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IV. Meine Erlebnisse in Rhadames.

Kassem Pascha. Mein Wohnhaus. Schwere Erkrankung. Schreiben des Hadj Abd-el-Kader von Ain-Ssalah. Besuche von Tuaregmädchen. Herkunft der Tuareg. Das Molud-Fest. Si-Othman ben Bikri. Veränderter Reiseplan. Abschied von den Rhadamsern.

Nicht ganz frohen Muthes hatte ich diesmal die Reise nach Rhadames unternommen. Einmal war die Jahreszeit, im hohen Sommer, die möglichst ungünstige für einen Aufenthalt am Rande der Sahara; sodann musste, ich besorgen, die Einwohner möchten unterdess in Erfahrung gebracht oder wenigstens Verdacht geschöpft haben, dass mein Renegatenthum nur ein vergebliches sei. Allein ich war entschlossen, allen Eventualitäten die Spitze zu bieten, konnte ich doch auf den Schutz der türkischen Regierung und auf die moralische Unterstützung der europäischen Consuln zählen.

Wirklich stellten sich mir gleich am ersten Tage nach meiner Ankunft Widerwärtigkeiten entgegen. Als ich mich dem Pascha Kassem präsentirte, erklärte er, mein Bu-Djeruldi sei nur für Fesan gültig, verpflichte ihn mithin zu nichts. Nun hatte allerdings der Schreiber des Muschir von Tripolis den Fehler begangen, Fesan besonders zu erwähnen, aber da der Pass auf ganz Tripolitanien lautete, musste er selbstverständlich auch für Rhadames, wenngleich dies nicht speciell genannt war, volle Gültigkeit haben. Das Haus in der Stadt, das Kassem Pascha für mich räumen liess, war viel zu klein, um mir und meiner Dienerschaft bequeme Herberge zu gewähren. Freundlichern Empfang fand ich beim Mkadem (Vorsteher) der Sauya des Mulei-Thaib von Uesan; in der Voraussetzung aber, der Pascha werde der Sitte gemäss für mein Abendessen sorgen, unterliess auch er es, mir ein solches zu schicken, und ich selbst hatte, auf die Gastlichkeit eines von beiden rechnend, nichts für uns zubereiten lassen. So kam es, dass ich sammt meinen Dienern und den Kamelen den Tag hungerig beschliessen musste, denn als ich meinen Irrthum gewahr wurde, war es zu spät um noch Lebensmittel einzukaufen.

Am folgenden Tage gestalteten sich meine Angelegenheiten günstiger. Der Pascha mochte doch wol bedacht haben, dass sein ungastliches Benehmen üble Folgen für ihn haben könne; er schickte den Schich el-bled (Bürgermeister) zu mir, der mich fragte, ob ich im Besitz eines Firmans von Konstantinopel sei. Ich übergab ihm das Document, damit er es dem Pascha zeige, und bald kehrte er zurück mit der Botschaft, der Pascha lasse wegen des Missverständnisses um Entschuldigung bitten und habe befohlen, mir ein geräumigeres Wohnhaus vorm Thore anzuweisen. Letzteres war eine grosse Wohlthat für mich,- denn es wäre schrecklich gewesen, hätte ich in der engen, dumpfen Stadt wohnen, am Tage durch die finstern Strassen tappen müssen und nachts nicht einmal auf dem Dache des Hauses verweilen dürfen. Und die Umquartierung war um so dankenswerther, als ausserhalb der Stadt nur wenige Häuser verfügbar sind. Meine neue, Wohnung lag gerade der Sauya Mulei-Thaib gegenüber.

Abends sandte mir der Pascha denn auch das übliche Diner, oder Souper wenn man will, heraus. Araber und Türken pflegen nämlich nur eine grössere Tagesmahlzeit sind zwar gegen Abend einzunehmen. Dieselbe besteht bei den Wohlhabendern aus zahlreichen und auf mannichfache Art zubereiteten Gerichten, deren Hauptschüssel jedoch immer der Pillaw, bei den Marokkanern der Kuskussu, bildet. Sobald die Rhadamser sahen, dass der Pascha mich mit Aufmerksamkeit behandelte, wurden sie ebenfalls willig und zuvorkommend gegen den fremden Gast.

