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Tripolitanien und seine Bedeutung in der Entdeckungsgeschichte von Africa.

Die Thatsache, dass inmitten so bewegter Zeiten unter dem Präsidium des hochherzigen Königs der Belgier eine Conferenz zusammen treten konnte, welche ausschliesslich humanitäre Zwecke zu verfolgen sich versetzte, ist sicher eins der hervorragendsten Zeichen unseres Jahrhunderts. Des Jahrhunderts, von dem man später sagen wird, dass, wenn man auch durch welterschütternde Umwälzungen und durch Kriege, wie man sie früher grossartiger nicht erlebt hat, ein neues politisches Gleichgewicht glaubte suchen zu müssen, doch nie von den civilisirten Nationen das Streben ausser Acht gelassen wurde, das Loos des einzelnen Menschen zu heben, so wie das, ganze Völker durch Cultur, Freiheit und Licht zum menschenwürdigen Dasein zu bringen.

Es muss die Aufgabe eines einzelnen Menschen sein, das Loos seines Mitmenschen zu verbessern, es ist das Ziel der Könige und Regierungen, ganze Völker zu civilisiren. Und handelt es sich um einen ganzen Erdtheil, und noch dazu um einen Continent, der zum grössten Theil unerforscht ist, und wo ganze Völkerschaften in den Banden der Nacht und Finsterniss verharren, dann ist ohne Widerrede der richtigste Weg, um Civilisation zu verbreiten, der, ans Werk mit gemeinsamen Kräften zu gehen, die Angelegenheit zu einer internationalen zu machen.

Dies hat zuerst der König der Belgier erkannt, und freudig folgten die grossen Völker der Erde seinem Rufe.

Es handelt sich um die Erschliessung und Erforschung der Theile Africa's, welche sich bislang unserer Kenntniss entzogen haben, um die Civilisirung der Neger und um Abschaffung des Sclavenhandels.

Mag man nun auch über die Culturfähigkeit der Neger denken wie man will, und mögen Manche von solchen Versuchen sich keine Resultate versprechen, so ist es jedenfalls die Pflicht der gebildeten Nationen, nichts unversucht zu lassen, um unsere schwarzen Brüder der Segnungen der Gesittung theilhaftig werden zu lassen, welcher wir uns erfreuen. Und wenn sich auch die Thatsache schwerlich hinwegleugnen lässt, dass die Naturvölker durch den Contact mit den civilisirten Menschen einem raschen Aussterben entgegen gehen, so liegt doch unzweifelhaft uns stets die Pflicht ob, Alles zu versuchen und zu thun, jenen unglücklichen Stämmen Bildung und geordnete Zustände zu bringen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass diese ganze Frage keineswegs endgültig entschieden ist. Denn von den Ureinwohnern America's und Australien's kann man nicht ohne Weiteres auf die Bewohner Centralafrica's schliessen, und so weit jetzt die Erfahrungen reichen, scheinen diese allein das dort so gefährliche Klima vertragen zu können.

Uebersehen darf man überdies nie, dass die meisten Africareisenden sich für die Culturfähigkeit der Schwarzen ausgesprochen haben, obgleich hervorragende Anthropologen von Fach solches verneinen. Man muss bedenken, dass die Reisenden die Neger in ihrer Heimath und Freiheit, in ihrem Naturzustande, in ihren wahren Verhältnissen beobachteten, während die Anthropologen sie nur kennen lernten aus Schilderungen, oder wenn aus eigener Anschauung, als Sclaven, also unter fremdartigen, keineswegs normalen Verhältnissen.

Durch die Brüsseler Conferenz ist ganz besonders betont, das Augenmerk auf den Theil von Africa zu richten, welcher zwischen dem 10.deg. N. B., dem 10.deg. S. B. und dem 30.deg. und 50.deg. O. und W. L. von F. gelegen ist, im weitesten Sinne genommen. Und in der That ist dies grosse Gebiet bislang nicht nur das unbekannteste, sondern auch dasjenige, welches den civilisatorischen Bestrebungen den weitesten Spielraum gestattet: es befindet sich dort - mit Sicherheit kann man das fast behaupten, eine dichte Bevölkerung.

