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XIV. Bis nach Kuka, der Hauptstadt von Bornu.

Der grosse Mimosenwald. Die Brunnen Kufe und Asi. Ngígmi. Erster Anblick des Tschad-Sees. Thierleben am Tschad. Ueber den Komádugu Waube. Jo. Ankunft vor Kuka.

Früh 51/2 Uhr verliessen wir am 11. Juli Belkaschífari. Der Weg, gut ausgetreten, führt direct nach Süden. Die Vegetation auf dem immer noch grosswelligen Boden gewinnt nach und nach an Mannichfaltigkeit. Zunächst treten neue Gräser auf, darunter manche, die geniessbares Korn tragen, wie das sehr langhalmige ambra; dann schmücken sich die Wiesen mit Buschwerk; weiterhin werden die Büsche zu einzelnen Wäldchen; endlich folgt der grosse Mimosenwald, der wie ein Band, an manchen Stellen vier bis fünf Tagereisen breit, den afrikanischen Continent von der Westküste bis an das Rothe Meer zu durchziehen scheint. Natürlich darf man dabei nicht etwa an einen jener undurchdringlichen Urwälder denken, wie ich sie später an der Küste von Guinea kennen gelernt. Der Mimosenwald gleicht vielmehr einer lichten, luftigen Parkanlage mit ausgedehnten Grasflächen zwischen den Gebüschen und Baumgruppen, in denen ich ausser verschiedenen Mimosenarten, Akazien und Hadjilidj den unserer Myrte ähnlichen, dornenlosen Scherra- oder Ingissíri-Baum bemerkte. Vielen Mimosen, vorzugsweise den Talha- und Geredh-Bäumen pfropft sich ein Schmarotzer auf, der unserm Geisblatt ähnliche Burungo-Baum, indem dessen Same durch den Wind oder durch Vögel auf die Stelle, wo die Mimose Gummi ausschwitzt, getragen wird; für sich allein sah ich den Burungo nirgends stehen. Bis in die jüngste Zeit wohnten hier mehrere Tebustämme, sie wurden aber von den Tuareg vertrieben, ohne das diese selbst sich in den verlassenen Wohnsitzen niederliessen. Dagegen hat die Thierwelt in grossartigem Massstabe von dem Walde Besitz genommen, auch die Giraffe, die früher hier nicht vorkam, hat sich jetzt eingebürgert. Ungeheure Schwärme von Vögeln haben hier ihre Brutstätten; auf einem einzigen Baume sind zwanzig, dreissig bis funfzig Nester, und an die dünnen Zweige hängt der Webervogel sein schwebendes Nestchen.

Gegen 2 Uhr nachmittags machte Kalli mich darauf aufmerksam, dass von fern her ein Mensch der Karavane folge. Wir marschirten langsamer, damit er uns einholen könne, und erkannten in dem Näherkommenden den vermissten Diener. Er war ganz von Kräften denn drei Tage lang bildeten nur Heuschrecken, Insekten und dergleichen seine Nahrung; zum Glück fand er ab und zu eine Wasserlache, um den brennenden Durst zu löschen. Auf unsere Frage, wie es geschehen sei, dass er sich von der Karavane verloren, erwiderte er in allem Ernst, der Teufel habe ihn entführt. Wahrscheinlich hatte er geschlafen, während der Zug weiterging, und dann, um uns nachzukommen, einen kürzern Weg einschlagen wollen, denselben aber, da er ihn immer weiter von der Strasse abführte, wieder zurückgeben müssen. Hierdurch lange aufgehalten, erreichte er den Brunnen Belkaschífari erst nachdem wir schon wieder aufgebrochen waren; von dort aus konnte er indess unsere frische Spur nicht verfehlen. Seinetwegen lagerten wir schon um 3 Uhr nachmittags mitten im Walde. Abends und in der Nacht fiel ein starker Gewitterregen, der uns verhinderte, Feuer um das Lager zu unterhalten, wie wir jetzt immer zum Schutz gegen die wilden Thiere zu thun pflegten.

