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XVI. Der Tschad-See.

Ausflug an den See. Der Ort Kaua. Am Ufer. Rückweg. Umfang, Lage, Gestalt, Zuflüsse, Abfluss, Name des Sees. Die Búdduma-Inseln und ihre Bewohner.

Endlich war das Ende der Regenzeit herbeigekommen, und ich benutzte den ersten heitern Tag zu einem Ausflug an den Tschad-See, um denselben noch bei hohem Wasserstande zu sehen. Der Sultan hatte mir eine zahlreiche Bedeckung angeboten, ich bat aber nur um einen der Landschaft kundigen Führer, da ich denselben Abend wieder in Kuka zurück sein wollte. Er schickte mir seinen Vorreiter Almas (d. h. Perle). Dieser Mann, Sohn eines Vornehmen in Uándala (Mandara), aber schon als Kind von den Türken in die Sklaverei geschleppt und später an Reschid Pascha in Tripolis verkauft, war nach seiner Freilassung mit Eduard Vogel nach Kuka gekommen und, als Vogel nach Uadaï abreiste, von Sultan Omar mit dem Amte des Vorreiters betraut worden. Da er türkisch und arabisch spricht und viel von Stambul und dem Blad en Nassara (Christenlande) zu erzählen weiss, wobei er freilich seiner Phantasie freien Spielraum gestattet, vor allem aber wol weil er ein Meister in der Schmeichelei und kriechenden Unterwürfigkeit ist, hat sich der ehemalige Sklave eine brillante Stellung am Hofe von Bornu verschafft. Im Besitz von Haus, Hof und Gärten, mehrern Sklaven und Sklavinnen, drei oder vier Reitpferden, lebt er herrlich und in Freuden auf Kosten des Sultans wie der Grossen des Reichs; sein respectables Bäuchlein ist ein sichtbares Zeugniss, wie wohl das gute Leben ihm bekommt. Unserm leider so früh verlorenen Landsmann bewahrt er ein treues Andenken und spricht mit warmer Verehrung von ihm. Bald machte er sich auch mir auf mancherlei Weise nützlich, und ich glaube, er wäre gar nicht ungern, wenigstens für einige Zeit, in meine Dienste getreten, hätte er sich von der goldgestickten englischen Consulsuniform mit dem stolzen Dreimaster zu trennen vermocht, in der er, jedesmal wenn er dem Sultan vorreitet, paradiren darf. Sie gehörte zu den von Vogel hier zurückgelassenen Sachen und war so, gleich dessen Teleskop, Sextant, Theodolit, Prismenkreis und den andern astronomischen Instrumenten, in den Besitz des Sultans gekommen.

