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III. Die Stadt Rhadames und ihre Bewohner.

Ueber die Entstehung und Urbevölkerung der Stadt. Die Quelle. Vertheilung des Wassers. Klima. Vegetation. Thierwelt. Die Beni-Uasit und die Beni-Ulit. Zahlzeichen der Kaufleute. Cultus. Die Frauen. Tracht. Statistisches. Handel. Bauart. Gräber.

Fast überall wo ein mächtiges Felsplateau mittels steiler Wände auf die Ebene drückt, springen, selbst in der Sahara, Quellen aus der Erde hervor, die den Boden bewässern und in der Wüste dann Oasen entstehen lassen. Einer solchen Quelle verdankt auch die Oase Rhadames ihre Entstehung. Sie liegt am Eingang der Sahara, nach Duveyrier im 30 7 48" nördl. Breite und 6 43 15" östl. Länge von Paris, und ist in gerader Linie 10 Tagemärsche vom Mittelmeer (Sabratha) entfernt, von der Stadt Tripolis aus, von wo sie am meisten besucht wird, in 12 Tagemärschen zu erreichen. Ihre Höhe über dem Meere beträgt etwas mehr als 1000 Fuss, und obwol die sie Angebenden Hochebenen nicht wesentlich höher sind, erklärt deren Mächtigkeit und Kalkformation doch hinlänglich das Hervorsprudeln einer Quelle, von der man sich am besten durch Vergegenwärtigung der Sprudelquelle zu Nimes einen Begriff machen kann.

Unzweifelhaft waren die Umgebungen dieser Quelle, die naturgemäss eine dichte Palmenvegetation erzeugte, schon in grauer Vorzeit von Ansiedlern bewohnt. Davon zeugen die zum Theil noch aufrecht stehenden Ruinen runder und viereckiger Thürme aus roh bearbeitetem Stein, von den Eingeborenen "Esnamen" (die Götzenbilder) genannt. In jedem Thurme befindet sich zur ebenen Erde eine meist gut erhaltene, oben spitz zulaufende[8] gewölbte Kammer, und in einigen über derselben ein zweiter ähnlicher Raum, zu dem von aussen steinerne Stufen hinaufführen. Aus festem Material gebaut und vielleicht durch Mauern untereinander verbunden, hatten sie wahrscheinlich den doppelten Zweck, sowol als Zufluchtsstätte und Schatzkammer wie auch zur Vertheidigung gegen feindliche Angriffe zu dienen.

Alles deutet darauf hin, dass die Thürme lange bevor die Römer nach Rhadames kamen, wie man vermuthen darf, von Garamanten errichtet wurden. Zwar ist hier nicht die eigentliche Heimat dieses Volks gewesen, aber die Römer rechneten Cydamus, als sie die Stadt einnahmen, dem Gebiete der Garamanten zu. Sonst erfahren wir aus römischen Berichten nicht viel mehr, als dass Consul Lucius Cornelius Balbo 19 Jahre v. Chr. die Stadt eroberte. Wie lange sie dem Römischen Reiche verblieben, und ob sie später christlich geworden, darüber fehlt jede Nachricht. Was die alten und mittelalterlichen Geographen über Rhadames erwähnen, ist äusserst mangelhaft und unzuverlässig. Leo führt unter dem Namen Gademes einen grossen bewohnten Landstrich mit "vielen Schlössern und volkreichen Dörfern" auf. Dapper, der Gademes oder Gademez schreibt, spricht sogar von "16 ummauerten Städten und 92 Dörfern". Es braucht wol kaum gesagt zu werden, dass schon der örtlichen Beschaffenheit wegen solche Städte, Schlösser und Dörfer hier nicht existirt haben können.

Henri Duveyrier entdeckte während seines Aufenthalts in Rhadames eine sehr wichtige römische Inschrift, nach Cherbonneau aus der Regierungszeit de, Alexander Severus (221-235) herrührend, welche besagt, dass Cydamus damals zur Provinz Numidia gehörte. Auch andere sichtbare Spuren der Römerherrschaft sind noch vorhanden. So stehen im Innern der beiden Hauptmoscheen Säulen von offenbar römischer Arbeit, glatte sowol wie cannelirte Monolithen mit einfach dorischen wie mit korinthischen Capitälen, die jedenfalls Ueberbleibsel verschiedener ehemaliger Kunstbauten sind.