Die Nachtmärsche mussten jetzt eingestellt werden, weil hier eine Masse giftiger kleiner Schlangen, deren die Leute am Tage etliche mit Stöcken todtschlugen, das Reisen im Dunkeln sehr gefährlich macht. Wir rückten deshalb erst um 6 Uhr morgens aus. Immer dichter ist die Gegend von Thieren bevölkert, man glaubt in einem Thiergarten zu sein. Das Karum, eine roth und weiss gefleckte Antilope, kam uns in ganzen Heerden zu Gesicht; zahllose kleine Schmetterlinge, meist in den buntesten Farben prangend, gaukelten von Busch zu Busch. Um die Bäume winden sich Schlingpflanzen aller Art; an einer, Digdiggi genannt, fanden wir geniessbare reife Früchte von röthlicher Färbung. Der Boden besteht aus feinem weissen Sande, nicht das kleinste Steinchen ist in ihm zu sehen. Dies sowie seine hochwellige Gestaltung lässt darauf schliessen, dass alles Land von hier bis an den Tschad-See einst vom Wasser bedeckt und dann vielleicht lange Zeit Sanddüne war, bis es allmählich, durch tropische Regen befruchtet, Gräser, Sträucher und Bäume hervorbrachte und sich später in Humus umbilden wird. Wir lagerten abends 5 Uhr, nachdem wir eben ganz frische Löwenspuren bemerkt hatten.

Am 13. Juli wurde ausnahmsweise, weil wir den Brunnen Kufe, bei dem es nicht sicher sein soll, zu früher Tageszeit passiren wollten, schon von nachts 1 Uhr an durch den dunkeln Wald marschirt. Bei Tagesanbruch flohen fünf hochköpfige Giraffen quer über unsern Weg. Kalli wollte sie verfolgen, kam indess zu spät; ihre Spur ist der Kamelspur sehr ähnlich. Weiterhin brachen mehrere Wildschweine aus einem Dickicht hervor, es muss also stehendes Wasser in der Nähe sein. Zahlreiche Brunnen, bald rechts, bald links vom Wege, geben Zeugniss, dass der Wald, wie erwähnt, früher von Menschen bewohnt gewesen ist; es waren Desa und Búlguda, die erstern haben sich nach dem nördlichen Bornu, die letztern nach Kanem verzogen. Die Gegend behält ihren waldigen Charakter, doch wird das Terrain jetzt mehr und mehr eben. Als wir um 71/2 Uhr den Brunnen Kufe erreichten, überraschten wir einen Löwen bei seinem Frühstück, einer Kargum-Antilope. Unsere Ankunft verscheuchte ihn, und sofort schwebten Hunderte von Raben und Geiern herab und stürzten sich auf das erwürgte Thier. Um den Brunnen herum, der 25 Fuss tief und mit Holz ausgedielt ist, standen grosse Wasserlachen, aus denen unsere Kamele getränkt wurden. Ohne die Zelte aufzuschlagen, lagerten wir unter Talha-Bäumen, während die darauf sitzenden Singvögel und Lachtauben sich durch unsere Anwesenheit in ihrem Concert nicht stören liessen. Auf den drei hohen Bäumen, welche den Brunnen beschatten, nistete eine Art Reiher in grossen Nestern, selbst ihre Kronen schienen voll Nester zu sein. An vielen Stellen des Bodens waren noch Sprossen von ksob (Negerhirse, Pennisetum typhoideum), von den Bornuern argum moro genannt, Ueberbleibsel des frühern Anbaues. Auffallenderweise berichtet Nachtigal, der vier Jahre nach mir Kufe passirt hat, der Brunnen sei "seit Jahren" verschüttet. Da ich ihn noch in vollkommen gutem Stande gefunden, muss er seitdem gewaltsam zerstört worden sein. Gern hätte ich ein saftiges Stück Fleisch aus der fast noch zuckenden Antilope geschnitten und es meinem Frühstück hinzugefügt, aber die Mohammedaner, so sehr sie selbst heimlich danach verlangen mochten, erklärten das Fleisch für "djiffa", unkoscher, und um ihnen kein Aergerniss zu geben, entsagte ich ebenfalls dem Genuss.