Begleitet von Almas und meinen Dienern ritt ich morgens 61/2 Uhr aus dem östlichen Stadtthore. Der Weg nimmt die Richtung von 80deg.. Zu beiden Seiten ward durch Argum- und Ngáfolifelder, deren Halme die fast unglaubliche Höhe von 20 Fuss erreichten, die Stadt unsern Blicken entzogen. Einzeln dazwischenstehende Hütten bezeugen die Sicherheit des Eigenthums, denn an den Grenzen des Landes können die Leute nur in Dörfern beisammen wohnen, um räuberischen Anfällen gewachsen zu sein. Der Boden ist abwechselnd sandig oder schwarzer Humus, doch auch der sandige war, wol mit Hülfe von Dünger, gut angebaut. Nach 11/2 Stunden traten wir in einen lichten Wald von Dum-Gebüsch, Korna-, Hadjihd- und Tamarinden-Bäumen, dessen Grund jetzt, dank dem vielen Regen, mit verschiedenen Gräsern bedeckt war, während äusserst selten eine Blume dazwischen auftauchte. Einige links und rechts vom Wege liegende Dörfer waren des Gebüsches halber nicht zu sehen. Um 91/2 Uhr aber kamen wir an den bedeutenden Ort Kaua, der gegen 1500 Hütten zählt, folglich, auf die Hütte einschliesslich der Sklaven sieben Bewohner gerechnet, eine Bevölkerung von etwa 10000 Seelen haben muss. Nur die Spitzen der Dächer ragten aus den Korna-Bäumen und dem hohen Grase hervor, das uns Reitern bis an die Brust reichte und durch das wir uns zur Wohnung des Fugobillabe, des Ortsvorstehers, hindurcharbeiten mussten. ("Fugo" heisst Oberhaupt, "billa" Ort, nicht Stadt, wie Barth und andere übersetzt haben; Stadt heisst im Kanúri "birni" daher Birni-Kuka," Birni-Gasérgomo, die frühere Hauptstadt, die aber auch, ebenso wie die jetzt zerstörte Stadt Káfila, südwestlich von Ngornu, schlechtweg Birni genannt wurde.) Wir meldeten unsere Ankunft durch einen Schuss und stiegen dann vor dem Haupteingange der weitläufigen Wohnung ab. Dieselbe bildet einen mit einer hohen Mattenwand umfassten Complex grösserer und kleinerer Hütten, welche wieder durch Mattenwände, voneinander geschieden und von dichtbelaubten Hadjihdj- oder Korna-Bäumen beschattet sind. Der Fugobillabe empfing uns sehr höflich und lud uns ein, in einem der Höfe zu verweilen, wohin er uns dann das Frühstück: Brot, Honig, Milch und frische Butter, bringen liess. Er sagte mir, es sei unmöglich, vom Tschad-See noch abends wieder nach Kuka zu gelangen, und ich schickte deshalb den Gatroner von hier zurück, damit meine Wohnung die Nacht über nicht ganz ohne Schutz bleibe. Die andern Diener in Kaua lassend, ritt ich allein mit Almas, jeder mit einer Doppelflinte versehen, um 2 Uhr nachmittags weiter. Ein Mann aus dem Orte war vorausgesandt worden, um die am Ufer beschäftigten Búdduma zu verständigen, dass ich in freundlicher Absicht käme. In gerader Ostrichtung ritten wir noch l1/2 Stunden in scharfem Trabe. Der Wald wurde immer lichter und endete mit einzelnen Dum-Palmen. Von seinem Saume an erstreckte sich eine hochgrasige Wiese bis unmittelbar an die Lagunen des Sees. Kaum erblickten uns die Búdduma, als sie vor den zwei mit Flinten bewaffneten Reitern eiligst die Flucht ergriffen und mit ihren Booten in den See hinausruderten. Alles Zureden, sie möchten an das Ufer zurückkommen, half nichts, ich sei, meinten sie, einer von des Sultans Leuten, und mit denen wollten sie nichts zu thun haben. Vergebens auch stellte ihnen der Mann aus Kaua vor, dass ich kein Uosseli (Araber), sondern ein Christ wäre, ein Vetter des Fremden, der vor zehn Jahren ihr Land besucht habe (Overweg); sie waren nicht zur Umkehr zu bewegen. Schade, dass ich ihre mit Natron beladenen langen Boote, die je 15 Mann fassen, nicht näher in Augenschein nehmen konnte.

Der Tschad hatte noch lange nicht (am 31. August) seinen höchsten Wasserstand erreicht, denn manchmal tritt das Wasser bis dicht an Kaua heran. Freilich liegt dieser Ort wol nicht höher als 18 Fuss, und selbst Kuka nicht höher als 24 Fuss über dem niedrigsten Wasserspiegel des Tschad, was ich daraus schliesse, dass in Kaua 18 Fuss, in Kuka und der nächsten Umgebung 24 Fuss die gewöhnliche Brunnentiefe ist, die in der Regenzeit, je nachdem der See sich füllt, bis auf etwas über 12, resp. 18 Fuss steigt. Sonach dürfte Kaua 12 Fuss über dem höchsten, 18 Fuss über dem tiefsten, Kuka ungefähr 18 Fuss über dem höchsten und 24 Fuss über dem niedrigsten Niveau des Sees liegen. Ich fand das Wasser des Tschad süss schmeckend und von grünlicher Farbe; in die Hand genommen erschien es ganz klar. Die Temperatur war 25deg. R. bei einer Luftwärme von 26deg.. Obgleich der Uferrand mit hohem Schilf bewachsen ist, sah ich an dieser Stelle sehr wenig Wasservögel; vielleicht waren sie durch die Búdduma und die zahlreich anwesenden Natronkäufer verscheucht. Dagegen wälzten sich die Flusspferde, dann und wann Wasser wie Staubwolken aus ihren Nasenhöhlen emporblasend, furchtlos in den Wellen.