Die Quelle von Rhadames, die Schöpferin der Oase und somit auch Ursache zur Gründung der Stadt, nimmt unser Interesse vorzugsweise in Anspruch. Sie ist in ein länglich viereckiges, 25 Meter langes und 15 Meter breites Bassin gefasst, auf dessen Boden man an mehrern Stellen das Wasser hervorquellen sieht. Die massiven Steinquadern der Einfassung verrathen ebenfalls das Werk der Römer, die sehr wohl wussten, wie wichtig es sei, das Wasser vor. der Vertheilung über die Felder in grösserer Menge anzusammeln. Von den Eingeborenen wird die Quelle auf arabisch schlechtweg "l'ain", in ihrer eigenen Sprache "Tit" genannt, und im Temahak-Idiom, d. h. im targischen Dialekt der Berbersprache, hat sie den Namen "Arscheschuf" (Krokodilquelle). Aus fünf Rinnen, drei grössern und zwei kleinern, ablaufend, reicht das Wasser der Quelle und einiger Brunnen nur zur Bewässerung einer Oberfläche von circa 75 Hektaren hin, während der ummauerte zu der Oase gehörende Raum wol doppelt so gross ist. Mircher gibt den Umfang der Oase auf 6000 Meter, den Durchmesser verschieden auf 1200 und 1600 Meter an. Es scheint demnach, entweder dass einst die Quelle bedeutend mächtiger gewesen, oder dass die Cultivirung des jetzt innerhalb der Ringmauer brach liegenden Landes aufgegeben wurde, weil man den Kampf gegen die Natur nicht länger fortsetzen wollte oder konnte. Beides ist denkbar. Denn einerseits :finden sich gerade in der Sahara häufig Quellen, die mit wechselnder Stärke Wasser spenden, und so mag vor Zeiten die Quelle von Rhadames ergiebig genug gewesen sein, um das gesammte eingefriedigte Terrain zu befruchten. Andererseits wird auch nicht selten bis dahin zu Gärten benutzter Boden so hoch mit Sand überdeckt, dass er fortan aller Culturbemühungen spottet, und besonders in den Oasen, welche wie Rhadames nicht durch fliessendes Wasser gespeist worden, hat der Mensch beständig gegen die Versandung des Bodens zu kämpfen. Die Gärten müssen, damit die Berieselung durch Quellwasser stattfinden kann, vertieft angelegt sein, und immer muss der hereinwehende Sand sogleich wieder daraus entfernt werden.

Die Temperatur der Quelle fand ich abends 10 Uhr im Juni bei gleichzeitiger Luftwärme von + 33 C. ebenfalls + 33 C., nachmittags bei Luftwärme von 1 40 war sie auf + 35 gestiegen. Vatonne und Duveyrier, die beide im Winter beobachteten und die gleichzeitige Luftwärme ausser Acht liessen, fanden nur 4- 29. Sicher ist aber die Luftwärme nicht ohne Einfluss auf die Temperatur des in dem Bassin enthaltenen Wassers, und Vatonne hat unrecht, wenn er sagt: "La température de l'eau de la source dans le bassin de la réception est de 29, quelle que soit la température de l'air extérieur." Noch ein anderer Umstand dürfte übrigens auf die Verschiedenheit des von mir und von den genannten Reisenden ermittelten Resultats eingewirkt haben: ich mass nämlich die Temperatur des Wassers mitten im Bassin, während jene ihre Messungen am Rande desselben anstellten. Aus der Temperatur des Bassinwassers folgert Vatonne, dass die Quelle sowie zwei in der Nähe befindliche Brunnen mit ziemlich gleicher Temperatur aus einer unterirdischen Wasserschicht von circa 120 Meter Tiefe genährt werden. Da jedoch seine der Berechnung zu Grunde liegende Temperaturmessung, wie gezeigt worden, nicht genau genug war, darf man auch in die völlige Richtigkeit dieses Facits Zweifel setzen. Andere Brunnen der Umgegend haben bei einer Wasserschicht von 20 Meter Tiefe eine Temperatur von nur + 19 C. und einen bedeutend grössern Salzgehalt; es lässt sich daher mit Sicherheit annehmen, dass zwei verschiedene Wasserschichten vorhanden sind. Das viel reinere, Wasser der Quelle und der beiden nächsten Brunnen ergab auf einen Liter circa 2,5 Gramm Salz, das der übrigen Brunnen enthielt in 1000 Gramm 9 Gramm Salz. Ehe die Einwohner das über 30 warme Wasser trinken, lassen sie es in steinernen Krügen oder in Schläuchen etwas abkühlen.