Indess hat die Brüsseler Conferenz doch auch ihr Augenmerk auf die nördlichen Sudanländer gerichtet, und speziell sind Bagermi und Uadaï als Länder hervorgehoben worden, von denen man ausgehen könnte. Zu diesen möchten wir auch noch Adamaua, die Korofa- und Nafra-Gebiete gezogen sehen, so wie das nördlich davon gelegene Bautschi. Abgesehen von Nafra, welches am besten von Lokoja, am Niger gelegen, zugänglich ist, sind aber alle jene eben genannten Gebiete von Tripolitanien aus am leichtesten zu erreichen. Ich will nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass man auch von Aegypten aus, bequem nach Uadaï würde reisen können, wenn nicht der Umstand eingetreten wäre, dass der Chedive sich Fur's mit Waffengewalt bemächtigt hätte, was natürlich jetzt in Uadaï grosses Misstrauen, ja feindseliges Verhalten hervorrufen muss gegen Alles, was vom Nil kommt. Zudem hat aber die Association in Brüssel beschlossen, Aegypten selbst ganz ausser dem Bereiche der sich vorgesteckten Thätigkeit zu lassen. Schliessen wir aber Aegypten aus, dann bleibt als einziges Thor für Nordcentralafrica nur Tripolitanien. Denn Marokko muss wegen des dort herrschenden Fanatismus seiner Bewohner, wegen des glühenden Hasses alles Europäischen, vorläufig ganz ausser Frage bleiben, ebenso Algerien, wo die südlichsten unabhängigen Stämme, z.B. in Tuat und den Tuareg-Gebieten, jetzt noch eine unübersteigliche Schranke für die Verbreitung der Cultur und Civilisation der Europäer bilden. Dasselbe kann man fast von Tunesien sagen, denn die dortige schwache Regierung hat es noch keineswegs einmal vermocht, in der Hauptstadt selbst vollkommen sichere Zustände herzustellen. Wurden doch im vergangenen Winter noch europäische Maler, welche vom fanatischen Pöbel bei dem Abzeichnen einer Moschee betroffen waren, auf roheste Weise insultirt, und schlimmere Excesse konnten nur durch Intervention consularischer Cavassen vermieden werden.

Ganz anders verhält es sich mit Tripolitanien.

Betrachtet man die Karte von Africa, so ergiebt sich sofort schon ein mechanischer in die Augen springender Vortheil, den dieses Land bietet: Die Nordküste von Algerien und Tunesien geht bis zum c. 37.deg. N. B., die von Tripolis bis zum c. 31.deg. N. B. Die südlichsten Punkte von Algerien liegen (wenn ich Golea als französisch betrachte, obschon die dort lebende Bevölkerung keineswegs unbedingt dem algerinischen Gouvernement ergeben ist) unter dem 30.deg. N. B., während das südlichste Land Tripolitaniens, Fesan, südwärts an den nördlichen Wendekreis herantritt. Bis zum Wendekreis des Krebses kann der Forscher, von Tripolitanien ausgehend, ohne grosse Schwierigkeiten überwinden zu müssen, reisen.

Das ist eine Thatsache, welche nicht zu unterschätzen ist.

Ein anderer grosser Nutzen, den Tripolitanien den Entdeckungsreisenden bietet, ist, dass im ganzen Lande die grösste Sicherheit herrscht. Denn wenn auch in jüngster Zeit Morde europäischer Reisender dort vorgekommen sind, so ist nicht ausser Acht zu lassen, dass Alexandrine Tinne, Dournaux-Dupéré und Joubert zwar auf tripolitanischem Boden ermordet wurden, aber nicht von türkischen Unterthanen. Bei einem so ungemein ausgedehnten Territorium, wie es Tripolitanien ist, wo fruchtbare Landstrecken überall durch ausgebreitete Wüsteneien getrennt sind, kann man aber unmöglich die Regierung für vereinzelt vorkommende Verbrechen verantwortlich machen, zumal wenn sie nicht einmal von den eigenen Unterthanen begangen worden sind.

Im Gegentheil, man muss das der türkischen Regierung nachsagen, dass sie es verstanden hat, Sicherheit im Lande zu schaffen für Privatpersonen, trotzdem Tripolitanien noch nicht so lange im Besitz der Pforte ist als Algerien unter französischer Herrschaft.

Die Grenzen von Tripolitanien sind nur nach Norden zu bestimmt gezogen, nämlich durchs Mittelmeer. Im Westen nehmen einige Geographen als Ausgangspunkt das Cap el Biben, andere den Ued Sagrau an, und ziehen von dort eine Linie nach Rhadames, der Art, dass diese Wüstenstadt mit ihrem kleinen Gebiet noch Tripolitanien zufällt. Von Rhadames südwärts eine Linie nach Rhat ziehend, erhält man die weitere Westlinie. Die Südgrenze wird fixirt durch Rhat, Tedjerri in Fesan, von welch' letzterem Orte sodann eine Linie nach den Oasen Djalo und Audjila gezogen werden muss, um die Südgrenze zu erhalten. Im Osten bildet der Golf vom Milhr den Punkt, welcher als Grenze angenommen wird zwischen Aegypten und dem türkischen Gebiet. Die Linie südwärts vom Golf Milhr ist aber nur eine ideal gezogene als Ostgrenze, denn man weiss nicht einmal, ob der Bir Tarfaya ägyptisch oder tripolitanisch ist. Topographisch würden wir nicht anstehen, ihn zur Oase des Jupiter Ammon, also zum ägyptischen Territorium zu rechnen. Dies ungeheuer grosse Gebiet, doppelt so gross als Deutschland, ist noch fast ganz unerforscht. Und wir haben natürlich, wie es aber in Wirklichkeit der Fall ist, die Grenzen nur ganz ungefähr gezogen, denn, wenn man will, kann man dieselben nach allen Seiten hin weiter ausdehnen. Mit den Nachbarn sind noch nie darüber Verhandlungen gepflogen worden, und wird es damit auch noch gute Weile haben.

