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Ein Binnensee in Algerien.

Das ist die Ueberschrift eines Artikels in der Revue des deux mondes[29] aus der Feder des Herrn Roudaire. Der Verfasser plaidirt für das Unternehmen, vom Mittelmeere Wasser in den Schott Mel-Rir zu leiten. Dieser Schott wird vom 34deg. nördl. Br. und vom 24deg. östl. L. v. F. durchschnitten und liegt in der Provinz Constantine, südlich vom Aures-Gebirge. Unter Schott aber versteht man in den Berberstaaten einen periodischen See, angefüllt im Winter und Frühjahr mit brakischem oder auch süssem Wasser, während im Sommer und Herbste die Wasser verdunsten, und mit starker Zerklüftung des Bodens entweder ganz oder nur an der Oberfläche austrocknen. Während der Schott Mel-Rir jetzt sein Wasser durch eine Menge vom nördlichen und westlichen Gebirge und Hochland sich in ihn ergiessende Rinnsale bekommt, hatte er in prähistorischen Zeiten einen bedeutend mächtigeren Zufluss durch den vom Ahagar-Plateau kommenden Ued Irharhar und durch den vom Tademait-Plateau kommenden Ued Mia.

Es muss eine Zeit gegeben haben in der Sahara, wo diese colossalen heute stets leeren Flussbetten Wasser fortschwemmten, und zwar grosse Wassermassen, und solche wurden durch den Mel-Rir und die östlich sich davon erstreckenden Schotts dem Mittelmeere zugeführt. Dass der Mel-Rir tiefer als der Ocean gelegen ist, scheint ausser Zweifel zu sein; auf der Petermann'schen Mittelmeerkarte steht derselbe mit 24 Fuss unter dem Niveau des Meeres angegeben; ob der Garnis, der Schott el Kebir ebenfalls echte Depressionen sind, muss erst noch genauer festgestellt werden, und wenn dies der Fall wäre, dann würde in der That die Inundirung dieses ganzen Gebietes vom Mittelmeere aus mit nicht allzugrossen Schwierigkeiten verknüpft sein.

Bei Untersuchung dieser Frage verweilt Herr Roudaire längere Zeit dabei, wie die Communication zwischen den Schotts und der kleinen Syrte haben verschlossen werden können, und versucht aus den Nachrichten der alten Schriftsteller zu beweisen, dass die Schotts in historischer Zeit sich durch Sandauswürfe vom Meere abgetrennt hätten.

Wir wollen hier nicht die Frage untersuchen, ob Herr Roudaire die Alten richtig interpretirt hat, nur möchten wir hervorheben, dass so lange keine genaue Untersuchung des Terrains stattgefunden bat, nichts zu dieser Annahme berechtigt, viel wahrscheinlicher aber die Abtrennung durch eine partielle Hebung des Ufers erfolgt sein mag. Die grösseren Bodenschwankungen am Mittelmeere sind bekannt. Die Gegend um Neapel hat sich gehoben, die Küste von Tripolitanien senkt sich sichtlich in dieser Zeit. Eine Hebung des Ufers, vielleicht verknüpft mit einer Senkung des westlich davon liegenden Landstriches musste aber nothwendigerweise einen Verschluss, eine Abtrennung der Schotts vom Meere hervorbringen. Einmal abgetrennt, ohne neue Zuflüsse, da der Irharhar ebenfalls seit langem kein Wasser mehr schickte, musste durch Verdunstung fast augenblicklich Schott-Bildung entstehen, d.h. es bildeten sich zeitweise noch Wasserflächen, während des grösseren Theiles des Jahres aber waren die Depressionen trocken oder höchstens sumpfiger Natur.

Auf allen besseren Karten (siehe die vorhin schon genannte Petermann'sche im Stieler'schen Atlas), wie z.B. auch auf der Barth'schen[30], sieht man die Schott-Region vom Mittelmeere durch eine Gebirgskette abgetrennt. Ob aber in Wirklichkeit ein Gebirgszug dort existirt, ist sehr zu bezweifeln. Ist es nicht der Fall und sind alle Schotts echte Depressionen, dann hat die Herstellung eines Canals vom Mittelmeere zu den Schotts, mithin die Bildung eines Binnensees keine allzugrosse Schwierigkeit. Herr Roudaire meint, ein Canal von 12 Kilometer Länge würde genügen, um die Schotts mit der kleinen Syrte zu verbinden und dazu ein Capital von 20 Millionen Franken erforderlich sein. Und wie ernstlich man daran denkt, dies Unternehmen in Angriff zu nehmen, geht daraus hervor, dass der oberste Rath von Algerien unter dem Präsidium von General Chanzy am Ende des verflossenen Jahres die benöthigte Summe votirt hat, damit sogleich ein Nivellement vorgenommen werden kann.

Fürwahr eine grossartige Idee, denn der ganze Süden der Provinz Constantine, jetzt vom Mittelmeer durch ein hohes Gebirge getrennt, würde dadurch unmittelbar ans Meer gerückt. Wenn auch einzelne kleine Ortschaften und Oasen, in der Depression selbst gelegen, unter Wasser gesetzt werden müssten, so könnte man die Einwohner, wie der Verfasser des Artikels in der Revue des deux mondes richtig bemerkt, expropriiren, aber der immense Vortheil, der dem ganzen umliegenden Lande dadurch erwachsen wurde, liegt auf der Hand. Das Land der Beni Msab, Urgula, Tuggurt und el Ued würden dem Meere einmal so nahe gerückt, als sie jetzt davon abliegen.

Ebenso werde auch Tunesien davon profitiren, welches nach Vollendung des Unternehmens eine wirkliche Halbinsel wurde; hierbei lassen wir die politische Seite jedoch unerörtert.

Herr Roudaire hat sodann noch auf die Verbesserung des Klimas hingewiesen und gewissermassen den Canal von Sues als Regenmacher hingestellt. Ich möchte bezweifeln, ob der Canal, von Sues als solcher dazu beigetragen hat, in Egypten den feuchten Niederschlag zu vermehren, wohl aber hat diess bewirkt werden können durch die grössere Baumcultur im Delta und Unterägypten. In dieser Beziehung könnte eine Marificirung der Schotts auch auf die Cultur wirken, und so mittelbar einen grösseren Regenfall veranlassen. Jedenfalls aber ist die Befürchtung vollkommen unbegründet, wenn man von einer Unterwassersetzung der Schottregion auf eine Verschlechterung des Klimas in Europa schliessen wollte. Die Strecke, welche unter Wasser gesetzt werden soll, ist zur grossen Sahara eine verhältnissmässig kleine, und zum Theil, ja auch jetzt schon im Winter mit Wasser bedeckt. Es kann daher höchstens eine lokale klimatische Veränderung im Süden der Provinz Constantine und von Tunesien und vielleicht auch im Norden der Sandregion, welche angrenzt, erfolgen. Nimmermehr aber hat, wie ein anonymer Schüler von Pater Secchi im Wiener "Vaterland" befürchtet, Europa irgend Grund, einer Verschlechterung seines Klimas durch eine Inundation der Schottregion entgegen zu gehen. So sehr wir selbst auch der Meinung Desors beipflichten, in der Sahara den grossen Regulator für unser Klima in Europa zu erblicken, so genügt doch ein Blick auf die Karte, um das Ungereimte der Behauptung zu erweisen, wir würden eine Erkältung unseres Klimas erleben durch die Bildung eines Binnenmeeres südlich von Constantine und Tunesien.

[29] Une mer intérieure en Algérie, 15. Mai 1874.

[30] Gezeichnet von H. Lange.


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