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Eine Stadt in der Wüste Sahara.

Fast überall da, wo ein mächtiges Felsplateau mittelst steiler Wände auf eine Ebene drückt, finden wir selbst in der Sahara Quellen, welche dann zu Oasenbildung Veranlassung geben. Denn es gibt in der Sahara nur zweierlei Oasen, solche, welche entstehen längst der von den Gebirgen kommenden Flüsse oder oberhalb des von dem Flusswasser unterirdisch durchsickerten Erdbodens, oder solche Oasen, die da sich bilden, wo Druck eines Gebirges oder eines Plateau in der Nähe Quellen oder Sümpfe (Sebcha, Salzsumpf) erzeugt. Zu der ersten Sorte von Oasen gehören Draa, Tafilet und andere, zu den letztern Kauar, Siuah und die uns hier beschäftigende Rhadamesoase, ein Kind der Quelle gleichen Namens.

Dieselbe ist in gerader Linie vom Mittelmeere (Sabratha) 10 Tagemärsche entfernt; von Tripolis, von welcher Stadt aus Rhadames am meisten besucht wird, rechnet man 12 Tagemärsche. Am Eingange der grossen Wüste gelegen, befindet sich nach Duveyrier der Ort auf dem 30deg.7'48'' nördl. Br. und 6deg.43'15'' östl. L. v. P. Etwas höher als 1000 Fuss über dem Meere, sind die umliegenden Hochebenen keineswegs bedeutend höher, aber ihre Ausgedehntheit und kalkige Natur erklärt hinlänglich das Hervorsprudeln einer Quelle, von der man sich am besten einen Begriff machen kann, wenn man sich die Sprudelquelle vom Nimes vergegenwärtigen kann.

Es ist unzweifelhaft, dass in der Nähe dieser Quelle, welche naturgemäss eine dichte Palmenvegetation veranlasste, schon in grauen Zeiten Besiedelungen waren. Die heute zum Theil noch aufrecht stehenden Ruinen, von den Eingeborenen Esnamen, d.h. die Götzenbilder benannt, bezeugen es. Diese Ruinen bestanden aus Thürmen, welche zum Theil noch erhalten sind. Viereckig oder auch kreisrund angelegt, sind sie aus rohem, jedoch bearbeiteten Material errichtet. Alle haben zur ebenen Erde eine meist noch erhaltene, oben spitz[24] zulaufende, gewölbte Kammer, eine zweite solche Kammer befindet sich auf einigen Thürmen oberhalb der ersten, von aussen fuhren steinerne Treppen hinauf. Alles deutet darauf hin, dass diese Bauten lange, bevor die Römer nach Rhadames kamen, errichtet wurden; wer aber die Gründer gewesen sind, können wir nur vermuthen, nämlich Garamanten. Denn obschon hier nicht die eigentliche Heimath der Garamanten war, rechneten die Römer, als sie Cydamus eroberten, den Ort als zum Gebiete der Garamanten gehörig. Und diese Thürme, aus rohem, aber festem Material erbaut, vielleicht durch Mauern untereinander verbunden, hatten wohl den doppelten Zweck, einerseits den Garamanten eine Zufluchtsstätte und Schatzkammer zu sein, andererseits zur Vertheidigung der Quelle zu dienen.

Es sind die Römer, welche uns zuerst Nachricht von Rhadames gegeben haben. Aber aus ihren Berichten erfahren wir nicht viel mehr, als dass Consul Lucius Cornelius Balbo 19 Jahre vor Chr. die Stadt eroberte. Ob dieselbe lange dem Römischen Reiche verblieben, ob sie später christlich gewesen, darüber fehlen die Nachrichten. Alle Berichte der alten und mittelalterlichen Geographen über Rhadames sind äusserst mangelhaft und unzuverlässlich. Leo, der unter dem Namen Gademes einen grossen bewohnten Landstrich aufführt, spricht von vielen Schlössern und volkreichen Dörfern. Dapper, der Gademes oder Gademez schreibt, sagt, sogar: "Es begreift 16 bemauerte Städte und 92 Dörfer." Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, dass der örtlichen Beschaffenheit wegen, derartige Städte, Schlösser und Dörfer gar nicht existirt haben können.