Diner, oder Souper wenn man will, heraus. Araber und Türken pflegen nämlich nur eine grössere Tagesmahlzeit und zwar gegen Abend einzunehmen. Dieselbe besteht bei den Wohlhabendern aus zahlreichen und auf mannichfache Art zubereiteten Gerichten, deren Hauptschüssel jedoch immer der Pillaw, bei den Marokkanern der Kuskussu, bildet. Sobald die Rhadamser sahen, dass der Pascha mich mit Aufmerksamkeit behandelte, wurden sie ebenfalls willig und zuvorkommend gegen den fremden Gast.

Der Pascha, ein ältlicher Mann von ehrwürdigem Aussehen, ein echter Araber, war der Oheim jenes bekannten Rhuma, der die Türken so hartnäckig bekämpft und als einer der letzten in der Vertheidigung des heimatlichen Bodens gegen die Fremdherrschaft ausgehalten hatte, dann geächtet und von allen seinen Landsleuten verlassen einen schmählichen Tod erlitt - wenn der Tod fürs Vaterland jemals ein schmählicher sein kann -, jetzt aber von den Bergbewohnern in Liedern gefeiert und sicher ruhmgekrönt im Andenken der Nachwelt fortleben wird. Kassem-Pascha hingegen, im Djebel gebürtig, hielt es stets mit den Türken; er eignete sich ihre Sprache an und beobachtete aufs strengste ihre Sitten und Gebräuche. Nachdem e.- längere Zeit das Amt des Kaimmakam im Djebel bekleidet, war er eben erst in gleicher Eigenschaft nach Rhadames versetzt worden. Im ganzen schien mir der Mann ziemlich vorurtheilsfrei zu wie ich namentlich aus seinen Erzählungen von Mircher, dem "Chef de la mission de Ghadames", entnahm, und wir wurden nach und nach recht gute Freunde.

Am schwersten mochte es ihm ankommen, dass er als türkischer Beamter gezwungen war, sich fast ganz europäisch zu kleiden, nämlich den officiellen schwarzen Rock, graue enge Beinkleider und Glanzstiefel zu tragen. Denn nichts widerstrebt den fanatischen Arabern mehr als die Anlegung europäischer Tracht, welche sie ihrer Meinung nach entheiligt und ihnen einen andern als den gewollten Charakter aufprägt. Alle Versuche der Franzosen aber, die Araber und Berber europäischer Civilisation geneigt zu machen, werden vergeblich bleiben, solange sie dieselben nicht dazu bringen können, dass sie, statt den Kopf zu rasiren, sich das Haar wachsen lassen, die weite Pumphose mit dem anschliessenden Beinkleid, und Djilaba und Haik, die offenbar mehr für Weiber als für Männer passen, mit dem zur Arbeit wie zum Kampf geeigneten Rock vertauschen. Erst wenn das gelänge, wäre eins der Haupthindernisse überwunden und zugleich in das Bollwerk des religiösen Vorurtheils gegen die Christen erfolgreiche Bresche gelegt.

Ich richtete mich nun in meiner Wohnung häuslich ein. Das Gebäude enthielt ein Erdgeschoss, zu Küche, Magazinen und Ställen dienend, und im obern Stock ein grösseres und ein kleineres Zimmer mit davorliegendem platten Dache. Das grosse Zimmer machte ich vollkommen dunkel, um die Fliegen daraus zu vertreiben, die in Rhadames, wie in allen Dattelbaum-Oasen, zur Qual und Folter des europäischen Reisenden, in Unmasse vorhanden sind. Absolute Finsterniss ist das einzige Mittel, sie von einem Wohnraume fern zu halten. Meine Kamele wurden auf die Weide geschickt. Einen meiner Neger sandte ich nach Tripolis, damit er etwa für mich angekommene Briefe und Sendungen von dort abhole.