Die Sonne war bereits untergegangen, als ich wieder in der Wohnung des Ortsvorstehers von Kaua eintraf, und so musste ich von dessen freundlichem Erbieten, uns Nachtquartier zu geben, Gebrauch machen. Um einigermassen vor den Bissen der Flöhe geschützt zu sein, legte ich mich auf das gebrechliche, nur aus Holzwerk und Matten bestehende Dach der Veranda, wurde aber durch ein Gewitter, das plötzlich von Osten heraufzog, von meiner Lagerstatt vertrieben. Man schlug nun in einer geräumigen Hütte ein 2 Fuss hohes Rohrbett für mich auf, und ich hatte hier nur zu reichlich Gelegenheit, von der Unwahrheit der Behauptung, die Flöhe in Bornu könnten nicht springen, mich auf Kosten meiner Nachtruhe zu überzeugen; die bornuer Flöhe sind ganz ebenso fertige Springer, wie ihre Verwandten in Europa.

Um 3 Uhr morgens liess ich die Pferde satteln. Der Rückweg wurde über Bender, eine Stunde südwestlich von Kaua, genommen, und kurz nach Sonnenaufgang betrat ich wieder meine Wohnung in Kuka. Als fatale Ueberraschung fand ich die Decke der Küche und des anstossenden Zimmers, durch eignen nächtlichen Platzregen erweicht, am Boden liegen. Diese aus Erde und Thon gebauten Häuser vermögen eben dem nassen Element nur schwachen Widerstand zu leisten, die strohbedeckten Hütten der Sudan-Neger schützen viel besser sowol gegen den Regen wie gegen die brennenden Sonnenstrahlen, sie sind auch die eigentlich nationale, weil den Witterungsverhältnissen angemessenste Behausung in jenen Ländern.

Ich schliesse den Bericht über meinen kurzen Ausflug mit einer Darstellung des Tschad-Sees, soweit eine solche auf Grund der bisherigen Untersuchungen und Beobachtungen gegeben werden kann.

Denham, Clapperton und Oudney waren die ersten Europäer, welche den Tschad besuchten, die ersten, welche über dessen hydrographische Verhältnisse wissenschaftliche Untersuchungen anstellten. Bis dahin wusste man von diesem grossen centralafrikanischen Becken nichts als was Burkhard, Hornemann, Jackson und Ali Bey nach den Aussagen der Eingebornen und der Araber darüber berichtet hatten. Diese Aussagen waren aber nicht nur äusserst mangelhaft, sondern auch voller Widersprüche. So leiten die Araber den Namen Bornu von "Bir", Land, und "Noh", Ueberschwemmung, her; und während die Bornuer jeden Fluss ohne Unterschied Komádugu nennen, sehen die ost- und nordafrikanischen Araber in jedem grössern fliessenden Wasser den ägyptischen Nil. Etwas genauer wurde der See dann bei der Barth'schen Expedition durch Overweg erforscht, der ihn in einem von Malta mitgebrachten zerlegbaren Boote befuhr. Aber noch sind wir weit von einer gründlichen Kenntniss des Tschad entfernt. Es müssten die Beobachtungen einer langen Reihe von Jahren über den niedrigsten Wasserstand während der trockenen Jahreszeit und den höchsten während oder gleich nach der Regenzeit vorliegen, um danach seinen mittlern Umfang und seine mittlere Tiefe zu bestimmen. Da die trockene Zeit den weitaus längern Theil des Jahres füllt, ist der niedrige Wasserstand, mithin auch der kleine Umfang des Sees als der normale anzusehen. Diesen schätze ich auf etwa 200 Quadratmeilen, in der nassen Jahreszeit aber mag der Umfang wenigstens das Fünffache betragen. Er reicht im Norden fast bis zum 15deg., im Süden, Ngala als südlichsten Punkt gerechnet, bis 12deg.30' nördl. Br., im Westen ungefähr bis zum 13deg., und im Osten bis 15deg.30' östl. L. von Greenwich. Die Gestaltung ist im allgemeinen eine kreisförmige, doch läuft das westliche Ufer ziemlich gerade von Norden nach Süden mit etwas östlicher Abweichung, steigt dann von Ngígmi nordöstlich bis Beri und biegt von da nach Südosten um, wogegen das südliche Ufer infolge der starken Delta-Anschwemmungen des Schari sich nach Norden in den See hineinbuchtet.