Henri Duveyrier gelang es während seines Aufenthalts in Rhadames eine römische Inschrift zu entdecken, welche nach Mr. Cherbonneau aus der Regierungszeit des Alexander Severus (221-235) herrührt. Diese sehr wichtige Inschrift liefert den Beweis, dass zur Zeit der Römerherrschaft Cydamus zur Provincia Numidia gerechnet wurde. Es ist dies aber keineswegs der allein sichtbare Beweis der Römerherrschaft. Die beiden Hauptmoscheen der Stadt zeigen in ihrem Innern Säulen, die sämmtlich aus römischen Händen hervorgegangen sind. Nicht nur trifft man glatte runde, sondern auch cannelirte Monolithen, nicht nur einfache dorische, sondern sogar korinthische Capitäle. Deutliche Zeugen, dass wohl ehemals grössere öffentliche Bauten in Cydamus waren.

Die Quelle von Rhadames, welche erste Veranlassung zur Oase und Stadt gewesen ist, interessirt uns zunächst. Sie ist in einem länglich viereckigen Becken zusammengehalten, welches 25 Meter lang und 15 Meter breit ist; man sieht in diesem Bassin an mehreren Stellen deutlich das Wasser aus dem Grunde aufquellen; die grossen massiven Quadern dieses Beckens deuten ebenfalls auf römische Baumeister, welche begriffen, wie wichtig es sei, das Wasser vor der Vertheilung über die Felder anzusammeln. Von den Bewohnern Rhadames wird im Arabischen die Quelle schlechtweg l'Ain genannt; in ihrer eigenen Sprache sagen sie Tit, und in der Temahaasprache, d.h. im targinischen Idiom der Berbersprache, hat die rhadamser Quelle den Namen Arscheschuf, d.h. Krokodilquelle. Aus fünf Rinnen ablaufend, drei grössern und zwei kleinern, reicht das Wasser der Quelle und das einiger Brunnen nur aus, eine Oberfläche von circa 75 Hektaren zu bewässern, obschon der eingemauerte mit zur Oase gehörende Raum wohl doppelt so gross ist. Mircher giebt den Umfang der Oase auf 6000 Meter, den Durchmesser abwechselnd auf 1200 und 1600 Meter an. Es scheint daraus hervorzugehen, entweder dass einst die Quelle bedeutend mächtiger gewesen ist, oder aber, dass die jetzt innerhalb der Ringmauern uncultivirt liegenden Gärten aufgegeben sind, da man den Kampf gegen die Natur nicht mehr hat fortsetzen wollen oder können. Beides kann der Fall gewesen sein. Sehr häufig wird es gerade in der Sahara bemerkt, dass Quellen mit wechselnder Stärke Wasser spenden, und so konnte möglicherweise vor Jahren die Quelle hinreichend stark gewesen sein, alle die Landtheile zu befruchten, die jetzt todt liegen. Andererseits sieht man aber auch viele ehemalige Gärten mit Sand überschüttet, und auch dies kann die Ursache gewesen sein, dass der Mensch die Cultur aufgegeben hat. In all' den Oasen, welche nicht durch Flüsse gebildet werden, hat der Mensch einen beständigen Kampf zu bestehen. So auch in Rhadames. Um überhaupt eine Berieselung des Bodens mit dem Quellwasser zu ermöglichen, mussten überall die Gärten vertieft, und noch heute muss der beständig einwehende Sand immer wieder daraus entfernt werden.

