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Tekna und Nun.

Durch die Unternehmungen der Herren Mackenzie und Skertchly, welche bekanntlich den Djuf unterwässern wollten, ist die Aufmerksamkeit der geographischen Welt wieder auf die westliche, namentlich auf die nordwestliche Sahara gelenkt worden. Und wenn Schreiber dieses auch schon hervorgehoben hat, dass eine solche Inundation unmöglich sei, abgesehen von der Zwecklosigkeit derselben, so soll versucht werden, durch nachstehende Auseinandersetzung klar zu legen, dass der westliche Theil der Sahara keineswegs so wüstenhaft ist, wie man sich denselben in der Regel denkt und nach den existirenden Karten dazu auch berechtigt zu sein scheint.

Joachim Gatell, Spanischer Artillerie-Officier, weilte mit mir in den Jahren 1861-63 zusammen in Marokko, und nachdem ich meine erste Reise vollendet und 1864 meine zweite Reise nach Marokko machte, überstieg er ein Jahr darauf von der Hauptstadt Marokko aus den Atlas, und über Tarudant nach Süden dringend, erreichte er die Seggia el Hamra. Als Erster gab er uns ein richtiges Bild dieses bedeutenden Flusses, legte namentlich klar, dass die Seggia ein eigner Fluss und nicht ein Nebenfluss des Draa sei. Gatell's Beobachtungen sind niedergelegt im Bulletin de la Société de Géographie, Octbr. 1869. Hätte Herr Mackenzie diese Arbeit gekannt, würde er wohl nie mit seinem Plan hervorgetreten sein, denn nach dem Geographical Magazine von Clements Markham ist sein Belta-Fluss nichts Anderes als der Draa. Weshalb er denselben Belta nennt und von einer Vförmigen Ausmündung spricht, weshalb er, ohne Gatell's Arbeit zu kennen, ein Relief dieses Theiles von Africa öffentlich in London auszustellen wagte, ist bis heute immer noch ein Räthsel. Von der Exploration, welche so viel Lärm machte, ist denn auch bedauerlicher Weise Nichts geworden. Nach Cameron's eigenen Worten, welche dieser berühmte Englische Reisende auf dem Brüsseler Congress zum Schreiber dieses äusserte, war das ganze Unternehmen Humbug. Ich würde eher geneigt sein, es für Uebereilung zu halten; sanguinische Speculation, in dem unbekannten Continent Hoffnungen sich verwirklichen zu sehen, welche man anderswo vergeblich gesucht hatte, war die Triebfeder.

Es ist das traurig! Denn Tausende von Pfund Sterling sind vergeudet worden für Nichts, während damit eine der fruchtbringendsten Expeditionen hätte ausgeführt werden können. Eben so berechtigt wie eine Erforschung der arktischen und antarktischen Gegenden unseres Planeten jedem denkenden Geographen erscheint, eben so werthvoll ist eine Exploration der ganzen Sahara. Es ist eine Schande, dass ein Gebiet, fast so gross wie ganz Europa und gleich südlich von unserm Continent gelegen, noch so gut wie ganz unbekannt ist. Aber die Zeit ist auch nahe, wo dieses Stück Erde erschlossen sein wird und müssen wir dankbar anerkennen, dass immer und immer wieder Männer uneigennützig ihr Leben aufs Spiel setzen, um jene Nichts versprechenden Gegenden zu durchforschen: v. Bary, Largeau, Léon Say und viele Andere.

Fast scheint es aber, als ob die westliche Sahara lange nicht jenen trostlosen, wasserarmen Character habe als die östliche, die Libysche Wüste. In der Atlantischen Wüste dürften kaum Strecken zu finden sein, in denen man 14 Tagemärsche zu marschiren hätte, ohne auf einen Brunnen oder Quell zu stossen. Die Einflüsse der von Norden und Nordwesten kommenden feuchten Seewinde wirken natürlich, und aus Gatell's Beobachtungen entnehmen wir sogar, dass die feuchten Winde des Mittelmeeres selbst südwärts vom Atlas noch Regen niederschlagen.