Die Vertheilung des Wassers an die einzelnen Gärten wird durch Wasseruhren geregelt und erfordert ein sehr complicirtes Verfahren, weil das Land in so kleine Parcellen wie kaum irgend sonstwo getheilt ist: die meisten Gärten haben nicht mehr als 200 Quadratmeter Umfang, und viele sind nur halb so gross oder noch kleiner. Auf dem Marktplatze der Stadt steht eine Clepsydra, von den Eingeborenen "Gaddus" genannt, ein eiserner Topf mit einer runden Oeffnung im Boden, durch welche das Wasser, wenn er vollgefüllt ist, in circa drei Minuten abläuft. Jedesmal nachdem ein Gaddus durchgelaufen, schlingt ein dazu angestellter Knabe, der in gewisser Zeit von einem andern abgelöst wird, einen Knoten in ein Palmblatt. Sieben Gaddus heissen eine "Dermissa" und geben eine ungefähr 20 Minuten anhaltende, für einen Garten mit 60 Palmen genügende Berieselung. In 13 Tagen, welcher Zeitraum in dieser Beziehung eine "Nuba" genannt wird, kommen nach Duveyrier im ganzen 925 Dermissa Wasser zur Vertheilung. In ähnlicher Weise geschieht die Berieselung aus den beiden der Quelle zunächst gelegenen Brunnen, wobei Neger die Schöpfarbeit verrichten. In frühern Zeiten gab die Theilung des Wassers steten Anlass zu oft blutigen Streitigkeiten unter den verschiedenen Grundbesitzern. Jetzt ist alles zur Berieselung dienende Wasser Staatseigenthum, und die türkische Regierung zieht daraus eine jährliche Einnahme von circa 50000 Frs., indem sie sich für die Dermissa 80 Real Sbili == 50 Frs. 20 C. (nach Duveyrier; Mircher gibt irrthümlich an == 700 Frs.) bezahlen lässt.

Das Klima von Rhadames unterscheidet sieh nicht von dem der Sahara; Regen fällt äusserst selten, kaum einmal in zwanzig Jahren gibt es einen nennenswerthen atmosphärischen Niederschlag. Die Durchschnittstemperatur des Jahres beträgt + 239 C.; sie steigt in den Sommermonaten auf + 50 C. im Schatten und sinkt im Winter zuweilen vor Sonnenaufgang bis auf 5 C. Die herrschenden Winde sind Nord im Winter, Südost und Süd im Sommer. Das Klima ist eigentlich nicht ungesund, sagt aber Europäern wenig zu. Augenkrankheiten, Syphilis, Fieber und Dysenterien, letztere besonders zur Zeit der Melonen grassirend, sind die am häufigsten vorkommenden Krankheiten. Im Jahre 1865 wäre ich selbst dort beinahe das Opfer einer sehr acuten Blutdysenterie geworden.

Melonen und Pasteken sind die einzigen Früchte, die in Rhadames gut gedeihen. Einzelne Exemplare erreichen einen. kolossalen Umfang und ein Gewicht bis zu zwei Centnern, sodass zwei solcher eine Kamellast ausmachen. Andere Früchte, wie gelbe Pflaumen, Granaten, einige Reben, Pfirsiche, Aprikosen und Feigen verkrüppeln und bleiben infolge der viel zu grossen Sommerhitze saft- und geschmacklos. Sie können, ebenso wie Gemüse, von denen ich Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen, Rüben, Tomaten, Pfeffer, Bamien (Hibiscus esculentus), von den Eingeborenen Mlochia genannt und wie Gummi arabicum schmeckend, Auberginen (Solanum melongena), hier Bdindjel genannt, dann ein Unkraut Ssilk-el-belebscha hervorhebe, nur im Schatten der Palmen ihr kümmerliches Dasein fristen. Gleichfalls unterm Palmendach wird etwas Getreide, Weizen, Gerste und einige Hirsearten, gebaut, doch lange nicht ausreichend für den Consum der Einwohner. Leider sind auch die Dattelbäume hier weder ergiebig genug noch von solcher Güte, dass mit ihren Früchten, wie in andern Oasen, der Bedarf an Getreide, Schlachtvieh, Butter, Oel und sonstigen Lebensmitteln eingetauscht werden könnte. Die 60000 Palmen, die Rhadames besitzt, vermögen den Bewohnern kaum für einen Monat im Jahre genügende Nahrung zu gewähren.