Von Kufe zogen wir noch 41/2 Stunde gerade südwärts bis zu dem Brunnen Asi, dessen Wasser ich besonders wohlschmeckend fand. Ueberhaupt fehlte es uns nun nicht mehr an gutem Trinkwasser, und wir brauchten keinen Vorrath in Schläuchen davon mitzunehmen, da es überall volle Lachen und Regenlöcher gab. An diesem und dem folgenden Tage wimmelte unser Weg von zahllosen Myriopoden, die wie Raupen aus Erdlöchern hervorkrochen, sodass die Kamele bei jedem Schritte einige zertraten. Die Thiere sind braun, bis zu einem Decimeter lang und haben an beiden Seiten etwa 130 Füsse; sie nähren sich von Pflanzen, auch ist ihr Biss nicht giftig, was ich, der Annahme mehrerer Naturforscher entgegen, hiermit ausdrücklich bezeuge. Wie Nachtigal berichtet, werden diese Tausendfüssler in der Kanúri-Sprache "dingeli" genannt und von den Eingeborenen, nachdem sie ihnen den Kopf abgerissen, ausgesaugt als Heilmittel gegen Skorpionen und Vipernstiche.

Am 14. Juli verfolgten wir von 51/2 Uhr morgens an die Strasse weiter, die in geradester Richtung, nach Ngígmi führt, während rechts und links abzweigende Wege östlich über Kibbo und westlich über Bir el Hammam gehen. Um 9 Uhr kam uns eine verdächtige Gofla, von neun Reitern begleitet, entgegen, lenkte aber, sowie sie unserer ansichtig wurde, ins Dickicht des Waldes ein. Wir machten halt und setzten unsere Waffen in Bereitschaft; es liess sich indess nichts wieder blicken, und so zogen wir, nachdem das Frnhstück abgekocht war, unbehelligt weiter. Der Wald ist hier häufig von grünen Wiesen unterbrochen, auf denen ich Spuren des Flusspferdes, dann Unrath und Knochen dieses Thieres entdeckte, ein Zeichen von der Nähe des Tschad-Sees. Hier und da steht eine wasserliebende Dum-Palme. Weithin verbreitet der Suakbaum einen senfartigen oder, wie Denham sagt, einen strengen narkotischen Geruch; seine Blätter, besonders aber die reifen Früchte, von der Grösse unserer Johannisbeere, schmecken ganz nach Senf; getrocknet nehmen sie einen etwas süsslichen Geschmack an. Bis zum Abend marschirten wir noch fünf Stunden und lagerten dann am östlichen Abhang einer kleinen Anhöhe. Ich erstieg dieselbe bei Sonnenuntergang und blickte zu meiner Ueberraschung nach Westen zu in ein kesselförmiges, dichtbewaldetes Thal. Aus dem Baumdickicht ragten stolz zwei Dattelpalmen empor, an denen ich Früchte zu erkennen glaubte. Als ich wieder ins Lager kam, schickte ich sogleich zwei meiner Diener nach den Datteln aus, es erwies sich aber als unmöglich, ohne Axt in das Dickicht einzudringen. Der Ort, wo wir lagerten, mag früher bewohnt gewesen sein, denn ein gut ausgetretener Pfad führt von da auf die Strasse.