Das Thermometer stieg jetzt nachmittags auf + 50deg. C. im Schatten und, zeigte, selbst morgens vor Sonnenaufgang immer schon über 20deg.. Indess bewirkten der gleich des Morgens stattfindende ziemlich starke Luftzug, die leichte Kleidung und die beständige gelinde Transpiration der Haut, dass mir die Hitze nicht allzu lästig erschiene. Die Nächte, die ich auf dem Dache meiner Wohnung verbrachte, waren in der Regel herrlich; doch musste dasselbe lange vorher tüchtig mit Wasser überschwemmt werden, so sehr war es durch die fast senkrecht herabschiessenden Sonnenstrahlen erhitzt.

Dennoch bekam meine bereits stark angegriffene Gesundheit durch die erschlaffende Hitze, vielleicht auch durch den unvorsichtigen Genuss von Melonen, einen -neuen Stoss. Ich erkrankte ernstlich und schwebte einige Tage in wirklicher Lebensgefahr. Fortwährende heftige Blutentleerungen aus dem Darm schwächten mich derart, dass ich an meinem Aufkommen verzweifelte. An Essen durfte ich gar nicht mehr denken, ebenso wenig wagte ich es meinen Durst zu stillen. Strengste Enthaltsamkeit und grosse Gaben von Opium brachten endlich zwar die entsetzliche Darmblutung zum Stillstand, aber durch die lange Gewöhnung an den Genuss von Opiaten war meinem Körper dies Narcoticum unentbehrlich geworden; versuchte ich es, damit innezuhalten, so stellte sich sogleich wieder wässerige Diarrhöe ein, und ich musste daher immer von neuem mich in jenen halbtaumeligen, keineswegs angenehmen Zustand versetzen. Einige Dutzend Flaschen Bordeauxwein, die mir mein Freund Botta von Tripolis zuschickte, hatten eine günstige Wirkung, wenn sie mich auch nicht gänzlich zu heilen vermochten.

Als ich so weit genesen war, um wieder ausgeben zu können, versäumte ich nicht den fleissigen Besuch der Moscheen, in welchen die erwähnten antiken Säulen von Kalk- oder Sandstein, meist aus einem Stück, mit ihren zierlichen Capitälen und geraden oder spiralförmigen Cannelüren meine Aufmerksamkeit fesselten.

Die Einwohner sahen es gern, wenn ich ihre Moschee besuchte, denn sie hielten mich für einen Rechtgläubigen und waren in dieser Meinung noch durch höchst günstige Berichte über mich, die inzwischen aus Tuat eingelaufen waren, bestärkt worden. Der Hadj Abd-el-Kader von Ain-Ssalah hatte mir eine Pistole zur Reparatur nach Tripolis mitgegeben, aber niemand verstand sich dort auf die Arbeit, und in Rhadames angekommen schickte ich die Pistole an, ihn zurück, zugleich als Geschenk einen 18 Schuss haltenden Lefaucheux-Revolver nebst dazu gehöriger Munition beifügend ' Nach einiger Zeit erhielt ich folgendes Schreiben von ihm:

"Gelobt sei Gott! Es gibt nur Einen Gott. Und Gebet und Heil über seinen Gesandten und seine Familie und seine Genossen und seine Anführer und sein Heer! Gruss zuvor vom Hadj Abd-el-Kader ben-Momed in Ain-Ssalah an seinen Freund Mustafa Nemsi[9]. Möge Gott ihn erhalten im rechten Glauben, im Wohlsein, im Guten und ihn schützen in seinem Umgange mit den Christen, diesen von Gott verfluchten Hunden, den Erfindern des Feuerschiffs[10], eines Werkzeugs des Teufels, den Erfindern des Ssilk[11], eines Werkzeugs des Teufels; möge Mustafa mein Freund, der Sohn der Christen, ausharren im Bezeugen des allein wahren Propheten Mohammed, der da ist der Liebling des einigen Gottes! Und weiter. Wir haben die alte Pistole empfangen, und die neue mit 18 Schüssen, ein Werkzeug des christlichen Teufels, Gott soll ihn verfluchen! Aber das Geschenk war willkommen, und ich habe es durch meinen Fakih segnen lassen, und ein Scherif von Uesan hat ein Amulet daran gebunden, Gott giesse seinen Segen aus über die Schürfa von Uesan!' Und nun weiter. Der Scherif Sidi-Hammed von Uesan, Gott segne ihn, ist gekommen, und er sendet Grüsse vom Sohn des Propheten an Dich; er erklärte vor versammeltem Volke, Du seiest ein Liebling des Sohnes von Sidi-el-Hadj el-Arbi[12]. Und nun wissen wir alle, dass Du Wahrheit geredet, und lade ich Dich ein nach Tuat zu kommen, ja bei Gott, wenn Du Christ wärest, solltest Du sicher bei uns sein![13] Und grüsst uns wer bei Euch ist, und der Gruss ist ein vortreffliches Siegel. Geschrieben wurde dieser Brief am 3. Rebi ilul 1282[14]. Amen."

Nathürlich theilte ich das Schreiben allen meinen rhadamser Freunden mit. Für mich ging daraus hervor, dass ich ohne Gefahr hätte wieder nach Tuat kommen können. Allein was sollte ich dort? Ueber Tuat nach Timbuktu ziehen nur die von Rhadames ausgehenden Karavanen, und hier stand für die nächste Zeit der Aufbruch keiner Karavane dahin in Aussicht. Auch erwartete ich ja noch von Tag zu Tag die Ankunft Si-Othman ben Bikri's, der mich der Verabredung gemäss nach Ideles begleiten sollte.

Wie von den Stadtbewohnern wurde ich auch von Tuaregs viel besucht, selbst von jungen nicht unschönen Tuaregmädchen. Letztere gäben sich, um meine Gunst zu gewinnen, für Verwandte Si-Othman's aus und wollten sich's nicht ausreden lassen, dass ich ein Vetter von Henri Duveyrier sei, der einen ausserordentlich vortheilhaften Eindruck auf sie gemacht haben muss; nicht genug konnten sie den schmucken galanten Franzosen rühmen, seine blauen Augen, seine schöne Gestalt, sein freigebiges, grossmüthiges Wesen. Ob ihm wol bekannt sein mag, dass er noch so viele Anbieterinnen in der Sahara besitzt? Bei jedem Besuche wussten mir übrigens die Mädchen einige begehrenswerthe Gegenstände: kleine Spiegel, Taschentücher, Glasperlen, Nadeln u. dgl., abzubetteln.