Daher wundert es uns auch gar nicht, wenn Panet so günstige Schilderungen von diesem Theile der Sahara entwirft, so dass man wohl berechtigt ist zu der Annahme: von der Küste her bis zum 12deg. W. L. v. Gr. ist gar kein Saharisches Gebiet. So sagt Panet, als er sich unter dem 20deg. N. Br. befand, von den Bergen bei Tamagut[41]: "Mehrere Berge lehnen sich gegen diese letztere Kette und lassen zwischen sich Thäler, in denen Lianen, Portulak und einige andere Kräuter im Glanz ihres Grüns wetteifern." Von der Oase Aderer zählt Panet die Producte auf, welche sie hervorbringt, und wenn er dann nach Norden ziehend in der Schilderung fortfährt, erhält man nirgends den Eindruck, als ob man sich in der Wüste befinde. Ja, ich glaube kaum, dass Aderer als Oase bezeichnet werden kann, sondern eher den Eindruck vor-Sudanischen Gebietes macht. Und wenn Barth, der nach Hörensagen berichtet, sagt: "Aderer wird im Norden von dem schrecklichen Gürtel von Sandhügeln umsäumt, die den Namen Magh-ter führen" etc., so sagt Panet aber nach eigener Anschauung und Erfahrung: "Bei Ausis (dies ist gleich nördlich von Aderer) ist die Vegetation schön, und etwas nördlich davon beim Brunnen Turin finden die Kamele reichliches grünes Futter." Nach einer Strecke von vier Tagemärschen erreichte Panet dann mit dem 26deg. N. Br. vollkommen fruchtbaren und kultivirbaren Boden.

Beim Gelb-el-Hammar[42] (circa 25deg.30' N. Br.) fand Panet, dass dieser Berg trotz seiner ansehnlichen Höhe, wenn man sich ihm näherte, hinter den Masten von Mimosen, die hier ringsum wachsen, verborgen blieb. Mit dem 26deg. N. Br. ist factisch die Wüste überwunden. In gleicher Höhe mit Kap Bojador hat die Sahara ihr Ende erreicht, abgesehen davon, dass wir auch weiter nach dem Süden zu der ganzen Gegend den Charakter der Wüste nicht zuschreiben möchten. Je mehr wir also die Sahara kennen lernen, desto mehr schrumpft sie zusammen. Als Panet dann in's Gebiet der Seggia Hamra kam, schildert er diese mit kräftigen Mimosen bewachsene Landschaft: "Die Ufer des Terni (ein Nebenfluss der Seggia Hamra, nach dieser hat die ganze Landschaft ihren Namen) sind mit Mimosen bewachsen und anderen verkrüppelten Bäumen, unter deren Schatten sich ein frischer Teppich gelber und blauer Blumen ausbreitete. Ziegen, Gazellen und Sultan-Hühner gingen hier schweigend umher, die Schwalbe, die Freundin der Reisenden, flatterte von Zweig zu Zweig, und die Nachtigall sang ihr ewiges Klagelied" etc.

Von der Seggia el Hamra als selbstständigem Fluss, von der Schpika, als nicht in den Draa mündend, von der Draa-Mündung selbst, von dem Assaka-Fluss etc. giebt uns Gattell zuerst genaue Kunde.

Nun- und Tekna-Landschaft lassen sich ganz gut zusammen betrachten und haben auch ihre natürliche Begrenzung. Im Norden bildet der Assaka-Fluss, welcher auf den Karten gewöhnlich als Ued Nun verzeichnet steht, die vorgeschriebene Grenze. Im Süden zieht die Seggia die Grenzlinie. Sie mündet ein circa auf dem 27deg.30' N. Br. und 13deg. W. L. v. Gr. Früher liessen alle Karten die Seggia in die Mündung des Draa, also mehr als einen Grad nördlich und fast 2deg. östlich fliessen. Alle Karten, selbst die neuesten, stellen die hydrographischen Verhältnisse so dar. Und dies Einmünden der Seggia in die Draa-Mündung veranlasste Mackenzie, von der Vförmigen Einsenkung zu sprechen. Auch die sonst vortreffliche Karte von Ravenstein im Geographical Magazine vom Januar 1876 hat noch diese veraltete Darstellung.

Während man unter Tekna die ganze Küste und das nächst gelegene innere Land zwischen Assaka und Seggia begreift, ist die Nun-Landschaft gebildet vom Assaka-Flussgebiet. Dazu kommt noch die Landschaft Asuafit im Süden vom Nun-Gebiet und ebenfalls abhängig vom Assaka-Fluss.