Nach den Beobachtungen von Vogel liegt der Tschad 800 Fuss über dem Meere, nach meinen eigenen, von Dr. Hann berechneten Messungen, die für Kuka 1168 Fuss ergeben, beträgt seine Höhe etwa 1150 Fuss. Er ist, wie wir jetzt mit Bestimmtheit aus den Nachtigal'schen Untersuchungen wissen, nicht das tiefste Becken im nordcentralafrikanischen Continent, aber jedenfalls dasjenige, welches das meiste Flusswasser in sich sammelt. Im Westen, wo sich sein Gebiet bis zum 8deg. nördl. Br. erstreckt, empfängt er alle am Nordrande des Goro einspringenden Flüsse, darunter den Komádugu Waube[54] dessen Länge der des deutschen Rhein nichts nachgibt. Vom Süden fliesst der sehr bedeutende Schari-Fluss, verstärkt durch den fast ebenso grossen Logeme, in den See, und sollte es sich bestätigen, dass der von Schweinfurth entdeckte Uelle-Fluss ebenfalls zum Schari-System gehört (Barth sagt in seiner "Flussschwelle": "Der Schari war am 20. März 1852 schon im Steigen, gross und tief; ein höchst beachtenswerther Umstand für sein entferntes südliches Herkommen."), dann würde die Wassermasse, welche dem Tsad zugeführt wird, eine, so gewaltige sein, dass man sich kaum denken kann, sie werde allein durch Verdunstung und mittels Durchtränkung des Bodens absorbirt, vielmehr zu der Annahme kommt, er müsse irgendwo einen Abfluss haben. Zwar schreibt Barth Bd. 11, S. 409 seines Reisewerks: "Ich kann bestimmt versichern, dass der Tsad keinen Abfluss hat, und dass sein Wasser doch süss ist." Zu einer solchen Behauptung war er aber um so weniger berechtigt, als er keineswegs den See rings umgangen hat. Ich selbst sprach mich in einem von Bornu aus an Dr. Petermann gerichteten Briefe dahin aus: unmöglich könnten so kolossale Wassermengen blos durch Evaporation und Infiltration verloren gehen, es sei daher wahrscheinlich, dass der Tschad-See durch das Behar el Rhasal abfliesse. Und schon Denham und Clapperton liessen sich von den Eingeborenen erzählen: "Früher ergoss sich der Tschad durch einen Strom, in den Behar el Ghazal; das trockene Bett desselben ist noch sichtbar, es ist aber jetzt voll von grossen Bäumen und Kräutern.... Ein Tebu erinnerte sich, von seinem Grossvater gehört zu haben, dass das Wasser dort sich allmählich in einen unermesslichen Sumpf oder See verlöre, jetzt sei alles aufgetrocknet. ... Sidi Barka, ein heiliger Mann, ward von den Biddomahs (Búdduma) an der Mündung dieses Flusses ermordet, von dem Augenblick fing der Behar el Ghazal an auszutrocknen und das Wasser hörte auf zu fliessen.... Ein Bergoo Tibbo erzählte uns zu Mursuk, dass der Behar el Ghazal ursprünglich von Süden herströmte und das Wasser des Tschad aufnahm; jetzt aber sei er ganz trocken, und man fände Knochen von ungeheuern Fischen in dem trocknen Bette des Sees." Durch Nachtigal's Untersuchungen ist es nun unzweifelhaft festgestellt, dass der Tschad-See in der südöstlichsten Ecke durch das Behar el Rhasal abfliesst, dessen Wasser sich von da nach Nordosten über die weite Niederung von Bodele ausbreitet. Ob auch die Oase Uadjanga und andere vom Tschad-See aus gespeist werden, lässt er vorläufig unentschieden, weil seine Vermuthung, dass die tibestinischen Gebirge sich nach Südosten fortsetzen, erst noch des Erweises bedürfe. (Aus einem Briefe Nachtigal's an den Verfasser.) Allerdings wird der Abfluss nicht immer sichtbar sein, sondern meist unter der Erde vor sich gehen, wie ja derartige unterirdische Abflüsse in der Wüste häufig sind: aus den Ued Knetsa, Figig Ger und andern Zuflüssen entsteht der Ued Ssaura, der unter ganz Tuat hinfliesst unter dem Boden von Tafilet fliesst der Sis-Fluss mit seinen Verzweigungen, aus dem nach sehr starken Zuflüssen südlich von Tafilet sich der Daya el Daura bildet.