Wir haben oben schon angedeutet, dass Tripolitanien nicht nur einer der allerwichtigsten Ausgangspunkte für Entdeckungsreisende gewesen ist, sondern es auch bleiben wird. Weshalb das Letztere, ist ebenfalls schon aus der bevorzugten Lage erörtert worden. Und um das erstere zu erhärten, führen wir nur folgende Thatsachen an:

Der Vater der deutschen Africa-Reisenden, Hornemann, trat, und zwar auf Kosten der Londoner africanischen Gesellschaft, 1799 seine Reise, unter den Auspicien Bonaparte's, von Cairo aus an, aber um dieselbe zu einer erfolgreichen machen zu können, kehrte er von Mursuk, bis wohin er schon gekommen war, nach Tripolis zurück, brach dann von dieser Stadt aus auf, und wenn er später im Sudan, man vermuthet in Timbuktu, seinem Schicksal erlag so theilte er dies beklagenswerthe Loos mit vielen anderen.

Lyon und Ritchie's Expedition nach Fesan, welche sie 1818-20 von Tripolis aus unternahmen, machten damals das grösste Aufsehen, und dieser Reise verdankten wir zuerst sichere, auf eigene Anschauung und Erfahrung beruhende Kunde vom Sultanat Fesan, welches im Anfange dieses Jahrhunderts noch so mächtig war, dass es Krieg mit Tripolitanien selbst führte.

Denham machte 1821 im Vereine mit Dr. Oudney und Clapperton jene Epoche machende Expedition nach Bornu, Mandara und Sokoto. Von Tripolis aus traten sie dieselbe an, und zuerst bekam man jetzt Kunde von jenen grossen sudanischen Reichen, welche man bis dahin nur dem Namen nach gekannt hatte. Die Expeditionsmitglieder kehrten über Tripolis nach der Heimath zurück.

Die Gebrüder F. W. und K. W. Beechey unternahmen 1821 von Tripolis aus, jene erfolgreiche Erforschung längs der Küste der grossen Syrte, und durch sie erhielten wir jetzt zum ersten Mal eine richtige Küstenaufnahme der Syrtenufer und der felsigen Gestade Cyrenaïka's.

Major Laing trat 1825 seine Reise nach Timbuktu von Tripolitanien an. Auf der Rückkehr von Timbuktu wurde er leider ermordet.

Richardson drang, der erste Europäer, von Tripolis ausgehend, über Rhadames bis Rhat vor, und 1850 war er zuerst der Führer der Barth'schen Expedition, welche von Tripolis ausging,

In der That hatte Barth schon vorher die ganze Nordküste Africa's durchforscht, so trat er doch seine, an Ausbeute und Errungenschaft so reiche Untersuchung, mit Richardson und Overweg 1850 von Tripolis an, und kehrte auch von seiner grossen Wanderung nach Tripolis zurück, nachdem seine beiden Gefährten im Sudan ihren Tod gefunden hatten.

Auch Eduard Vogel trat 1853 seine Exploration von Tripolis an; dass er drei Jahre später in Uadai ermordet wurde, ist bekannt.

Demselben Schicksal erlag auch der treffliche Moritz von Beurmann, und auch er trat 1861, wenn auch nicht von Tripolis, so doch von einer tripolitanischen Stadt, von Benghasi, seine Reise nach dem Sudan an.

Duveyrier beendete seine mustergültige Erforschungsreise in die Sahara und zum Gebiete der Tuareg in Tripolis.

Oberst Mircher, Polignac, Vatonne, Hoffmann und Ismael Bon Derba machten ihre Expedition nach Rhadames im Jahre 1861 von Tripolis aus.

Ich selbst beendete eine meiner Expeditionen, nämlich die Uebersteigung des grossen Atlas und die Reise nach Tuat, in Tripolis.

Mein Unternehmen nach dem Tschad-See und quer durch den africanischen Continent fing ich von Tripolis aus an, und endlich, die Wanderung nach Cyrenaïka und der Oase des Jupiter Ammon, wurde von Tripolis aus unternommen.