In der Mitte der Quelle, bei einer Lufttemperatur von +33deg.C., fand ich Abends 10 Uhr im Juni die Temperatur des Wassers ebenfalls +33deg.C., Nachmittags bei Luftwärme von +40deg. constatirte ich, gleichfalls in der Mitte der Quelle, +35deg.. Vatonne und Duveyrier fanden im Winter bloss +29deg..[25] Ich möchte diesen Unterschied indess keineswegs allein auf den Winter schieben, sondern dem Umstande beimessen, dass es mir gelang, die Wärme des Wassers mitten im Bassin selbst zu messen, während obengenannte Herren ihre Untersuchungen am Rande des Beckens anstellten. Vatonne meint daher, dass dieser Quell sowie das Wasser zweier in der Nähe sich befindenden Brunnen mit ähnlicher Temperatur aus einer unterirdischen Wasserschicht von circa 120 Meter Tiefe entspränge. Indem er indess seine Schlüsse aus der Wärme des Wassers ableitet, dürften dieselben, da die Wärme wohl bedeutender ist, nicht ganz genau sein. Andere Brunnen, welche bei einer Tiefe von 20 Meter eine Wasserschicht besitzen, haben eine Temperatur von nur +19deg.C., und da sie bedeutend salzhaltiger sind, lässt sich aus diesen beiden Umständen mit Sicherheit annehmen, dass zwei verschiedene Wasserschichten vorhanden sind. Das viel reinere Wasser der Quelle und das der beiden nächsten Brunnen ergab von einem Liter circa 2,5 Grammen Salz, während das der übrigen Brunnen auf 1000 Grammen Wasser 9 Grammen Salz enthalten. Bevor von den Bewohnern das über 30deg. warme Wasser getrunken wird, muss es in steinernen Krügen oder Schläuchen abgekühlt worden.

Die Vertheilung des Wassers ist sehr gewissenhaft durch Wasseruhren geregelt und äusserst complicirt in der Ausführung, da das Terrain so klein getheilt ist, wie nirgends anderswo: die meisten Gärten haben keinen grösseren Umfang als 200 Quadratmeter, und sehr viele sind nur halb so gross oder noch kleiner. Auf dem Marktplatze von Rhadames befindet sich ein Clopsyder, von den Eingeborenen "Gaddus" genannt. Es ist dies ein eiserner Topf, der auf dem Grunde ein kleines Loch hat. Mit Wasser vollgefüllt, läuft er in circa drei Minuten Zeit leer. Ein kleiner Knabe, der natürlich abgelöst wird, ist beständig dabei, um die Operation zu überwachen, zu welchem Ende er in ein Palmblatt einen Knoten schlägt, sobald ein Gaddus abgelaufen ist. Sieben Gaddus werden eine Dermissa genannt. Wer also eine Dermissa Wasser für seinen Garten bekommt, erhält eine Rieselung, die ungefähr 20 Minuten anhält. Man kann damit einen Garten unter Wasser setzen, der bis 60 Palmen enthält und in 13 Tagen, welcher Zeitraum in dieser Beziehung von den Rhadamsern eine Nuba genannt wird, kommen nach Duveyrier im Ganzen 925 Dermissa zur Vertheilung. Die Berieselung aus den beiden der Quelle naheliegenden Brunnen, aus denen Neger das Wasser herausziehen, geht in ähnlicher Weise vor sich. In früheren Jahren war die Vertheilung des Wassers stets Grund zu oft blutigen Streitigkeiten. Jetzt ist alles Wasser, was zur Berieselung dient, Staatseigenthum geworden. und die türkische Regierung zieht einen jährlichen Nutzen von circa 50000 Frs. daraus, da eine Dermissa mit 80 Real Sbili[26] = 50 Frs. 20 c. verkauft wird.

Das Klima von Rhadames ist vollkommen das der Sahara, der Regen ist so selten, dass kaum alle zwanzig Jahre von einem ergiebigen feuchten Niederschlag die Rede sein kann. Die Durchschnittstemperatur beträgt +23deg.C. Während aber in den Sommermonaten die Temperatur im Schatten auf +50deg.C. steigt, fällt sie im Winter in einzelnen Fällen vor Sonnenaufgang auf -5deg.C. herab. Die herrschenden Winde sind Nord im Winter, Südost und Süd im Sommer. Obgleich man das Klima nicht ungesund nennen kann, ist es dennoch für Europäer schwer erträglich. Augenkrankheiten, Syphilis, Fieber und Dysenterien sind die häufigsten dort vorkommenden Krankheiten. Im Jahre 1865 wäre ich selbst beinahe das Opfer einer sehr acuten Blutdysenterie in Rhadames geworden. Meist entstehen diese in der Zeit der Melonen, der einzigen Frucht, welche gut in Rhadames gedeiht.