Mit Ausnahme einiger Stellen am Ufer, wo das dort sich findende Natron der nächsten Umgebung einen bitter salzigen Geschmack mittheilt, hat der Tschad-See durchweg süsses Wasser, wie es nicht anders sein kann, da sowol der Boden weit umher alles Salzes entbehrt, als auch die Zuflüsse aus Süden und Westen - vom Norden und Osten her erhält der Tschad keine Zuflüsse - in Gebieten entspringen und Länder durchströmen, in denen Salz ganz und gar mangelt.

Ein See in der vollen Bedeutung des Worts kann der Tschad eigentlich nur zur Zeit des Hochwassers genannt werden. Im Monat August beginnt er sich zu füllen, und dann steigt sein Niveau in gewöhnlichen Regenjahren wol um 20 Fuss, wie auch Vogel beobachtete, in andern um 30 Fuss und noch mehr. Natürlich dringt die Hochflut des Sees alsdann auch in die Mündungen des Waube und des Schari, ja weit stromaufwärts in deren Betten ein, und die Araber liessen sich dadurch zu der Annahme verleiten, dass der Tschad durch den Komádugu Waube abfliesse. In der trockenen Jahreszeit bietet der See vom Ufer aus gesehen viel mehr den Anblick eines ungeheuern Sumpfes. Die schilf- und graslosen Stellen heissen "nki bul" (weisses Wasser), die tiefen Stellen "nki tsilim" (schwarzes Wasser). Die tiefsten Stellen scheinen im Südosten zu sein; Overweg fand als grösste Tiefe 25 Fuss, doch sind die Untersuchungen hierüber noch nicht abgeschlossen.

Was den Namen des ganzen Sees betrifft, so legt Barth grosses Gewicht darauf, dass er "Tsad" geschrieben werde. Mir scheint jedoch "Tschad" die richtigere Schreibart, denn von den arabischen Schriftgelehrten wird das Wort häufiger mit einem xxx, als mit einem xxy geschrieben, und die Kanúri sowie die andern umwohnenden Völker haben keine Schriftsprache, sie sprechen das Wort verschieden aus; ich habe häufiger "Tschad" als "Tsad" gehört. Daher schreiben auch die europäischen Reisenden verschieden, Hornemann: "Zad"[55], Lyon: "Tsad", Denham: "Tchad", Overweg: "Tschad", Vogel wie Barth: "Tsad", Nachtigal: "Tsade". Ich habe nicht nach dem Vorgange Barth's "Tsad" geschrieben, da ich die Schreibart "Tschad" mindestens für gleichberechtigt halte. Erwähnt sei noch, dass von den Búdduma der See nicht Tsad, sondern "Kolo" genannt wird - offenbar dasselbe Wort wie "Kulla", das zu Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts die seltsame, in Ritter's "Afrika, S. 484 ausführlich besprochene Combination des Niger mit dem Nil veranlasste. Auf den ältern Karten, z. B. auf der zu Hornemann's Reisen, findet sich an der Stelle, wo wir jetzt den Tschad-See hinzeichnen, der Name Behar Kulla.

An den meilenweit in den See hinein mit Schilf und Papyrus bewachsenen Ufern ist die Heimstätte des Hippopotamus, das man hier in Heerden von 100 Stück und darüber sehen kann. Seltener sind Elefanten und Rhinocerosse, erstere sollen am westlichen und nördlichen Ufer nach Aussage der Eingeborenen gar nicht mehr vorkommen. Selbstverständlich fehlt der Kaiman nicht in diesen schilfigen Sümpfen. Wasservögel von allen Arten gibt es in solcher Menge wie wol an keinem andern Orte der Welt, und der ausserordentliche Reichthum an Fischen ist von allen Reisenden, die den Tschad besuchten, hervorgehoben worden.

Wenn der See gefüllt ist, vom Monat August bis gegen Ende Januar, bildet er eine Gruppe kleiner Inseln, die aber im Sommer wieder unter sich und mit dem festen Lande, wenn auch durch sumpfiges Terrain zusammenhängen. Nach Barth heissen die bedeutendsten derselben: Gúria, Yina Dodji, Huschéa-Bikan, Purram, Madbulua, Fidda, Kollea-Dellaborme, Turbo-Dakkabelaia, Fudjio-Tschilim und Bréjare; jede besteht aus einer, die grössern, wie Dodji oder Doji, aus zwei bis drei bewohnten Ortschaften. Overweg hat sie besucht, doch gelangte der Bericht, den Barth an das englische Ministerium darüber abgestattet, bis jetzt nicht zur Veröffentlichung, wenigstens schreibt mir Dr. Petermann unterm 28. Juli 1873. "Overweg's Tagebuch seiner Befahrung des Tsad-Sees ist nirgends gedruckt; was ich aus den Fetzchen der Papierfragmente seiner Notizen entziffern konnte, habe ich für die Foreign office in London sorgfältig ausgeschrieben und ihr nebst den Originalen seinerzeit übergeben, ausserdem hier eine ihr ebenfalls übergebene Karte benutzt, die am ausführlichsten auf Blatt 5 meiner zehnblättrigen Karte von Innerafrika ausgebeutet ist."