Dr. Nachtigal schliesslich begann seine Reise nach Bornu, die ihn zugleich nach dem jungfräulichen Tibesti brachte, und wobei es ihm gelang Borgu und Uadaï zu durchziehen, von Tripolis aus; um dieselbe Zeit brach mit ihm von Tripolis auf Alexandrine Tinne, welche allerdings den Versuch von hier aus nach dem Sudan vordringen zu wollen, mit ihrem jungen Leben büssen musste.

Und während diese Zeilen geschrieben wurden, ist es Dr. von Bary gelungen, von Tripolis aus Rhat und Air zu erreichen, immerhin ein Erfolg, wenn man bedenkt, dass seit Duveyrier kein Europäer diesen Ort erreichte, aber wie drei vor ihm auf dieser Strecke, fiel auch er, ein Opfer des dunklen Continents.

Die grosse Reihe wirklich glänzender Expeditionen, welche von hier aus unternommen wurden, verbürgt, dachte ich, hinlänglich die Wichtigkeit Tripolis' als Ausgangspunkt für grössere Expeditionen. Die Namen von Hornemann, Lyon, Ritchie, Denham, Dudney, Clapperton, Laing, Beechey, Richardson, Barth, Overweg, Vogel, v. Beurmann, Duveyrier, Nachtigal und meiner Wenigkeit sind in der That von Tripolis gar nicht zu trennen.

Ich glaube somit zur Genüge die Wichtigkeit Tripolis' als Abgangsstation dargelegt zu haben, möchte aber nur noch betonen, dass durch die oben genannten Reisenden und Expeditionen keineswegs die ins Innere fahrenden Routen erschöpft sind. Wenn auch die Hauptstrasse, die via Fesan und Bilma direct ins Innere geht, vorläufig den grossen Umrissen nach bekannt erscheint, so muss man bedenken, dass der Weg von Rhat südwärts über Air nur einmal begangen, dass aber der Weg von Djalo über Kufra und Uadjanga nach Uadaï noch nie erforscht wurde, dass es von Beurmann nur gelang, von Mursuk aus östlich bis Uau zu kommen, dass endlich das wichtige Hogar- oder Ahagar-Gebiet, wegen seiner gebirgigen Natur so hoch interessant, noch immer der Erschliessung harrt, dass somit auch für die Zukunft Tripolis noch immer als einer der besten Plätze bezeichnet werden muss, als Ausgangspunkt für Entdeckungsreisende.

Dazu ist namentlich zu rechnen, dass eins der grossen africanischen Probleme wohl nur von Tripolitanien aus gelöst werden kann, wenigstens unter den jetzigen Verhältnissen. Es ist das gewissermassen ein Vermächtniss unseres ruhmvollen Barth.

Als ich im Winter 1864 in Berlin mit demselben über meine bevorstehende Reise nach Centralafrica mich berieth, bezeichnete er es als eine der grössten Aufgaben[1], festzustellen, ob eine Wasserverbindung zwischen den Schari-Gewässern und denen des Benue bestände. Es klingt auf den ersten Augenblick paradox und doch wäre keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, dass während der Regenzeit aus den sumpfigen Tuburiländern ein Theil der Niederschläge nach dem Tschadsee, ein Theil nach dem atlantischen Ocean seinen Weg suchte und zwar aus derselben Gegend.

Haben wir doch in den Vereinigten Staaten von Nordamerica auch die Eigenthümlichkeit, dass der Michigan-See seine Gewässer durch die Seenkette nach dem atlantischen Ocean ergiesst, zugleich aber durch den Illinois river und Mississippi in den Golf von Mexico. Wenn letztere Verbindung auch erst wegen der nothwendig gewordenen Erhöhung von Chicago künstlich geschaffen worden ist, so liegt doch auf der Hand, dass die Natur ebenso gut einen Abfluss nach zwei oder mehreren Seiten bewirken kann von Einer Ebene, von Einem See, von Einer Hochebene aus. Derartige Beispiele giebt es überdies auf unserer Erde genug.

Wie wichtig wäre es aber, einen solchen Zusammenhang der Gewässer wirklich nachzuweisen! Bei der grossen und weit aufwärts möglichen Schiffbarkeit des Benuè, wäre sodann an eine Wasserstrasse vom atlantischen Ocean nach dem Tschad-See zu denken. Die Tuburi-Gegenden sind aber vorläufig am leichtesten von Tripolitanien aus zu erreichen.

Ich habe mich darauf beschränkt, nur die Reisenden und ihre Expeditionen anzuführen, welche von Tripolitanien ausgingen, um Innerafrica zu erschliessen. Die Anzahl derer, welche sich mit der Regentschaft selbst beschäftigt haben, ist gleich gross und dennoch ist bis auf den heutigen Tag, abgesehen von Marokko, Tripolitanien die Landschaft von Nordafrica, welche am unbekanntesten geblieben ist.