Melonen und Pasteken erreichen einen Umfang, der kolossal ist, es giebt deren, die zwei Centner schwer werden, und von denen zwei eine Kamellast ausmachen. Was die Früchte anbetrifft, wie gelbe Pflaumen, Granaten, einige Reben, Pfirsiche, Aprikosen und Feigen, so kommen sie nur noch krüppelhaft fort und sind alle sehr saft- und geschmacklos, da die Hitze viel zu gross ist. Sie sowie auch die Gemüse, von denen ich hervorhebe Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen, Rüben, Tomaten, Pfeffer, Bamien (Hibiscus esculentus), von den Rhadamsern Mlochia genannt, die ähnlich wie Gummi arabicum schmecken, Auberginen (Solanum melongena), von ihnen Bdindjel genannt, dann ein Unkraut Ssilk el belebscha - alle diese Gemüse gedeihen nur im Schatten der Palmen. An Getreide wird ebenfalls unterm Palmdach Weizen, Gerste und einige Hirsearten gebaut, aber damit lange nicht der Bedarf der Eingeborenen gedeckt. Leider sind die Dattelbäume in Rhadames weder ergiebig noch von solcher Güte, dass damit, wie in andern Oasen, die Bewohner ihr mangelndes Getreide, ihr Schlachtvieh, Butter und Oel, sowie andere Bedürfnisse zum Leben eintauschen könnten. Obschon 60000 Palmen[27] vorhanden sind, reichen sie kaum hin, den Bewohnern für einen Monat Nahrung zu gewähren.

In nächster Nähe der Stadt wächst absolut nichts an wilden Gewächsen, in der Stadt selbst einige Mimosen, an der Quelle und in den Gärten Gräser und Quecken. Zum Düngen wird aus den nahe liegenden Hattien (Oase ohne Baum, im Gegensatz zu Rhabba, Oase mit Bäumen oder Buschwerk) ein Kraut, "Agol" (Alhagi Maurorum) genannt, geholt, da der Dünger der Thiere zur Befruchtung des Bodens nicht ausreichend ist.

In Rhadames ist das Thierreich auch äusserst sparsam vertreten. Hausthiere giebt es mit Ausnahme von Kamelen, Eseln, Katzen, Mäusen, Fledermäusen und Hühnern keine. Kein einziger besitzt auch nur ein Pferd. Ebenso sind Hunde dort so unbekannt, dass mein weisser Spitz das grösste Aufsehen hervorrief. Ausser Sperlingen bemerkte ich in den Palmen die kleine graue Baumtaube, endlich Schwalben. Schlangen sind selten, obschon die Hornviper wie die gemeine Viper sich bisweilen finden soll. Der Mauergecko ist ein gern gesehener Gast und fast in allen Häusern anzutreffen, andere Eidechsen, auch die Dub-Eidechse, finden sich in den Mauern, welche die Gärten umgeben. Frösche giebt es in grosser Menge in der Quelle und in den Rinnsalen. Von den Spinnen ist besonders der Skorpion hervorzuheben. Keine der Quellen und Braunen hat Fische (in vielen andern selbst unterirdischen Quellen der Sahara findet man Fischchen), aber Blutegel sind zahlreich, ebenso einige lebende Moluskenarten. Dass die Hausfliege, diese Qual der Menschen bei Tage, die Wasserschnake, die Qual der Nacht, nicht fehlen, braucht wohl kaum gesagt zu werden; Bienen giebt es nicht, aber eine Wespenart, welche in den Häusern und Moscheen ihre Zellenwohnung baut. Da die Rhadamser Mohammedaner sind, so fehlen natürlich auch nicht die schmutzigen Insekten, die allen unreinen Menschen anhaften, aber der Floh wird nie in Rhadames gefunden, weit dieser überhaupt in der Sahara nicht existiren kann. Der Quimanquam kommt nur eingeschleppt als Parasit bei den Bewohnern vor.