Die Bewohner dieser Inseln nennen sich Yadina (nach Barth Yedina), während sie von den Tebu und Kanúri Búdduma genannt werden. In ihrem Aeussern ist der Negertypus entschiedener als bei den Bornuern ausgeprägt: die Lippen sind wulstiger, die Backenknochen treten stärker hervor, die Hautfarbe ist dunkler. Ihre vollen Körperformen mit ausgebildeter Muskulatur sowie ihre Sprache und ihre Sitten lassen auf eine enge Verwandtschaft mit den Kanúri schliessen. Barth meint, sie seien mit einem Stamme der Kotóko, den Bewohnern von Nghala, verwandt, und sagt dann weiter "Ob wir uns unter den Yedina im allgemeinen die Nachkommen der Telala oder Tetala vorzustellen haben, eines Stammes der Sio, die sich unter der Regierung des Edris Alaoma auf diese Inseln zurückgezogen, wage ich nicht zu entscheiden."

Begünstigt durch die insulare Lage, welche sie wenigstens den grössten Theil des Jahres ganz vom Festlande trennt, haben sich die Búdduma von Bornu unabhängig gemacht. Sie bilden ein Schiffer- und Fischervolk von etwa 20000 Seelen, das in Kriegszeiten von einem Katschella (Kriegshauptmann) befehligt wird. Zu Friedenszeiten ist der Katschella - der damalige hiess Kame - mit geringer Macht bekleidet, und eben dies, nämlich dass die Búdduma keinen eigenen "Mai" (König) haben, obgleich ihre Sprache ein Wort für König: demho-belá, besitzt, scheint dafür zu sprechen, dass sie ursprünglich mit den Kanúri vereinigt waren und sich später erst unter ihrem Katschella auf den Inseln niederliessen. Der Gebrauch der Feuerwaffen ist ihnen zwar bekannt, doch bedienen sie sich derselben nicht, sondern ausschliesslich noch der Spiesse, Bogen und Pfeile, ohne welche Bewaffnung keiner, auch nicht zum friedlichsten Handel, nach Bornu herüberkommt.

Zu bewundern sind die grossen Schiffe (Pum), manche von 50 Fuss Länge und 8-10 Fuss Breite, deren sie nach ungefährer Schätzung gegen 250 haben sollen. An Gestalt den Frachtschiffen auf der Oberweser ähnlich, entbehren diese Fahrzeuge des Kiels, gehen daher ganz flach auf dem Wasser. Das Hintertheil ist breit, das Vordertheil hoch und spitz, die Planken werden durch Taue aus Palmbast zusammengehalten, mit Bast werden auch die Ritzen und Löcher kalfatert. Der Anker besteht aus Stein (arim), der gewiss, da es in der Umgebung des Tschad-Sees keine Steine gibt, von sehr weit her geholt werden muss. Statt mit Rudern, die man nirgends bei den Negern findet, wird das Schiff mit Schaufeln (óremi) fortbewegt; doch fehlt auch nicht das Steuerruder (hakane), Mastbaum (dahisch) und Segel (gabaga, Kattunstreifen). An den Seiten sind Bänke (derhan) zum Sitzen angebracht, und eine Art Kajüte (derahá-pum-eddai) aus Zweigen und Matten gewährt Schutz gegen die Sonnenstrahlen. Das Bauholz zu ihren Schiffen holen die Búdduma aus dem Lande der Kotóko, worin Barth einen Beweis für die enge Verwandtschaft der beiden Volksstämme erblickt, was wol aber darin seinen natürlichen Grund hat, dass die nähern Gestade von Bornu und auch die Wälder von Kanem keine grossen und tauglichen Bäume liefern. Bis zu welchem Grade das Schiffswesen bei den Búdduma entwickelt ist, geht schon aus dem Reichthum ihrer Sprache an darauf bezüglichen Wörtern hervor: sie unterscheiden das Kriegsschiff (Luggu-kaggara) von dem Handelsschiff (Pum-kalai-dibbua) und benennen sogar eine Flotte (Pum-dibbu); der Kapitän heisst Luggudemmo-pum, der Steuermann Kademhan, ein Pilot ndjerr. Einen Matrosen, der zwangsweise arbeiten muss, nennen sie verächtlich Musku; es scheint also, dass sie mit dem Musku-Volke in Feindschaft leben. Viele Wörter sind zwar dem Kanúri entlehnt, andere scheinen aus dem Logone hergeleitet, im ganzen aber dürfte die Búdduma-Sprache überhaupt eine der reichsten centralafrikanischen Sprachen sein.