Ein Marsch von 21/2 Stunden brachte uns am andern Morgen nach Ngígmi, dem ersten bewohnten Orte an der Nordgrenze von Bornu. Wer sich den Tschad-See als einen blanken Wasserspiegel vorstellt, wird bei dessen Anblick sehr enttäuscht sein, denn nur stellenweise sieht man offenes Wasser in der unendlichen, mit Rohr und Schilf bedeckten Fläche. Eine sehr angenehme Musik war mir das Brüllen der Rinder, die in Heerden an uns vorüberzogen. Wie lange hatte mein Ohr diesen heimatlichen Laut nicht mehr gehört! Wir schlugen unsere Zelte dicht vor dem Dorfe auf, und bald kamen die Bewohner, welche Kanembu sind neugierig heraus. Sie hielten uns für den Vortrab einer grossen Karavane, waren daher sehr verwundert, als wir ihnen sagten, dass niemand weiter folge, da, wie sie uns mittheilten, Tuareg, mit Uled Sliman verbunden, Kanem nach allen Richtungen raubend und plündernd durchzögen. Von den Frauen wurden mir Esswaaren: frische und getrocknete Fische, Butter, Taback, Argum moro, Argum moro-Mehl, etwas Gerste und Weizen, zum Kauf oder zum Tausch gegen Glasperlen und Nadeln angeboten. Ihre Forderungen waren indess nach dortigen Preisverhältnissen keineswegs bescheiden, später kaufte ich in der Hauptstadt Kuka alles viel billiger. Ich bezahlte ihnen für frische Fische, ein Lamm, 20 Pfund Butter und etwas Mehl 2 Mariatheresienthaler. Abends badete ich an einer offenen Stelle, wo die Kühe getränkt zu werden pflegen, im Tschad, nachdem mir die Eingeborenen auf meine Erkundigung versichert hatten, es komme hier äusserst selten vor, dass ein Mensch von einem Krokodil angefallen werde. Nicht weit von der Badestelle sah ich dann vier Hippopotamen ihre plumpen Köpfe ans dem Wasser strecken, und da mich Kalli und der Marabut gebeten hatten, ich möge vor den Bewohnern Ngígmis meinen Repetirstutzen abfeuern, benutzte ich die Gelegenheit, ihnen von der Wirksamkeit unserer Waffen eine Probe zu geben. Ich schoss unmittelbar hintereinander vier Schüsse auf die Flusspferde ab und hatte das Glück, dass zwei davon tödlich getroffen wurden. So viele Kugeln fast gleichzeitig aus ein und demselben Rohre kommen und auf so weite Entfernung wirken zu sehen, flösste den Leuten natürlich keinen geringen Respect vor uns ein. Eine solche Einschüchterung war aber allerdings unserer Sicherheit wegen nöthig, denn erst tags zuvor hatten zwanzig Búdduma, Inselbewohner vom Tschad, eine kleine Tebu-Gofla hier ausgeplündert und ihr drei Kamele weggeführt. Wir mussten ihnen also die Lust benehmen, sich etwa auch an unserer schwachen Karavane zu vergreifen.

Ngígmi ist ein offener, aus oben zugespitzten Rohrhütten bestehender Ort. Die Einwohner, gegen 1500 an Zahl, sind Kanembu, d. h. Bewohner von Kanem, die sich äusserlich in nichts von den Tebu oder Kanúri unterscheiden und auch wie diese die Bornu-Sprache reden. Nachtigal sagt, sie nennten sich Tomagheri; danach würden sie zum Stamme der Tomaghen in Tibesti gehören. Sie nähren sich von Viehzucht, Fischfang und Ackerbau, werden jedoch bisweilen von plündernden Tuareg und andern Nomadenstämmen heimgesucht. An ihrer Spitze steht ein Aeltester, der einen jährlichen Tribut von getrockneten Fischen an den Sultan von Bornu zu entrichten hat. Nur zur Regenzeit ist der Ort vom See umgeben; sonst liegt er einen guten Büchsenschuss vom Ufer entfernt. Barth fand ihn noch näher am See liegen, der seitdem infolge einer Ueberschwemmung mehr zurückgewichen ist. Von dem Walde ist Ngígmi durch eine niedrige, mit Kräutern und Strauchwerk bewachsene Sand- oder Dünenkette getrennt.