Was die Bevölkerung von Rhadames anbetrifft, so ist dieselbe wie die ganze Urbevölkerung von Nordafrica berberischen Ursprunges. Ihre Sprache zeigt die grösste Aehnlichkeit mit der der Bewohner der übrigen Oasen, wie Sokna, Siuah, Audjila und anderer, sowie auch mit der Sprache der Tuareg oder der der Bewohner des Atlas und der Gebirgsbewohner längs der africanischen Küste des Mittelländischen Meeres. Fast alle Rhadamser verstehen übrigens eine oder die andere Sprache Centralafricas: namentlich verbreitet unter ihnen ist die Sprache der Hausa und der Sonrhai; ebenso verstehen auch die meisten targisch. Uebrigens haben die Rhadamser viel Neger- und Araberblut in sich aufgenommen. Es gibt zwei Volkspartheien oder Triben in der Stadt: die Beni-Uasit und die Beni-Ulit; letztere bilden drei Stämme, und die Namen dieser Stämme sind auch Namen der Quartiere der Stadt. Es sind die Tosseku, Beni-Derar und Beni-Masirh, alle drei sind Berber. Die Beni-Uasit bilden vier Stämme: die Tenkrine, Teferfera, Djeresan und Beni-Belil, die drei ersten sind Berber, der letzte Stamm ist arabischen Ursprunges. Sodann giebt es noch freie Neger und deren Nachkommen, welche gesammt Atriya genannt werden.

Nie sind bis jetzt heirathen zwischen den Beni-Uasit und den Beni-Ulit vorgekommen, da, wenn auch die blutigen Fehden aufgehört haben, die feindseligen Gefühle nach wie vor fortbestehen. In der Sprache beider ist sogar eine gewisse Verschiedenheit, da beide nie miteinander verkehren. Und jetzt, wo sie unter türkischer Herrschaft im Innern der Stadt keine Schlachten schlagen dürfen, ist dennoch die Abneigung gegeneinander so gross, dass nie einer der einen Tribe in das Quartier der andern einen Besuch machen geht. Es kommt vor, dass mancher Rhadamser Kuka, Kano, Timbuktu, Tripolis und andere fern gelegene Städte gesehen hat, ohne je einen Fuss in die andere Hälfte seiner Vaterstadt gesetzt zu haben. Das einzige neutrale Terrain ist der Marktplatz, das Haus des türkischen Paschas, die Sauya (ein Kloster mit Moschee und Schule) des Muley Thaib von Uesan und die des Muley Abd-el-Kader Djelali von Bagdad. Aber die übrigen Moscheen, in den Quartieren der betreffenden Stämme selbst gelegen, werden nur von ihren resp. Mitgliedern besucht. Der Marktplatz liegt in der Mitte der Stadt und wird von beiden Seiten von den feindlichen Quartieren begrenzt, sodass jede Partei dahin kommen kann, ohne dass es nöthig wäre, das Stadtviertel der andern zu berühren. Die Sauyas und das Gebäude des Gouverneurs liegen ausserhalb der eigentlichen Stadt.

Wenn nun aber die Rhadamser innerhalb ihrer eigenen Stadt sich vollkommen fremd einander gegenüberstehen, so hat das doch jetzt aufgehört, wenn sie auswärts verweilen. Begegnen sich von den beiden grossen Stämmen Söhne in Timbuktu oder einer andern entfernten Stadt, so verkehren sie als Rhadamser miteinander. Wie in ganz Nordafrica haben sie im schriftlichen Verkehr die arabische Sprache angenommen, bedienen sich in seltenen Fällen auch wohl blos der arabischen Schriftzeichen, um rhadamisch zu schreiben, namentlich wenn sie fürchten, dass ihre kaufmännischen Mittheilungen der zumeist offen verschickten Briefe von Concurrenten in andern Städten gelesen werden könnten. Deshalb findet man auch im Verkehre der Rhadamser eigene, vielleicht altlibysche Zahlzeichen, welche hauptsächlich dazu dienen, unter sich die Preise der Waaren u.s.w. zu verzeichnen.