Der Dattelbaum (Phoenix dactylifera L.), arabisch "Nachla", in der Sprache der Tuareg "Taseït", ist durch künstliche Zucht nach und nach so vermannichfacht worden, dass es jetzt wol ebenso viele Dattel- wie Aepfelsorten gibt. Die in Rhadames gewöhnlichste Dattelart wird Medrhauen genannt; sie ist sehr klein, von schwarzer Farbe und in Gestalt der Olive ähnlich. Die beste Sorte heisst Um-el-assel (Honigmutter); der Name bezeugt ihre Süssigkeit. Andere Sorten sind: Tin-Dorhut, Diggla, Tin-Udi, Tissiuin, Tin-Djohoot, Dumbu-Dumbu, Ssirt-Tadissedas, Tin-Tolome, Tin-Toadjit, Tin-Ssukar. ("Tin" ist das berberische Wort für Dattel.) Mehrere dieser Sorten finden sich auch in Tuat.

Wild wächst ausserhalb der Stadt absolut keine Pflanze in der Stadt selbst sah ich einige Mimosen, an der Quelle und in den Gärten Gräser und Quecken. Als Düngmittel muss aus den benachbarten Hattien (Oasen ohne Baum, im Gegensatz zu Rhabba, Oasen mit Bäumen oder Buschwerk) ein Kraut, "Agol", (Alhagi Maurorum), geholt werden, denn der Dünger, welchen die Thiere des Orts liefern, genügt nicht zur Befruchtung des Bodens.

Auch das Thierreich ist in Rhadames sehr spärlich vertreten. Von Hausthieren gibt es nur Kamele, Esel, Katzen, Mäuse, Fledermäuse und Hühner; kein einziges Pferd; und auch Hunde sind fast unbekannt, daher mein weisser Spitz, wie oben erzählt, das grösste Aufsehen erregte. Ausser Sperlingen bemerkte ich Schwalben; in den Palmenwipfeln nistet die kleine graue Baumtaube. Schlangen, sind selten, nur die Hornviper und die gemeine Viper sollen zuweilen vorkommen. Ein gern gesehener Gast und fast in allen Häusern anzutreffen ist der Mauergeko; andere Eidechsarten, wie die Dub-Eidechse, halten sich an den Gartenmauern auf. Frösche bevölkern die Quelle und die Rinnsale in grosser Menge. Unter den Spinnen ist der Skorpion hervorzuheben. Fische. finden sich weder in der Quelle noch in den Brunnen, während in vielen andern selbst unterirdischen Quellen der Sahara kleine Fische leben, dagegen zahlreiche Blutegel und einige Molluskenarten. Von der Hausfliege, dieser Plage der Menschen bei Tage, und der Wasserschnake, ihrer Plage bei Nacht, ist man auch hier nicht verschont. Bienen gibt es nicht, aber eine Wespenart baut in den Häusern und Moscheen ihr Zellennest. Selbstverständlich fehlen, da die Rhadamser Mohammedaner sind, jene schmuzigen Insekten nicht, welche überall den unreinlichen Menschen anhaften, mit Ausnahme des Flohs, der nirgends in der Sahara existiren zu können scheint. Ein gefährlicherer Parasit, der Guineawurm, wird von aussen her eingeschleppt.

Die Einwohner von Rhadames sind, wie die ganze Bevölkerung Nordafrikas, berberischen Ursprungs, doch haben sie auch viel Neger- und Araberblut in sich aufgenommen.. Ihre Sprache hat die grösste Aehnlichkeit mit der, welche von den Bewohnern der übrigen Oasen, wie Sokna, Siuah, Audjila, gesprochen wird, sowie mit der Sprache der Tuareg, der Bewohner des Atlas und der Gebirgsbewohner längs der afrikanischen Küste des Mittelländischen Meeres. Fast jeder Rhadamser versteht übrigens daneben eine oder die andere Sprache Centralafrikas; namentlich verbreitet ist die Sprache der Hausa und der Sonrhai, auch das Targische wird von den meisten verstanden.

Die Bewohnerschaft theilt sich in zwei streng voneinander geschiedene Volksparteien oder Triben: die Beni-Uasit und die Beni-Ulit. Letztere, sämmtlich Berber, bestehen aus drei Stämmen, den Tosseku, Beni-Derar und Beni-Masirh, nach welchen Namen auch drei Quartiere der Stadt benannt sind. Die Beni-Uasit bestehen aus vier Stämmen: den Tenkrine, Teferfera, Djeresan und Beni-Belil; die ersten drei sind Berber, der letzte ist von arabischer Abkunft. Sodann gibt es noch freie Neger und deren Nachkommen, insgesammt Atriya genannt.