Zum Theil liegt es daran, dass eben jene Reisenden, welche nach Centralafrica reisen wollten, der Erforschung des tripolitanischen Gebietes zu wenig Wichtigkeit beilegten; es war ihnen darum zu thun, so schnell vorwärts zu kommen wie möglich, um bald ganz neue Gegenden zu erreichen. Zum Theil ist es dadurch begründet, dass nie Fachgelehrte Tripolitanien als Object ihrer Untersuchungen genommen haben. Letztere können selbstverständlich nur dann mit Erfolg ind Gründlichkeit ihre Studien in einem Lande betreiben, wenn sie wissen, dass sie in demselben einen zuverlässigen Halt und Stützpunkt finden. Man muss in dieser Beziehung wohl unterscheiden. Ein Entdeckungsreisender soll und muss überall hingehen. Er soll nur möglichst genaue Auskunft über die Topographie, über orographische und hydrographische Verhältnisse der Länder geben, so wie im Allgemeinen über die Geologie, die Pflanzen, Thiere- und Völker berichten.

Aber wenn ein Land den grossen Umrissen nach bekannt ist, dann kommt die Reihe an die Fachgelehrten, an die Specialisten, die aber einen Stützpunkt haben müssen, weil sie sonst in einem kaum erforschten Land, wie z.B. in Tripolitanien, in die Rolle eines Entdeckungsreisenden hineinfielen. Sobald sie aber wissen, dass ihnen jemand zur Seite sieht, welcher sie in einem ganz fremden Lande mit Rath und That unterstützt, und ihre Aufmerksamkeit auf das lenken kann, was ihrer Beobachtung würdig ist, können sie mit Erfolg operiren. Ein solcher Mittelpunkt für Reisende fehlt aber in Tripolitanien ganz und gar. Wohl fanden seiner Zeit die Reisenden trefflichen Halt an Männern, wie Botta, Hermann, Warrington u. a., aber es war das immer mehr ein bloss materieller, basirt auf die consularische Macht der Genannten, als dass sie sich je um Forschungen bekümmert hätten. Nur Botta suchte in jeder Beziehung eine Ausnahme zu machen.

Aber wenn er auch der gelehrteste Mann war, und namentlich um Niniveh- und Cuneïformschrift sich unsterbliche Verdienste erworben, so wusste er von Tripolitanien nur das, was seine consularische Thätigkeit erforderte, und von Centralafrica so viel wie jeder Gebildete, welcher in Nordafrica weilt. Aehnlich war es mit Oberst Hermann und Oberst Warrington der Fall, welche den Reisenden in ihren Unternehmungen trefflich zur Seite standen, denen aber trotzdem die Kenntniss von Land und Leuten abging, die man erwirbt, wenn man als ihres Gleichen unter ihnen gelebt hat. Augenblicklich ist aber in Tripolis weder ein Botta noch ein Hermann.

Wie viel aber in Tripolitanien selbst noch zu thun ist, erhellt aus nachfolgender kurzer Darlegung:

Was die Fauna anbetrifft, so soll nicht geleugnet werden, dass unter den grösseren Thieren kaum ein neues zu finden sein dürfte. Reissende Thiere giebt es überhaupt nicht mehr, falls man Hyänen und Schakale nicht dahin rechnet. Aber in der kleineren Thierwelt würde manches Interessante vorkommen, namentlich ein Entomologe seine Mühe gewiss nicht unbelohnt finden. Und dass auch der Zoolog in der Cyrenaïka eigen gebildete kleinere Thiere finden könnte, der wirklich insularen Lage des Landes wegen, daran ist wohl kaum zu zweifeln, und wäre das gewiss einer Untersuchung werth. Ausserdem ist die Küste reich an Schwämmen und Korallen, und in den stets Wasser haltenden Uadis giebt es Fische.

Botanisch ist das Land so gut wie noch gar nicht untersucht. Und doch dürfen wir vermuthen, gerade hier eine von den übrigen Ländern Nordafrica's verschiedenartige Flora zu finden. Die Djefara ist eine der pflanzenreichsten Gegenden Nordafrica's. Ich würde sie mit der Metidja von Algier in topographischer Beziehung vergleichen, denn sie ist im Norden vom Mittelmeere bespült, östlich und südlich aber vom Djebel, welches Gebirge verschiedene Namen hat, zu einem Dreieck umsäumt. So präsentirt sich die Metidja auch: als eine, von Gebirgen umschlungene, am Meere gelegene Ebene. Aber die Djefara wird ganz andere Pflanzen haben, weil sie 5deg. südlicher liegt als jene. Die Djefara ist überdies ungefähr 10 Mal so gross wie die Metidja.