Kamen targische Männer zu mir, so hinterliessen sie immer eine bedeutende Lücke in meiner Speisekammer. Dies veranlasste einmal einen fatalen Auftritt, der leicht von sehr übeln Folgen für mich sein konnte. Mein kleiner Spitz Mursuk, ebenso bissig als wachsam, hegte einen unüberwindlichen Widerwillen gegen Fremde, die meinem Hause nahten, und er hatte darin einen sympathischen Bundesgenossen an meinem geizigen Diener Schtaui, von dem ich sogar die Aeusserung vernahm: "Gott segne dich, Hund! Wenn wir dich nicht hätten, würden uns die Tuareg gar nichts übriglassen" - unerhört in dem Munde eines Muselmans, da bekanntlich Hunde den Mohammedanern als unrein gelten und tief von ihnen verachtet sind. Eines Tags hörte ich von der Strasse her rufen: "Bindet den Hund an, Mustafa, bindet den Hund an; es kommen Freunde!" Ich befahl, Mursuk anzubinden, und liess dann durch einen Diener die Ankommenden an der Hausthür empfangen und zu mir heraufführen. Vorsichtigen und langsamen Schritts traten drei Tuareg ein, den Litham vorm Gesicht, in der Rechten den langen Speer, in der Linken einen Rosenkranz, Hals und Brust mit Amuleten behängt, kleinen, schmuzigen, einen Koranspruch umschliessenden Ledersäckehen. Den Speer lehnten sie an die Wand, doch blieb ihnen als Waffe der Dolch, der an der innern Seite des, linken Vorderarmes getragen wird. Sobald sie mir gegenüber Platz genommen und die gegenseitigen Erkundigungen. nach dem Befinden ausgetauscht waren, liess ich ihnen sechs Brote, jedes von einem halben Pfund, eine grosse Schüssel voll gesalzenen Oels, in welches man die Brotbissen einstippt, und eine saftige Melone vorsetzen. Sie langten eifrig zu, dabei ihr Gesicht vollständig entblössend, während sonst die Tuareg in Gegenwart von Fremden beim Essen verschleiert bleiben und die Bissen unter dem Litham in den Mund schieben. Plötzlich stösst einer von ihnen einen lauten Schmerzensschrei aus, und in demselben Augenblick sehe ich Mursuk, der sich unbemerkt eingeschlichen, die Treppe wieder hinunterlaufen. Der Schreiende war von dem Hunde in den Rücken gebissen worden. Mit wüthenden Geberden sprangen die beiden andern auf mich zu, um ihren verwundeten Kameraden au mir, zu rächen, und wer weiss was geschehen wäre, hätte ich nicht meinen Revolver zur Hand gehabt. Doch ich wusste ein Beschwichtigungsmittel. Ich rief Schtaui, den ich im Verdacht hätte, den Hund losgebunden zu haben, und trug ihm auf, sogleich noch sechs Brote, eine Schale Oel, die grösste Melone und ein Pfund "Chlea" (in Fett gesottenes Fleisch) heraufzuholen. Schtaui war entsetzt. "Um Gotteswillen", stotterte er, "bedenkt doch, ein Pfund Chlea kostet ja einen halben Mahbub." "Geschwind", sagte ich, "geh, oder ich schicke Hammed; du weisst, der ist kein Knauser wie du." Zögernd gehorchte er. Die Tuareg, des Arabischen nur unvollkommen mächtig, hatten meinen Befehl nicht verstanden, fuhren daher fort zu fluchen und mich zu bedrohen. Desto grösser war die Wirkung, als sie eine zweite vermehrte Auflage der Collation erscheinen sahen. "O Mustafa", hiess es nun, "was für ein grossmüthiger Mann bist du! Dir zu Ehren wollen wir uns jetzt vollends satt essen. Gott segne dich, wir werden überall deiner Gastfreundschaft rühmen." Schnell machten sie sich an die Vertilgung der ihnen so unerwartet gekommenen Vorräthe, und wir schieden im besten Einvernehmen. Dennoch hielt ich es für rathsam, die Bisswunde des Targi am andern Tage noch einmal mit Brot, Oel und Melonen zu verbinden, denn es war zu wichtig für mich, mit den Tuareg, "den Herren der Karavanenstrassen", gute Freundschaft zu halten.