In der Nacht überraschte uns ein furchtbarer, von Sturmwind begleiteter Regen. Dem Sturme hielt mein gut befestigtes Zelt wacker stand, aber das Wasser flutete von unten mit solcher Gewalt herein, dass ich glaubte, der Tschad sei ausgetreten. Vergebens rief ich nach Hülfe; meine Leute, deren Zelt der Sturm weggerissen, hörten mich nicht. Doch gelang es mir mit eigener Anstrengung, die Säcke mit Zucker und andern Waaren, welche durch das Wasser beschädigt werden konnten, auf die Kisten zu retten. Wie immer in der tropischen Region zog das Unwetter rasch vorüber, und kurz nach Mitternacht hatte sich der Himmel wieder völlig aufgeheitert. Obgleich unser Lager in der unmittelbaren Nähe eines bewohnten Ortes stand, wurden wir doch bis zum Morgen durch Hyänen, eine grössere Art als die in der Wüste, beunruhigt; vor dem Gebell meines Hundes zeigten sie keine Scheu, nur durch öfteres Abfeuern der Gewehre liessen sie sich zurücktreiben.

Als wir am nächsten Morgen 61/2 Uhr aufbrachen, schlossen sich die Tebu, die hier beraubt worden waren, und einige Bewohner von Ngígmi mit Lastochsen unserer Karavane an, um in möglichst starker Begleitung das Bereich der räuberischen Búdduma zu durchreisen. Wir zogen immer hart am Rande des Sees entlang, der durch hohes Schilfrohr, in dem zahlreiche Wasservögel sich tummelten, kenntlich war. Um 10 Uhr kamen wir an den Hütten von Silólo und um 101/2 Uhr an denen von Udi vorbei. Diese Hütten standen augenblicklich leer; sie werden nur zeitweise von den Leuten bewohnt, die hierher kommen, um aus der Asche des Suak-Baumes ein Surrogat für Salz zu gewinnen. Sowie kein Steinchen, so findet sich nämlich in der ganzen Gegend auch kein Salz, und die hier wachsenden Pflanzen sind so arm an Salzgehalt, dass den Kamelen, Rindern, Schafen und Ziegen von Zeit zu Zeit, wie man behauptet, Salz gegeben werden muss. Ich selbst habe indess nur einigemal gesehen, dass den Kamelen Natron gereicht wurde. Salz ist daher hier der begehrteste Artikel, und wollte ich von den Bewohnern etwas kaufen, so war es immer vor allen Dingen Salz, was sie dagegen einzuhandeln wünschten. Wenn nun die Karavanen von Bilma länger als gewöhnlich ausbleiben, dann sucht man aus der Asche einiger Bäume, namentlich des Suak, durch Auskochen einen nothdürftigen Ersatz zu produciren.

Von Udi an, das wir um 2 Uhr verliessen, wendet sich der Tschad von Südwesten nach Süden und nach einer halben Stunde, bei den Hütten von Berdóa, südöstlich. Um 41/2 Uhr passirten wir Kinsángale, einen gerade von Aschensiedern bewohnten Ort, aus hundert Hütten bestehend. Gegen Abend entfaltete sich in der Landschaft ein ungemein reges und mannichfaltiges Thierleben. Schmetterlinge und Libellen gaukelten von Blume zu Blume, Singvögel flogen aus dem dichten Gebüsch, das die Wiesen am Tschad-Ufer umsäumt, und erhoben sich über uns in die klare Luft, während die Wasservögel, weisse und schwarze Störche, Pelikane, Enten, Gänse u. s. w., auf den Wiesen ohne Scheu ihr Futter suchten; Antilopen- und Gazellenheerden eilten zur Tränke an den Tschad, Wildschweine durchwühlten den Boden nach Wurzeln und stürzten bei unserer Annäherung entweder geraden Weges in den Wald zurück oder verbargen sich in das hohe Röhricht; hier ging ein Flusspferd, unbekümmert um uns, schnaufend seiner Nahrung nach, dort verschwand ein 4-5 Fuss langer Kaiman erschreckt im Sumpf oder Schilf des Ufers. Alles war mir fremd und neu, bei jedem Schritte bot sich etwas nie Gesehenes meiner Betrachtung dar. Leider wurden aber unsere Kamele von Fliegenschwärmen bis aufs Blut gepeinigt, sodass sie kaum zu halten waren und immer ihre Ladung abzuwerfen suchten, um sich am Boden zu wälzen. Um 6 Uhr kamen wir nach Kindjianglía, einem grossen Orte, wo viele Sklaven aus Ngígmi mit Aschesieden beschäftigt waren, die sich sofort in unverschämter Weise an uns herandrängten. Ich musste einige Schüsse über ihre Köpfe weg abfeuern, ehe wir sie los wurden. Später indess, nachdem die Zelte aufgeschlagen waren, handelten wir sehr wohlschmeckende Fische gegen Salz von ihnen ein.