Das Hauptgewerbe der Inselbewohner ist die Fischerei. Frische und getrocknete Fische werden von ihnen nach Kuka und den kleinern Orten des Landes zum Verkauf gebracht. Ausserdem betreiben sie den Handel mit Natron, das besonders auf der Insel Peroni (Overweg schreibt "Berom", Barth "Purram") gefunden wird, und gelegentlich gehen sie auch an das Nord- oder Westufer des Sees, um aus der Asche des Suakholzes Salz zu kochen. Ihre Nahrung besteht natürlich grösstentheils in Fischen; den Bedarf an Ngáfoli und Massakúa wie an Zwiebeln, Karess, Mlochia u. s. w. müssen sie in Bornu kaufen. Einige Hadjilidj-, Korna-, Geredh- und Talha-Bäume wachsen nur auf den südlichen Inseln. Der Viehstand beschränkt sich auf Hühner, etliche Pferde und Rinder, die zur Regenzeit nach Kanem auf die Weide geschickt werden

Nach der Sitte aller Negervölker heirathen die Búdduma in sehr jugendlichem Alter. Der Mann darf so viele Frauen nehmen, als ihm seine Vermögensverhältnisse gestatten, aber von keiner Frau sich wieder trennen. Die Mädchen werden nicht durch Geschenke von ihren Aeltern erkauft, sondern durch freie Uebereinkunft von dem Manne geworben. Bei der Hochzeit muss der Bräutigam oder dessen Aeltern die Verwandten der Braut sieben Tage lang bewirthen. Ihre Todten beerdigen sie auf eigenen Begräbnissstätten, den Kopf nach Süden mit gen Osten gewendetem Angesicht. Macht sich hierin wie in manchen andern Gebräuchen der Einfluss ihres Umgangs mit den mohammedanischen Kanúri, den Kanembu und Arabern bemerkbar, so sind sie doch in ihren Religionsanschauungen Heiden geblieben. Sie verehren und fürchten als oberste Gottheit den Nadjikenem, der gleichsam das böse Princip vertritt, indem er die Wasser aufregt und die Schiffe zertrümmert. Nebengötter sind der Bétziromaïno und die Bakomamaïn, gute Geister, welche sie in Gefahren, namentlich bei stürmischem Wetter um Schutz anflehen. Fetische, welche Opfer verlangen, scheinen sie nicht zu haben. Der Begriff von einer Fortdauer nach dem Tode, von Himmel und Hölle geht ihnen ab; in ihrer Sprache finden sich zwar die Worte "hau" für Himmel und "au" für das arabische "nar", Hölle, doch verstehen sie unter ersterm wol den sichtbaren Himmel, nicht das Paradies der Mohammedaner, und unter letzterm das Feuer, da "nar" im Arabischen auch zugleich Feuer bedeutet.

[54]Nachtigal schreibt in der "Zeitschrift für Erdkunde", Bd. 1871: "Ich bezweifle sehr, dass der Fluss den Namen Komadugu `Waube' führt, wenigstens ist es mir bisher nur gelungen, die Benennung Komadugu Yoobe zu constatiren, und scheint mir diese, d. h. der Fluss von Yoo, viel natürlicher und conformer den Gewohnheiten des Landes." Nachtigal sah eben den Fluss nur bei Yoo, wo er allerdings den Namen Yoobe haben mag. Hingegen berichtet Overweg unterm 13. September 1853: "Die Hauptresultate meiner Reise sind, dass ich den Komadugu, der nirgends Yo heisst, nach Osten habe fliessen sehen."

[55]Hornemann, "Reise in das Innere von Afrika", (Weimar 1803).


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