Unzweifelhaft sind die Tuareg Berber, oder doch gemeinsamen Ursprungs mit diesen, wie sie auch dieselbe, Sprache, das Tamasirht, reden. Aber der Aufenthalt in der Wüste, die ja innerhalb eines oder zweier Jahre die Wolle des Schafs in Haare verwandelt, hat im Laufe der Zeit einen wesentlich umgestaltenden Einfluss auf sie ausgeübt. Dies tritt in ihren Sitten und Einrichtungen auffallend hervor. Während z. B. bei den Arabern die Frau nur Sklavin ist, bei den Berbern, die in ganz Nordafrika mehr oder weniger mit Arabern untermischt wohnen, die Frau schon mehr Selbständigkeit geniesst, nimmt sie bei den Tuareg eine wahrhaft bevorzugte Stellung ein, denn sogar die Erbfolge der Häuptlinge, wird durch weibliche Descendenz bestimmt. Noch weniger als in den Berberstämmen hat auch der Islam unter den Tuareg feste Wurzel zu fassen vermocht, vielmehr thaten sie alles wieder davon ab, was mit ihren alten Gebräuchen in Widerspruch stand. Ist doch nach Barth das Wort Tuareg eine Zusammenziehung aus tereku dinihum, d. h. sie haben ihre Religion verlassen, und soll ihnen der Name wegen ihres öftern Abfalls vom - Mohammedanismus durch die Araber beigelegt worden sein. In Duveyrier's Werke "Les Touareg du Nord" behauptet der ehrwürdige Cheikh Brahîm ould Sidi, die Tuareg seien infolge edrissitischer Abstammung Schürfa, d. h. Abkömmlinge Mohammed's. Allein man weiss, dass alle Bekenner des Islam, Völker wie Individuen, sich gern ihrer Abkunft von Mohammed rühmen, auch wenn sie gar keine Beweise dafür beibringen können; und es ist dies natürlich, da der Koran die Araber als ein von Gott auserwähltes Volk, und unter ihnen wieder die Abkömmlinge des Propheten als ganz besonders von Gott Geliebte darstellt. Duveyrier fügt aber hinzu: "Bereitet in einer aufrührerischen Provinz ein Berber der Herrschaft seines nominellen Souveräns Schwierigkeiten, so bricht man seine Widerstand dadurch, dass eine seiner Töchter einen Platz im Harem (des Sultans) erhält. Diese Ehre wird nie zurückgewiesen, weil das Kind, das aus solcher Ehe entspringt, auf den Titel <<Scherif>> Anspruch hat, und ebenso wenig wird die gewöhnlich unmittelbar darauf erfolgende Scheidung, welche die Frau nebst Kind ihrer mütterlichen Familie zurückgibt, als eine Beleidigung angesehen, im Gegentheil, sie ist willkommen als Ermächtigung, ein neues Schürfa-Geschlecht zu gründen (comme un Tiere autorisant à faire suche)." Hiergegen möchte ich einwenden: Eine dem Sultan von Marokko angetraute Frau kehrt nie in ihre Familie zurück; Oberhaupt kommt es selten vor, dass der Sultan sich von einer legitimen Gemahlin scheiden lässt; geschieht es aber, so muss die geschiedene Sultana fortan in Talifet leben, wo ein eigenes Gebäude zur Wohnung für die geschiedenen Frauen des Herrschers von Marokko bestimmt ist. Unmöglich konnten daher "Mulei Sliman und Mulei Abd-er-Rhaman fünfhundert berberische Familien zur Führung des Titels Scherif ermächtigend. Auch sagt ja Duveyrier selbst: "Was nun auch daran sein mag, die Tuareg sind trotz ihrer Blutmischung mit den arabischen Edrissiten Berber geblieben, und als Theil des berberischen Volkes ist ihr Ursprung keineswegs ungewiss."