Andern Tags, den 17. Juli, führte uns der Weg von den Gestaden des Tschad hinweg durch einen nicht sehr dichten, gleichwol aber von Thieren reich belebten Wald. Nach einem Marsch von 43/4 Stunden erreichten wir den Ort Bárua und beschlossen, daselbst zu bleiben. Bárua, etwa so gross wie Ngígmi, ist mit einer Erdmauer umgeben. Ringsum sah ich angebautes Land, mit Argum, Bohnen, Baumwolle und Taback bepflanzt. Die Einwohner verkauften uns Lebensmittel gegen Salz, wovon ich zum Glück grossen Vorrath aus Bilma mitgenommen hatte.

Am folgenden Morgen 51/2 Uhr ging es in der Richtung von 170deg. wieder vorwärts. Durch einen luftigen Wald, dessen Bäume mit Nestern der kleinen Singvögel wie mit Birnen behängt waren, gelangten wir nach einigen Stunden an die Sümpfe und Hinterwässer des Waube-Flusses. Das Passiren derselben nahm viel Zeit in Anspruch und war mit grossen Beschwerlichkeiten verbunden, indem wir die Sümpfe auf weiten Umwegen umgehen, die Wasserlachen mit den störrigen Kamelen durchwaten mussten. Für alle Beschwerden entschädigten mich aber reichlich die entzückenden, stets wechselnden Landschaftsbilder, welche die tropische Sonne im Bunde mit der Wirkung des Wassers auf diesem jungfräulichen Boden erzeugt. Ueber den saftiggrünen Wiesenteppich sprengte flüchtigen Fusses die Gazelle und das grosshornige Kargum, gravitätisch spazierten Störche, Pelikane und andere langbeinige Wasservögel darauf umher, Schwärme von wilden Enten und Gänsen rauschten plötzlich auf, Perl- und Rebhühner flohen gackernd ins Gebüsch zu ihren tief versteckten Nestern. An trockenen Stellen bauen die Ameisen, Ngitkum genannt, 3 Fuss hohe Termitenhügel, die ganz wie kleine Negerhütten aussehen. Hier wiegt auch wieder die Dumpalme ihre vielfältige Fächerkrone in der blauen Luft, als Vorbote des Flusses erscheint der herrliche Temssuko oder Tamarindenbaum, und gruppenweis tritt der Téfila-Strauch auf mit geniessbaren, gerade jetzt reifen Beeren.

