoxen Riten der Sunniten: den hanbalisten, Schaffeïsten, Malekiten und Hanefiten an. Und es lässt sich nicht leugnen, dass dieser Vorwurf eine gewisse Berechtigung hat, da die Snussi-Brüder die beim Beten vorgeschriebenen gymnastischen Bewegungen etwas anders machen, sowie sie auch bei den Worten des Gebetes selbst einige Silben verkürzen oder verlängern, was äusserst störend auf die Rechtgläubigen wirkt. Wie entsetzlich ist es z. B., wenn der Snussi am Ende der Fötha (erstes Koran-Kapitel) anstatt dâââlin kurzweg dâlin, oder ganz am Ende anstatt Aamiiin (Amen) kurzweg Amin sagt! Wegen solcher Fragen fand in Bengasi verschiedenemal zwischen den Snussi und den Ordensbrüdern der Malekiten und Hanefiten ein gelehrter Disput statt, aber zu einer Einigung kam es nicht. Welch ein Lärm auch, wenn eine der Parteien in einer so äusserst wichtigen Sache zum Rückzug geblasen hätte!

Niemand aber wagte es bisjetzt, die Snussi des Chomsthums anzuklagen, denn wo sie sind, da herrschen sie. Sint ut sunt, aut non sint, kann man auch von ihnen sagen. Was sie aber unter allen mohammedanischen Orden und Sekten noch besonders auszeichnet, ist nicht der blosse Fanatismus innerhalb ihrer eigenen Religion, sondern der glühende Christenhass, der sie in dieser Beziehung zu jedem Verbrechen antreibt, wenn dasselbe ausserhalb des Bereichs des irdischen Richters begangen werden kann; nur dieser allein vermag ihren Leidenschaften einigermassen noch einen Zaum anzulegen, denn vor zukünftiger Strafe fürchten sie sich durchaus nicht, so sehr sie auch äusserlich sich den Anschein davon geben.

Der augenblickliche Schich der Snussi, Sidi el Madhi ben Snussi ist der älteste Sohn des Stifters des Ordens, lebt verheirathet in Djarabub, hat mehrere Kinder, verliess noch nie das Sanctuarium, thut täglich, wie sein verstorbener Vater, Wunder und kann nicht nur als der einflussreichste, sondern auch als der reichste Mann der ganzen östlichen Wüste betrachtet werden.

[94] Petermann's Mittheilungen, II. Ergänzungsband.

[95] Les anciennes explorations etc. (Lyon 1879).

[96] S. 143 seines deutschen Reisewerke.

[97] Eigentlich heisst der Falke auf arabisch "thir el horr", welcher Name übrigens den Suya auch geläufig war.

[98] Kommt auch in Kebabo vor, siehe darüber die beigegebene Abhandlung von Peters.

[99] Der von Behm in "Das Land und Volk der Tebu", S. 51, angeführte Schehaymah war eine den Suya wohlbekannte Persönlichkeit; ein gewisser Reis Ali, ein Suya, bekannt als einer der besten Führer, wollte sein Schüler sein. - Wenn es S. 51 dort heisst: "Von el Deemy ging Schehaymah 6 Tagereisen nordnordwestlich zum Djebel en Nari, wo er nur eine sehr kleine Menge Regenwasser in einem natürlichen, am Fusse des Berges gelegenen Reservoir vorfand" u. s. w.; und, dann: "Einige Leute von der Karavane suchten daher gegen Osten nach Wasser und kamen nach einem drei- bis vierstündigen Manch durch Sand zu einer unbewohnten Oase, wo es ein wenig Wasser gab. Wie es scheint, wurden sie zu dieser Richtung durch die Spuren eines alten Wegs veranlasst, der von Oberägypten hierher führte. - Nachdem der grösste Theil der Sklaven und Kamele vor Durst umgekommen war, beschloss man, die Richtung nach der Oase Kufarah in Nordwest einzuschlagen und erreichte sie in fünf Tagereisen über eine vollkommen sterile Wüste" - dann kann die Djebel Nari nur das Gebirge sein, welches nordwestlich von Kebabo sich befindet und Djebel Neri heisst, und die Karavane kam dann von da wahrscheinlich nach Hauari und später nach Taiserbo, welches wol zuerst den Hauptnamen Kufra führte. Dass Taiserbo Herrschersitz der ganzen Oase war, also ursprünglich allein Kufra hiess, geht nicht nur aus den Aussagen der Suya hervor, sondern wird bestätigt durch die Ruinen von zwei Gasr, welchen ein dritter, den wir aber nicht gesehen haben, im Osten von Taiserbo, Keseba genannt, noch beizugesellen wäre. Die Verweschelung der Himmelsrichtung bei Schehaymah's Marsch ändert nichts an der Sache.

[100] Klosterbrüder.

[101] Chuan, Klosterbrüder.

[102] History of the recent discoveries at Cyrene etc. (London 1846.)

[103] Siehe Edrisii Africa, cur. Bartmann, S. 495.

[104] Choms, von chamis, fünf, weil alle die die Fünften heissen, welche nicht einer der vier orthodoxen Sekten angehören.


<< >> Up Title Contents