In die Zeit meines Aufenthalts zu Rhadames fiel das religiöse Fest Molud, der Geburtstag des Propheten. Das Fest wurde von den Bewohnern feierlich begangen, und der äussere Glanz, den sie dabei entfalteten, zeugte von ihrem Reichthum, wie denn in der That nach Timbuktu unstreitig Rhadames die vermögendste und für den Handel wichtigste Stadt der Sahara ist. Schon einige Tage vorher war die Jugend beschäftigt gewesen, alle freien Plätze, d. h. die kleinen offenen Stellen zwischen den überbauten Gassen, mit Teppichen oder andern bunten Stoffen, mit Spiegeln und messingenen Schüsseln[15], mit farbigen Laternen u. s. w. auszuschmücken. Am Abend des Molud bewegten sich nun hier und in den hell erleuchteten Strassen Scharen von Kindern, angethan mit ihrer besten Kleidung, die bei den meisten in einem rothen Tuchkaftan und einem grünen Burnus von gleichem Stoffe bestand. Ihre Köpfe waren glänzend kahl rasirt, bis auf eine Gotaya (Zopf) oder eine kleine Figur aus stehen gelassenen Haaren, z. B. einem Halbmond, dem Symbol des Islam; mein Freund Bodenstedt, der Dichter des "Mirza Schaffy", würde seine Freude an den kindlichen Glatzköpfen gehabt haben. Die Kinder sangen Suren aus dem Koran, und die aus wohlhabenden Familien theilten den ärmern Gebäck und Süssigkeiten mit, die grössern schwelgten auch wol heimlicherweise im Genuss von Araki oder Lakbi. Unterdessen versammelten sich die Erwachsenen in den Sauyat (Klöstern) zum Idukr, einer religiösen Ceremonie, bei welcher unter fortwährenden Verneigungen der Name Allahs unzähligemal hintereinander - nach der Vorschrift mindestens 70000 mal - in einem gewissen Rhythmus angerufen wird. Bisher war auch den Frauen und Jungfrauen gestattet, in der Molud-Nacht unverschleiert in den Strassen der Stadt umherzugehen. Diesmal aber erliess der Schiech el-bled (Bürgermeister) ein Verbot dagegen, sei es dass er die Abweichung von der strengen Sitte in Gegenwart eines Fremden für unzulässig oder dass er sie überhaupt für ketzerisch hielt. Einige Tage später munkelte man, der Schich el-bled solle seines Amtes entsetzt werden; und sehr wahrscheinlich ist es geschehen, denn die schöne Welt übt in Rhadames nicht minder mächtigen Einfluss aus als bei uns. Vor dem Thore war der Schauplatz, auf dem die Atriya, die Tuareg und Neger in ihrer Weise das Fest feierten. Von der religiösen Bedeutung desselben schienen sie keine Ahnung zu haben; alles tummelte sich, Männer und Frauen, Knaben und Mädchen, lustig durcheinander, und vor allen thaten sich die Haussaner Neger an Ausgelassenheit hervor. Hier wurde gejubelt, getanzt und gesprungen, und dazu mit Schlageisen, mit Geigen, mit Trommeln und Pauken ein betäubender Lärm vollführt. Das ist die Nacht des Molud, die Nacht, in der "unser gnädiger Herr Mohammed, Friede sei über ihn!" geboren wurde. Kein Gläubiger darf in dieser Nacht schlafen, er würde damit eine schwere Sünde begehen.

Obschon meine Genesung nur erst halb vollendet war, hätte ich doch keinen Augenblick gezögert, nach dem Hogar-Lande aufzubrechen, wäre der sehnlichst erwartete Si-Othman ben Bikri erschienen, der einzige, in dessen Geleit ich die Reise dorthin wagen konnte. Oft genug kamen zwar andere Tuareghäuptlinge zu mir, mit dem Erbieten mich sicher nach Ideles zu bringen, aber es waren entweder Schurken, die auf meine Unerfahrenheit speculiren zu können meinten, oder Leichtsinnige, die ihre Versprechungen nicht zu halten vermocht hätten. Die einen wie die andern nahmen meine beabsichtigte Reise nach Ideles nur zum Vorwande, um sich zum ewigen Aerger Schtaui's an meinen Mundvorräthen gütlich zu thun.

Endlich sollte ich der langen Ungewissheit enthoben werden. Gegen Ende August brachte mir der Schantat (zu Kamel reitender Postbote) mit den in Tripolis für mich eingelaufenen Briefen auch die neuen französischen Zeitungsblätter. Da las ich im Moniteur folgende Note: "In Algier wird in den nächsten Tagen der Tuareghäuptling Si-Othman ben Bikri erwartet, der mit einem zahlreichen Gefolge von Rhadames kommt, um dem Gouverneur von Algerien einen Besuch abzustatten."