Merkwürdigerweise zählen die Rhadamser in ihrer eigenen Sprache nur bis 10, von da an aufwärts aber arabisch.

Wenn Richardson in seinem Werke sagt, Rhadames sei eine Marabutstadt, so ist das irrthümlich; die Rhadamser als Berber machen darauf keinen Anspruch und können das überhaupt nicht. obschon sie sich gern in den centralafricanischen Ländern mit einem gewissen frommen Nimbus umgeben, unwissenden Negern auch wohl weismachen, dass sie Marabutin sind. Malekiten ihrem Ritus nach, sind die meisten Fkra, d.h. Mitglieder des Ordens Muley Thaib, doch hat auch Abd-el-Kader Djelali zahlreiche Anhänger, andere Orden, auch der des Snussi, haben nur vereinzelte Mitglieder. Alle Rhadamser halten streng auf pünktliche Erfüllung der religiösen Vorschriften, und da jeder lesen und schreiben lernt, so ist ein jeder "Thaleb", was dem türkischen "Efendi" entspricht. Sogar die Frauen beten meistens in den Moscheen, welche vorzugsweise am Morgen zu gewissen Zeiten ihnen reservirt bleiben.

Im übrigen sind die Rhadamser tolerant; durch ihre Handelsbeziehungen gezwungen, in den Hafenstädten direct mit den Christen und Juden zu verkehren, oder in Centralafrica inmitten der Heiden zu leben, haben sie manche Vorurtheile abgelegt. In Rhadames selbst wohnen indess keine Juden, und Christen nur vorübergehend als Consuln[28] oder als Reisende. Gegen Fremde reservirt, sind sie unter sich sehr ungezwungen, und geben sich heimlich sogar dem Genusse des Lakbi und Araki hin. Der Verkehr mit den Frauen ist indess ein sehr geregelter und es ist äusserst selten, dass man überhaupt eine Frau auf öffentlicher Strasse erblickt. Nur die Atriyaweiber findet man auf dem Markte und in den Strassen, meistens unverschleiert. Die Frauen der vornehmen Rhadamser gehen schon deshalb nicht auf die Strassen, weil alle wegen der Ueberbauung vollkommen dunkel sind; nur tappend, falls man keine Lampe hat, kann man vorwärts kommen, und durch Husten und Räuspern gibt man in dem Falle von weitem sein Kommen zu erkennen. Die Frauen verkehren unter sich auf den Dächern, welche ausschliesslich ihnen reservirt sind: mit Behendigkeit werden die niedrigen Mauern, welche alle natürlich flachen Hausdächer trennen, überhüpft, und oben in der Stadt findet oft ein grösserer Verkehr statt als unten in den finstern Strassen, denn dort oben haben auch die Frauen ihren Markt und Austausch.

Der Rhadamser ist sehr treu und wortfest. Von den europäischen Kaufleuten werden den Rhadamsern Waaren auf Borg mitgegeben, die manchmal den Werth von mehrern tausend Thalern haben, und noch nie ist es vorgekommen, dass ein Rhadamser seine Gläubiger unbefriedigt gelassen hätten. Die Rhadamser haben nur eine Frau, in der Ferne allerdings legen sie sich Sclavinnen zu, ohne indess eine feste Heirath mit ihnen einzugehen.