Was die Etymologie des Namens Nun anbetrifft, so erzählt Gatell, es habe eine Sultania Rumia, oder eine christliche Königin Nuna geheissen und diese habe in alten Zeiten sich der Landschaft bemächtigt und derselben dann ihren Namen mitgetheilt. Jetzt giebt es bloss noch Ruinen, welche diesen Namen haben, eine halbe Stunde südlich von Tiluint, nahe beim Ort, wo der Ued Siad sich in die Assaka ergiesst. Die Ruinen lassen auf europäische Baumeister schliessen. Man nennt sie auch Aguïdir, d.h. Klein-Agadir.

Uebrigens wird Nun schon von den alten Schriftstellern erwähnt, manchmal auch Nul und Nuk genannt. Edris legt es drei Tagemärsche vom Meer und eben so viel von Segelmesa ab. Eine Stadt Namens Nun giebt es jetzt nicht mehr. Die alten Geographen nennen aber alle eine solche Stadt, und auch die neueren, wie Höst und Gråberg von Hemsö. Selbst Panet berichtet von einer "Stadt" Nun. Zweifellos ist aber Panet's Stadt "Nun" Ogilmim Gatell's. Aus der ganzen Beschreibung geht das hervor. Wie oft die Hauptstadt des Landes nach diesem, oder die Landschaft nach der Hauptstadt genannt wird, ist ja zur Genüge bekannt.

Während die besprochene Landschaft im Westen natürlich vom Ocean begrenzt wird, ist nach Osten hin keine bestimmte Abgrenzung. Gebirge, Hochland, oft, fruchtbare Ebenen, dann wieder Hammada-artige Ebenen verlieren sich allmählich in vollkommen vegetationsloses Gebiet.

Die Abdachung der Landschaft ist durchaus nach West. Die Küste fällt zum Theil steil in den Ocean, wie zwischen der Assaka-Mündung und der des Buissiffen, zum Theil hat sie einen 4 bis 5 Kilometer breiten Strand vorgelagert, wie z.B. el Boëda zwischen den Flüssen Buissiffen und Aoreora oder el Uatia zwischen der Mündung des Draa und der Saibakharsa. Oft kann man unmittelbar am Meere, beim Graben in den Sand auf das vollkommen süsseste Wasser stossen, Beweis der starken unterirdischen Strömung. Diese ist z.B. der Fall am Boëda- und el Uatia-Strand. Auch findet man reichliche Salzlager. Diess ist der Fall am Anabedus- und Abuïdilat-Strand, östlich vom Kap Suby. Und ganz wie im Osten der Sahara bezeichnet man diese Salzablagerungen mit Tarfaya.

Interessant ist es, dass die Eingeborenen auch hier Sahel und Tell unterscheiden, wie an der Mittelmeer-Küste. Sahel ist die dem Meere zunächst gelegene Ebene, Tell das fruchtbare Gebirgsland.

Aber wenn man die steile Küste Tagertilts erklommen hat, findet man die eigentliche Nun-Landschaft, so wie Asuafit als ebenes Gebiet, wenigstens kann von Gebirgen nicht die Rede sein. Eingefasst aber ist diese Region von Bergen. So notiren wir im SW. von Nun den Tamsuk-Berg, und auf Gatell's Karte stehen im Süden und Osten ebenfalls Berge benannt. Die Topographie von Tekna oder Ait, Djemel, wie es auch genannt wird, ist sehr verschieden, wie oben schon angedeutet ist.

Es würde zu weit führen, sämmtliche Flüsse, welche diese Küste durchbrechen, die circa 350 Kilometer Längenausdehnung hat, namhaft zu machen. Näher wollen wir nur die vier bedeutendsten betrachten: die Assaka, den Draa, den Schpika und die Seggia el Hamra.

Die Assaka, welche auch nach der ganzen Landschaft Nun genannt wird, bildet sich aus verschiedenen Zuflüssen, von diesen nennen wir den Ssiad, den Mekta Sfi, den Kharna etc. Dieses Stromgebiet hat den Namen Uadi Nun. Es liegt also dicht an der Küste. Der guten Bewässerung so wie des fruchtbaren Bodens wegen ist hier die dichteste Bevölkerung und die Schiuch (pl. von Schich) von Nun sind zugleich Oberherrn des ganzen Tekna-Gebietes, d.h. der Küste so wie der Asuafit-Landschaft im Süden von Nun.