Das Gebirge im Süden von Tripolis ist auch mit einer andern Flora bestanden, als die auf den Algerischen und Tunesischen Ländern am Meere gelegenen Bergen, weil diese gleich eine bedeutende Höhe erreichen, aber die in Tripolis kaum zu 2500 Fuss ansteigen.

Die Wüstenflora von Tripolitanien, sowie die in den tripolitanischen Oasen ist fast ganz unbekannt. Allerdings hat Henry Duveyrier eine dankenswerthe Bereicherung der Pflanzen südlich von Rhadames gegeben, aber das eigentliche Tripolitanien, namentlich die grossen Strecken südlich von den Syrten sind botanisch noch vollkommen jungfräulich. Und dasselbe kann man von Cyrenaïka sagen. Die inselartige Lage dieses Landes, die reiche Vegetation desselben stellen dem Botaniker die schönsten Schätze in Aussicht. Ist doch noch heute nicht einmal endgültig entschieden, welche Pflanze, unter den jetzt dort wachsenden, jenes im Alterthum so berühmte Silphium gewesen ist.

Wenn aus diesen Andeutungen genugsam hervorleuchtet, dass ein Botaniker für Jahre dort reiche Beschäftigung fände, so ist andererseits für den Geologen das zu erforschende Gebiet nicht minder reich. Der einzige Geolog von Fach, Overweg, hatte sein Augenmerk weniger auf Tripolitanien gerichtet, als auf den Sudan. Das Ghoriangebirge, das schwarze Gebirge, der von Hornemann und von Beurmann durchzogene Harudj, sind geologisch noch gar nicht untersucht. Und was ein wirklicher Geologe und Paläontolog zu finden vermag, wo Laien nichts sehen, das hat am deutlichsten die libysche Expedition 1873/1874 gezeigt. Die Partien mit felsigem Boden waren doch auch früher schon begangen worden, unsere Expedition war keineswegs die erste, welche nach Dachel, nach Chargeh und nach der Oase des Jupiter Ammon hingekommen ist. Berühmte Namen stehen mit den Oasen in Verbindung. Aber wissenschaftlich erschlossen hat die Gesteinskunde dieser Gegend nur Zittel.

In Cyrenaïka, diesem so interessanten Hochlande Nordafrica's, sind die namhaftesten Forscher gewesen, dennoch wissen wir über die geologischen Verhältnisse fast nichts. Tripolitanien ist eben noch ein unerforschtes Land.

Am wenigsten befriedigend sind aber die topographischen Verhältnisse festgestellt. Einigermassen genau verzeichnet und aufgenommen ist nur die Küste, und selbst diese ist an manchen Punkten, namentlich an der Syrte, nicht ganz zuverlässig.

Im Innern haben wir, aber nur einzelne Orte, welche astronomisch bestimmt sind, und eine genauere Nachbestimmung wäre auch hier wohl sehr wünschenswerth.

Die nächste Umgegend von Tripolis ist kaum bekannt.

Wir haben in der Djefara verschiedene Uidian[2] verzeichnet, aber der Lauf derselben ist nicht correct, sondern beruht meistens nur auf Aussagen der Eingebornen; wir wissen nicht einmal, ob einige unter ihnen bloss periodisch Wasser haben, oder wirkliche Flüsse sind.

Das Gebirge unmittelbar im Süden von Tripolis, hier Duirat, dort Ghorian genannt, kennen wir allerdings den grossen Umrissen nach, aber weder sind auch nur die bedeutendsten Höhen alle gemessen, oder auch nur verzeichnet, noch sind sonst die Züge der Bergrippen und Thäler genau richtig. Das bedeutende Uadi Sufedjin ist noch nie von seinem Ursprung bis zur Mündung erforscht worden, wir kennen nur seine Existenz, weil die meisten Reisenden es an verschiedenen Stellen durchschnitten.

Man wusste so wenig von der Ausdehnung der "schwarzen Berge" südlich von Sokna, dass erst meine Reise südlich von Misda nähere Aufklärung brachte. Ueber einen Grad östlich davon fand ich die schwarzen Berge und zwar ca. 1000' höher als die südlich von Sokna. Und es dürfte wohl keine allzu gewagte Behauptung sein, dass alle diese Höhen Theile eines grossen. zusammenhängenden Gebirgszuges seien, einerlei ob Haradj assuad oder Djebel ssuda[3] genannt. Aber es ist von grösster Wichtigkeit, dies durch eine Exploration, zu erhärten.