Seitdem die Stadt unter türkischer Herrschaft steht, haben die blutigen Fehden. aufgehört, womit die beiden feindlichen Triben einander bekämpften, aber die gegenseitige Abneigung währt noch in unvermindertem Grade fort. Kein Verkehr findet zwischen ihnen statt, daher selbst die Sprache beider mannichfache Verschiedenheiten erkennen lässt. Nie vermischten sich bis jetzt durch Heirathen die Beni-Uasit mit den Beni-Ulit; nie betritt ein Angehöriger der einen Tribe das Quartier der andern, und so gibt es Rhadamser, die Kuka, Kano, Timbuktu, Tripolis und andere weitentfernte Städte gesehen, niemals aber einen Fuss in die andere Hälfte ihrer Vaterstadt gesetzt haben. Neutrale Gebiete sind nur der Marktplatz, das Haus des türkischen Paschas, die Sauya (Kloster mit Moschee und Schule) des Mulei Thaib von Uesan und die Sauya des Mulei Abd-el-Kader Djelali von Bagdad; die übrigen Moscheen werden ausschliesslich von den Mitgliedern desjenigen Stammes besucht, welcher das betreffende Quartier innehat. Der Marktplatz bildet die Mitte der Stadt und ist zu beiden Seiten von den feindlichen Quartieren begrenzt, sodass jede Partei zu demselben gelangen kann, ohne das Stadtviertel der andern berühren zu müssen. Die beiden Sauyas und das Gebäude des Gouverneurs stehen ausserhalb der eigentlichen Stadt. So schroff indess die Beni-Uasit und die Beni-Ulit zu Hause sich noch gegenüberstehen, so bringen sie doch ihre Stammesfeindschaft in der Fremde jetzt nicht mehr zur Geltung. Treffen Söhne der zwei verschiedenen. Triben in Timbuktu oder an einem andern fremden Orte zusammen, dann meiden sie sich nicht,- sondern verkehren miteinander als Landsleute und Stadtgenossen.

Zur schriftlichen Mittheilung haben die Rhadamser gleich allen nordafrikanischen Völkern die arabische Sprache angenommen. Bisweilen bedienen sie sich wol auch, blos arabischer Schriftzeichen, um rhadamsisch damit zu schreiben; dies geschieht namentlich, wenn sie ihre kaufmännischen Mittheilungen, da die Briefe meist offen verschickt werden, vor Concurrenten in andern Städten geheim halten wollen. Aus demselben Grunde wenden sie in solchen Fällen zur Bezeichnung der Waarenpreise u. s. w. geheime, vielleicht altlibysche Zahlzeichen an. In ihrer eigenen Sprache zählen die Rhadamser merkwürdigerweise nur bis 10, von da an aufwärts arabisch. Eigene Schriftzeichen besitzen von allen Stämmen und Völkern Nordafrikas ausser den Aegyptern und Abessiniern Oberhaupt nur die Tuareg; doch konnten sie niemals zu mehr als zu kurzen Sätzen, Namen, Inschriften etc. gebraucht werden. Gäbe es irgendwo, bemerkt Duveyrier, targische Bücher, so müssten dieselben unbedingt mit arabischen Schriftzeichen geschrieben sein. Ob aber die targische Sprache, deren enge Verwandtschaft mit der rhadamsischen erwiesen ist, auch eigene Zeichen für Zahlen besitzt, habe ich nicht erfahren können, ich bezweifle es, denn soviel ich mich erinnere, thun Freeman, Richardson und Hanoteau ebenso wie Duveyrier, welche das targische Alphabet mittheilen, keiner Zahlenzeichen Erwähnung. Aber auch die rhadamsischen Ziffern sind weder jenen Schriftstellern noch auch Mircher, Dickson, Vatonne und andern bekannt; sie scheinen also lediglich in der kaufmännischen Praxis gebräuchlich zu sein, indem die Händler sie benutzen, um den Preis auf ihren Waaren durch Zeichen zu vermerken, welche von Uneingeweihten nicht verstanden werden, wie ja ganz ähnliche Einrichtungen auch im europäischen Waarenhandel bestehen. Da die Stadt Rhadames gegen das ganze übrige, vom Mittelmeer aus durch Handelsubjecte versorgte Afrika einen verschwindend kleinen Bezirk bildet, so besitzen die dortigen Kaufleute in diesen nur ihnen selbst verständlichen Zeichen einen grossen Vortheil sowol vor ihren auswärtigen Concurrenten als vor dem kaufenden Publikum. Natürlich suchen sie deshalb die Bedeutung derselben besonders den tripolitanischen, tunesischen und kahirinischen christlichen und jüdischen, wie nicht minder den arabischen Kaufleuten gegenüber aufs strengste geheim zu halten, und nur durch ein bedeutendes Geschenk konnte ich einen Rhadamser, der meiner Versicherung, dass ich kein Handelsmann sei, Glauben schenkte, dahin bewegen, dass er mir die Zahlzeichen und deren Bedeutung wie nachstehend mittheilte:

. = 0

I = 1

II = 2

III = 3

IIII = 4

> = 5

I> = 6

II> = 7

III> = 8

III> = 9

0 = 10

I0 = 11

II0 = 12

III0 = 13

IIII0 = 14

>0 = 15

I>0 = 16

II>0 = 17

III>0 = 18

III>0 = 19

00 = 20

100 = 21

000 = 30

II00 = 32

IIII0000 = 44

= 50

> = 55

II> = 55

II>0 = 67

III>00 = 78

IIII>000 = 89

IIII>0000 = 99

d = 100

Idd = 201

I0ddd = 311

II00ddd = 422

X = 500

IIII000X = 534

II>dX = 657

>0ddX = 765

I>00dddX = 876

ddddX = 900

X =1000

Auch noch Zahlen von 1000 bis 10000 können die Rhadamser auf diese Weise zusammensetzen. Einfache Zeichen haben sie, wie man sieht, für 0, 1, 5, 10, 50, 100, 500 und 1000; ob auch für l0000 vermochte mir mein Gewährsmann nicht anzugeben. Die in den semitischen Sprachen gebräuchliche Schreibweise von rechts nach links gilt auch für die Zahlreihen. Wahrscheinlich der Raumersparniss wegen setzen indess die Rhadamser ihre Zeichen

auch untereinander: 00 = 20. kann auch 0, IIII0000 = 44

0

auch II00 geschrieben werden.

II00

Für gewöhnlich aber ist das Schreibsystem von rechts nach links consequent durchgeführt, wie aus den zusammengesetzten Zahlen erhellt: so I> = dem römischen VI; >0 = XV; I0ddd = CCCXI. Zum weitläufigen Rechnen durften diese Zeichen übrigens ebenso wenig geeignet sein wie die römischen Zahlen.

Richardson in seinem Werke nennt Rhadames eine Marabutstadt. Das ist ein Irrthum. Die Rhadamser als Berber machen keinen Anspruch darauf, Marabutin zu sein, obschon sie sich in den centralafrilkanischen Ländern gern mit einem gewissen frommen Nimbus umhüllen und unwissenden Negern gegenüber sich wol für Marabutin ausgeben mögen. Ihrem Ritus nach sind sie Malekiten, und zwar die meisten Fkra, d. h. Mitglieder des Ordens Mulei-Thaib, eine kleinere Zahl Anhänger Abd-el-Kader Djelali's, und einzelne zu verschiedenen andern Orden, wie dem des Snussi, gehörig. Alle halten streng auf pünktliche Erfüllung der religiösen Vorschriften;- und da jeder Rhadamser lesen und schreiben lernt, so ist jeder ein "Thaleb", was dem türkischen "Efendi" entspricht. Sogar die Frauen beten meistens in den Moscheen, welche zu bestimmten Stunden, vorzugsweise des Morgens, für sie reservirt bleiben. Im übrigen sind die Rhadamser tolerant; durch ihre Handelsbeziehungen genöthigt, in den Hafenstädten mit Christen und Juden direct zu verkehren, oder in Centralafrika mitten unter Heiden zu leben, haben sie manche Vorurtheile abgelegt. In Rhadames selbst wohnen indess keine Juden, und Christen nur zeitweise als Consuln oder als Reisende.