Der Draa ist jedenfalls der mächtigste Strom, nicht nur dieser Landschaft, sondern ganz Marokko's. Seine Länge wird von Renou als um ein Sechstel länger als die des Rheines angegeben. Panet, der den Draa ungefähr 100 Kilometer von der Mündung entfernt überschritt sagt von demselben: "Das Wasser stand 60 bis 70 Centimeter hoch, sein Lauf war von West nach Ost gerichtet und in der Breite kam er der Seine bei Paris (circa 150 Meter) gleich. Die Ufer sind theils waldlos, theils mit Bäumen besetzt, unter denen sich mannichfaltige Blumen- und Orleander-Gebüsche entwickeln." Gatell, welcher den Draa dicht an seiner Mündung überschritt, sagt: "Die Ufer dieses Flusses haben eine Erhöhung von 50 Meter und die Entfernung der beiden wahren Ufer von einander beträgt 190 bis 2000 Meter; aber der Wasserlauf nimmt eine bedeutend geringere Breite ein. Der Draa hat wenig Gefälle und führt viel Schlick mit sich. 3/4 Stunde von der Mündung ist eine Furt, Elbrija genannt. Eine Stunde weiter aufwärts befindet sich eine zweite Furt, Namens Bukadia. Eine dritte Furt, Chammar genannt, ist 21/2 Stunde stromaufwärts." Am 2. März 1865 musste Gatell bei Chammar den Fluss durchschwimmen, da derselbe von Regengüssen angeschwollen war. Die Breite des fliessenden Wassers giebt er zu 150 Meter an, meint aber, für gewöhnlich sei dieselbe nur 30 Meter. Das Wasser war circa 5 Fuss tief.

Dadurch dass man zu Panet's Zeit die Seggia noch in die Draa-Mündung sich ergiessen lässt, ist es gekommen, dass die Schpika ebenfalls auf den Karten in den Draa mündend eingetragen worden ist. Panet giebt uns die erste Kunde von der Schpika, aber er sagt deutlich im Jahrg. 1859 der Geogr. Mitth. S. 110: "der Fluss Akel, der sich mit der Schibeika vereinigt in den Ocean ergiesst". Da Panet von der Seggia Hamra Nichts erwähnte und man annahm, dass dieselbe in den Draa münde, war man gezwungen, die Schpika auch in den Draa zu senden. Von Gatell ist die Hydrographie nun genau klar gelegt: er legt die Mündung dieses Flusses ungefähr unter den 14deg. W. L. v. Paris und circa 28deg.25' N. Br. Panet sagt von der Schpika: "er wird in einer Ausdehnung von mehr als 200 Meter von zwei Mimosen-Hecken eingebettet, deren herabhängende Zweige dem ermüdeten Wanderer einen angenehmen Schutz gegen die brennenden Sonnenstrahlen gewähren; im Frühjahr (Mitte April) führt der Fluss nur sehr wenig brakisches, stagnirendes Wasser, aber in der Regenzeit müssen sich seine Wasser um etwa 1 Meter heben." Gatell, der den Fluss an seiner Mündung einen Monat früher überschritt, fand ihn hinlänglich mit Wasser versehen; die Breite des Flusses giebt er zu 300 Meter an. Das fliessende Wasser selbst war 6 bis 14 Meter breit, 225 Meter von der Mündung war die Schpika noch ziemlich tief. Das Wasser war salzig.

Was die Seggia el Hamra anbetrifft, so ist das Bett derselben so breit und tief, wie das des Draa, aber vollkommen versandet. Erst weit vom Meere hat die Seggia fliessendes Wasser.

Im Ganzen ergiessen sich 24 Flüsse in den Landschaften von Tekna und Nun in den Ocean, von welchen 10 in allen Jahreszeiten Wasser halten.