Jetzt wäre es reine Zeitverschwendung gewesen, noch länger in Rhadames zu bleiben, denn bis zur Wiederankunft Si-Othman's ans Algier mussten im besten Fall mehrere Monate verstreichen. Derselbe hatte mir also nach unsern Begriffen sein Wort gebrochen; er selbst freilich, der wie alle seine Landsleute vom Werth der Zeit sich keine Vorstellung machen kann, mochte die Sache leichter nehmen und etwa so raisonniren: Mustafa wird schon noch warten; ohne mich kann er nicht nach Ideles gehen, und da er in Rhadames gut aufgehoben ist, so liegt ja nichts daran, wenig er, so Gott will, vielleicht ein Jahr dort verweilt. Und dieser Logik gemäss glaubte er sich wol reines Unrechts gegen mich schuldig zu machen, wenn er inzwischen erst einen Zug nach Algier unternahm.

Mein Entschluss war schnell gefasst. Die Reise nach dem Hogar-Lande wurde aufgegeben und dafür die Tour über Fesan fest in Aussicht genommenen. Ich hoffte, dieses Land werde auch ohne Anschluss tn eine Karavane sicher zu erreichen sein, und von da werde sich dann Gelegenheit zum weitern Vordringen finden. Zuvor musste ich aber nach Misda zurückgehen, um mir dort Kamele, bis Mursuk zu miethen.

Nicht ohne Bedauern schied ich von Rhadames und seinen Bewohnern, die ich trotz ihrer zur Schau getragenen Scheinheiligkeit liebgewonnen. Sie hatten mir in meiner schweren Krankheit Theilnahme bezeigt und manchen Liebesdienst erwiesen, einige, wie der alte blinde Omar, der Emkadem von der Sauya Mulai Thaib's, waren mir näher befreundet. Meinerseits hatte ich die herrschenden Vorurtheile soviel wie möglich respectirt, am Freitag regelmässig die Djemma (Moschee) besucht und dem Ableiern des langweiligen Chotbah-Gebets beigewohnt, alles baar und theurer als die Tuareg bezahlt, so auch für das Haus, das ich bewohnte, einen verhältnissmässig hohen Mietzins entrichtet, endlich durch Schenkung eines Lefaucheux mit 94 Schuss, an Kassem Pascha diesen zu meinem Freunde gemacht - alles das hatte seine Wirkung nicht verfehlt, und man liess mich merken, dass ich ein gern gesehener Gast sei. Gegenseitiges Wohlwollen bekundete sich nun auch bei meiner Abreise. Eine grosse Zahl von Bekannten war aus der Stadt gekommen, mir ein letztes Lebewohl zu sagen, umschwärmt von der rhadamser Jugend, die noch einmal meinen Mursuk, das Wunderthier, anstaunen wollte. Viele Händedrücke, viele Ssalams, viele Rufe "Auf Wiedersehen" wurden ausgetauscht, als ich am 31. August nachmittags Rhadames verliess.

[9]Der Name, den ich in Marokko angenommen.

[10]2 Dampfboot.

[11]Telegraph. Der Hadj Abd-el-Kader hatte bei seinen meehrmaligen Reisen nach Mekka Eisenbahnen und Telegraphen kennengelernt und schrieb diese ihm unbegreiflichen Erfindungen dem Regenten der Unterwelt zu.

[12]Sidi-el-Hadj el-Arbi war der Vater des jetzt in Uesan herrschenden Schich.

[13]Also selbst einen Christen wollte er schützen. Im Original waren diese Worte nicht unterstrichen oder sonst hervorgehoben.

[14]28. Juli 1865.

[15]Wie die Bewohner von Derdj verwenden auch die Rhadamser messingene Schüsseln in grosser Zahl zum Schmuck der Zimmerwände, während ihre Essgefässe von Holz sind.


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