Gegen Fremde zurückhaltend, verkehren die Eingeborenen unter sich ganz ungezwungen und fröhnen dann auch dem heimlichen Genuss des Lakbi und Araki miteinander. Hingegen ist der Umgang mit den Frauen nach festem Ceremoniell geregelt. Die Männer nehmen hier meist nur eine Frau; nur wenn sie in der Fremde weilen, pflegen sie noch eine oder mehrere Sklavinnen zu haben, ohne sich jedoch mit diesen zu verheirathen. Aeusserst selten lässt sich in Rhadames eine Frau auf öffentlicher Strasse blicken. Nur Atriyaweiber sieht man auf dem Markte und in den Gassen, meistens sogar unverschleiert. Die Frauen der vornehmem Stände wagen schon deshalb nicht auf die Strasse zu gehen, weil alle Strassen überbaut, deshalb vollkommen dunkel sind, sodass man ohne Lampe nur tappend vorwärts schreiten kann und durch Husten und Räuspern sein Nahen verkünden muss. Sie besuchen und versammeln sieh auf. den flachen Dächern der Häuser, welche ausschliesslich den Frauen vorbehalten sind; mit Behendigkeit werden die niedrigen Stufen von einem Dache zum andern überhüpft, und oft geht es da oben lebhafter zu als unten in den finstern Strassen der Stadt.

Dem Worte eines Rhadamsers darf man vertrauen; er hält was er verspricht. Europäische Kaufleute geben daher ihren rhadamsischen Geschäftsfreunden Waaren im Werthe von mehrern tausend Thalern auf Credit, und noch nie ist es vorgekommen, dass ein Rhadamser seine Gläubiger unbefriedigt gelassen hätte.

In den meist unschönen Körperformen und Gesichtszügen der Eingeborenen verräth sich die häufige Kreuzung mit Negern. In ihrer Kleidung, die von der Tracht anderer Städtebewohner Nordafrikas kaum irgendwie abweicht. herrscht die weisse Farbe vor. Die Männer tragen ein langes baumwollenes Hemd, darüber ein kürzeres wollenes, Djilaba genannt, oder ein Haik (grosser weisswollener Plaid), auf dem Kopfe den weissen um eine rothe Mütze gewundenen Turban, und gelblederne, Pantoffeln oder Sandalen an den Füssen. Bei den Reichen, besonders wenn sie sich längere Zeit in Centralafrika aufgehalten haben, ist die gestickte Tobe aus den Sudanländern beliebt, ein Kleidungsstück, das eigentlich nur in zwei ungeheuer weiten, oben zusammenhängenden Aermeln besteht, zwischen welche durch ein enges Loch der ganze Körper hindurchgezwängt wird. Verschleierte Männer habe ich in Rhadames nie gesehen; auf Reisen aber benutzen sie, wie die Tuareg, ein Ende des Turbans als Litham (Gesichtsschleier). Das Haupt wird glatt rasirt, und auch vom Barte bleibt nur oberhalb und unterhalb des Mundes ein schmaler Streifen stehen. Die meisten haben einen oder mehrere silberne Ringe am Finger und um den Oberarm eine zollbreite Spange aus Serpentinstein. Beim Ausgehen hängen sie sich stets den mächtig grossen eisernen Hausschlüssel an einem Lederriemen um den Hals. Tabackschnupfen gilt für erlaubt; der Genuss des Haschisch wird nicht gern gesehen, ist aber trotzdem ganz allgemein, der voll Spirituosen wird mehr im geheimen geübt.

Auch zur Tracht der Frauen gehört das lange baumwollene Hemd, die Gandura, von weisser Farbe, bei den Atriyaweibern jedoch von blauer. Ihr Schmuck besteht in Arm- und Beinringen, je nach dem Vermögen der einzelnen von Silber oder Messing, Ohrringen, Korallenhalsbändern und Schnuren von Korallen und Glasperlen im Haar, das man nach der in den Negerländern üblichen Weise zusammenflicht und dann während des ganzen Lebens selten mehr als einigemal wieder auflöst, um es zu reinigen und neu zu ordnen.

Ich schätze die einheimische Bevölkerung von Rhadames auf @ Seelen, wozu noch 1000 aufwärts sich Aufhaltende hinzukommen mögen. Richardson gibt blos 3000 an, dagegen Duveyrier und nach ihm Mircher 7000. Als oberster Beamter der Stadt fungirte früher nur ein Mudir, seit 1864 ein türkischer Kaimmakam, der unter dem Gouverneur von Tripolis steht; er hat aber keine militärische Kräfte ausser einigen Soldaten ans dem Ghoriangebirge zur Verfügung. Zweiter Beamter ist der Schich-el-bled oder Stadtälteste. Dieser, einige angesehene Kaufleute, der Kadhi und der Mufti bilden zusammen den Rath, die Midjelis oder Djemma, welcher sich wöchentlich einmal, in ausserordentlichen Fällen auch öfter beim Kaimmakam versammelt und bei Vertheilung der öffentlichen Abgaben Stimme hat, das heisst zu allem Ja sagen muss, was die türkische Regierung befiehlt. Die Abgaben, welche die Stadt entrichtet, belaufen sich auf jährlich 250000 Frs. Eine Douane existirt in Rhadames nicht, da der Export hier keinem Zoll unterliegt und Importzoll nur von den eingeführten Sklaven, 10-15 Frs. pro Kopf, erhoben wird, welches Geld in die Tasche des Kaimmakam fliesst. Von den europäischen Mächten lässt sich nur Frankreich durch einen Consularagenten, einen Eingebornen, vertreten. England hat hier seit Jahren keinen Consul mehr.