Was das Aeussere anbetrifft, so sind die Rhadamser meistens hässlich, da die vielen Kreuzungen mit Negern eben nicht dazu beigetragen haben, Körper und Gesichtsform zu veredeln und zu verschönern. Die Tracht der Bewohner der Stadt ist die der übrigen Städtebewohner Nordafricas, jedoch lieben sie vorzugsweise weisse Stoffe. Ein langes baumwollenes Hemd, ein zweites wollenes (Djilaba) darüber, oder ein Haik, d.h. ein langes weisswollenes Umschlagetuch, endlich ein weisser Turban, der die rothe Mütze umwickelt, vervollständigt, entweder mit gelbledernen Pantoffeln oder Sandalen an den Füssen, den Anzug. Die Reichen lieben es auch eine gestickte Tobe aus den Sudanländern zu tragen, namentlich ist das die Tracht derjenigen, die sich längere Zeit in Centralafrica aufgehalten haben. Eine Tobe ist eigentlich nichts mehr und nichts weniger als zwei ungeheuer grosse Aermel, in die durch ein winziges Loch an der Stelle, wo die Aermel zusammenhängen, der ganze Körper gesteckt wird. Ich habe nie bemerkt, dass die Rhadamser sich verschleiern, wenn sie in der Stadt sind, auf Reisen allerdings machen sie sich aus einem Turbanende einen Litham (Gesichtsschleier) wie die Tuareg. Alle Rhadamser tragen ihr Haupt glatt rasirt, und vom Barte lassen sie oberhalb und unterhalb des Mundes nur einen schmalen Streifen stehen. Die meisten Männer tragen auf irgend einem Finger einen, oft auch mehrere silberne Ringe, und um den Oberarm einen Ring aus Serpentinstein von der Breite eines Zolles. Gehen sie aus, so hängt immer ihr mächtig grosser eiserner Hausschlüssel an einem Lederbande um den Hals. Das Schnupfen des Tabacks halten sie für erlaubt; der Genuss des Haschisches wird nicht gern gesehen, ist aber trotzdem sehr verbreitet; Spirituosen werden nur heimlich genommen.

Die Frauen tragen ein langes weissbaumwollenes Hemd, Gandura genannt, die Atriya ein blaues. Alle haben Arm- und Beinringe, die je nach den Vermögensverhältnissen von Silber oder Messing sind; auch Ohrringe sind allgemein in Brauch. Korallen als Halsbänder sind sehr beliebt; Korallen und Glasperlen werden auch in die Haare geflochten, welche meistens so getragen werden, wie es in den Negerländern üblich ist; in der Regel werden sie nur einigemal im ganzen Leben zurechtgeflochten.

Die Zahl der Bevölkerung kann sich auf 5000 Seelen belaufen, und ausserdem kann man 1000 Individuen annehmen, die sich auswärts aufhalten. Richardson gibt blos 3000, Duveyrier hingegen 7000 Einwohner an, dieselbe Zahl hat auch Mircher. Als Autorität hatten die Rhadamser 1864/65 einen türkischen Kaimmakan, der vom tripolitanischen Gouverneur abhängig ist. Früher war nur ein Mudir in der Stadt. Militärische Kräfte stehen ihm mit Ausnahme einiger Leute aus dem Ghoriangebirge nicht zur Seite. Die zweite Autorität ist der Schich el bled oder der Stadtälteste, dem einige angesehene Kaufleute beigegeben sind; diese im Verein mit dem Kadhi und Mufti bilden die Midjelis oder Djemma, welche Versammlung allwöchentlich beim Kaimmakan oder auch bei sonst ausserordentlichen Gelegenheiten sich versammelt. Dieser Rath hat bei den öffentlichen Abgaben Stimme, d.h. er muss zu allem Ja sagen, was die türkische Regierung will. Die Abgaben, welche die Stadt zahlt, belaufen sich auf jährlich 250000 Frs. Eine eigentliche Donane existirt in Rhadames nicht, da von hier die Exportation ohne Zoll vor sich geht, und von den eingeführten Gegenständen werden nur die Sclaven besteuert mit 10-15 Frs. pro Kopf, welches Geld in die Tasche des Kaimmakans fliesst. Europäische Vertretung existirt in Rhadames mittelst eines Eingeborenen, der französischer Consularagent ist; England hat seit Jahren keinen Consul mehr dort.