Das Klima in Nun und Tekna kann entschieden als ein gesundes bezeichnet werden, wenn auch die Wärme bedeutender ist als in den Ländern nördlich vom Atlas. Im Winter herrscht eine gemässigte Temperatur. Die Extreme durften dann sein: grösste Kälte +5deg.C., grösste Wärme +20deg.C. Dass auch die Mittelmeerwinde trotz des hohen Atlas noch regenschwanger hinkommen, ist aus dem Tagebuch Gatell's zu ersehen: am 28. und 29. Januar regnete es mit Nordostwind.

An Producten könnte gewiss viel mehr hervorgebracht werden, als es jetzt der Fall ist. Korn, besonders Gerste, bilden jetzt den Hauptreichthum des Landes. Gemüse wird wenig gebaut. Feigen, Datteln, Trauben, Granatäpfel werden gezogen, und von den wilden Bäumen ist hauptsächlich der Argan-Oelbaum zu erwähnen. Sodann nennt Gatell einen Baum Dagmus, Tikiut in Schellah genannt. Er wird von ihm als eine Art Cactus beschrieben, dessen Stauden, ähnlich dem Schlangenkraut in den Gärten, kurz und compact aufschiessen und von sphärischer Form sind. Der Saft der Pflanze ist milchig und ein Tröpfchen davon im Munde bringt ein unerträglich brennendes Gefühl hervor. Die Blume des Dagmus ist roth, der von den Bienen daraus gezogene Honig ist nicht so süss, wie der aus anderen Blumen, aber er scheint keine schädlichen Wirkungen zu haben. Die Eingeborenen geniessen ihn mit Butter vermischt. Dass Mimosen zahlreich vorhanden sind, ersehen wir aus Panet's Berichten; derselbe lobt auch sehr den dort gebauten Taback. Neben Korn und Taback, welche ausgeführt werden könnten, sind die grossen Heerden von Kamelen, Schafen und Ziegen der Stolz der Bewohner. Ihren Haupterwerb haben sie aber aus ihrem Handel: Gummi, Straussenfedern, Elfenbein, Goldstaub und Sclaven, welche aus der Wüste und aus dem Süden geholt und nach Mogador geschafft werden. Die Industrie liegt ganz in der Kindheit. In der Hauptstadt von Nun sind Tischler, Schmiede, Seifenfabrikanten, Maurer, Gerber, Goldschmiede, Mattenflechter und Wollweber.

Gatell sagt, alle Bewohner Nun's und Tekna's seien Araber, nur in Nun gäbe es viele Individuen, welche Schellah sprächen. Diess ist jedenfalls mit Vorsicht aufzunehmen. Im Gegentheil, den Benennungen der Oertlichkeiten, der Flüsse, Berge, der Volksstämme nach würde ich eher glauben, wir hätten es hier überwiegender mit Berbern als mit Arabern zu thun. Die Bewohner zerfallen in sesshafte und umherziehende. Sesshafte giebt es nur in Nun und Assuafit. Die ganze Tekna-Landschaft und das nach Osten sich ausdehnende Gebiet hat nur Zeltbewohner oder, wie Gatell sagt, Kabylen. Ich führe hier an, dass in Nord-Africa der sesshafte Gebirgsbewohner Kabyle genannt wird. Keineswegs möchte ich aber gesagt haben wollen, dass die nicht in Nun und Asuafit sich befindenden Stämme nur aus Berbern bestehen, denn wenn auch ohne Zweifel die meisten, wie die Ait Mussa-ua-Aly, Ait Hassan, Ait Saad etc. Berber sind, so würden wohl die Uled Delim, Uled Bu Aita arabischen Ursprungs sein. Die Araber in Marokko oder West-Africa setzen nie Ait vor ihren Familiennamen, sondern nur die Berber. Es giebt aber allerdings Berber-Stämme, die statt Ait ihrem Stamm Uled vorsetzen. Mit Bestimmtheit darf man deshalb die Uled Delim nicht zu den Arabern zählen, sondern kann nur die Vermuthung aussprechen.

Es giebt im Ganzen in Nun und Tekna 30 Stämme mit 7700 Zelten; abgesehen von diesen giebt es noch viele unabhängige Stämme, welche bald innerhalb des Tekna-Gebietes lagern, bald ausserhalb. Hierin ist nicht begriffen die sesshafte Bevölkerung. Rechnet man auf ein Zelt vier Personen (Gatell rechnet fünf Seelen), so giebt das eine Gesammtzahl von circa 31,000 Menschen - eine ungemein schwache Bevölkerung im Verhältniss zur Grösse des Landes.