Ihre Handelsbeziehungen dehnen die Rhadamser nördlich bis Tunis und Tripolis, südlich bis, Tuat, Timbuktu, Sokoto, Kano und Kuka aus. Sie sind die hauptsächlichsten Vermittler des Handels zwischen Centralafrika und dem Mittelmeer: sie bringen den centralafrikanischen Ländern Tuche, weisse und bunte Kattune, fertige Tuchburnusse, rothe Mützen, bunte seidene und baumwollene Tücher, Glasperlen, echte und nachgemachte Korallen, echte und gefälschte Essenzen, Messing, Papier, Blei, Pulver, Schwefel, kleine Spiegel, Messer, Scheren, Nadeln u. s. w., und tauschen dagegen Sklaven, Elfenbein, Straussfedern und Goldstaub ein. Letzterer kommt indess jetzt nur noch in unbedeutenden Quantitäten nach Rhadames, der meiste wird von Innerafrika aus nach der Westküste gebracht.

Die Stadt Rhadames gleicht von aussen, wenn man die vor den Thoren zerstreut stehenden Wohnungen der Beni-Belil abrechnet, mit ihren dicht aneinander geschlossenen mehrstöckigen Häusern, deren nackte Wände kaum hier und da im obersten Theil von einer winzigen Fensteröffnung durchbrochen sind, einer unregelmässig emporgemauerten compacten Festung. Im Innern führen die überbauten Gassen selten zu einem kleinen offenen Platz; fast alle aber münden auf den Markt oder auf den Platz, der das Bassin der Quelle umgiebt. Abgesehen davon, dass die Quelle sich hier im Orte selbst befindet, erinnert Rhadames in seiner Bauart sehr an die Stadt Siuah in der Oase des Jupiter Ammon.

Sehr interessant ist der grosse Kirchhof, eine Grabstätte von 2 Kilometer Länge, die sich im Westen um die Stadt herumzieht. Die Menge der Gräber und Grabsteine geht ins Unglaubliche, doch konnte ich kein einziges antikes darunter entdecken, obwol zu vermuthen ist, dass längs der hindurchlaufenden Strasse römische Grabmäler gestanden haben. Auch alte Inschriften in arabischer Sprache fand ich nicht. In der Mitte und am nördlichen Ende des Feldes liegen nur Gräber aus neuerer Zeit. Die Platten, mit denen sie gedeckt sind, namentlich die aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert, sind nicht wie die ältern von hartem Kalkstein, sondern von Thon. Namen, Jahrzahl und ein Koranspruch wurden in den Thon geschrieben, solange er noch weich war; dann verhärtete die Masse an der Sonne, und vermöge der sehr trockenen Luft, hat sich die Schrift meistens ganz gut erhalten.

Die Moscheen, deren es zwei grosse und mehrere kleine gibt, haben keinen architektonischen Werth, obgleich die darin verwendeten Säulen fast alle, wie es scheint, antiken Bauwerken entnommen sind. Das Innere der Wohnhäuser zeichnet sich durch Reinlichkeit und durch einen verhältnissmässigen Reichthum an Geräthschaften, wie Truhen, Messinggeschirr, Spiegeln u. dgl. aus. Doch sind die Räume sehr beschränkt und entbehren daher gesunder Luft; nur einige ausserhalb der eigentlichen Stadt in den Gärten stehende Häuser haben offene luftige Höfe. Von ferne gesehen bietet die blendendweisse Häusermasse, aus einem dichten dunkelgrauen Palmenhain mitten in der vollkommen öden Sahara sich erhebend, einen überraschenden, höchst malerischen Anblick dar.

[8]Der Gedanke an Gothik liegt natürlich fern.


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