Die Handelsbeziehungen der Rhadamser sind sehr ausgedehnt, einerseits nach Tunis und Tripolis, anderseits nach Tuat, Timbuktu, Sokoto, Kano und Kuka. Sie sind die hauptsächlichsten Vermittler des centralafricanischen Handels nach dem Mittelmeere. Sie bringen nach den centralafricanischen Ländern Tuche, weisse und bunte Kattune, fertige Tuchburnusse, rothe Mützen, bunte seidene und baumwollene Tücher, Glasperlen, echte und falsche Korallen, echte und falsche Essenzen, Messing, Papier, Blei, Pulver, Schwefel, kleine Spiegel, Messer, Scheeren, Nadeln und andere kleine Gegenstände. Zurück bringen sie Sclaven, Elfenbein, Straussenfedern und Goldstaub. Letzterer kommt indess jetzt in ganz unbedeutenden Quantitäten nach Rhadames, da der meiste von Innerafrica jetzt nach der Westküste geschickt wird.

Was das Aussehen der Stadt selbst anbetrifft, so sieht sie von aussen gesehen (die Beni-Belil wohnen indess ganz abgesondert von der Stadt in einzelnen getrennten Häusern) aus wie eine compacte, sehr hohe, unregelmässige Festung. Obschon ohne Mauer, denn die äussere, alle Gärten umgebende Mauer besteht besonders, bildet die Aussenseite der eng aneinandergeschlossenen Häuser gewissermassen zugleich die äussere Stadtmauer. Nur selten ist ganz oben ein Loch, das als Fenster dient, zu bemerken. Alle Häuser sind mehrstöckig, und durch verschiedene überbaute Thore gelangt man in die überbauten Strassen, die nur hin und wieder auf einen kleinen offenen Platz führen, um schliesslich alle auf den offenen Marktplatz und bei der Quelle zu münden. Abgesehen von der Quelle, die hier mitten im Orte gelegen ist, hat also Rhadames in seiner Bauart grosse Aehnlichkeit mit Sinah in der Oase des Jupiter Ammon.

Die Moscheen sind ohne Bedeutung, es gibt zwei grosse und mehrere kleine. Die zum Bau verwandten Säulen sind aber fast alle antik. Die Häuser selbst zeichnen sich im Innern durch Reinlichkeit und durch einen verhältnissmässigen Reichthum an verschiedenen Gegenständen, als Truhen, Messinggeschirr, Spiegeln u. dgl. m. aus. Indess sind sie sehr eng und meist ohne Luft. Nur einige ausserhalb der eigentlichen Stadt in den Gärten gelegene Häuser unterscheiden sich dadurch, dass sie einen luftigen Hofraum haben. Von weitem gesehen macht die blendendweisse Stadt inmitten des dichten dunkelgrauen Palmenhaines einen prachtvollen Effect, der noch dadurch erhöht wird, dass die ganze nächste Umgebung vollkommene Sahara ist.

[24] Der Gedanke an Gothik liegt natürlich fern.

[25] Beide beobachteten im Winter und haben die Lufttemperatur nicht angegeben; jedenfalls influenzirt die Lufttemperatur aber die Oberfläche des Wassers, wenn auch nur um einige Grade, obschon Vatonne sagt: La température de l'eau de la source dans le bassin de la réception est de 29deg., quelle que soit la température de l'air extérieur.

[26] Nach Duveyrier, da die von Mircher angegebenen Ziffern, die Dermissa zu 700 Frs., irrthümlich sein müssen.

[27] Der Dattelbaum, Phoenix dactylifera L., Nachla im Arabischen, Taseït in der Tuaregsprache genannt, ist durch Kunst nach und nach so verschieden vervielfältigt, dass es jetzt wohl so viele Dattel- wie Aepfelsorten giebt. Die in Rhadames gewöhnlichste Sorte ist die Medrhauen genannte, sie ist sehr klein und schwarz, äusserlich einer Olive ähnlich. Die beste Sorte heisst Um el assel (Honigmutter), der Name bezeugt ihre Güte. Andere Sorten sind: Tin-Dorhut, Diggla, Tin-Udi, Tissiuin, Tin-Djohort, Dumbu-Dumbu, Ssirt-Tadissedas, Tin-Tolome, Tin-Toadjit, Tin-Ssukar. Das Wort Tin bedeutet im Berberischen "Dattel". Einige von diesen Sorten finden sich auch in Tuat.

[28] Seit 1879 befindet sich eine religiös-mercantile Mission in Rhadames.


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