Die ganze grosse Region südlich von der grossen Syrte nach dem Inneren zu, ist noch unbekannt, und von Cyrenaïka ist eigentlich nur die Küste, und der Nordwestsaum des Hochlandes aufgenommen. Wie und wo das Hochland nach dem Osten aufhört und abfällt, können wir wohl vermuthen und stellen es nach unseren Vermuthungen auch so auf den Karten dar, ob das aber richtig ist, wissen wir nicht, es ist noch niemand dagewesen. Es wäre gewiss von Bedeutung festzustellen, ob die Depression von Andjila-Djalo und Bir Rissam, vom Syrtenmeer durch Sanddünen, oder durch felsiges Terrain abgeschlossen ist. Damit soll aber, falls ersteres sich erwiesen keineswegs gleich für eine Unterwässerung der betreffenden Depression plaidirt werden.

Vor allem wichtig aber wäre es, über die ethnographischen Verhältnisse Tripolitaniens Aufschlüsse zu bekommen, über welche noch so gut wie gar nichts festgestellt ist. Die Angabe der Zahl der Bewohner ist so verschieden, für Tripolis-Stadt selbst, dass ich darauf verzichte, eine Zahl zu nennen. Aber wie sieht es erst mit der Abstammung der Triben selbst aus, wenn wir von den Städten absehen. Wir wissen eigentlich nichts davon.

Wohl sagen wir, in den Bergen wohnen Berber, welche tamasirht reden, die zum Theil Choms (d.h. nicht Rechtgläubige, sondern einer fünften Secte angehörend) sind, aber das ist auch so ziemlich Alles, was wir von ihnen wissen. Am genauesten haben wir noch Aufschlüsse über den Ursprung der Rhadamser. In der Djefara nomadisiren zahlreiche Stämme; es ist nicht einmal ausgemacht, ob sie berberischen oder arabischen Triben angehören. Denn keineswegs dürfte es richtig sein, dass alle die Triben, welche Zelte ans Wolle oder Haar bewohnen, arabischen Ursprungs seien.

In Tripolitanien ist also eigentlich noch alles zu thun, denn die Botanik so gut wie die Geologie, die Gestaltung der Erdoberfläche wie die dort lebenden Stämme sind unerforscht. Und über die meteorologischen Verhältnisse liegt nur das vor, was die Reisenden während ihrer periodischen Anwesenheit in Tripolitanien aufzeichneten. Wie lückenhaft ist das aber!

Dove hat wiederholt betont, wie wichtig es sei, allein genauer und regelmässig angestellter meteorologischer Beobachtungen wegen, eine Station in Tripolis zu haben. Ehe wir nicht in ganz Europa, und in dieser Beziehung müssen die Berberstaaten und der ganze Nordrand von Africa mit zu Europa gezählt werden, ein correspondirendes Netz von meteorologischen Stationen haben, werden wir überhaupt nicht im Stande sein, solche Resultate zu erzielen, wie es das Signal office of the united states in Washington thut. An der ganzen ausgedehnten Küste von Nordafrica giebt es aber nur in Algerien zuverlässige meteorologische Stationen, während auf der langen, langen Strecke von Bone bis Alexandria in Egypten kaum ein Barometer zu finden sein dürfte, - eine Strecke, welche in gerader Luftlinie so lang ist wie von Madrid nach Berlin - oder falls ein solches in dem Hause irgend eines Consuls sich vorfände, doch nicht benutzt wird. Man bedenke doch, welch grossen Einfluss gerade Africa mit der Sahara, und speciell Tripolitanien wegen seines saharischen Charakters, auf unser Klima ausübt! Wie manches werden wir uns in unseren meteorologischen Verhältnissen später mit Leichtigkeit erklären, Wenn constante Beobachtungen in Africa den Schlüssel geben. Schon vor Jahren betonte auch Bruhns in Leipzig das Wichtige einer meteorologischen Station in Tripolis.

Von allen Zweigen ist es aber die Archäologie und die prähistorische Kunde, welche die reichste Ausbeute erzielen dürften.

Gleich in Tripolis selbst erwartet den Alterthumsforscher ungeahnte Ausbeute[4], und die beiden grossen Ruinenstädte Sabratha im Westen, Leptis magna im Osten, eine jede etwa einen Grad von Tripolis entfernt, bieten Schätze, die vielleicht grösser sind als mancher denkt. Die Phönizier, Griechen und Römer haben dort ihre Spuren zurückgelassen.

Der grosse Palast, den Kaiser Severus in Leptis errichten liess, harrt noch immer seiner Enthüllung. Ganz vom Sand überfluthet, hat sich dieser wie ein schätzendes Kleid um die grossartigen Ruinen gelegt. Schon Kaiser Justinian fand die Stadt und den Palast so, und die Ausräumung derselben von Sand und die Wiederherstellung der Kaiserwohnung, die Umgebung der Altstadt mit einer Mauer nutzte nur kurze Zeit. Jetzt liegt Leptis seit 1000 Jahren unter dem Sande begraben, und nur die Spitzen der Gebäude, welche aus den Dünen ragen, hohe Grabdenkmäler, grossartige Hafenbauten der Phönizier, sagen dem Forscher, was hier alles verborgen liegt.