Endlich um 3 Uhr erreichten wir das Ufer des Komádugu Waube. Wenn Nachtigal bemerkt, der Name Waube sei gar nicht gebräuchlich, so ist das nur ein neuer Beleg dafür, wie schnell in den Negerreichen die geographischen Benennungen wechseln. So fand Barth die Ortschaften Lari und Wudi (Woodie), welche noch Denham und Clapperton besucht haben, nicht mehr vor und konnte nur mit Mühe ihre Stätte erkunden; nach wenigen Jahren werden auch ihre Namen vergessen sein. Drüben am andern Ufer sahen wir im Schatten von Tamarindenbäumen den Ort Jo liegen. Mehrere von dessen Bewohnern kamen, die blaue Tobe über dem Kopfe, haltend, zu uns herübergeschwommen. Sie sagten uns, der Vorsteher des Orts müsse jede hier ankommende Karavane durch einen Boten dem Sultan von Bornu anmelden, und wir könnten dem Boten Briefe nach Kuka mitgeben. Ich schrieb einige Zeilen an den Sultan, womit ich ihn von meiner bevorstehenden Ankunft benachrichtigte und um gute Aufnahme bat, indem ich den Empfehlungsbrief des Kaimmakam von Fesan beischloss. Unterdess war von Südosten her eine schwarze Wolkenmasse mit furchtbarer Geschwindigkeit herangezogen, und kaum hatten die Diener mein Zelt aufschlagen und befestigen können, als das Unwetter über uns losbrach. Weder Kalli noch der Marabut wurden mit dem Aufstellen ihrer Zelte fertig, beide suchten unter dem meinigen Schutz gegen den strömenden Regen. Bis der Himmel sich wieder klärte, war es Abend geworden, sodass an Uebersetzen über den Fluss nicht mehr gedacht werden konnte. Zum Glück schwammen von drüben noch einige Weiber mit Mehl und andern Lebensmitteln herbei, die sie uns gegen Salz verkauften.

Am Morgen wurde über acht leeren Kürbisflaschen ein luftiges, aber sicheres Floss zusammengebunden und darauf in drei oder vier Fahrten unser Gepäck ans andere Ufer geschafft. Ein Theil meiner Leute ritt auf unsern Kamelen durch den Fluss, der in der Mitte so tief war, dass die Thiere schwimmen mussten. Ich selbst zog es vor, hinüber zu schwimmen, und nahm auch meinen Hund, der wie seine Landsleute, die Araber, sehr wasserscheu ist, an einem Schwimmgürtel mit mir. Der Marabut setzte sich inmitten seiner Siebensachen auf das nicht mehr als 6 Fuss lange und 3 Fuss breite Floss: so kam er zu unserm Ergötzen wie eine Ente in ihrem Neste angeschwommen. Da es zu spät geworden war, noch weiter zu gehen, lagerten wir nicht fern vom Ufer an einem viereckigen, von hohen Erdwällen eingefassten Platze, der dem Sultan, wenn er hierherkommt, zum Lagerplatz dient und deshalb das Schloss des Sultans genannt wird. Seit 40 Tagen hatte es hier geregnet, und seit 27 Tagen war der Waube in Fluss.

Jo liegt am rechten Ufer, der Ort ist mit Mauern umgeben. Seine Bewohner, deren Zahl sich auf 800 belaufen mag, ernähren sich von Ackerbau und Viehzucht, und zur Zeit wenn der Komádugu (d. i. der Fluss) Wasser genug hat, was freilich nicht länger als vier Monate im Jahre währt, auch vom Fischfang. In dieser Zeit findet die Communication mit dem jenseitigen Ufer durch Schwimmen statt; wer aber des Schwimmens unkundig ist, wie die Ankömmlinge aus dem Innern des Landes, der bedient sich zum Uebersetzen eines leeren Schlauchs oder eines zwei leere Kürbisflaschen verbindenden Stockes, auf dem er rittlings sitzend sich mit Händen und Füssen hinüberrudert.

Man brachte uns reichlich Lebensmittel, darunter Brot aus Korna-Beeren, das im Geschmack an unsern Honigkuchen erinnert, aber so trocken ist, dass ich es nur mit Mühe herunterwürgen konnte; ferner Koltsche (Erdmandeln, Arachis hypogaea), bekanntlich jetzt ein bedeutender Ausfuhrartikel aus Senegambien und von der Gumeaküste. Hier wird die Frucht, obwol sie wie in ganz Bornu vorzüglich gedeiht, nur für den eigenen Bedarf der Einwohner gebaut; die Bereitung des Arachis-Oels, das in Europa dem Olivenöl Concurrenz zu machen beginnt, ist ihnen, wie es scheint, unbekannt. Dagegen haben sie Butter in Ueberfluss; ich kaufte bisweilen 20 Pfund Butter für 140 Pfund kleiner Muscheln, l'oda genannt, die den Werth eines Mariatheresienthalers repräsentiren.