An Ortschaften haben wir zunächst die Hauptstadt vom Nun-Gebiet, Ogilmim genannt, zu betrachten. Die Stadt hat 600 Häuser und etwa 3000 Seelen. Es giebt drei Moscheen ohne Minaret; das Volk betet aber gewöhnlich - wie man das überhaupt südlich vom Atlas zu thun pflegt - auf öffentlichen Plätzen im Freien. Es giebt hier keine Sauya. Der Marktplatz ist inmitten der Stadt, nahe beim Judenquartier. Die Stadt ist nicht befestigt und zerfällt in drei Theile: die Kasbah, Aagader und Alkassas. In letzterem Theile wohnen die meisten Menschen. Im Norden von Alkassas haben die Juden ihre Milha, welche Nachts verschlossen wird; es giebt etwa 100 Israeliten. Die Stadt ist gut mit Wasser versorgt und von Obst- und Gemüsegärten umgeben.

Die zweite Ortschaft Nun's ist Tisguant mit etwa 100 Häusern und einer Kasbah; dann Elkassabi mit circa 90 Wohnungen; hier befindet sich die Sauya des Sidi Ali Omar Amram. Zur Zeit Panet's muss Alkassabi bedeutender gewesen sein, denn er sagt, es stände Nun (Ogilmim) an Grösse nicht nach. Derselbe sagt auch, dass der Ort von dem Ait Hassan bewohnt würde. Der Ort Abuda hat nur 40 Häuser und Labiar, an der Quelle des Buissiffen circa 23 Kilometer von Ogilmim entfernt gelegen, hat gar nur 7 Häuser. Endlich giebt es noch eine Oertlichkeit Namens Dschra, welche aus einem einzigen Haus besteht.

Im Gebiet von Asuafit giebt es drei Ortschaften: Tiqemert mit 200 Häusern, Sitz des Schichs von Asuafit; Asserir mit 80 Häusern und Uarun mit 100 Häusern. Nach Norden zu liegen noch die drei Ortschaften Tiluint mit 150 Häusern, Tum-Agug mit 13 Wohnungen und Igissel mit 4 Feuerstellen. Diese drei Oerter werden aber schon zu Sus gerechnet.

Die Regierung besteht in Nun aus einem Schich, der in Ogilmim regiert, seine Brüder haben aber fast eben so viel Ansehen.

In Asuafit herrscht ein anderer unabhängiger Schich. Die Nomaden haben ihre Stammesältesten, müssen sich aber, kommen sie nach Nun oder Tekna, den Entscheidungen der dortigen Schichs unterwerfen. Man erzählte Gatell, Nun und Asuafit könnten 10,000 bewaffnete Männer stellen, aber er glaubt, über 6600 mit Flinten versehene Männer dürfe man wohl nicht annehmen. Pferde dürften nicht mehr als 800 aufzutreiben sein, während etwa 11,550 Kameele und 460,000 Stück Schafe oder Ziegen auf die Weide getrieben werden.

Die Sitten der Bewohner von Nun sind ähnlich wie die der Einwohner von Sus. Die Tekna-Leute hingegen haben als nirgends lange Zeit sich festsetzende Leute die Sitten der Wüsten-Nomaden. Alle Tekna-Leute, auch die meisten von Nun und Asuafit, kleiden sich mit blau-baumwollenem Zeug, Chut genannt, woraus sie ihr Kleidungsstück verfertigen. Bei den Männern besteht dies in einem Haik und einer Hose. Mit dem Haik wickeln sie sich vom Kopf bis zu den Füssen ein. Die Frauen kleiden sich fast eben so, haben aber anstatt der Hosen ein Röckchen. Fast niemals werden Hemden angezogen. Die Frauen sind überladen mit grossen Hals- und Armbändern aus Glasperlen, Muscheln oder ähnlichen Dingen. Die reichen Leute tragen eine Art Kaftan oder ein Kleid aus breitem Chut, gestickt mit Seide. Die Männer gehen meist barhaupt, lassen sich aber ihr krauses schwarzes Haar wachsen; sie barbieren sich und lassen blos einen schmalen Bartstreifen stehen; ihren Schnurrbart schneiden sie so ab, dass man ihn kaum noch sehen kann.