Aber nicht nur das alte Tripolis (Sabratha, Oea und Leptis magna bildeten die Tripolis) ist besonders erforschungswerth, sondern auch weiter nach dem Innern zu finden sich wohlerhaltene Baudenkmäler der Römer, welche nach dem Süden zu ein ganzes System von Befestigungen errichtet hatten, um die Colonisten und die Städte gegen die Einfälle libyscher Nomaden sicher zu stellen.

Die noch vollkommen ununtersuchten Höhlen im Djebel - wo heute zum Theil die Eingeborenen noch als Troglodyten wohnen, - würden sicher die reichsten vorgeschichtlichen Funde ergeben.

Kein Land der alten Welt ist aber reicher an Ruinen als Cyrenaïka, welche Provinz überhaupt von ganz Tripolitanien am wenigsten erforscht ist. Dicht zusammengedrängt finden wir dort nicht nur die wohlerhaltenen Ruinen der alten Städte Euesperides, Teucheira, Ptolemais, Apollonia, Dernis, Cyrene und Barca, sondern überall dazwischen zerstreut Trümmer von Villen, Grabdenkmälern, Castellen und Nekropolen, wie sie an Pracht und Ausdehnung nirgends in der alten Welt mehr vorkommen. Regelrechte und systematische Nachgrabungen sind in der Cyrenaïka noch nicht gemacht worden, und doch hat man schon herrliche Schätze der Kunst dort gehoben.

Was Ausgrabungen dort für Kunstwerke zu Tage förderten, das haben Donys und namentlich Smith und Porcher bewiesen. Die Statuen, welche letztere nach London gebracht haben, einen Apollo citharoedes, einen Bacchus, die Nymphe Cyrene einen Löwen bändigend und von der Libya gekrönt, gehören zu den schönsten Statuen des Alterthums. Uebrigens kann jeder Tourist sich von der Reichhaltigkeit alter Ueberreste überzeugen, denn an allen Orten werden demselben Münzen, Gemmen, Intaglios und Vasen entgegengebracht, und sie haben den Vorzug, dass sie ächt sind.

In Vorstehendem glaube ich zur Genüge klar gelegt zu haben:

1) Wie wichtig Tripolis und die Regentschaft als Ausgangspunkt für Entdeckungsreisende ist, da Stadt und Land factisch seit Hornemann, also seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts bis auf die letzte deutsche Expedition, also in unsere eigenste Zeit hinein, den erfolgreichsten geographischen Expeditionen nach Innerafrica als Basis gedient hat. Zu dem Ende ist es aber von grösster Bedeutung, dass in Tripolis eine Station errichtet wird. Nichts ist werthvoller für den eindringenden Reisenden, als wenn er weiss, dass hinter ihm Jemand steht, der seine Interessen wahrt, der seine Wünsche gewissermassen überwacht und denselben zuvorkommt, und auf den er in unglücklichen Fällen zurückgreifen kann. Dies erkannt und klar auseinandergesetzt zu haben, ist eins der Hauptverdienste der Brüsseler Conferenz.

2) Wie wichtig es ist, methodisch die Erforschung Tripolitaniens selbst in Angriff zu nehmen, welches an sich schon Grund ist, dort eine Station zu errichten.

3) Soll noch die Wichtigkeit hervorgehoben werden, wie nothwendig es ist, zur Unterdrückung der Sclaverei in Tripolis eine Station zu errichten. Schweinfurth in seinem "The Heart of Africa" (t. II. p. 430) meint, dass ohne solche "Commissioners" oder Stationschefs, der Sclavenhandel schwerlich je zu unterdrücken sei; und für Tripolis gilt das mehr als für eine andere Landschaft Nordafrica's, weil zwischen Tripolis und Constantinopel directer und nicht controllirter Verkehr stattfindet.

Sollten aber obige Auseinandersetzungen in geographischen und philanthropischen Kreisen Billigung und Anklang finden, dann handelte es sich eben nur um die Beschaffung der Mittel, um eine Station in Tripolis ins Leben zu rufen, und ich zweifle keinen Augenblick, dass man sie eventuell finden würde, einerlei, ob sie aus den Fonds der internationalen Association, oder von irgend einer Regierung bewilligt werden.

[1] Siehe Barth, Vorrede und III p. 198.

[2] Uidian ist pl. von Uadi, Flussbett.

[3] Durch die Expedition nach Kufra ist festgestellt, dass der Gebirgszug Ein Ganzes bildet.

[4] So ist z.B. noch gar nicht einmal sicher festgestellt, ob Tripolis an der Stelle des alten Oea liegt, oder die Stätte weiter östlich zu suchen ist. Mannert z.B. hält das heutige Tripolis für das alte Pisindon.


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