Am 20. Juli morgens 71/2 Uhr verliessen wir die Ufer des Waube. Anfangs der Sümpfe und Hinterwasser wegen uns etwas westlich haltend, erreichten wir um 10 Uhr Beggel, zwei Dörfer, deren Hütten kaum aus den hohen Argum-Feldern herausragten. Im ganzen ist indess die Gegend nur dünn bevölkert. Nachdem wir von 101/2 Uhr an gerastet, ging es von 11/2 bis. 53/4 Uhr in südlicher Richtung weiter. Wilde Thiere werden nun, je mehr der Mensch sich angesiedelt hat, seltener, aber Vögel, namentlich Wasservögel, wie Enten, Störche und Pelikane, sind auch hier sehr zahlreich. Von neuen Pflanzen sah ich den Kabla-Strauch mit rothen essbaren, Ndórnu genannten, Beeren, frisch genossen gleich der Stachelfeige ein ausgezeichnetes und zugleich wohlschmeckendes Heilmittel gegen Diarrhöe; den Melbúrta-Strauch, unserm Weissdorn ähnlich, doch ohne Stacheln und den Ngánga-Strauch, der im Laub unsern Ligustrum gleicht, mit einer Kernfrucht von der Grösse und dem Aussehen unserer Aepfel, die aber ihres äusserst bittern Geschmacks wegen ungeniessbar ist.

Am andern Morgen wurde um 51/2 Uhr aufgebrochen und wie bisher die Richtung von 160deg. verfolgt. Je näher wir der Hauptstadt kamen, um so dichter wurde die Bevölkerung, wobei man freilich nicht den Massstab europäischer Länder anlegen darf. Um 8 Uhr sahen wir eine halbe Stunde westlich vom Wege das Dorf Segge und um 10 Uhr Komágendum (Elefanten-Ort oder vielleicht Honig-Ort, denn "komágen" heisst im Kanúri Honig, während der Elefant "komáun" heisst und nur in der Volkssprache "komágen" genannt wird). Um 101/2 Uhr passirten wir die angebauten Felder von Goláro, einem ebenfalls etwas westlich vom Wege gelegenen Dorfe, und um 11 Uhr wurde gelagert. Hier trennten sich Kalli und der Marabut von mir, da sie noch denselben Tag die Stadt erreichen wollten. Ich hingegen wollte absichtlich nicht abends in Kuka ankommen, denn ich wusste nicht, ob man ein Haus für mich in Bereitschaft gesetzt, und es ist überhaupt Sitte, dass Fremde morgens in eine Stadt einziehen. Um indess so weit wie möglich mich der Stadt zu nähern, liess ich, sobald unser Frühstück zubereitet und verzehrt war, um 2 Uhr wieder aufbrechen. In der Richtung von 155deg. marschirend, durchschnitten wir 31/2 Uhr die Argum-Felder von Aleihéro und befanden uns um 41/2 Uhr etwa drei Stunden östlich von Ngrútua (Flusspferd-Ort), das nahe am Tschad-See liegt. Um 53/4 Uhr hatten wir unmittelbar rechts am Wege den kleinen, nie austrocknenden See Ngaldjim - so wird im Kanúri jeder kleine See genannt - und um 6 Uhr wurde zwischen den beiden Dörfern Daurgo, vier Stunden in Ostsüdost von der Hauptstadt entfernt, zur Nacht gelagert.

Frühmorgens zogen meine Diener neue Kleider an, die ich zu diesem Behufe gekauft hatte; dann wurde abmarschirt. Vormittags 9 Uhr hielt meine Karavane an dem Nordthore von Kuka.


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