Die Tekna-Leute essen im Allgemeinen nur ein Mal, des Abends nach Sonnenuntergang; Morgens trinken sie Kamelmilch oder Buttermilch. "Leben" genannt. Gewöhnlich essen sie Gerstenmehl, mit heissem Wasser angerührt und mit Salz gewürzt. Dieser Teig, in eine grosse hölzerne Schüssel gethan, wird oben eingedrückt und in die Höhlung giesst man Oel, oder Buttermilch, oder Milch, oder geschmolzenes Fett. Diess Gericht nennt man asch[43], eine Speise, welche in der ganzen Sahara verbreitet ist. Man hockt um die Schüssel herum, man macht mit der Rechten einen runden Bissen, taucht oder stippt ihn in die Flüssigkeit und schlingt ihn hinab. Ein lautes Aufstossen am Ende der Mahlzeit darf nie unterlassen werden. Auch Heuschrecken und Kamelfleisch werden gegessen. Unterwegs isst man asometa, d.h. geröstete, zu Mehl geriebene Gerste, welche mit Wasser oder mit Oel zu einem Teig geknetet wird.

Die Bewohner rauchen gern eine Pfeife, diese ist meist kurz und wird aus einem schwarzen, sehr harten Holz, Sangu genannt, verfertigt, welches vom Sudan kommt.

Niemand geht ohne Doppelflinte, welche von Senegambien geholt werden. Von Charakter sind sie nicht so selbstständig und fanatisch wie die Sus-Bewohner. Gatell weilte unter ihnen, ohne zu verheimlichen, dass er Christ sei, und war doch keinen Unannehmlichkeiten ausgesetzt. Natürlich muss man mit der Sprache vertraut sein und verstehen, sich in ihre Anschauungsweise zu schicken.

Indem wir somit ein genaueres Bild der Verhältnisse südlich von Marokko gewonnen haben, erübrigt uns noch Eins, nämlich darauf hinzuweisen, wie ungeheuer gefährlich jener flache Strand für die Schiffahrt ist. Nach Gatell ist derselbe stets mit Trümmern untergegangener Fahrzeuge bedeckt. Wie manches Schiff mag hier seinen Untergang gefunden haben, und Niemand hat je Kunde davon erhalten. Und was das Schlimmste ist: die Mannschaft wird in Sclaverei geführt. Dem kann nur dadurch abgeholfen werden, dass man Leuchtthürme errichtet. Man könnte sie, da Leuchtthürme ohnedies aus dem stärksten Material erbaut werden müssen, der Art einrichten, dass die Insassen vollkommen geschützt wären gegen etwaige Ueberfälle oder Angriffe Seitens der Eingeborenen. Wenn dann zugleich in diesen Leuchtthürmen Handels-Comptoire errichtet wurden, wenn zugleich damit meteorologische Beobachtungsstationen verknüpft würden, könnte Niemand den immensen Nutzen derselben leugnen, und die Kosten würden nach und nach - davon sind wir fest überzeugt - vollkommen durch den Waarenaustausch beglichen werden. Da die Küste weder Marokko noch einer Europäischen Nation gehört, haben nicht nur jedes Land, sondern auch Private oder Gesellschaften das Recht, dort derartige Stationen zu errichten.

[41] Leopold Panet's Reise durch die grosse Wüste.

[42] Gelb-el-Hammar, dabei steht in den Geogr. Mitth., also aus dem Französischen übersetzt: d.h. Herz der Seele. Diese Uebersetzung ist aber offenbar irrthümlich. Gelb heisst allerdings Herz, aber auch Bauch, oder Einsenkung. In der Saharisch-Arabischen geographischen Terminologie ist "rothe Einsenkung" die einzige richtige Uebersetzung. Wenn übrigens Panet statt gelb, Herz, Inneres oder Einsenkung, vielleicht kelb, d.h. Hund, hätte hören müssen, so werde das in der Uebersetzung rother Hund, bedeuten. Und diess scheint fast das Richtigere zu sein, denn gerade in der Wüste sind die Benennungen Schaf, Hund etc. bei Bergen, um die Gestalt anzudeuten, sehr gebräuchlich.

[43] oder aisch.


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